Fünf Jahre “Freies Netz”: Eine Anatomie

Freundeskreis Gamma 23.01.2012 14:56 Themen: Antifa Antirassismus
Die Redaktion von Der Rechte Rand (DRR) widmet ihre aktuelle und wie immer empfehlenswerte Ausgabe (Nr. 134) ganz dem Thema Rechtsterrorismus und dem politischen Umfeld des “Nationalsozialistischen Untergrunds” (NSU). Im neuen Heft enthalten ist auch ein Artikel zum “Freien Netz” (S. 15), den wir hier mit freundlicher Erlaubnis der DRR-Redaktion dokumentieren:

Was Anfang 2007 von »Freien Kräften« als Gegengewicht zur NPD aufgebaut wurde, ist heute eine der einflussreichsten militanten Neonazi-Gruppierungen. Auch in der Partei ist das »Freie Netz Mitteldeutschland« tief verankert.

Erst die rassistische Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) brachte das »Freie Netz Mitteldeutschland« (FN) in Bedrängnis, einige Kader stehen im Verdacht, den NSU unterstützt zu haben. So soll der Altenburger FN-Kader Thomas Gerlach (s. DRR Nr. 113) etwa das Passwort »struck-mandy« schon Ende 2005 für diverse Foren benutzt haben. Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen wurde der Deckname Mandy Struck von Beate Zschäpe benutzt.

Gerlach hatte das FN Anfang 2007 gemeinsam mit Maik Scheffler aus Delitzsch gegründet, rasch wurden Kameradschaftsgruppen in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Nordbayern zu regionalen Zellen des Netzwerks. Vorbild der Organisation ist der »Thüringer Heimatschutz« (THS), aus dessen Reihen der NSU hervorgegangen war. Nach der Auflösung des THS organisierte sich die Kameradschaftsszene um Ralf Wohlleben und André Kapke im »Nationalen Widerstand Jena«, der Anfang 2009 dem FN beitrat. Wohlleben sitzt bereits wegen des Verdachts der Unterstützung des NSU in Untersuchungshaft.

Führerprinzip: Aufbau nach Plan

Das FN begann mit einem Putsch: Als Christian Worch am 21. Juli 2007 durch Leipzig marschieren wollte, rief das FN zum Boykott auf. Folge: Mit Worch wollten nur noch 37 Kameraden auf die Straße gehen. Tags darauf marschierten 100 Nazis ohne Anmeldung durch den Leipziger Stadtteil Grünau, Scheffler vorneweg. Diese Machtprobe fand Beachtung in der Szene: »Spontan«-Aufmärsche wurden zum Mittel der Wahl, zu denen das FN aus dem Stand mehr als hundert AktivistInnen mobilisieren kann. Zum konspirativen Innenleben des FN gehört seit Anbeginn das Führerprinzip. Koordiniert wird der Aufbau durch regelmäßige Treffen der »Kameradschaftsführer«, Arbeitsgemeinschaften für die Herstellung von Propa- gandamaterial, Schulungen zur »Weltanschauung« und Kampfsporttraining.

Zur Aufbauarbeit kommt das Agieren in der Öffentlichkeit. Im Oktober 2009 reisten mehr als 1.300 Neonazis zu einem Aufmarsch nach Leipzig. Eingeladen hatte der lokale FN-Ableger, das »Aktionsbündnis Leipzig«. Fortan übernahm das FN wichtige Funktionen in der Szene, etwa als »Ordnerdienst« bis 2009 beim »Fest der Völker« und bei den jährlichen »Trauermärschen« in Dresden. Gemeinsam mit der NPD-Jugendorganisation »Junge Nationaldemokraten« (JN) veranstaltete das FN »Märsche« durch Wald und Feld, ganz in Tradition der verbotenen »Heimattreuen Deutschen Jugend«.

Doppelstrategie: zwischen Partei und Militanz

Wie eine Kopie des internen FN-Forums mit dem Namen »Hard to Hate« von Anfang 2009 zeigt – die kürzlich durch die Redaktion »Gamma« auszugsweise veröffentlicht wurde – haben FN-Kader gezielt versucht, strategische Posten bei der NPD zu übernehmen. So steht in Sachsen der Leipziger Tommy Naumann seit fast drei Jahren an der Spitze des JN-Landesverbandes. Neben Naumann ist auch Maik Scheffler der Einstieg in die NPD gelungen, er ist mittlerweile stellvertretender NPD-Landesvorsitzender in Sachsen und arbeitet für die Landtagsfraktion. Weniger erfolgreich war das Vorgehen in Thüringen. Eine E-Mail dokumentiert die Enttäuschung des FN, beim Thüringer Landesverband im Rennen um Posten gescheitert zu sein.

