Antifa in Bogotá (Kolumbien)

Schikane 04.12.2010 22:23 Themen: Antifa Weltweit
Anbei soll ein kurzer Ueberblick ueber Naziaktivitaeten und die Antifa-Szene in Bogotá (Kolumbien) erfolgen. Nach verschiedenen Angriffen in den letzten Monaten findet nun dieses Wochenende ein grosses Antifa-Treffen zur Planung und Vernetzung, aber auch mit kulturellen Angeboten statt.
In den letzten Monaten haben sich die Angriffe von Neonazis auf alternative Jugendliche, Migranten und sozial-schwache Menschen gehaeuft. So kam es am Abend des 18. September zum wiederholten Male zu einer Attacke von Neonazis mit Messern und Knueppeln auf Jugendliche. In einigen Medien kam es daraufhin zu einer oeffentlichen Auseinandersetzung, sonst findet das Thema in den Medien kaum Beachtung und wird sogar von oeffentlichen Stellen totgeschwiegen. Das Bogotá aber durchaus ein Problem mit Neonazis hat, zeigen jedoch die Attacken in den letzten Monaten.
Nach dem Angriff in Fontibón Ende September gab es in der Gemeinde Beschwerden, dass die Polizei nicht schnell genug reagieren wuerde und sie ausserdem das Thema verharmlost. Schon vorher gab es in dem neunten Bezirk, zu dem Fontibón gehoert, Stimmen von Jugendorganisationen und Gemeindevertretern, die ihre Besorgnis darueber aeusserten. In einer Sitzung des Komitees fuer den Schutz der Menschenrechte mit Vertretern der Regierung wurde verlangt Stellung zu beziehen und die Beschoenigungen, gerade der Polizei, zu unterbinden.
Aktionen und Einschuechterungen von Mitgliedern der Gruppen wie “Tercera Fuerza” (Dritte Kraft) oder “Unión Nacionalsocialista de Colombia-UNSC” (Vereinigung der Nationalsozialisten von Kolumbien) sind konstant. Beide Gruppen ziehen junge Leute aufgrund ihrer Aktivitaeten und Erlebniosorientiertheit an. Ihre Ideologie ist der Antrieb zu Angriffe auf Migranten, Linke und Schwule/Lesben/Transgender. Besonders gefaehrdet sind Personen mit klar erkennbarem Migrationshintergrund wie Black People, aber auch politisch engagierte Menschen und Jugendliche, die nicht in ihr Weltbild passen. Viertel und Distrikte, in denen die Neonazis zur Zeit viele junge Personen rekrutieren koennen sind Kennedy, Bosa, Fontibón und das Zentrum der Stadt. Aber auch der Norden, also die Gegenden der „Besserverdienenden“, sollen teilweise gefaehrlich sein. Auesserlich sind ein Teil der Neonazis klar erkennbar und aehneln dem Aussehen der Nazis und Skinheads der 90er Jahre in Deutschland. Verschiedene Formen der Swastika und Aufnaeher mit eindeutigen Zahlenkombinationen wie “88” gehoeren zur Grundausstattung. Allerdings gibt es in Bogotá auch eine Rash-Szene, also antifaschistische Skinhaeds, die jedoch aeusserlich durch alternativeres Aussehen und antifaschistischen Symboliken wie Aufnaehern oder Buttons auffallen.
Aufgrund ihrem provokativem Verhalten und ihrer vermeintlichen “Staerke” koennen Neonazis immer wieder junge Menschen begeistern, die dies haeufig als eine Protestform gegen bestehende Normen und Werte betrachten.
Aufmerksamkeit haben Neonazigruppen mit ihren Aktionen der “sozialen Saeuberungen” bekommen, in denen sie in den Strassen der Viertel sozial schwache Personen und Obdachlose angreifen und vertreiben. Bei Teilen der Bevoelkerung koennen sie damit sogar punkten, denn Armut und soziale Ungleichheit sind ein grosses Problem und beides wiederum steht im Zusammenhang mit Kriminalitaet und Unsicherheit. Aber auch Sprecher_innen der sozialen Bewegungen, Gewerkschafter_innen und Antifas sind seit Jahren Ziele der politischen Angriffe und Stoerungen. Des Weiteren haben Neonazis auch an Demonstrationen teilgenommen und ihre Praesenz besonders in Wahlkampfzeiten ausgebaut. Beliebt sind Demonstrationen gegen die FARC-EP, wo sie mit Parolen und Transparenten gegen die Guerrilla, gegen Hugo Chavez und gegen den Kommunismus im Allgemeinen auftauchen. Von der Gruppe “Tercera Fuerza” wurden aber auch selber Maersche organisiert, so zum Beispiel der “Marcha Mundial contra Hugo Chavez”. Bei diesen Demonstrationen wurde sich auch mit dem Ex-Praesidenten Uribe solidarisiert. Im August 2009 fand ausserdem ein Konzert von Neonazis in Bogotá-Chapinero zu Ehren des Todestages von Rudolf Hess statt. Das Konzert wurde von der Gruppe “Tercera Fuerza” als “Viertes Rudolf Hess Fest” beworben. Aufgedeckt wurde das Konzert vom Wiesenthal-Zentrum in Argentinien, was dann umgehend Besorgnis in der Stadt ausloeste. Bereits zuvor gab es im Juli ein Festival mit dem Namen “FUCK – Fuerzas Unidas contra el Komunismo”. Konzerte und Festivals sind also keine Seltenheit und finden in regelmaessigen Abstaenden statt. Oft muessen die Neonazis aber mit Gegenwehr oertlicher Antifaschist_innen rechnen. In den letzten Jahren organisierten diese sich in den Gruppen “R.a.s.h. Bogotá”, “S.h.a.r.p. Bogotá” und in der “Coordinadora Antifascista Bogotana”. Andere Betatigungsfelder der Neonazis sind Schulungen, Treffen im Umland von Bogotá fuer Gelaendespiele und Provokationen am Rand von Veranstaltungen, wo sie erwarten auf ihre Gegner zu treffen.
Eine andere Gruppe, die ihr Betaetigungfeld aber eher in der politischen Agitation sieht, ist das “Movimiento Vanguardia Nacional”. Sie berufen sich zwar auf durchaus sozialistische Ideen, die aber mit einem nationalistischen Denken und erzkonservativen Werten gepaart werden. Ausserdem spricht sich das “MVN” gegen Zuwanderung aus.
Vor einigen Wochen erschien dann eine Erstausgabe einer Zeitschrift der extremen Rechten, in der Studierende und Professoren denunziert werden, die angeblich mit der Guerilla in Verbindung stehen sollen. Teilweise werden Fotos von den Personen veroeffentlicht, hauptsaechlich geht es aber darum, auf ziemlich makabre Art und Weise die Universitaeten als Brutstaetten des Terrors zu outen. Die Zeitung mit dem Namen „B1“ ist sehr professionell gemacht und kommt wohl auch aus dem universitaeren Umfeld, bzw. dem Spitzelsystem der aktuellen Regierung, die eine grosse Naehe zur Rechten und zu den Paramilitaers pflegt.

