Rassistische Brandanschläge in Berlin

Autonome Neuköllner Antifa (Berlin) 26.12.2010 00:55 Themen: Antifa Antirassismus
Eine Reihe von Brandanschlägen auf islamische Einrichtungen in Berlin sorgt in den letzen Monaten zunehmend für Aufsehen. Eine Debatte um Integration, in der Sozialchauvinist_innen a la Thilo Sarrazin den Takt angeben, bietet den Eruptionen rassistischer Gewalt den passenden ideologischen Rahmen.
Wenn dem „gesunden Volksempfinden“ das Streichholz gereicht wird...

In den Berliner Bezirken Neukölln und Tempelhof ist es im Verlaufe des Jahres 2010 zu einer Reihe von Brandanschlägen auf Moscheen gekommen. Dass bei diesen Angriffen weder Menschen verletzt wurden noch größere Sachschäden entstanden, ist alleine der Tatsache zu verdanken, dass die Feuer frühzeitig entdeckt wurden oder in Folge von dilettantischer Ausführung die Brandquellen von selbst erloschen. Von November bis Anfang Dezember kam es innerhalb von drei Wochen zu drei versuchten Brandstiftungen. Am frühen Morgen des 28.Novembers entdeckte ein Gemeindemitglied, dass Unbekannte an einem Seiteneingang der Al-Nur-Moschee in der Haberstraße mittels einer brennbaren Flüssigkeit ein Feuer gelegt hatten. Bereits eine Woche zuvor musste der Hausmeister der Moschee am Columbiadamm morgens eine brennende Propangasflasche löschen, die an der Rückwand eines Nebengebäudes der Moschee abgelegt worden war. Nach Angaben der Gemeinde war dies bereits der vierte Anschlag dieser Art im Jahre 2010. Der bisher letzte und spektakulärste Anschlag ereignete sich am Morgen des 10. Dezembers. In Berlin-Tempelhof warfen Unbekannte einen Molotov-Cocktail gegen ein islamisches Kulturzentrum und setzten so Teile der Fassade in Brand. Auch wenn die Täter_innen bisher nicht gefasst werden konnten, ist von einem rassistischen Hintergrund der Taten auszugehen. Fakt ist, dass die deutsche Geschichte nach 1990 gekennzeichnet ist von einer Kontinuität rechter Gewalt. Tatsache ist auch, dass die Ursachen der jeweiligen Eskalation rechter Gewalt dort ihren Ursprung haben, was üblicherweise als Mitte der Gesellschaft bezeichnet wird. Als Anfang der neunziger Jahre die Flüchtlingsheime brannten, fanden die Täter_innen den ideologischen Nährboden für ihre Taten im aufkeimenden neuen deutschen Nationalismus, der sich konkret in einer rassistischen Debatte über Migration und das Recht auf Asyl äußerte. Eine Debatte die schließlich mit der faktischen Abschaffung des Asylrechts 1993 gekrönt wurde. Ähnlich wie in der Vergangenheit, muss davon ausgegangen werden, dass es sich auch bei den aktuellen Brandanschlägen auf Moscheen, nicht wie von den Medien vielfach suggeriert wird, um Taten fernab jeglicher gesellschaftlicher Debatten handelt. Vielmehr nehmen die Täter_innen, ob es sich nun um Neonazis oder unorganisierte Rassist_innen handelt, mit ihren Anschlägen offensichtlich Bezug auf die seit Monaten in Deutschland mal wieder besonders heftig grassierende Integrationsdebatte. Den aktuellen Impuls ihrer rassistischen Aufladung verdankt sie dabei einem sozialdemokratischen ehemaligen Bundesbanker und Berliner Finanzsenator.

