Laienverteidigungsnetzwerk gestartet

k.o.b.r.a.___antirepressionsplattform___ 05.06.2011 17:19 Themen: Repression

Eine emanzipatorische Praxis von Selbstverteidigung und gegenseitiger Hilfe vor Gericht und Polizei ist - zumindest in diesem Land - in politischen Bewegungen kaum vorhanden. Meist definieren sich Betroffene, z.B. Angeklagte, als Opfer und unterwerfen sich den Regeln des Apparates, der sie angreift. Dieser Situation setzten in der Vergangenheit vermehrt Trainings zum Umgang mit Polizei und Gerichten das nötige Know-How entgegen. Recht neu war, dass sich AktivistInnen auch gegenseitig als StrafverteidigerInnen unterstützten. Nach dem geltenden Recht geht das - und wäre eine neue Qualität gleichberechtigter Organisierung und einer Politik, die Autonomie und Selbstermächtigung auch zur eigenen Organisierungsgrundlage macht. Anfang Mai fand nun ein erstes Vernetzungstreffen statt, um die gegenseitige Hilfe in Zukunft besser zu organisieren.

Das Treffen mit knapp 15 Personen in der Projektwerkstatt Saasen war der Startschuss nicht nur für eine bessere Organisierung und Schulung der Selbst- und gegenseitigen Verteidigung vor Gericht, sondern auch für Schulungen, die das Wissen für verteidigende Personen stetig erweitern. Zur Abwehr haben viele Gerichte inzwischen unter Missachtung des § 138,2 LaienverteidigerInnen verboten – hiergegen laufen Verfassungsklagen..

 

Warum Laienverteidigung?

Politische AktivistInnen vor Gericht sind eher selten ... viele landen da nicht, weil die Angst davor sie schon von einem widerständigen Leben abhält. Sich nie erwischen zu lassen und keine Spuren zu hinterlassen, hilft nur beschränkt, denn erstens reduziert es die mögliche Aktionswirkung und zweitens braucht der staatliche Verfolgungsapparat die konkreten Handlungen nicht, um Menschen zu schikanieren. Viele AktivistInnen sehen sich mit frei erfundenen und/oder äußert platten Vorwürfen überzogen – von Widerstand gegen die Staatsgewalt über Beleidigung bis Hausfriedensbruch. Das lässt sich schnell ausdenken.

 

Der rechtliche Hintergrund

Laut § 138,2 StPO können „andere Personen“ als RechtsanwältInnen u.ä. „mit Genehmigung des Gerichts … zugelassen werden.“ In den Kommentaren zu diesem Paragraphen finden sich Hinweise, dass das Gericht vor allem die Rechtskunde und Vertrauenswürdigkeit des/r LaienverteidigerIn prüfen muss. Ist die gegeben, muss es zustimmen. Auf dieser Grundlage, aus Überzeugung, dass gegenseitige Hilfe und Selbstermächtigung emanzipatoriscen Zielen mehr entsprechen als Abhängigkeit von Geld und AnwältInnen, und aus der Hoffnung, dass politisch offensive Verteidigung vor Gericht so gefördert werden kann, entwickelte sich in den vergangenen Monaten eine Praxis, nach der sich AktivistInnen gegenseitig vor Gericht unterstützten – vielfach auch bei Prozessen um Feldbefreiungen und -besetzungen.

 

Vorrang Selbstermächtigung

Wichtiges Ziel ist, möglichst viele oder sogar alle Beteiligten zur Selbstverteidigung zu ermächtigen. Das schließt gegenseitige Hilfe nicht aus, sondern macht sie sogar einfacher, weil wer sich selbst verteidigen kann vor Polizei und Gericht, wird auch anderen leichter helfen können.
Grundlage ist daher die Vermittlung von Basiswissen zur Selbstverteidigung bei Polizei und Gericht. Es soll Ziel des LaienverteidigerInnen-Netzwerkes sein, Beratung (direkt oder in Form von Schriften, Internetseiten usw.) und Trainings anzubieten. Möglichst oft und viel.
Laien-VerteidigerInnen sind keine Ersatz-AnwältInnen, denen eingeschüchterte oder denkfaule Angeklagte die Arbeit rüberschieben können mit dem Vorteil, dass es nichts kostet. Die politischen AkteurInnen, also vor allem die angeklagte(n) Person(en), das unterstützende Publikum usw. sind die Quelle der inhaltlichen Vermittlung. EinE LaienverteidigerIn kann die Handlungsmöglichkeiten erweitern und selbst eigene Impulse einbringen, aber sollte niemals die angeklagte Person in den Hintergrund drängen, wie es beim AnwältIn-MandantIn-Verhältnis leider üblich ist und auch von Rechtshilfegruppen oft propagiert wird. Emanzipation bedeutet die Ermächtigung von Menschen zum selbständigen Handeln. Laien-Verteidigung soll Emanzipation befördern.

