Kommunikationsguerilla gegen Dorfmob in Insel

Berliner Studierende 17.08.2012 22:41 Themen: Antifa Repression

Am 31. Juli 2012 veröffentlichte die Altmark-Zeitung einen Artikel über „Drei Schreiben zweifelhafter Herkunft“ seltsame Vorgänge in dem kleinen Dorf Insel. Schon in den Tagen davor gab es Presseberichte über Flugblätter und hohe Sachschäden durch Farbattacken gegen politisch Verantwortliche. Insel ist Ortsteil von Stendal und wird von einem prominenten Bürgermeister repräsentiert. Der freute sich NPD-Unterstützung, als es darum ging, den Ort von entlassenen Straftätern sauber zu halten.

Wir haben die Zusammenhänge so gut es geht zu recherchieren versucht. Wir – das ist eine Berliner Gruppe von Studierenden, die zu der Zeit ebenfalls vor Ort unterwegs war. Wir wollten Interviews mit Bürger/-innen aus Insel führen zu den Auseinandersetzungen im Ort. Leider hat kaum jemand mit uns reden wollen. Wir erfuhren aber von den Flugblättern und später aus der Zeitung und in Telefonaten auch von der Farbe am Schloss und Laden des Dorfbürgermeisters.

 

Der Hintergrund

Wir waren nach Insel gefahren, weil wir eine Studienarbeit verfassen wollten zur Frage der Sicherungsverwahrung. In Insel war es zu einer bemerkenswerten Eskalation gekommen. Große Teile der Dorfbevölkerung wollten zwei dort wohnende Männer gewaltsam vertreiben (oder lynchen?), die vor vielen Jahrzehnten Frauen vergewaltigt hatten und danach lange Zeit in Haft sowie darauf folgend in Sicherungsverwahrung sitzen mussten. Aufgrund der EU-Rechtsprechung kamen sie auf mehr oder weniger freien Fuß – eher weniger, denn auf die Straße können sie sich so nicht trauen. Stattdessen musste das Haus sogar von erheblichen Polizeieinheiten geschützt werden. Irgendwann mischte sich die NPD mit ihrem Spruch „Todesstrafe für Kinderschänder“ ein. Dass es hier gar nicht um Kinderschänder ging, ist eher eine Randnotiz und ein Hinweis darauf, wie hohl ist, wer rechts tickt. Aber … doch, ein bisschen ging es auch um sexuellen Missbrauch von Kindern. Allerdings ganz anders als die NPD-Kurzdenker das vermeldeten. Einen Fall von „Kinderschändung“ (NPD-Jargon) gab es nämlich schon in Insel. Allerdings inmitten der Dorfbewohner-/innen selbst, die jetzt zum Jagen gegen auswärtige Sextäter bliesen. Damals sollte der Fall vertuscht werden. Auf den Widerspruch angesprochen, gaben Dorfbewohner/-innen sogar offen zu, dass es einen Unterschied mache, ob Fremde oder Einheimische jemanden vergewaltigen.
So also war die Lage – und deshalb interessierte uns das Geschehen. Große Ergebnisse können wir aber nicht einfahren. Das Dorf schwieg. Unser Eindruck war, dass die Demonstrationen und Auseinandersetzungen der vergangenen Wochen dann doch an den Nerven gezehrt hatten. Dass Bürgermeister (ein Nachfahre von Otto von Bismarck), Dorfbewohner/-innen und NPD dann eine Zeitlang gemeinsame Sache machten, mag auch einige erschreckt haben. So war, als wir den Ort besuchten, nur noch wenig los auf den Straßen – nur vor dem Haus der ehemaligen Straftäter stand unablässig die Polizei.

 

Flugblätter – politisch motivierte Fälschungen?

Wir konnten nur wenige Gespräche führen. Dabei erfuhren wir mehr über die vergangenen Wochen. Außerdem konnten wir Flugblätter z.T. mitnehmen und zum Teil vor Ort abfotografieren, die in den Tagen vor unserem Besuch verteilt worden waren. Eines davon hatte besonderes Aufsehen erregt, denn schnell meldete sich der vermeintliche Absender und stellte klar, dass er ein solches Schreiben nie verfasst hatte. Offensichtlich war es eine Fälschung – und sollte unter anderem den treffen, der als Absender auf dem Flugblatt stand: Alexander von Bismarck. Der hatte sich nämlich mit seinem Ausgrenzungskurs gegen die beiden unerwünschten Einwohner und einer deutlichen Nähe zur NPD zwar Applaus in Teilen des Dorfes eingehandelt (und wahrscheinlich bei Rechten), aber auch eine Menge Ärger. Bismarcks Flugblatt stellte diese Neigung nochmals dar. Es war also so verfasst, dass es von ihm hätte stammen können – nur dass er aus taktischen Gründen inzwischen nicht mehr selbst öffentlich so agierte. Das ist eine klassische Form des „Fakes“, einer politisch motivierten Fälschung scheinbar offizieller Schreiben.

