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Dresden; Die Dynamik ist gebrochen

Avanti 29.04.2011 22:14 Themen: Antifa
Eine Bilanz nach drei Jahren antifaschistischer Kampagne zu Dresden.
Ein Hauch von Realitätsverlust wurde uns und anderen vor drei Jahren attestiert, die den stetig wachsenden Aufmarsch von Neonazis in Dresden verhindern wollten. Von den Strapazen vom Februar erholt, sind wir immer noch etwas ungläubig über das Erreichte. Nach drei Jahren antifaschistischer Kampagne gegen den Naziaufmarsch in Dresden ziehen wir nun Bilanz.
Auswertungspapier der Gruppe Avanti - Projekt undogmatische Linke.

Die Ausgangslage

Der alljährliche Aufmarsch zum 13. Februar hatte sich in den letzten zehn Jahren zum größten und bedeutendsten Ereignis der gesamten extremen Rechten entwickelt. Vom Rechtskonservativen bis zum militanten Neonazi, in der Spitze bis zu 7.000, marschierten jedes Jahr durch die sächsische Landeshauptstadt. Nach dem Verbot der Aufmärsche in Wunsiedel und Halbe war Dresden für die Naziszene der letzte verbliebene Ort für ein gemeinsames Massenerlebnis.
Was sie einte, war die Inszenierung NS-Deutschlands als vermeintliches Opfer eines angeblichen »Bombenholocaust« der Alliierten. Den Bombenangriff auf Dresden im Februar 1945 stilisierten sie zum Fanal eines »Vernichtungskrieges gegen die deutsche Kultur und die Zivilbevölkerung«.
Dresden bot für diese Deutung günstige Ausgangsbedingungen. Über Jahrzehnte wurde offiziell der »Mythos der unschuldigen Stadt« gepflegt, der im kollektiven Gedächtnis der DresdnerInnen tief verankert ist. Die verbreitete unkritische Sicht auf die Rolle der Stadt im NS-Vernichtungskrieg hat eine geradezu bizarre Fixierung auf die Erinnerungskultur am 13. Februar erzeugt.
Begünstigt wurde das Anwachsen des Naziaufmarschs zudem durch die rechts-konservative Politik der Stadt Dresden. Justiz und Verwaltung sicherten den Nazis attraktive Routen und erstickten Gegenprotest. In der Folge wurde der Naziaufmarsch von einer Kleinstveranstaltung mit 60 Teilnehmenden zum zentralen Ereignis der gesamten rechten Szene.
Die Gegenproteste blieben schwach, die Gegenkräfte zerstritten, auch wenn es bereits 2006 eine kleinere Blockade gab, die die Nazis immerhin zum Umkehren zwang. Vor allem antideutsche Gruppen fokussierten auf das bürgerliche Gedenken und polarisierten durch Parolen und Aktionen. Die überregionale Beteiligung an den Protesten war gering; der Aufmarsch aus dem Terminkalender der Antifaszene weitgehend verschwunden.

