Michael Löwy zu Savvas Michail

AuO 02.09.2013 22:57 Themen: Repression
Gegen Savvas Michail, den Vorsitzenden der griechischen Revolutionären Arbeiterpartei läuft eine antikommunistische und antisemitische Hetze. Michael Löwy hat die Tätigkeit und das Werk Savvas Michails feinsinnig charakterisiert. Hier eine deutsche Übersetzung von AuO.
Ist jetzt in Griechenland der Antisemitismus am Ruder?

von Michael Löwy

Ein jüdischer Marxist bekommt ein Gerichtsverfahren aufgehalst, weil er von den Nazis beschuldigt wurde, er hätte sie „verleumdet“. Sind wir im Deutschland des Jahres 1933? Es handelt sich hier um das „demokratische“ Griechenland des Jahres 2013, das man mehrfach in Anführungszeichen setzen müßte. Der Angeklagte, um den es hier geht, heißt Savvas Michail, ein scharfsinniger Intellektueller und Vorsitzender einer Organisation aus dem Bereich der marxistisch-revolutionären Linken Griechenlands.

Savvas Michail ist ein absolut unkonventioneller und außerhalb jeglicher Normen stehender griechischer Jude, Antizionist und Internationalist. Er hat ein bedeutendes Werk geschaffen, das sich schwer einordnen läßt und das sich in einem Bereich bewegt, der zwischen Literatur, Philosophie und Klassenkampf liegt. Es zeichnet sich durch Originalität und ein impetuoses Vorgehen aus. Was den Leser zuallererst beeindruckt, das ist der enorme Umfang seines Wissens. Dem Autor sind Bibel, Talmud, Kabbala, das Theater der alten Griechen, die europäische Literatur, die zeitgenössische französische Philosophie, die moderne griechische Dichtung, Hegel und Marx bis ins Detail vertraut, von Trotzki ganz zu schweigen, der für ihn ein Leitstern ist , und die Liste ließe sich noch verlängern.

Eine der ganz besonderen Eigenheiten seines Denkens liegt im Versuch, den Marxismus und die revolutionäre Theorie im Licht der jüdischen Erlösungslehre und der jüdischen Mystik neu zu deuten, und umgekehrt. Ein Unternehmen, voller Widersprüche und Wagnisse. Es gehört, wie das Werk Blochs und Benjamins – zwei Autoren, die er mehr als alle anderen schätzt – zum Bereich des religiösen Atheismus oder, wenn man so will, zu einem laizistischen Erlösungsglauben.

Zentral wird diese Thematik das erste Mal in einer beeindruckenden Essaysammlung, die 1999 unter dem Titel „Gestalten der messianischen Verheißung“ erschien. Ein weiteres Beispiel für diese religiös-atheistische, jüdisch-marxistische Vorgangsweise ist das letzte Werk (1) von Savvas Michail „(„Der Golem oder über die Thematik auch anderer Gespenster“) (2). Bei dieser Essaysammlung geht es nicht nur um den Golem, sondern auch um Kafka, Hölderlin, Lacan, Philippe Lacoue-Labarthe (3), Hegel, Marx und einzelne modern griechische Dichter wie Andreas Embirikos (4). Das Buch ist insofern ein strukturelles Ganzes, als der Autor die jüdische Mystik und die Literatur (die griechische und die internationale) miteinander in Beziehung setzt, zum Sprechen bringt, verschmilzt.

Er hat mit seiner antifaschistischen Überzeugung nie hinterm Berg gehalten und in den letzten Jahren ununterbrochen das gefährliche und grausame Vorgehen der neonazistischen Organisation „Goldene Morgenröte“ (die Organisation sollte sich eher Blutigrotes Morgengrauen“ nennen) angeprangert.

Nun hat im Jahr 2009 diese Organisation, die sich fanatisch auf die Politik des 3. Reiches beruft, eine größere Anzahl von Personen aus dem Bereich der griechischen Linken und radikalen Linken angezeigt.

