Leipzig: Prozess gegen die Mörder von Kamal

Initiativkreis 27.06.2011 21:03 Themen: Antifa Medien
Eine Zusammenfassung vom 1. und 2. Prozesstag zum Mord an Kamal K. in Leipzig.
Am 17.6.2011 wurde am Leipziger Landgericht der Prozess gegen die beiden Mörder von Kamal K. eröffnet. Die Familie und FreundInnen des Ermordeten sowie zahlreiche Menschen, die sich mit ihnen solidarisch erklärten, waren im und vor dem Landgericht präsent.

Daniel K. und Marcus E. wird vorgeworfen den erst 19-jährigen Kamal in der Nacht vom 23. zum 24.10.2011 in der Nähe des Leipziger Hauptbahnhofes erst zusammengeschlagen und dann erstochen zu haben. Der aus Erfurt stammende Marcus E. (32) soll das Messer geführt haben, während Daniel K. (28) Kamal mittels Pfefferspray außer Gefecht setzte und damit die Voraussetzungen für die Messerstiche schuf. Die Anklage der Staatsanwaltschaft lautet einerseits für K. gefährliche Körperverletzung und für E. gefährliche Körperverletzung und Totschlag.

Die Nebenklage schätzt den Sachverhalt anders ein. So legte der Nebenklagevertreter Sebastian Scharmer vor dem Landgericht dar, dass es sich bei dem Fall um einen rassistisch motivierten Mord handeln würde und stellte den Antrag, den rechtlichen Hinweis zu erteilen, dass auch Verurteilungen wegen Mordes bei E. und wegen Körperverletzung mit Todesfolge bei K. in Betracht kommen können. Er nahm dabei Bezug auf das Mordmerkmal der niederen Beweggründe. Damit ist die Kritik am Umgang der Ermittlungsbehörden mit dem Mord und der nicht ausreichenden Würdigung der politischen Hintergründe der Täter, die sowohl aus dem Familien- und Freundeskreis von Kamal und durch den Initiativkreis Antirassismus erhoben wurde, auch vor Gericht angekommen.

Im Rahmen des 1. Prozesstages wurde lediglich die Anklageschrift verlesen, die Rechtsanwalt Sebastian Scharmer mit einem 5-seitigen Antrag ergänzte. Der Rechtsbeistand des Angeklagten Daniel K. kündigte zudem an, dass sein Mandant sich am folgenden Prozesstag geständig einlassen werden wird.


2.Prozesstag

Der 2. Prozesstag war lang. Insgesamt wurden sechs ZeugInnen und ein Sachverständiger gehört. Doch vor den Vernehmungen gab es zwei Besonderheiten: zum einen erteilte der Richter den rechtlichen Hinweis, dass der mutmaßliche Haupttäter Marcus E. auch wegen Mordes aus niederen Beweggründen verurteilt werden könnte und folgte damit dem Antrag der Nebenklage.

Weiterhin verlas der Rechtsanwalt des wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagten Daniel K., Rainer Wittner, eine geständige Einlassung seines Mandanten. Darin entschuldigte sich jener nicht nur mehrfach bei der Familie von Kamal, sondern legte auch ein umfassendes Geständnis ab. Im Kern meint K. darin, zum Tatzeitpunkt nicht bei vollem Bewusstsein gewesen zu sein. Er war mit seinem Mitangeklagten und Kumpel Marcus E. auf einer Sauftour gewesen und habe dabei dem Alkohol so sehr zugesprochen, dass ihm bestimmte Erinnerungs-Sequenzen dieser Nacht fehlen würden. Erinnern könne er sich an den Besuch von diversen Kneipen, den geplanten Gang in den Hauptbahnhof und das er sich im Gebisch mit irgendjemanden gerangelt hat.