No Pasáran und Dresden Nazifrei

So sah die Lage aus, als wir uns 2008 dem Antifa-Bündnis »No Pasáran« anschlossen. Daran beteiligt waren zunächst die Antifa Cottbus, der zukünftige AK Antifa Dresden, Gruppen der Interventionistischen Linken (ALB, Avanti, FelS) und eine Antifagruppe aus Hamburg. Uns war bewusst, dass nur eine langfristig angelegte Kampagne und ein breites Bündnis den Naziaufmarsch in Dresden verhindern können.
Im Februar 2009 folgten 3.500 Menschen dem Aufruf von »No Pasáran« und kamen nach Dresden. Das reichte nicht, um den Aufmarsch der Nazis zu verhindern. »No Pasáran« scheiterte an der zu geringen Masse, dem Konzept und der Polizeitaktik. Das bürgerliche »geh-denken«-Bündnis setzte in diesem Wahljahr auf eine symbolische Demonstration mit viel Parteiprominenz abseits der Naziroute. An ihr beteiligten sich rund 10.000 Menschen.Mit dem Verlauf der Gegenaktivitäten konnte niemand zufrieden sein. Die Erkenntnis, dass den Nazis mit reiner Symbolpolitik nicht beizukommen ist, reifte im Lauf des Jahres – auch bei Organisationen aus dem »geh-denken«-Spektrum. In dieser Situation lud »No Pasáran« im Herbst 2009 zu einer Aktionskonferenz unter dem Motto »Dresden calling« ein.
Rund 250 Personen aus unterschiedlichen Spektren nutzten die Gelegenheit, sich über Möglichkeiten und Erfahrungen auszutauschen, wie Naziaufmärsche verhindert werden können. Am Ende stand der Wille und die Bereitschaft, sich mit Blockaden den Nazis im Februar 2010 in den Weg zu stellen – oder vielmehr zu setzen. Kurz darauf gründete sich das überregionale Bündnis »Nazifrei – Dresden stellt sich quer«, ein Spektren übergreifender Zusammenschluss von Antifagruppen, Gewerkschaftsjugend, Jugend- und Studierendenverbänden, Parteien, lokalen Initiativen und Einzelpersonen. Ihr gemeinsames Ziel: Den Aufmarsch der Neonazis im Februar 2010 verhindern!
Grundlagen waren der gemeinsam entwickelte Aktionskonsens und die Verständigung, sich »durch Aktionen des zivilen Ungehorsams mit Massenblockaden den Nazis entgegenzustellen und sie zu blockieren« und sich gleichzeitig mit allen anderen solidarisch zu erklären, die ebenfalls den Naziaufmarsch verhindern wollen. Damit verweigerte sich »Dresden Nazifrei« einer Spaltung in »gute« und »böse« AntifaschistInnen. Die transparente Ankündigung eines kollektiven Regelübertritts ermöglichte es vielen Menschen, sich an der Blockadeaktion zu beteiligen.
