Offener Brief wegen Kunersdorf (MOL)

Freya Fluten 19.09.2004 22:45 Themen: Antirassismus
Offener Brief an

W & S Wohnheim-, Betreuungs- und Service GmbH
Waldweg 2, 16269 Bliesdorf, Oder

amtierenden Landrat des Landratsamtes
Märkisch-Oderland, Dienststelle Seelow, Puschkinplatz 12, 15306 Seelow

die Polizeidienststelle Märkisch-Oderland, Wriezener Straße 9, 15344 Strausberg

die Landeseinsatzeinheit der Polizei, Kaiser-Friedrich-Straße 143, 14469 Potsdam-Eiche
Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland werden von Behörden diskriminiert, unter anderem indem sie ihre Hilfe zum Lebensunterhalt nicht bar, sondern in Form von Chipkarten erhalten. Dies ist eine rassistische Diskrimnierung, insbesondere im Wissen, dass es ein faktisches Arbeitsverbot und einen auf 70% des „normalen“ reduzierten Sozialhilfesatz gibt!
Durch Unterbringung in einsam im Wald gelegenen Sammerunterkünften, wie dem Lager in Kunersdorf, wird eine aktive Ausgrenzung von Seiten des Landkreises betrieben.

Es ist klar, dass insbesondere Flüchtlinge einer täglichen Einschüchterung unterliegen. Das ist Alltag, nicht nur durch Übergriffe von „Rechtsextremisten“, sondern auch durch wiederholte und unangemessene Kontrollen durch Polizei und Bundesgrenzschutz.
Die Polizei wird von Flüchtlingen nur in seltenen Fällen als Schutz und Hilfe empfunden.

Es ist ebenfalls klar, dass daraus eine besondere Verantwortung für Veranstaltungen, an denen viele Flüchtlinge teilnehmen, resultieren muss.

Das Verhalten, das die PolizeibeamtInnen am 01.09.2004 gegenüber den TeilnehmerInnen eines Protestfrühstückes an den Tag legten, ist inakzeptabel.

Wir protestieren deshalb
- gegen das inakzeptable Verhalten der W&S GmbH
- gegen das inakzeptable Verhalten des amtierenden Landrates
- gegen das repressive Auftreten der Polizei

Im Einzelnen:

Geplant war am 01.09.2004 ein Protestfrühstück vor dem Flüchtlingswohnheim in Kunersdorf. Die Veranstaltung wurde gegen den Willen des Anmelders von der Polizei verlegt: sie sollte ca. 400 Meter vor dem Heim an einer Kreuzung mitten im Wald stattfinden, an einem Ort, der den TeilnehmerInnen nicht die Möglichkeit gab, mit Flüchtlingen aus dem Heim in Kontakt zu treten. Diese Einschränkung unseres Demonstrationsrechtes war unverhältnismäßig und repressiv.
Bereits auf dem Weg zum Veranstaltungsort fanden Personenkontrollen und Durchsuchungen der Fahrzeuge statt. Die Anwesenheit von insgesamt 250 PolizeibeamtInnen und das Ausmaß der Kontrollen waren absolut unangemessen. Vor allem drängt sich der Verdacht auf, dass gezielt nach Flüchtlingen gesucht wurde, die die Residenzpflicht nicht einhalten.

Seit 7 Uhr morgens war Polizei mit ihren Einsatzwagen auf dem Gelände. Dies führte zu einer gezielten Einschüchterung der BewohnerInnen. Dadurch sollte u.a. auch Misstrauen gegen uns gesät werden.

Solche Mechanismen kennen wir: „Stimmt es, dass Ihr uns alle umbringen wollt? (Sehr junge Bewohnerin des Abschiebelagers Bramsche (Niedersachsen) zu antirassistischen DemonstrantInnen, sie wurde von der örtlichen Polizei bewusst falsch informiert)

Im Verlauf der Kundgebung fanden Personenkontrollen statt. Mehrere Flüchtlinge wurden unter fragwürdigen Umständen in Gewahrsam genommen. Alle wurden zum Glück wieder auf freien Fuß gelassen. Anders als in der Märkischen Oderzeitung vom 02.09.2004 behauptet, wurde niemand von ihnen per Haftbefehl gesucht. Wir gehen davon aus, dass die Presse von der Polizei falsch informiert wurde. Diese Praxis fördert bzw. ist Ausdruck rassistischer Klischees, denen zufolge Flüchtlinge angeblich nicht arbeiten und kriminell sind.

Die Verwaltung des betreffenden Wohnheimes hat der Polizei das Hausrecht übertragen, sie trägt somit neben der Polizeiführung ebenfalls Verantwortung für den Verlauf dieses Vormittags.

Ähnliche Kritik haben wir am amtierenden Landrat Michael Bonin. Es ist nicht unser Problem, wenn die Arbeit der Angestellten des Landratsamtes durch unsere Kundgebung gestört werden könnte, da genau diese Arbeit Teil eines rassistischen Systems ist, gegen das wir protestieren. Inakzeptabel ist insbesondere, wenn vermeintlich ausländisch aussehende Menschen beim Besuch des Landratsamtes eingeschränkt werden.

Wir fordern, dass Flüchtlinge sich Wohnungen suchen dürfen, genau wie andere Menschen, die auf staatliche Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen sind!

In Bezug auf die von uns erhobenen Vorwürfe erwarten wir ein Stellungnahme. Diese ist für uns als bisherige TeilnehmerInnen der Kundgebungen wichtig, um einen angemessenen Umgang mit Polizei und Verwaltung bei möglichen weiteren Aktionen finden zu können.
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Ergänzungen

Vorgeschichte bei indymedia

Freya Fluten & Co 20.09.2004 - 20:41
Beiträge auf de.indymedia.org vom 04.08.2004:

04.08.2004 Flüchtlingsproteste in Brandenburg:
 http://de.indymedia.org/2004/08/88809.shtml
Fotos und neuste Infos aus Kunersdorf:
 http://germany.indymedia.org/2004/08/88854.shtml
Fotos zu Flüchtlingsprotesten in Kunersdorf - Part 1
 http://de.indymedia.org/2004/08/88817.shtml


Beiträge auf de.indymedia.org zum 01.09.2004

Bargeld für Alle - Flüchtlingsprotest in MOL:
 http://de.indymedia.org/2004/08/91290.shtml
video:Anti-Lager-Tour,1.9.04- Seelow-Kundgebung:
 http://de.indymedia.org/2004/09/94018.shtml
video:Anti-Lager-Tour,1.9.04-Lager Kunersdorf:
 http://de.indymedia.org/2004/09/94014.shtml