Als Thilo Sarrazin Ende August sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ vorstellte, war es in der Berliner Republik bereits Gesprächsthema Nummer Eins. Ausführliche Vorabdrucke aus dem „erfolgreichsten Sachbuch seit 1945“1 waren bereits in den Leitmedien deutscher Befindlichkeit, dem „Spiegel“ und der „Bild“ erschienen. Am 30. August stellte Sarrazin schließlich sein Buch unter großem Tamtam, inszeniert als – gefühlt 137.- Tabubruch in der Integrationsdebatte, auch offiziell vor. Seit dem reist Ex-Bundesbank Thilo quer durch die Republik und erzählt in ausverkauften Lesungen seinem deutschen Publikum von Speyer bis Pforzheim, das was es hören möchte und – wie jüngste Umfragen nahe legen2- eh längst denkt. Migrant_innen und insbesondere muslimische Migrant_innen, sind faul, schmarotzen vom so mühsam zusammengehaltenen deutschen Steuersäckel und vermehren sich unkontrolliert. Sie treiben somit die Überfremdung Deutschlands voran und betreiben langfristig die demografische und planmäßige Vernichtung des traditionsreichen Kulturvolkes der fleißigen deutschen Standortameisen. So die in den pseudowissenschaftlichen Thesen Sarrazins verklausulierte alte Leier von Rassismus und Sozialchauvinismus. So weit, so schlecht, so gewöhnlich. Mögen sie noch so abstrus daherkommen, es sind auch nicht die abenteuerlichen Ausflüge des Hobby- Genetikers Thilo Sarrazin in die Vererbungslehre, die der im Zusammenhang mit der Veröffentlichung seines Buches losgetreten Debatte ihre zynische Relevanz verleihen. Diesen absurden Verirrungen von vererbbarer Intelligenz und jüdischen Genen erteilte selbst die bürgerlich Presse eine mehr oder weniger deutliche Absage. Dem Erfolg seiner Thesen tut dies dann auch keinen Abbruch. Sie treffen einen Nerv, der weit über die Man wird ja wohl noch sagen dürfen… - Attitüde des dummdeutschen Stammtisches hinausgeht. Rassismus ist in den gesellschaftlichen relevanten Sphären selbstreden verpönt, zumindest wenn er über das systemerhaltende Normalmaß, hunderte ertrinkende Flüchtlinge an militärisch gesicherten Außengrenzen oder die Gängelung der Wenigen die es geschafft haben durch menschenunwürdige Lagerunterbringung und Sondergesetze, hinausgeht. Der sozialdarwinistische Gedanke der Sortierung von Individuen nach ihrer ökonomischen Verwertbarkeit hingegen, stößt auf kaum Widerspruch, auch wenn er bisweilen unverhohlen auf rassistische Kriterien zurückgreift. Bleiben darf und akzeptiert wird, der_diejenige der_die „etwas beiträgt zu unserem Land und seiner Kultur.“

In diesem Zitat kommt vor allem eines zum Ausdruck, in Zeiten von Rettungsschirmen und stockender Kapitalakkumulation, wird die autoritäre Formierung der Individuen in der nationalen Gemeinschaft und ihre Einschwörung auf deren Ziele und Interessen, zum bestimmenden Moment deutscher Sozialpolitik. Aussortiert werden müssen folglich die, die nicht dazugehören (sollen) und nicht nutzbar gemacht werden können. Sarrazin forderte bereits während seiner Amtszeit als Finanzsenator, Menschen, die zum Bestreiten ihrer Existenz auf Hartz IV angewiesen sind, sollten lieber „öfter kalt duschen“ als sich über ihre sozialstaatliche Disziplinierung im Wert von 363 € dreisterweise noch zu beschweren. Mit der Verabschiedung des so genannten Sparpaketes Ende November im Bundestag, ist Sarrazins Wunsch Wirklichkeit geworden. Den Empfänger_innen von Hartz IV wurden Kindergeld und Heizkostenzuschuss gestrichen. Getreu dem Motto wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen4, er_sie soll frieren und nach Möglichkeit kinderlos sterben.

Noch härter trifft es jedoch diejenigen, die sich nicht einmal über das Berufen auf ihr Deutschsein selbst zur Gemeinschaft zählen können. Migrant_innen werden als pauschal leistungsunwillig stigmatisiert und soziale Probleme zu Integrationsdefiziten mystifiziert. Misserfolge in der Bildungslaufbahn von migrantischen Schüler_innen und die Herausbildung von Parallelgesellschaften werden als in der vermeintlichen Eigenart der migrantischen Communities verwurzelten Probleme ethnisiert bzw. kulturalisert, statt ihre sozialen Ursachen etwa im strukturellen Bildungsrassismus deutscher Schulen zu suchen. Der Ausschluss des inneren Fremden aus der eigenen Gemeinschaft verspricht einen identitätsgewinn durch Herstellung scheinbarer Homogenität und schafft gleichzeitig im Anderen eine geeignete Kontrastfolie zur Projektion von Ressentiments und Herstellung von gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen. Konkret abzulesen lässt sich diese Politik der Abgrenzung gegenüber als fremd wahrgenommenen Gruppen in Deutschland derzeit am Diskurs um die so genannte Deutschenfeindlichkeit. Angestoßen wurde die jüngste Debatte von Kristina Schröder, Bundesfamilienministerin und darüber hinaus selbsternannte Expertin der CDU in Sachen Extremismus. Ihre medial breit aufgenommene These dabei ist, dass in den sozialen Brennpunkten der Großstädte eine „Form von Rassismus“ existiert, die von muslimischen Schüler_innen ausgeht und sich gezielt gegen ihre biodeutschen Altersgenoss_innen richtet. Nun ist es verwunderlich, dass einer Politikerin wie Kristina Schröder, der im Zusammenhang von Hass und Gewalt gegen Migrant_innen durch Neonazis bestenfalls der Begriff Fremdenfeindlichkeit über die Lippen kommt, bei Übergriffen auf herkunftsdeutsche Schüler_innen, auf den ungeliebten – weil potenziell gesellschaftskritisch konnotierten- Terminus des Rassismus zurückgreift. Dies scheint jedoch erklärbar, wenn die gesellschaftliche Funktion dieses Diskurses näher betrachtet wird. Deutsche sollen in der Debatte als per se unschuldige Opfer dargestellt werden, dafür werden dann mal eben die gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse auf den Kopf gestellt. Aus patriarchalen Strukturen resultierende Gewaltausbrüche werden zum unvermeidbaren Bestandteil der muslimischen Kultur der Jugendlichen umgedeutet. Der herkunftsdeutsche Teil der Schüler_innenschaft übernimmt hier die Rolle der Opfer, die auf Grund ihres Deutschseins vermeintlich rassistisch motivierter Gewalt durch ihre wahlweise als muslimisch, türkisch-stämmig oder arabisch gelabelten Klassenkamerad_innen erleiden müssen. Fakten, Analysen von Strukturen und Fragen nach den Positionen der Beteiligten in gesamtgesellschaftlichen Hierarchien gehören selbstredend nicht zum Repertoire der vermeintlichen Tabubrecher_innen. Dass allein schon die Einteilung der Gesellschaft mittels der Attribute Deutsch und Nicht-Deutsch die Verteilung der Privilegien unwiderruflich manifestiert, will den Sarrazin-Grouppies nicht in den Kopf gehen. Alltägliche Diskriminierung bei Job-und Wohnungssuche und die Erfahrung von Abschiebung bedroht und von Behörden schikaniert zu werden, gehört schließlich nicht zur Lebenswelt dieser Chauvinist_innen, sie ist aber dennoch bestimmendes Prinzip einer rassistisch strukturierten deutschen Gesellschaft. Die schmerzliche gesellschaftliche Wirklichkeit muss zurücktreten, wenn die deutsche Mehrheitsgesellschaft sich ihrer eigenen Fortschrittlichkeit und Aufgeklärtheit versichert, indem sie die Rückständigkeit und Bedrohlichkeit im fremden Anderen findet und festschreibt. Der aufgemachte Gegensatz zwischen uns und denen, egal ob er kulturell oder anders begründet wird, ermöglicht es eine Vielzahl gesellschaftlicher Probleme auf die als fremd definierte Gruppe auszulagern.