Die anderen Flugblätter waren offenbar auch nicht von denen, die als Absender draufstanden. Zumindest ist das von zweien festgestellt worden, wie in dem erwähnten Zeitungsbericht stand. Der entsprechende Absatz dazu deshalb in voller Länge: „Im Altmarkdorf Insel wurden in der vergangenen Woche nicht nur Flugblätter mit der gefälschten Unterschrift des Ortsbürgermeisters Alexander von Bismarck verteilt, sondern mindestens auch noch zwei weitere Schreiben zweifelhafter Herkunft. Das hat nun die Polizeidirektion Nord auf Nachfrage bestätigt. Recherchen der Altmark-Zeitung hatten ergeben, dass mehr als nur ein gefälschtes Flugblatt in Umlauf gebracht wurde. Unklar ist gegenwärtig noch, ob die im Namen anderer verfassten Schreiben einen Straftatbestand erfüllen, teilte die Polizeidirektion mit. Eine rechtliche Würdigung der Unterlagen erfolge gegenwärtig durch die Staatsanwaltschaft und die Polizei, hieß es. Nichtsdestotrotz ermittle die Polizei, um die eigentlichen Verfasser und auch die Verteiler der Flugblätter ausfindig zu machen.“

Wir haben vier Flugblätter, die in der Zeit vor unseren Besuchen verteilt wurden, gesehen. Bei einem dürfte der Nachweis, ob es echt oder auch eine Fälschung ist, schwer fallen, weil kein konkreter Name drunter steht.

 

Es gab noch mehr Aktionen

Auffällig war, dass im gleichen Zeitraum auch das Döbbeliner Schloss, Wohnort des Bürgermeisters Alexander von Bismarck, kräftig eingesaut wurde – mit Farbe. Gesehen haben wir das nicht selbst, aber es waren deutliche Fotos in der Zeitung. Was von der Straße aus hingegen gut zu sehen war, waren Sprüche auf einem weiteren Gebäude des Bürgermeisters, wo dieser eine Art Weihnachtsmuseum betreibt. Auch hierzu stand mehr in der besagten Zeitungsmeldung: „Untersuchungen laufen auch noch zu der Frage, wer für den Farbanschlag auf das Schloss von Alexander von Bismarck verantwortlich ist. Hinweise gebe es noch keine, erklärte die Polizeidirektion. Das Anwesen war in der Nacht zu Freitag mit weißer Farbe beschmiert und ein Gebäude an der B 188 mit Parolen besprüht worden.“

 

Weitere Zeitungsartikel und Pressemeldungen

Polizeirevier Stendal - Pressemitteilung Nr.: 225/2012
Stendal, den 27. Juli 2012
Pressemitteilung Polizeirevier Stendal
Sachbeschädigung mit hohem Sachschaden
Bislang unbekannte Täter beschmierten in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag das Schloss Döbbelin. Die Täter besprühten in dem Ortsteil Döbbelin die Frontfassade des Schlosses mit weißer Fassadenfarbe. Eine Verkaufseinrichtung, die sich auch auf dem Grundstück befindet, wurde ebenfalls angegriffen. Die Unbekannten brachten hier schwarze und weiße Lackfarbe auf die Schaufenster und auf Teile der Fassade auf. Es entstand, ersten Einschätzungen zufolge, ein Sachschaden von mehreren 10 000 Euro. Gesucht werden Zeugen, die Hinweise zum Sachverhalt geben können. Diese werden gebeten, sich unter der Telefonnummer 03931 / 685 291 bei der Polizei zu melden.

Weiterer Text aus der Altmark-Zeitung
Gefälschte Flugblätter
nre/mei Stendal. Das Altmarkdorf Insel, in dem zwei ehemalige Sexualstraftäter leben, kommt nicht zur Ruhe. Nach den Demonstrationen der vergangenen Wochen (wir berichteten) haben Einwohner in dieser Woche gefälschte Flugblätter in ihren Briefkästen gefunden. Eines der Schreiben trägt die Unterschrift von Ortsbürgermeister Alexander von Bismarck. Wie dieser im Gespräch mit der Altmark-Zeitung erklärte, habe er das Flugblatt nicht verfasst. Bei dem handschriftlichen Signet handele es sich um eine Fälschung. In dem Schreiben werden die Inseler von dem noch unbekannten Verfasser aufgerufen, sich nicht davon abbringen zu lassen, die beiden Ex-Häftlinge aus dem Ort zu vertreiben. Nach AZ-Informationen wurden auch noch Flugblätter anderer Autoren verteilt. Auch dabei soll es sich nach Recherchen um Fälschungen handeln.
In der Nacht zu gestern haben haben Unbekannte zudem das Schloss von Alexander von Bismarck in Döbbelin großflächig mit weißer Farbe beschmiert. Ein an der Bundesstraße 188 liegendes Gebäude, in dem – wie in dem Schloss auch – Weihnachtsdekoration verkauft wird, wurde außerdem mit Parolen besprüht. Kriminalbeamte sicherten gestern Vormittag die Spuren. Zu den gefälschten Flugblättern in Insel konnte die Polizei gestern auf Nachfrage keinerlei Angaben machen. In der Vergangenheit gab es immer wieder Demonstrationen, auch von linken und rechten Extremisten. Zuletzt, als einer der Straftäter, der zuvor weggezogen war, wieder nach Insel zurück kehrte.