Allen Beteiligten war klar, vor welch großer Herausforderung sie standen. Musste doch innerhalb von knapp drei Monaten ein handlungsfähiges Bündnis aufgebaut werden, das logistisch und politisch eine bundesweite Mobilisierung zu Massenblockaden stemmen konnte. Auf die Probe gestellt wurde »Dresden Nazifrei«, als im Januar auf Anordnung der Dresdner Staatsanwaltschaft Büroräume des Bündnisses durchsucht und Plakate beschlagnahmt wurden. Sogar mit der Sperrung der Homepage wurde gedroht. Die Antwort auf diesen Kriminalisierungsversuch folgte prompt: Bundesweit kam es zu Spontandemonstrationen und fanden öffentlich Plakatieraktionen statt, begleitet zum großen Teil von Abgeordneten – vor allem der Linkspartei – und der Presse. Bis zum 13. Februar 2010 hatten an die 700 Organisationen und über 2.400 Einzelpersonen den Aufruf von »Dresden Nazifrei« unterzeichnet.

2010: Sie kamen nicht durch

Dresden wurde im Vorfeld des Februar 2010 zur Kraftprobe zwischen repressiver Justiz und kritischer Gegenöffentlichkeit. Unter dem Eindruck der Razzien und getragen von einer breiten Mobilisierung kamen Tausende AktivistInnen aus verschiedenen politischen Spektren nach Dresden. Über 200 Busse aus dem gesamten Bundesgebiet und benachbarten Ländern steuerten die Elbstadt an. Zusammen mit Tausenden DresdnerInnen wurden die Nazis am Bahnhof Neustadt umzingelt. Etwa 12.000 BlockiererInnen verharrten den ganzen Tag bei Eiseskälte an sechs Blockadepunkten und machten somit den Großaufmarsch der Nazis unmöglich.
Ernsthafte Versuche, die Blockaden zu räumen, unterblieben. Das war nicht zuletzt der Masse, Entschlossenheit und politischen Vielfältigkeit der AktivistInnen sowie einer entsprechenden Öffentlichkeitsarbeit zu verdanken. Allerdings konnten bis zu 2.000 Nazis von der Polizei unbegleitet durch das Hechtviertel laufen. Dass es nicht zu Angriffen auf die Blockaden kam, beruhte auf der Gegenwehr vieler antifaschistischer Gruppen.Das Zusammenspiel von Blockaden und anderen Aktionsformen hatte sich am 13. Februar 2010 als erfolgreich erwiesen: Erstmalig war es gelungen, den Großaufmarsch der Nazis in Dresden zu verhindern. Am Ende musste sogar die öffentliche Berichterstattung einräumen, dass es die Massenblockaden in der Dresdner Neustadt waren, die den Aufmarsch verhinderten, und nicht etwa die Menschenkette, zu der die Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) aufgerufen hatte und an der 10.000 Menschen teilnahmen.
Auf einer Bilanz- und Strategiekonferenz im Mai 2010 in Jena wurde der Versuch unternommen, die gesammelten Erfahrungen in der Bündnisarbeit und der aufwendigen Vorbereitungen für derartige Massenblockade weiterzugeben und zur Diskussion zu stellen. Denn der Erfolg von Dresden war nur aufgrund einer langjährigen und intensiven Bündnis- und Öffentlichkeitsarbeit möglich und einer intensiven Koordination der Buskonvois, Blockadetrainings und Gesamtplanung. Zusammen mit der Entschlossenheit tausender AktivistInnen …