Doch nicht nur das – K. legte in der Einlassung dar, dass er in Aachen, wohin es ihn Anfang der 200oer Jahre wegen eines Jobs verschlagen hatte, unbewusst, über den Fussball in die rechte Szene (KAL-Kameradschaft Aachener Land) wäre. Er wäre allerdings nie mehr als ein Mitläufer gewesen. Inzwischen hätte er zudem umfassend mit der Szene gebrochen und ein neues Leben begonnen. Und überhaupt hätten die, die ihn jetzt unberechtigerweise als „hartgesottenen Nazi“ bezeichnen und die Tat politisieren würden, gar keine Ahnung. In Aachen wäre der Ausländeranteil an der Bevölkerung viel höher als hier, dort wären auch MigrantInnen in der Naziszene aktiv. Also die klassische Argumentation à la “ ich kann doch kein Rassist sein, ich hab doch auch Ausländer als Freunde“. Die Kleidung, die er noch als Relikte dieser Zeit hätte und auch an jenem Abend, als Kamal infolge der kollektiven Gewaltanwendung von K. und E. sterben musste, trug, müsse er tragen, da er kein Geld für neue hätte. Die Nazi-Tätowierungen, die seinen Körper säumen, wären ebenfalls längst verschwunden, wenn er es bezahlen könnte. K. könnte einem schon leid tuen, wenn es nicht tausend andere Möglichkeiten für ihn geben würde, auch ohne Naziklamotten unterwegs zu seien, wenn er es denn überhaupt wirklich gewollt hätte.

Dumm nur für K., dass die anwesenden Angehörigen und FreundInnen von Kamal seine Entschuldigung nicht annehmen wollen. Und dumm auch für ihn, dass gerade sein Freund Robert B., der als erster Zeuge vor Gericht aussagte, die Einlassung zumindest in einem Punkt klar widerlegte: noch vor dem Umzug K.s nach Aachen hätten sich beide in der rechten Szene in Leipzig kennengelernt. Natürlich hätte mann damals auch Abneigungen gegen „Ausländer“ gehabt. Zudem konnte Robert B. berichten, dass sein Freund Daniel K. häufig dem Alkohol zusprechen würde und in der Tatnacht sehr angespannt und aggressiv wirkte. Die gemeinsam besuchte Kneipe „Käfer“ hätte das Trio vorzeitig verlassen müssen, da Daniel K. dort nicht erwünscht gewesen wäre und eine tätliche Auseinandersetzung absehbar war. In der nächsten Kneipe, dem „Pflaumenbaum“ habe K. andere Gäste angemacht. B. setzte die beiden in dieser Nacht schlussendlich in der Nähe des Hauptbahnhofes ab. Über den ganzen Prozesstag wurde eigentlich deutlich, dass es K. ist, der permanent „Stress“ gesucht hatte.

Der zweite Zeuge, Gregori T. (16 Jahre alt), ein guter Freund von Kamal, komplettierte die Ereignisse dieser Nacht. Gemeinsam seien beide in einer Discothek in der Innenstadt gewesen. Im Anschluss wollten sie nach einem kurzen Abstecher in Kamals Wohnung dessen Freundin Tanja von der Haltestelle am Hauptbahnhof abholen. Im Park vor dem Hauptbahnhof entfachte ein Streit zwischen ihr und Kamal, so dass Gregori sich auf eine Bank setzte und das Paar von weitem beobachtete. Plötzlich seien zwei Männer gekommen, von denen sich einer penetrant nah zu Gregori auf die Bank setzte. Kamal rief fragend zu seinem Freund ob er Hilfe brauche. Doch Gregori hatte dem „Mann im weißen Pullover“ (Daniel K.) selbst gesagt, dass er gehen solle. K. und E. setzten sich sodann in Bewegung, in Richtung der beiden Streitenden und direkt auf Kamal zu. Es kam zum Wortgefecht und zu Schlägen, die von Daniel K. ausgingen. Dieser zückte ein Pfefferspray (von dem er, so seine Einlassung, nicht gewusst hätte, dass er es dabei hatte), streckte Kamal zu Boden, setzte sich auf ihn und schlug weiter. Kamal rief seinen Freund zu Hilfe, doch dieser wurde von Marcus E., der sich inzwischen mit einem Messer bewaffnet hatte, zurückgehalten. Dann bekam Kamal jenes Messer zu spüren. K. ließ von ihm ab und entfernte sich mit seinem Kumpel. Kamal schleppte sich in Richtung Brühl/ Ritterstraße und brach zusammen. Gregori und Tanja liefen zu einer Discothek in der Ritterstraße, um Kamals großen Bruder zuhilfe zu holen. Ohne jede Emphatie wurde Gregori von allen Seiten gelöchert und befragt, die Krone setzte dem die Staatsanwältin auf, die von ihm verlangte zu zeigen wie Marcus E. Kamal erstochen habe, als sie es für nicht gut genug dargestellt befand, forderte sie den jungen Zeugen auf, es mit mehr Elan zu tun. Es reichte wohl noch nicht, dass Gregori sehen musste wie sein Freund von den beiden umgebracht wurde und er nichts dagegen unternehmen konnte, er sollte das vor Gericht auch noch vor allen Menschen in der Mitte des Raumes wie ein Profi nachstellen.