 

Nächste Termine

17.6., 9.15 Uhr im Landgericht Magdeburg: Zweiter Tag der zweiten Instanz (Berufung) zur Feldbefreiung in Gatersleben
Es war eine der wichtigsten Feldbefreiungen: Auf dem gleichen Grundstück wie die Saatgutbank unter anderem für Weizen befand sich 2007 und 2008 ein Feld mit gentechnisch veränderten Pflanzen der gleichen Getreideart. Dass Weizenpollen fliegt, ist jedem Pollenflugkalender zu entnehmen. Somit wurde die Verunreinigung der gesamten Saatgutbestände mit den gv-Konstrukten fahrlässig in Kauf genommen, wenn nicht gar provoziert. Im April 2008 hackten sechs mutige Menschen die gefährliche Anlage um (siehe www.freiwillige-feldbefreiungen.de). Neben einem Zivilprozess mit hohen Schadenersatzklagen wurde ein Strafverfahren eingeleitet – absurderweise aus „öffentlichem Interesse“. Das geschädigte IPK war nämlich zu blöd, einen wirksamen Strafantrag zu stellen. Doch der Staat will GentechnikgegnerInnen, die nicht nur harmlos demonstrieren oder Emails schreiben, einschüchtern und erhob deshalb aus eigener Überzeugung Anklage. Die Verurteilungen in der ersten Instanz waren – verglichen z.B. mit den Urteilen zur recht ähnlichen Feldbefreiung in Gießen – sehr niedrig. Jetzt läuft die zweite Instanz – allerdings nur noch mit drei Angeklagten, weil die andere Hälfte der AktivistInnen ihre Berufung zurückzogen (plus einer Anwältin und zwei Laienverteidigern). Der erste Prozesstag lief am 1. Juni und brachte schon einiges erstaunliches zutage: Der Schutzzaun konnte von Rehen überwunden werden, die auch zahlreich auf der Fläche vorhanden waren. Die Versuchsleiterin verdreifachte daraufhin in ihrer Phantasie die Zaunhöhe – was allgemeines Stirnrunzeln hervorrief, dass schon an dieser Nebenfrage mit Falschdarstellungen gearbeitet wurde. Offenbar war der zerstörte Versuch nicht nur gefährlich, sondern auch unter Missachtung etlicher Sicherheitsauflagen durchgeführt. Dennoch gab das Gericht bekannt, dass es die Rechtmäßigkeit des Versuchs nicht zu überprüfen gedenke. Der Vorsitzende Richter gab stattdessen schon ziemlich zu Beginn der Beweisaufnahme einen Teil des Urteils bekannt. Dafür erntete er einen Befangenheitsantrag. Deutlicher ginge eine Voreingenommenheit kaum, meinte der antragstellende Angeklagte. Dennoch dürfte die Justiz – wie üblich – den Antrag ablehnen. Denn RichterInnen sind kraft ihrer Stellung als wahrheitsschaffende Instanz über irdische Zweifel erhaben.

 

Mehr Informationen

Internetseite ist www.laienverteidigung.de.vu. Dort gibt es ein Rückmeldeformular für alle, die Interesse an Trainings haben (als TeilnehmerInnen vormerken lassen oder selbst eines organisieren wollen und dafür TrainerInnen suchen) oder Kontakt zu LaienverteidigerInnen brauchen.