Erfolg mit Folgen

Der Erfolg von Dresden strahlte über die Stadt hinaus. An vielen Orten bildeten sich Spektren übergreifende Bündnisse, um Naziaufmärsche zu verhindern. In Lübeck, Berlin, Bernau und vielen anderen Städten wurden Naziaufzüge blockiert. Angesichts dieser Rückschläge in ihrem »Kampf um die Straße« machte sich bei den Nazis vielerorts Frustration breit.
Nicht nur die Nazis sahen sich gezwungen, sich mit dem Konzept Massenblockaden auseinanderzusetzen. Auch in Justiz und Polizei sowie innerhalb des herrschenden Blocks aus Parteien, Verwaltung und Medien tobte nach dem 13. Februar 2010 eine Debatte über die Legalität und Legitimität solcher Aktionen.
Während die Linkspartei, Teile der Grünen und der SPD, aber auch Tageszeitungen wie die Frankfurter Rundschau oder die taz mit dem Konzept der Massenblockaden sympathisierten, sammelten sich VerfechterInnen eines autoritären Staatsverständnisses unter dem Schlagwort der »blockierten Demokratie«. Unter dieser Überschrift hatte der »Spiritus Rector« der sogenannten »Extremismus-Forschung«, Eckhard Jesse, in der Frankfurter Allgemeine Zeitung scharf gegen Blockaden Stellung bezogen.
Die Aushebelung von »rechtsstaatlichen Prinzipien« könnte Schule machen und zur Erosion des Macht- und Gewaltmonopols des Staates führen. Das befürchteten zurecht konservative BlockadekritikerInnen von der CDU und sozialdemokratische OrdnungspolitikerInnen wie der Dresdner Oberstaatsanwalt Christian Avenarius oder der SPD-Landtagsabgeordnete Mathias Brodkorb aus Mecklenburg-Vorpommern. Aber auch die FAZ und selbst die Süddeutsche warnten vor einer Dynamik des Rechtsbruchs durch die Aktionsform Blockaden. Und die FAZ zog sogar Parallelen zur Entstehung der RAF.
Im Vorfelde der Blockaden 2011 griff die Wochenzeitung Die Zeit die Debatte um »Legitimität und Legalität« mit einer Podiumsdiskussion im Staatsschauspiel Dresden auf – bezeichnenderweise ohne »Dresden Nazifrei« einzuladen. Dennoch geriet in der Debatte der störrisch ordnungspolitisch argumentierende Vizebürgermeister Detlef Sittel (CDU) enorm unter Druck. Deutlich wurde: Eine Politik, die kein Alternativangebot zu den Blockaden anbietet, verliert in Dresden an Zustimmung. Die jahrelange Maxime der in Sachsen und Dresden dominanten CDU, gegen Nazis auf »stilles Gedenken« und »stillen Protest« zu setzen, hat ausgedient.
Insofern ist das nach dem 19. Februar 2011 angekündigte Symposium des sächsischen Innenministers Markus Ulbig (CDU) als Versuch zu werten, gegen die Blockaden eine eigene Initiative zu setzen. Darum geht es offensichtlich auch Teilen der SPD. Die sächsische SPD-Landtagsfraktion fordert einen »Strategiewechsel« und die Akzeptanz der »Vielfalt der friedlichen Protestformen«.
Die SozialdemokratInnen kritisieren die Dresdener Stadtverwaltung für ihre mangelnde Bereitschaft, gegen den Naziaufmarsch vorzugehen, und die Gerichte, die Urteile »einseitig gegen friedliche Proteste« fällten. Die SPD Dresden selbst sieht die »Konzeption der räumlichen Trennung« von Neonazis und AntifaschistInnen als »auf Dauer gescheitert«. Wie die Landtagsfraktion fordert sie deshalb eine von Stadt und »demokratischen Parteien« getragene Kundgebung »in Hör- und Sichtweite« der Nazis.
Um was es bei der hier angedeuteten »Verstaatlichung« und »Integration« des Protests geht, ist klar. Es ist der Versuch, die Zusammenarbeit von Gruppen aus der radikalen Linken mit zivilgesellschaftlichen Initiativen und Parteien zu hintertreiben, dem Projekt »Massenblockaden« die Spitze zu nehmen und die Konflikte um Zivilen Ungehorsam auf dem Terrain der Parteien- und Staatspolitik »einzuhegen«.
Bewegung gibt es auch in der juristischen Sphäre – wenn auch eher gradueller Natur. Während das Bundesverfassungsgericht jüngst bei Sitzblockaden den Tatbestand der Nötigung erschwerte, hält die sächsische Justiz weiter an ihrer kompromisslosen Haltung fest. Die Urteile zu den Blockaden 2006 und 2010 zeigen, dass das sächsische Oberverwaltungsgericht auf Konfrontation setzt: Es forderte ein hartes Vorgehen gegen BlockiererInnen und die unbedingte Durchsetzung der Naziaufmärsche.
Gegenwärtig gibt es noch keine eindeutige Haltung gegenüber der Aktionsform Massenblockaden gegen Nazis. Die Kassandrarufe von links sind deshalb verfrüht, hier sei eine Form gefunden worden, wie sich die »Berliner Republik« gegen Nazis stellt. Wir haben es vielmehr mit Bruchstellen innerhalb des »Blocks an der Macht« (Gramsci) zu tun, in die wie intervenieren müssen, um gesellschaftliche Konflikte widerständig zu vertiefen. Unser Ziel muss es sein, mit vielen Menschen radikalisierende Schritte zu gehen. Deshalb sind Massenblockaden für uns ein probates Mittel der strategischen Intervention. Wir sind aber nicht auf diese Aktionsform festgelegt oder beschränkt.