Der Staatsanwalt – bestallt von der Regierung der neoliberalen Rechten – hat alle diese Personen im Jahre 2012 vorgeladen. Die Betroffenen einigten sich, dieser Vorladung nicht Folge zu leisten, es wurden jedoch schriftliche Stellungnahmen übermittelt, in denen die Anschuldigungen zurückgewiesen wurden.

Nach Prüfung der Unterlagen entschied sich der Staatsanwalt dazu, von allen Betroffenen zwei auszuwählen und sie vor Gericht zu bringen: Savvas Michail und den ehemaligen Rektor des Politechnío Konstantinos Moutzouris. Letzterem wird vorgeworfen, daß er die Infrastruktur dieser Universität Indymedia, einem alternativen Medium, zur Verfügung gestellt hat.

Was Michail Matsas (5) betrifft, so wurde er wegen „übler Nachrede“ von den Neonazis angezeigt – er hatte sie als Verbrecher bezeichnet, sein Aufruf, die Faschisten zu bekämpfen, wäre „Anstiftung zur Gewalt“ und die in einem Flugblatt enthaltene Forderung, gegen die Goldene Morgendämmerung zu demonstrieren, wäre „Landfriedensbruch“ (6).

Gleichzeitig lancierten die griechischen Neonazis eine antisemitische Kampagne gegen Savvas Michail, den sie in ihrem Organ als „Agenten einer weltweiten jüdischen Verschwörung gegen die griechische Nation“ bezeichneten, die zum Ziel hätte, „einen Bürgerkrieg zu entfachen und ein jüdisch-bolschwewistisches Regime zu errichten.“

Das hat natürlich in Griechenland und in ganz Europa zahlreiche Proteste zur Folge gehabt, aber trotz allem findet die Verhandlung statt: der Termin ist auf den 3. September 2013 festgelegt. Es geht da um vieles, abgesehen von den inkriminierten Personen wird hier klargestellt werden müssen, ob es in Zukunft in Griechenland Meinungsfreiheit für antifaschistische Auffassungen geben wird oder nicht.

Mit diesem Fall wird nicht nur klar, mit was für einer unglaublichen Dreistigkeit die Herrschaften der Goldenen Morgendämmerung vorgehen, sondern auch in welchem Ausmaß die derzeitige Regierung Samaras immer offensichtlicher mit den griechischen Faschisten konspiriert. Mehrere Minister dieser immer autoritärer und repressiver werdenden Regierung kommen von der extremen Rechten. Der Staatssekretär für Einwanderungsfragen Kostoúlas ist der Autor eines Buches, in dem der Holocaust geleugnet und das Dritte Reich glorifiziert wird, und sein parlamentarischer Sprecher, der Abgeordnete Makis Vorídis ist ein Freund von Jean-Marie Le Pen und war ehdem Generalsekretär der nationalistischen Jugendorganisation E.P.EN, die vom Chef der faschistischen Junta (1967 bis 1974), Oberst Papadopoulos, während seiner Haft aus dem Gefängnis heraus gegründet wurde (7).

Und schließlich wurde der Beschluß Samaras´, die ERT, die öffentliche Radio- und Fernsehanstalt, schlicht und einfach zuzumachen und den Sendern den Strom wegzunehmen - ein Vorgehen, das eine Regierungskrise und den Austritt der Demokratischen Linken aus der Koalition zur Folge hatte – voll und ganz von der Goldenen Morgendämmerung mitgetragen.

Am 3. September wird man es wissen, ob der Antisemitismus in Griechenland das Gesetz diktiert (8), oder ob noch ein Minimum an demokratischen Garantien übrigbleibt.