In der Volksstimme:
Farbanschlag auf das Döbbeliner Schloss

Großer Schreck am frühen Morgen. Beim morgendlichen Rundgang entdeckte die Haushälterin Alexander von Bismarcks am Döbbeliner Schloss Schmierereien. Die Frontseite des Familiensitzes des Inseler Ortsbürgermeisters wurde über Nacht mit weißer Lackfarbe bespritzt. Wahrscheinlich geht es auch bei diesem Angriff um den Konflikt um die beiden ehemaligen Sexualverbrecher in Insel, für deren Wegzug sich von Bismarck einsetzte.
Die Täter verschafften sich vermutlich über den Schlosspark Zugang zum Gelände. Dort verteilten sie Farbe auf Blumen und Pflanzen, warfen offenbar Farbbeutel an die Fassade und beschmierten Türen und Fenster. Nur einige Meter weiter an der Bundesstraße 188 wurde auch eine Verkaufshalle von "Bismarck's Weihnachtswelt" attackiert. Unbekannte schmierten Parolen wie "Keine Insel für Nazis" oder "Bismark halts Maul" an die Schaufenster -- für jeden Autofahrer sichtbar. Alexander von Bismarck selbst hielt sich zum Tatzeitpunkt in Bayern auf, machte sich aber auf den Heimweg, um die Schäden selbst zu begutachten. "Da waren eindeutig kriminelle Leute am Werk, die das Thema Insel wieder anheizen wollen", sagte von Bismarck im Gespräch mit der Volksstimme. Er ist sich sicher, "aus Insel kommen solche Angriffe nicht". Vielmehr glaubt er an einen links-autonomen Hintergrund. "Wir haben die ja schon bei den Demonstrationen in Insel erlebt", sagte von Bismarck. Die Polizei hat Ermittlungen aufgenommen, schätzt den Schaden auf mehrere 10000 Euro. Am Donnerstag erhielten die Bewohner von Insel zudem einen gefälschten Brief mit der Unterschrift von Bismarcks. Darin heißt es: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Männer in unserem Ort bleiben. Es wird erst Ruhe geben, wenn die Straftäter weg sind." Der Brief endet mit der Aufforderung: "Wir sollten uns nicht von unserer Entschlossenheit, diese Männer aus unserem Dorf zu vertreiben, abbringen lassen. Insel ist kein Therapie-Dorf!" In beiden Fällen hat von Bismarck Anzeige erstattet. "Was passiert, ist nicht in Ordnung. Das schießt weit über das Ziel hinaus", sagte er. Die Anschläge und der Brief sind für Alexander von Bismarck auch ein weiterer Beweis für die notwendige Hilfe aus Magdeburg. "Wir alleine sind mit der Situation einfach überfordert."

In der Mitteldeutschen Zeitung:
Schmierereien am Schloss des umstrittenen Bürgermeisters

erstellt 27.07.12, 17:38h
Unbekannte haben in der Nacht zu Freitag die Fassade des Schlosses Döbbelin in der Altmark besprüht. An dem Wohnsitz des umstrittenen Ortsbürgermeisters von Insel, Alexander von Bismarck (CDU), entstand ein Sachschaden von mehreren 10 000 Euro, wie die Polizei in Stendal mitteilte.
Im Ortsteil Insel wohnen seit mehr als einem Jahr zwei frühere Sicherungsverwahrte, gegen die Bewohner des Dorfes mehrfach demonstriert haben. Bismarck war vorgeworfen worden, die Stimmung anzuheizen und sich nicht ausreichend von rechtsextremen Demonstranten distanziert zu haben. Laut Polizei beschmierten die Täter Fassaden und Schaufenster mit weißer und schwarzer Farbe.

 

Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 7 Kommentare an

Also — was ihr sagen wollt

studierend? — master of desaster

Guter Text, schöne Aktion — Spuren von Sesam

Provinzposse Halle — Wahre RB-Fans

nicht lesbar — ...