Dresden Februar 2011: Opfermythos knacken

Die harte Leitlinie der sächsischen Gerichte bestimmte die Ausrichtung der Polizei am 13. und 19. Februar 2011. Mit über 6.000 (Bundes-)PolizistInnen errichtete sie großflächig »rote Zonen« um die geplante Naziroute. Dieses Einsatzkonzept wurde bereits am 13. Februar ausprobiert und tatsächlich gelang es der Polizei, die Route der Nazis recht gut gegen immerhin über 3.000 DemonstrantInnen zu schützen. Wir waren einfach zu wenige und auch zu wenig vorbereitet. Aber immerhin gelang es uns, die Route zu verkürzen und deutlich mehr DresdnerInnen für eine Beteiligung an unseren Aktionen zu gewinnen.
Die Nazis hatten dieses Jahr sowohl für den 13. wie für den 19. Februar mobilisiert. Damit wollten sie die Gegenproteste erschweren und das Konzept Massenblockaden durchkreuzen. Als absehbar war, dass die Nazis ihre zentrale Großveranstaltung für den 19. Februar planen, konzentrierten wir unsere Kräfte auch auf diesen Tag – ohne den 13. Februar ganz aus dem Blick zu lassen.
Rund 1.300 Nazis kamen am 13. Februar zu dem alljährlichen Fackelmarsch. Wir denken, dass wir dem Treiben der Nazis nicht allein durch »Anti-Nazi-Arbeit« Einhalt gebieten können. Wir müssen auch eine Auseinandersetzung mit den Entstehungsbedingungen des »Mythos Dresden« führen. Wir haben als Avanti einen wesentlichen Aspekt unserer Arbeit auf die Kritik des Opfermythos gelegt und uns in vielfältiger Weise dazu geäußert. In unseren Aufrufen, bei Veranstaltungen und durch die Initiierung einer Diskussion der Bündnispartner auf der Webside von »Dresden Nazifrei«.
Innerhalb der Bündnisgruppen wurden dadurch wichtige Debatten angestoßen und Entwicklungen in Gang gesetzt. Zum Beispiel beschloss die Linkspartei nicht an den offiziellen Feierlichkeiten am Mahnmal für die Opfer des Luftangriffes auf dem Dresdner Heidefriedhof teilzunehmen und forderte eine Umgestaltung des Denkmals, das in seiner jetzigen Form die Gleichsetzung von »Dresden« und Orten des NS-Terrors und der Vernichtungspolitik nahelegt. Auch bei den Grünen und weiteren Gruppen sind kritische Beiträge zur Dresdener Gedenkpolitik entstanden. Die KritikerInnen der tradierten Gedenkpolitik in Dresden zu vernetzen und zu bestärken, ist eine wichtige Intention unserer Arbeit.
Eine besondere Bedeutung hatte dabei die von uns angeregte Aktion »Täterspuren«. Im Rahmen eines Mahngangs sollten am 13. Februar 2011 Orte von NS-Tätern im Rahmen eines Mahngangs besucht werden, um an die Dresdner Tätergeschichte zu erinnern und einen Kontrapunkt zur Dresdner Opferinszenierung zu setzten. Mit dieser geschichtspolitischen Intervention wollten wir die blinden Flecken des offiziellen Gedenkens kritisieren, ohne nur auf (emotional nachvollziehbare) Provokation zu orientieren.
Der Mahngang wurde allerdings aufgrund des »Trennungsgebots« verboten. Die Folge waren massive Proteste von NS-Überlebenden wie Esther Bejarano oder HistorikerInnen wie dem Direktor der Stiftung Topographie des Terrors Andreas Nachama, die darin einen symptomatischen Ausdruck des Dresdner Umgangs mit der Gedenkpolitik am 13. Februar sahen. Um das absurde Verbot der »Täterspuren« wird eine juristische und politische Auseinandersetzung in Dresden geführt werden. Auch um im nächsten Jahr auf jeden Fall einen »Täterspuren«-Mahngang durchführen zu können.
Zentrale Themen unserer Mobilisierung im »No Pasáran«-Bündnis 2011 waren neben der Thematisierung des Opfermythos die Extremismusdoktrin und natürlich der Naziaufmarsch selbst. Nach intensiven Diskussionen ist es uns dieses Jahr gelungen, uns auf einen weitergehenden Bündnisaufruf einigen (für uns war es deshalb nicht notwendig, einen eigenen Aufruf zu veröffentlichen).
Die Wahl der drei Schwerpunkte hat sich angesichts der erfolgreichen Mobilisierung als richtig erwiesen. Das freut uns. Dennoch ist deutlich geworden, dass aus dem Antifa-Bündnis heraus nicht mehr allzu viele weitere Impulse gesetzt werden konnten. Vielmehr fanden die strategische und taktische Organisation der Blockaden und weiterführende inhaltliche Debatten unter dem Dach von »Dresden Nazifrei« statt.

Der 19. Februar: Sie kamen wieder nicht durch!