(1) Die neueste Arbeit ist ein Buch über und gegen die Goldene Morgendämmerung, in dem drei Redebeiträge von Savvas Michail versammelt sind, die er zu verschiedenen Gelegenheiten verfaßt hat. Der Titel: Η φρίκη μιας παρωδίας: Τρείς ομιλίες για τη "Χρυσή Αυγή" (Άγρα 2013) (Etwa ((AuO)) : „Eine grauenhafte Parodie. Drei Reden zur Chrissí Avjí“). Es wurde im Frühjahr dieses Jahres in der Lokomotiva, dem in Form einer Kooperative geführten politischen Lokals/Cafés/Restaurants der Revolutionären Arbeiterpartei (Ergatikó Epanastatikó Kómma), deren Vorsitzender Savvas Michail ist und das in Exarchia liegt, gar nicht weit vom Politechnío, vorgestellt. Soweit bekannt, ist es noch nicht übersetzt. Dieses Buch (Ē phrikē mias parōdias |treis omilies gia tē "Chrysē Augē / Michaēl, Sabbas / 2013; ich folge hier der Transkription für neugriechische Werke, wie sie in deutschsprachigen Katalogen Usus ist, AuO) findet sich, lt. Karlsruher Virtuellem Katalog, ausschließlich in der Bayrischen Staatsbibliothek - natürlich in keiner österreichischen Bibliothek.

(2) Wörtliche Übersetzung von: „Γκόλεμ η περί υποκείμενου και άλλων φαντασμάτων“, Agra, 2010, 320 S.

(3)Philippe Lacoue-Labarthe (1940-2007): Nicht unbedeutender Literaturwissenschaftler, aber auch Übersetzer: Celan, Benjamin, Heidegger, Hölderlin, Nietzsche.

(4) Andreas Embiríkos (Ανδρέας Εμπειρίκος): Aus schwerreicher Familie stammend, wurde er Surrealist und Psychoanalytiker. Zusammen mit Seferis der berühmteste Vertreter der sog. 30-er Generation.

(5) Mit vollem Namen heißt er: Sabbetái Benáki Matsas

(6) In einer Aussendung der EEK steht „Verleumdung“ und „Störung der öffentlichen Sicherheit“

EEK: Να απορριφθεί η μήνυση των ναζιστών
 https://www.change.org/petitions/eek-%CE%BD%CE%B1-%CE%B1%CF%80%CE%BF%CF%81%CF%81%CE%B9%CF%86%CE%B8%CE%B5%CE%AF-%CE%B7-%CE%BC%CE%AE%CE%BD%CF%85%CF%83%CE%B7-%CF%84%CF%89%CE%BD-%CE%BD%CE%B1%CE%B6%CE%B9%CF%83%CF%84%CF%8E%CE%BD

(7) Die näheren Umstände des Gründungsaktes und der Name der Organisation finden sich nicht im französischen Original, aber ergänzend in der griechischen Übersetzung: Ελλάδα: Νομιμοποιείται ο αντισημιτισμός; Nea Prooptiki, 20. 7. 2013, Nr. 553

Das Original findet sich im Blog von Michael Löwy: „Grece: l´antisémitisme fait-il la loi?  http://blogs.mediapart.fr/blog/michael-lowy. Ist jetzt in Griechenland der Antisemitismus am Ruder?
Diese Übersetzung ist von AuO (Aug und Ohr, Gegeninformationsinitiative).

Es existiert bereits eine deutsche Übersetzung, sie hat ihre Meriten, aber auch kleine Defizite. Ich habe es für sinnvoll erachtet, den Text neu und undogmatisch-sinngemäß zu übersetzen. Vgl. Griechenland: sollen Faschisten Gesetz diktieren? Übersetzung von Michele Mialane
 http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=10045

(8) … fait la loi heißt auch: „hat das Sagen“, ist also nicht wörtlich zu nehmen im Sinne von „diktiert das Gesetz“, wiewohl das auch mitschwingt. Es ist ein Wortspiel zwischen der wörtlichen und der übertragenen Bedeutung. Daher haben wir am Ende des Artikels die wörtlichere Übersetzung gewählt, im Titel die übertragene.

Michael Löwy ist ein aus Brasilien stammender, in Frankreich lebender Wissenschaftler, der, ebenso wie Savvas Michail über marxistische Themen forscht, aber auch solche, die mit der jüdischen Mystik und Erlösungslehre zu tun haben. Darüber hinaus ist er politisch aktiv: bei der LCR und der NPA. Unter anderem hat er zusammen mit Besancenot ein Buch über Che Guevara geschrieben.
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Ergänzungen