Über www.projektwerkstatt.de/antirepression stehen viele informative Seiten zur Verfügung, auf denen etliche Fallbeispiele von Repression, Tipps bei Festnahmen, in Gerichtsverfahren, für Verfassungsbeschwerden usw. sowie viele Aktionstipps zu finden sind. Teil dieser Seiten sind auch die Berichte zu den gelaufenen Prozessen vor Gießener Gerichten. Dokumentation, Tipps, Links und vieles mehr findet sich im Internet:

AktivistInnen aus dem K.O.B.R.A.-Umfeld schrieben und layouteten an mehreren Broschüren voller Tipps zum Schutz vor Repression und für Aktionen gegen Polizei, Justiz, Knäste usw. mit. Die Broschüren haben 16 oder 20 Seiten im A5-Format und sind vor allem für die Praxis geschrieben - mit Ausnahme des Heftchen "Weggesperrt", in dem Gedichte und Texte aus dem Knast und über den Knast gesammelt sind. Auswahl der Titel:

In den großen Bibliotheken und Archiven der Projektwerkstatt gibt es auch eine Ecke mit Büchern über BürgerInnenrechte, Gesetze, Schutz vor der Polizei und vielem mehr, dazu gesammelte Tipps zu Gerichtsverfahren, Verfassungsbeschwerden und mehr.

  • Downloadseite bisher gesammelter Anträge (zum Herunterladen) mit Infokasten (in Farbe), wie Ihr Eure Anträge am besten an uns schickt.

 

 

Kontaktadresse:
K.O.B.R.A.
Koordination und Beratung für Repressionsschutz und Antirepression
c/o Projektwerkstatt, Ludwigstr. 11, 35447 Reiskirchen-Saasen, Tel. 06401/903283

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Ergänzungen

vorsicht mit den jungen pferden

dan 06.06.2011 - 11:48
klingt jetzt erstmal nach nem spannenden konzept, aber: auf eine_n gute_n anwält_in seines/ihres vertrauens sollte niemensch vor gericht verzichten. die rechtsmaterie ist vergleichsweise komplex, auch wenn das bei einer oberflächlichen betrachtung vielleicht nicht so erscheint. hinter jedem paragraphen lauern wieder definitionen. außerdem: viele mögliche rechtsmittel werden von nicht-ausgebildeten verteidiger_innen leichter übersehen, als von "profis". damit will ich gar nicht grundsätzlich gegen euer konzept reden, aber ich würde doch zu bedenken geben, dass eine laienverteidigung für den angeklagten fast immer qualitativ schlechter, als eine professionelle anwaltliche ist. dennoch kann es natürlich politisch gewünscht sein, durch solche laienverteidigung statements zu setzen. (bspw. auch dagegen, dass nach rvg keine umsonstverteidigung durch anwält_innen stattfinden darf...)

Rechtberatungsgesetz

Ergänzung 07.06.2011 - 13:33
Einige werden sich vielleicht noch an das "JUT" erinnern, "Juristische Unterstützung von und für Totalverweigerer". Es klappte seinerzeit ganz gut, nur wurde es durch das sgn. "Rechtsberatungsgesetz" behindert. Dies wurde zur Nazizeit eingeführt, um jüdische Anwälte aus der Rechtspflege auszuschalten. Nach 1945 blieb das Gesetz in Kraft, bloss die "Juden" wurde entfernt. Somit war es bis vor kurzem zwar möglich sich durch Freunde verteidigen zu lassen - das Gericht konnte die Erlaubnis erteilen - jedoch konnte dies zu einem Verfahren wegen "Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz" führen. (Verbot der geschäftlichen Rechtsberatung - geschäftlich hier nicht im Sinne von bezahlt verstanden, sondern im Sinne von "regelmäßig").
Aktuell ist hier ein neues Gesetz in Kraft getreten, welches künftige Selbsthilfeverteidiger kennen sollten. Das Rechtsberatungsgesetz heißt jetzt "Rechtsdienstleistungsgesetz" und findet sich hier:
 http://nomos.beck.de/default.aspx?vpath=bibdata%5cges%5cRDG%5ccont%5cRDG.htm&mode=all&page=1

Artikel in der taz zu offensiver Verteidigung

egal 10.06.2011 - 19:55