Der 19. Februar 2011 begann als polizeiliche Notstandsübung. Über 6.000 PolizistInnen versperrten die Autobahnabfahrten und Zugänge in die »rote Zone« um den Dresdner Hauptbahnhof. Schon bei dem ersten Polizeikontakt wurde klar, dass die Einsatzleitung den Polizeiführern »freie Hand« bei der Wahl der Einsatzmittel gegeben hat. Neben massivem Einsatz von Pfefferspray, Tonfas, Hunden und sogenannten Pepperballs kamen trotz der Kälte auch Wasserwerfer zum Einsatz.
Offensichtlich wollte sich die Einsatzleitung der Polizei nicht wieder von den Gerichten belehren lassen und war entschlossen, die Blockaden zu verhindern. Doch es kamen über 20.000 AntifaschistInnen zu den Blockaden und wollten sich diesen Tag nicht nehmen lassen. In 300 Bussen und sechs großen Buskonvois reisten sie aus dem gesamten Bundesgebiet, aus Dänemark, Polen, Schweden und Tschechien an.
Die Blockadeerfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass nicht nur die Masse eine Blockade zu einer Massenblockade macht. Schon das Erreichen des Blockadepunkts ist ein wesentlicher Schritt zum Erfolg der Aktion. Dazu bedarf es neben der Entschlossenheit auch gut vorbereitete Personen, die solche Situationen bereits in Blockadetrainings geübt haben und für die eine Polizeikette kein Hindernis darstellt. Der Erfolg in Dresden wäre ohne diese organisierten Fingerstrukturen nicht möglich gewesen. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass noch viel mehr Gruppen Blockade- oder Fingerspitzentrainings besuchen sollten, um als organisierte Strukturen bei solchen Aktionen Verantwortung übernehmen zu können.An zahlreichen Stellen wurde deutlich, dass eine Straße, die von Polizei und Gittern versperrt ist, kein unüberwindliches Hindernis darstellt. Neben dem »Durchfließen« von Polizeiketten kam es in Dresden auch zum kollektiven »Durchfluten« mit ganzen Fingern. Viele AktivistInnen schützten sich durch Visiere und Polsterungen gegen prügelnde und in rauen Mengen Pfefferspray einsetzende PolizistInnen. Auch wurden eingekesselte AktivistInnen durch »Finger« befreit. Wir sind immer noch über diese neue Entschlossenheit bei Massenaktionen erfreut.
Seit Heiligendamm 2007 ist ein neues Selbstbewusstsein bei den Aktionen des kollektiven Regelübertritts entstanden. Die Erfahrungen von Kollektivität und Entschlossenheit bei Aktionen und die Erfahrung, dass wir trotz eines massiven Polizeieinsatzes eine politische Auseinandersetzung gewinnen können, inspiriert uns zu weiteren Aktionen. Dabei ist der am 19. Februar in Dresden kollektiv erkämpfte Erfolg für uns ein wichtiger Baustein zur Entstehung einer politischen Gegenmacht, der auch über den Tag hinaus auf unsere alltäglichen Kämpfe ausstrahlt.
Dennoch bleibt, wie auch bei »Castor?Schottern!« die Erkenntnis, dass eine breite politische Kampagne im Vorfeld nicht verhindern konnte, dass die Polizei auf unserem Rücken Notstandsübungen abhielt und mit massiver Gewalt gegen uns vorging. Wie im Wendland haben wir jedoch erneut erlebt, wie die Polizei faktisch durch uns überfordert und zum Teil handlungsunfähig wurde.
Einen guten Teil trugen dazu auch dezentrale Aktionen von antifaschistischen Kleingruppen bei, die Straßen versperrten, Nazis angegriffen und Polizeikräfte gebunden und dadurch Platz für die Blockaden geschaffen haben. Wir sind selbstverständlich solidarisch mit diesen Aktionen und glauben, dass sie eine sinnvolle Ergänzung zu unserem Konzept Massenblockaden sind. Dieses Konzept beruht auf einem »Aktionskonsens«, der Distanzierungen ablehnt, aber gleichzeitig deutlich macht, dass von den Blockaden »keine Eskalation ausgeht«. Auch wenn diese Absprachen an vielen Stellen hervorragend geklappt haben, kritisieren wir jedoch diejenigen, die den Aktionskonsens bei den Massenblockaden gebrochen haben. Angriffe aus dem »Schutz« der Blockaden (oder gar Steinwürfe über SitzblockiererInnen) oder brennende Barrikaden in deren »Windschatten« sind unsolidarisch und gefährden andere Menschen und auch die gemeinsam errungenen Erfolge.