Das interne FN-Forum dient auch der Diskussion der gemeinsamen Ziele. Man wolle eine »NS-Ersatzorganisation« aufbauen – mit Hilfe von NPD und JN, aber »natürlich nicht öffentlich«. Im nicht öffentlichen Raum bekannten sich die 21 Forumsmitglieder folgerichtig zum »Nationalsozialismus« und ergingen sich in antisemitischen Beleidigungen. Höhepunkt der geheimen Konversation: Ein geplanter Angriff auf eine Polizeiwache während des »Trauermarsches« im Februar 2009 in Dresden. In die Tat umgesetzt wurde die Plauderei nicht, aber sie markiert das ausgeprägte Interesse an militanten Aktionen. Dazu lassen sich FN-Mitglieder immer wieder hinreißen, etwa der Eilenburger Paul R.: Bei ihm gab es im vergangenen Juli eine Hausdurchsuchung. Grund: Mit FN-Kameraden war er am 14. Mai 2011 zu einem Aufmarsch nach Berlin-Kreuzberg gefahren, wo es zu Übergriffen auf GegendemonstrantInnen kam.

In Bedrängnis: Deckung von rechts und von oben

Bezeichnend ist auch die Einladung des FN Borna/Geithain im September 2010 zu einem Vortrag des ehemaligen Wehrsportgruppen-Führers Karl-Heinz Hoffmann. Danach gab es Razzien u.a. im »Braunen Haus« in Jena. Dort, bei Wohlleben und Kapke, wurde erfolglos nach Sprengstoff gesucht. Vor dem Hintergrund der NSU-Ermittlungen wird der Fall vom LKA neu bewertet. Das FN fürchtet nun eine Repressionswelle – und schaltete ihre Website Mitte November 2011 vorübergehend ab. Einzelne FN-Gruppen wechseln derzeit ihre Namen, aus dem »Freien Netz Leipziger Land« wird etwa die »Heimattreue Jugend Leipziger Land«, kurz »HJ«. Vorgegangen wird dabei nach einem »Notfallplan« aus dem FN-Forum. Scheffler versprach damals Rückendeckung von der NPD.

Eine noch größere Hilfe ist die schützende Hand des sächsischen Innenministeriums. Hatte der Verfassungsschutz schon seit Jahren behauptet, beim FN handle es sich lediglich um eine »Internetplattform«, setzte Innenminister Markus Ulbig (CDU) Ende November noch einen drauf: Einen Verbotsantrag der Fraktion »Die Linke« gegen das FN lehnte er ab – mit der Begründung, es handle sich keineswegs um eine »Organisation«, sondern ein »technisches Medium« – ähnlich einem »Telefon«.

Foto oben: Aufmarsch unter dem Motto “Jugend braucht Chancen” mit 350 Teilnehmern und großer Beteiligung des “Freien Netzes” im Leipziger Osten am 12. Januar 2008. Die Demonstration wurde angemeldet durch den FN-Aktivisten Istvan Repaczki, damals Mitglied der “Freien Kräfte Leipzig”, heute bei den “Jungen Nationaldemokraten” aktiv und Mitarbeiter der sächsischen NPD-Landtagsfraktion. Im Bild ein Transparent der “Nationalen Sozialisten Chemnitz” (Aufschrift: “BRD abwickeln, Deutschland befreien”), dem dortigen Ableger des FN. Im Vordergrund zu sehen sind André Kapke (l.) und Tony Gentsch (Freies Netz Süd).

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Ergänzungen

Geplanter Angriff auf Polizeiwache

RedZack 23.01.2012 - 22:18
"Höhepunkt der geheimen Konversation: Ein geplanter
Angriff auf eine Polizeiwache während des
»Trauermarsches« im Februar 2009 in Dresden. In die
Tat umgesetzt wurde die Plauderei nicht, aber sie
markiert das ausgeprägte Interesse an militanten
Aktionen. Dazu lassen sich FN-Mitglieder immer
wieder hinreißen,..."

Euch ist aber schon klar, dass auf der Plattform, auf der Ihr das hier veröffentlicht habt, Angriffe auf Polizeiwachen im allgemeinen auch nicht gerade besonders kritisch gesehen werden (um es mal vorsichtig auszudrücken)?

Sich ausgerechnet hier, wo Angriffe auf PolizistInnen, Polizeiautos, Polizeiwachen etc. pp. regelmäßig abgefeiert und ausdrücklich begrüßt werden, über einen bloßen Internet-Chat über die Möglichkeit (!) eines Angriffs auf eine Polizeistation zu empören, wirkt ziemlich kurios und etwas ... nun ja... fehl am Platze ;-)

Denn wenn man diese Logik zugrunde legt, gibt es natürlich auch bei den Indymedia-NutzerInnen ein "ausgeprägtes Interesse an militanten Aktionen". Die Frage ist aber: Warum wurde dieser Angriff nicht durchgeführt? War es am Ende nur das, was hier bei Indymedia tagtäglich zu lesen ist: Eine Militanz-Fantasie, nach dem Motto: "Man sollte mal..."?

Dann taugt das allerdings schlecht zum Beweis für irgendetwas... oder?

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