Alle Jahre wieder: Funkzellenabfrage in Dresden

addn.me 14.04.2013 12:34 Themen: Antifa Blogwire Freiräume
Auch in diesem Jahr wurden am Rande der Proteste gegen einen geplanten Naziaufmarsch in Dresden, wie schon 2011, die Handydaten mehrerer tausend Menschen erfasst. Während die Polizei damit die Personen ermitteln will, die für einen Übergriff auf zwei Zivilbeamte verantwortlich gewesen sein sollen, haben die Erfahrungen mit den Daten von 2011 gezeigt, dass darüber hinaus auch jene Personen ermittelt werden, die sich an den Blockadepunkten auf der Parktstraße den Nazis entgegen gestellt hatten. Das Instrument der nichtindividualisierten Funkzellenabfrage wurde in Sachsen im vergangenen Jahr mehr als einhundert Mal angewendet. Obwohl der Gesetzgeber diese Maßnahme nur bei Straftaten mit "erheblicher Bedeutung" vorsieht, ging es lediglich in 15 der insgesamt 104 Fälle um Straftaten gegen Leib und Leben.
Wer dachte, Sachsen hätte aus dem Skandal um die massenhafte Funkzellenabfrage im Februar 2011 gelernt, musste sich in diesen Tagen leider wieder eines Besseren belehren lassen. Wie der Grüne Landtagsabgeordnete Johannes Lichdi auf eine kleine Anfrage im Sächsischen Landtag in Erfahrung bringen konnte, hat die Dresdner Staatsanwaltschaft nach den erfolgreich verlaufenen Blockaden am 13. Februar diesen Jahres erneut mit einer nichtindividualisierten Funkzellenabfrage mehrere tausend Menschen im Bereich des Lennéplatzes erfasst. Bei dieser besonderen Ermittlungsmethode werden zunächst die Telefonverbindungsdaten der Menschen erhoben, die sich in einem gewissen Zeitraum in einer bestimmten Funkzelle aufgehalten haben. Damit gerät häufig eine Vielzahl unbeteiligter Personen ins Visier von Ermittlern.

Der Hintergrund für die erneute Abfrage der Handydaten war ein Übergriff auf zwei Zivilbeamte am 13. Februar in der Nähe der Parkstraße. Dabei soll eine bisher unbekannte Personengruppe zwei Zivilbeamte mit Holzknüppeln angegriffen und verletzt haben. Die Dresdner Staatsanwaltschaft hatte für ihre Ermittlungen am 18. Februar einen entsprechenden Antrag beim zuständigen Dresdner Amtsgericht gestellt. Die in § 100h Abs. 1 Nr. 2 StPO geregelten gesetzlichen Bestimmungen ermöglichen eine Überwachung des Fernmeldeverkehrs jedoch nur dann, wenn eine "Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten auf andere Weise erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wäre" oder "wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie mit einem Beschuldigten in Verbindung stehen oder eine solche Verbindung hergestellt wird, die Maßnahme zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten führen wird und dies auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre".

Bei den Protesten gegen einen geplanten Naziaufmarsch durch die Innenstadt von Dresden, waren in diesem Jahr nach Angaben des des Sächsischen Justizministers Jürgen Martens (FDP) 13 Polizisten verletzt worden. Einer der Beamten musste sich nach einem Angriff stationär behandeln lassen. Insgesamt wurden an diesem Tag von der Polizei 29 Straftaten registriert. Ein Ermittlungsverfahren gegen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Blockaden, sei, im Unterschied zu 2011, jedoch nicht darunter gewesen. Aus der Übersicht der Straftaten geht dennoch hervor, dass durch Polizei und Staatsanwaltschaft fast ausschließlich gegen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gegenproteste ermittelt wird und das obwohl es auch aus den Reihen der eingekesselten Nazis immer wieder zu Straftaten gekommen war. Ein überwiegender Teil der am 13. Februar angeführten Tatvorwürfe sind demnach am Wiener Platz und in der Nähe der Parkstraße verzeichnet worden. Dabei wird in mindestens fünf Fällen gegen Schneeball werfende Personen wegen "Körperverletzung" ermittelt, obwohl dazu von der Polizei keine Geschädigten festgestellt werden konnten.

Johannes Lichdi kritisierte die Funkzellenabfrage als "rechtsstaatlich höchst bedenklich", da "durch diese strafprozessuale Maßnahme Telefonverbindungsdaten und Telefonanschlüsse einer nicht unerheblichen Anzahl von friedlichen Demonstranten erhoben wurde". Damit besteht seiner Ansicht nach die Gefahr, dass auch die Telefonanschlüsse all jener Menschen ermittelt werden können, die "lediglich von ihren Grundrechten Gebrauch" gemacht und am 13. Februar gegen Nazis protestiert haben. Außerdem kritisierte er, dass die Dresdner Staatsanwaltschaft auch nach einer Abfrage die von der Maßnahme betroffenen Menschen nicht darüber informiert, obwohl sie nach § 101 Absatz 4b eigentlich dazu verpflichtet wäre. Die Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften lehnen dies jedoch in der Regel mit der Begründung ab, dass nicht tatbeteiligte Menschen "nur unerheblich betroffen" sind und es zudem "anzunehmen ist, dass sie kein Interesse an einer Benachrichtigung" haben.

Aus einer zweiten Anfrage an das Sächsische Justizministerium geht außerdem hervor, dass die nichtindividualisierte Funkzellenabfrage in Sachsen inzwischen nicht nur bei von Straftaten mit erheblicher Bedeutung, sondern mittlerweile auch bei Delikten wie KFZ-Diebstählen, Einbrüchen, der Manipulation von Geldautomaten und in Fällen des so genannten "Enkeltricks" angewendet wird. Im Jahr 2012 ging es nur in 15 von 104 Fällen um Straftaten gegen Leib und Leben. Lediglich in einem Verfahren waren drei Personen von der Staatsanwaltschaft im Nachgang über die Maßnahme informiert worden, obwohl bei 28 der 104 aufgeführten Fälle die Anzahl der "drittbetroffenen" Personen vom Justizministerium mit "hoch" angegeben wurde.
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