Regelmäßig Hochkultur hat dieses Phänomen, wenn eine neue Terrorwarnung das Licht der Welt erblickt und möglicherweise bevorstehende Terroranschläge ankündigt. Unabhängig davon, dass in der BRD bisher keine dieser Warnungen Wirklichkeit geworden ist, bleibt das Gefühl der abstrakten Bedrohung. In Ermangelung an greifbaren Adressat_innen muss der Islam bzw. konkreter muslimisch Migrant_innen, als das Andere, als personifizierte Terrorgefahr herhalten. Statt die dem Terror von Al-Qaida zu Grunde liegende reaktionäre Politideologie des Islamismus zu kritisieren, verortet das gesunde Volksempfinden angefeuert von rechten Ideolog_innen wie Thilo Sarrazin, die Gefahr in der als Fremde im Inneren wahrgenommenen muslimischen Minderheit. Eine Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus vorzunehmen, wird in diesem Zusammenhang nicht ein Mal versucht. Im Vordergrund steht die Markierung des kulturell Fremden, welches es abzulehnen gilt. Äußerungen wie kürzlich die des Berliner Innensenators Ehrhart Körting, der dazu aufforderte nach „seltsamen Menschen“ in der Nachbarschaft zu suchen, die noch dazu eine „Fremdsprache“ sprechen, um sie dann bei der Polizei zu denunzieren, tun ihr Übriges.5 So sind Anschläge wie die auf Moscheen in Neukölln letztendlich das zugespitzt Ergebnis eines Diskurses, der seinen Ursprung in der sogenannten Mitte der Gesellschaft hat. So können sich die Täter_innen, ob organisierte Neonazis oder andere deutsche Rassist_innen, als das präsentieren, als das sie sich fühlen, als Vollstrecker_innen des Volkswillens. Eine linksradikale Kritik, darf sich jedoch nicht mit der Verurteilung rassistischer Anschläge und der Benennung ihnen zu Grunde liegender Debatten zufrieden geben. Sie muss eine Gesellschaft zum Ziel haben, die das zutiefst antimoderne Konzept der Definition von Individuen über ihre vermeintliche Kultur oder Religion überwindet und in der die Errungenschaften der Aufklärung verwirklicht sind: Die Autonomie des Einzelnen und gleiche, universelle Rechte für alle in einer freien Gesellschaft.

Fussnoten:
1 www.zeit.de
2 www.uni-muenster.de
3 Rede von Bundespräsident Christian Wulff anlässlich des 20. Jahrestages des Beitritts der DDR zum Geltungsbereichs des Grundgesetzes : www.faz.de
4 Der damalige Bundesarbeitsminister Franz Müntefering in einer Sitzung des SPD-Bundestagsfraktion im Mai 2006: www.zeit.de
5 Ehrhart Körting am 17.11.10 im Interview mit der rbb-Abendschau: www.welt.de

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@antifawatch — jojo

Ach A.N.A.... — Anton

das problem ist... — ulla schmidt