Vor neuen Aufgaben

Doch zurück zu der polizeilichen Handlungsunfähigkeit ab dem Nachmittag des 19. Februar: Indem wir in diesen Stunden durch unsere Aktionen das Handeln bestimmt haben, wurde einerseits deutlich, welche Möglichkeiten wir haben, andererseits welche Herausforderungen dadurch entstehen, mit denen wir bislang nicht konfrontiert waren. Wir müssen uns noch mehr Gedanken machen, wie wir reagieren, wenn Nazigruppen, wie beim Überfall auf das alternative Wohnprojekt »Praxis« geschehen, am Rande solcher Ereignisse gezielt Häuser oder unsere Blockaden angreifen.
Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Polizei und auch die Nazis aus ihren Niederlagen in den letzten Jahren Schlüsse ziehen werden. Auch wenn ihre bisherigen Versuche, die »5-Finger-Taktik« zu kopieren, eher amüsiert zur Kenntnis genommen werden können, müssen wir uns auf eine aggressivere Nazitaktik einstellen. Die (gescheiterten) Spontanaufmärsche am 1. Mai 2010 in Berlin oder der Angriff auf die 1.-Mai-Demo in Dortmund 2009 sind Warnungen genug. Wir müssen damit rechnen, dass es in Zukunft häufiger zu solchen Aktionen kommt, besonders wenn wir die Aufmärsche der Nazis zunehmend behindern. Insofern müssen wir uns gegen diese potenziellen Angriffe organisieren.Die Frustration bei den Nazis steigt. Dass dies auch zu Spannungen oder Spaltungen innerhalb der Naziszene führen kann, ist zu begrüßen. So gibt es massive Kritik an der Organisation des Aufmarsches durch die Junge Landsmannschaft Ostpreußen (JLO), in der NPD werden derartige Großaufmärsche momentan als »zunehmend nicht mehr realisierbar« (so der Fraktionsvorsitzende der NPD im sächsischen Landtag Holger Apfel) eingeschätzt und Debatten um Dezentralisierung der Aktionen geführt.
Insgesamt haben die Nazis am 19. Februar einen weiteren schweren Rückschlag erlitten. Sie sind in diesem Jahr weder marschiert, noch haben es viele Nazis geschafft, zum Auftaktort zu gelangen. Auch ihre Mobilisierungsfähigkeit hat drastisch abgenommen. Waren 2009 noch fast 7.000 Nazis in Dresden, so haben sich in diesem Jahr weniger als die Hälfte davon überhaupt auf den Weg in die sächsische Landeshauptstadt gemacht. Die Dynamik eines wachsenden und Spektren übergreifenden Naziaufmarsches ist gebrochen. Damit verliert die Naziszene einen wichtigen gemeinsamen Identifikationspunkt und die damit verbundene werbewirksame Bindung nach innen und Ausstrahlung nach außen. Nun gilt es, den Dresdner Aufmarsch weiter unattraktiv zu halten.