Die Notfall-Ärztin, die Kamal in jener Nacht als erste behandelt hatte, war die dritte Zeugin. Sie wurde vom medizinischen Sachverständigen, einem Unfallchirugen der Uni-Klink abgelöst, der die lange andauernden Versuche schilderte, mit denen Kamals Leben gerettet werden sollte. Von 2.20 bis 15.50 Uhr setzten die Ärzte alles in die Wiederbelebung des 19-jährigen. 15.50 Uhr verstarb Kamal an den Folge einer durchtrennten Niere und an einem Verblutungsschock. Der Arzt bekundete, im Rahmen seiner Tätigkeit auf der Unfallstation noch nie eine solch außergewöhnlich schwere und tiefe Stichwunde gesehen zu haben. Hier müsse außerordentlich große Gewalt angewendet worden sein, war die Aussage des Arztes.

Zwei weitere ZeugInnen, die an diesem 24.6. zuletzt gehört wurden, trafen in der Tatnacht in der Ritterstraße auf Gregori, der schreiend in die Richtung der Discothek lief, in der Kamals Bruder arbeitet. Ein paar Schritte weiter trafen die beiden auf den am Boden liegenden Kamal und dessen Freundin. Hilfe konnten und sollten sie nicht leisten, so dass sie weiter in Richtung Bahnhof liefen. Dort fielen ihnen zwei Männer auf, einer versteckte einen langen spitzen Gegenstand hinter seinem Rücken. Möglicherweise handelte es sich hierbei um Daniel K. und Marcus E.

Klarheit über ein mögliches rassistisches Tatmotiv konnte der zweite Verhandlungstag nicht bringen. Bemerkbar war allerdings, dass der Richter dieser Frage in seinen Fragen an die ZeugInnen große Aufmerksamkeit schenkte. Zu Beginn der Verhandlung konnte er es aber nicht unterlassen, explizit zu erwähnen, dass er politische Demonstrationen bzw. Meinungskundgaben im Gerichtssaal nicht dulden würde, großmütig bekundete er allerdings die T-Shirts mit dem Bild Kamals und der Frage „Warum?“, die Kamals Familie und FreundInnen trugen, zuzulassen.

Während Daniel K. versucht sich mit offensichtlich falschen Informationen aus der Verantwortung zu winden versucht bzw. zumindestens mildernde Umstände in Anspruch nehmen will, schweigt Marcus E. Sein Anwalt bekundete gegenüber der Presse, dass dies auch so bleiben wird. Beide Angeklagten geben im Gerichtssaal ein differentes Bild ab. Während K. sein Gesicht vor den BesucherInnen zu verbergen versucht und das Geschehen in sich zusammengesunken erduldet, wirkt E. indifferent. Er meidet Blickkontakte und schreibt akribisch mit und weißt seinen Anwalt hin und wieder auf Sachen hin. Spannend ist zudem auch, das es vor Gericht anscheinend keine Nazis zu geben scheint (gemeint sind K. und der Zeuge Robert B.), nach allen Aussagen an dem Tag, sind sie schon immer lange aus der Szene ausgestiegen. Tragen jedoch weiter ihre Klammotten, gehen weiter in die gleichen Bars und kennen sich auch noch untereinander und ihre alten Kameraden. Sie scheinen auch sonst keine Berührungsängste zu ihrer angeblich abgeschlossenen Vergangenheit zu haben, es stört sie auch nicht mit weiter bekennenden Nazis unterwegs zu sein, wie es Marucus E. zu seinen scheint. Ein Ausstieg sieht wirklich anders aus.

Am 4.7.2011 wird der Prozess um 9:00 im Landgericht Leipzig fortgesetzt
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