Das Konzept Massenblockaden

Mit den Massenblockaden wurde ein Konzept entwickelt, dass es ermöglicht hat, sogar den größten Naziaufmarsch Europas unter widrigen lokalen Bedingungen zu »knacken«. Dennoch ist klar, dass dieses Konzept nicht für alle Situationen tauglich ist, sondern nur ein Mittel aus dem Fundus verschiedener Aktionen und Initiativen gegen Nazis darstellt.
Das Konzept beinhaltet eine strategische Bündnisorientierung: Es geht nicht um kurzfristige Erfolge, sondern darum, (Kennen)-Lernprozesse anzustoßen und auch unter schwierigen Bedingungen eine solidarische Debatte zu entwickeln. In Dresden war dabei eine besondere Herausforderung die Zusammenarbeit zwischen FunktionärInnen von Großorganisationen, die mit einem hoch professionellen Anspruch Kampagnenarbeit organisieren wollen, und lokalen AktivistInnen, die häufig völlig neu zu solchen Großprojekten hinzustoßen.
Dies führte innerhalb von »Dresden Nazifrei« immer wieder zu Diskussionen. Sie zu führen, hat sich gelohnt: Es war erstaunlich zu sehen, welche Entwicklungen bei allen Beteiligten angestoßen wurden. Die Bündnisprozesse in Dresden, in den eigenen Städten und bundesweit waren anstrengend und haben uns die Grenzen eines ehrenamtlichen Engagements aufgezeigt. Dennoch möchten wir den Prozess nicht missen, weil er viel über das Spannungsverhältnis von (Groß-)Organisationen und Bewegungen, Kommunikationsprozessen, Vertrauensbildung und solidarische Auseinandersetzungen verrät.
Wir sehen in verschiedenen Städten positive Anzeichen für eine neue Kultur der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Spektren um die Aktionsform Massenblockade. Dresden hat hierzu einen wichtigen Teil beigetragen.
Leider haben sich nicht besonders viele Gruppen aus der radikalen Linken an dem Bündnisprozess vor Ort beteiligt. Dabei liegt darin die Grundlage für den Erfolg von Dresden. Zum Beispiel gelang es durch unsere Mitarbeit im Bündnis einen Aktionskonsens zu formulieren, der auf die ideologisch aufgeladenen Begriffe »friedlich« und »gewaltfrei« verzichtet (und der auch nach der Konfrontation des 19. Februar hielt, hat es doch keine Distanzierungen durch das Bündnis gegeben). Wir würden uns wünschen, dass sich mehr Antifagruppen und zivilgesellschaftliche Initiativen auf diese »Mühen der Ebenen« einlassen.

Dresden befindet sich im Brennpunkt einer gesellschaftlichen Debatte um Zivilen Ungehorsam und die Legitimität von Blockaden. Die Differenzen hierzu im »Block an der Macht« sind unübersehbar. Dieser Konflikt ist keineswegs entschieden, die konservativen VertreterInnen in Justiz, Politik und Medien sprühen Funken. Diese Fraktion setzt auf Repression. In diesem Zusammenhang sind die harten Polizeieinsätze, die Gerichtsurteile, das §129-Verfahren gegen AntifaschistInnen aus Dresden und Leipzig und der Alarmismus von Jesse und Co. zu sehen.
Eine andere Fraktion rund um Teile der sächsischen SPD und CDU versuchen offensichtlich, den Konflikt durch institutionelle Einbindung zu pazifizieren. Jedoch gibt es viele Menschen, die in den Massenblockaden eine Möglichkeit entdeckt haben, sich effektiv gegen Nazis einzusetzen, und bereit sind, einen für sie kalkulierbaren Konflikt mit Polizei und Gesetzen einzugehen. Diese Kräfte wollen wir bei ihren Kämpfen gegen Extremismusdoktrin und Distanzierungslogik unterstützen - und beides durch unsere Zusammenarbeit praktisch ins Leere laufen lassen. Für uns radikale Linke muss es darum gehen, die Spielräume von außerparlamentarischen Gruppen zu erweitern, die Nazis zurückdrängen und für uns kollektiv erkämpfte Erfolge zu schaffen.
Diese gemeinsam gemachten Erfahrungen befruchten einander. »Castor?Schottern!« lernte von »Dresden Nazifrei« 2010, »Dresden Nazifrei« 2011 lernte von »Castor?Schottern!« 2010. Wir freuen uns auf die Zukunft.

Avanti – Projekt undogmatische Linke, April 2011
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Ergänzungen

"radikale" Gruppen Dresden

Dresdner 30.04.2011 - 16:31
Dass sich die Beteiligung der radikalen Linken aus Dresden in Grenzen hielt. Liegt zum einen an kruden ideologischen Einstellungen, in diesem Spektrum steht eine Gruppe wie die Antifa Freiberg nicht für die Ausnahme sondern für die Regel, und zum anderen liegt es daran, dass zwar in Dresden und Sachsen viel heiße Luft produziert wird, es aber kaum Gruppen gibt die tatsächlich handlungsfähig sind oder darin überhaupt einen Wert sehen. Dass man für erfolgreiche politische Arbeit z.B. auch kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit machen muss und damit auch über die Szene hinaus kommunizieren werden muss, hat hier bisher kaum jemand begriffen. Daran hat und wird sich wohl auch nichts ändern. Schade, ist aber leider so.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Und davor? — Smitty

wow — @ ich