Im Zuge der Auseinandersetzung der letzten Wochen findet nun ein spuerbarer Ruck in der alternativen und antifaschistischen Szene statt. Demonstrationen und Angriffe auf Nazi-Konzerte oder –Veranstaltungen sind schon immer Teil der Antifa-Aktivitaeten. Doch nun findet zum ersten Mal an diesem Wochenende ein groesseres Netzwerktreffen statt.
Antifa-Demonstrationen dienen haeufig als Aktionsform fuer Vernetzung, Zusammenhalt und Agitation. Neben der obligatorischen grossen 1.Mai-Demonstration gibt es auch immer wieder Antifa-Demos, wie im letzten Monat. Hierzu ein kurzer Erlebnisbericht:

Das Wetter wollte allerdings nicht so recht meine freudige Stimmung teilen, naja, warum auch, ist ja schliesslich Regenzeit. Durchnaesst kam ich dann am Treffpunkt an, wo auch schon die ersten szenezugehoerigen Jugendlichen mit Transparenten rumhingen. Nach und nach trudelten meine Begleitpersonen und viele andere Teilnehmende ein. Der Regen wollte noch immer nicht aufhoeren, sonst stoert mich dies eigentlich auch nicht sonderlich, aber bis der Marsch losging, sollte noch viel Zeit vergehen. Zwischendurch liessen sich Mediatoren blicken, die bei Demonstrationen und Kundgebungen im Auftrag der Stadt bei Problemen mit der Polizei schlichten sollen. Nach fast anderthalb Stunden und mehrmaligen Aufstellen in verschiedenen Bloecken ging es dann mit Fackeln, Parolen und Transparenten los. Wuerde mensch die Transparente weglassen, dann haette es durchaus auch ein anderes Bild abgeben koennen. Fackeln haben ja, zumindest in Deutschland, aufgrund des historischen Kontextes eine etwas andere Bedeutung. Naja, und Skinheads waren auch sehr viele dabei. Ein Grossteil der Antifa-Bewegung setzt sich aus RASH-Skinheads zusammen, klassische autonome Antifas aus anderen Subkulturen, von Punks mal abgesehen, gibt es nicht. Und irgendwie ist das ja auch schluessig, denn Fussball, Erlebnisorientiertheit, Gewalt und Politik passen hier in einer maennerdominierten Gesellschaft ganz gut zusammen.
Jedenfalls zog dieser Antifa-Marsch, der wird von den Organisatoren uebrigens selber so bezeichnet, auf dem Buergersteig los. Der Marsch bewegte sich nicht etwa auf der Strasse, sondern draengelte sich an den einkaufenden und flanierenden Menschen vorbei. Welch merkwuerdige Situation. Obwohl aufgrund der Zahl der Teilnehmenden (etwa 300) bestimmt auch die Strasse moeglich gewesen waere. So blieb die Aussenwirkung eher mau.
Spaeter wurde dann doch noch die Strasse genutzt, aber nur, weil jeden Freitag die “Septima” so oder so fuer den Autoverkehr gesperrt und fuer flanierende und feiernde Menschen freigegeben wird. Ingesamt haben viele junge Personen an dem Marsch teilgenommen. Vielleicht auch passend dazu wurden Flyer verteilt, in der sich kritisch mit der Modeerscheinung Antifa auseinandergesetzt wurde. Die Polizei hielt sich stark zurueck und Gegenaktivitaeten, wie sie manchmal ueblich sind, gab es auch keine.


Marke Antifa?
In letzter Zeit gab es eine Welle von Antifa-Gruppen, die danach strebten, den “wahren” Antifaschismus ausleben zu wollen, so, als haetten sie die Markenrechte dafuer. Zu diesem Antifaschismus gehoerte es aber, so viel wie moeglich zu konsumieren, dass heisst, Kleidung bestimmter Marken (Alfa, Londsdale), CD´s, Pins und Aufnaeher zu kaufen, um sich nach Aussen praesentieren zu koennen. Deshalb wurde nun Kritik daran laut, dass sich diese Gruppen von den eigentlichen Zielen und auch Subkulturen entfernen.

RASH
RASH (Red and Anarchist Skinheads) gibt es in Bogotá seit den 90er Jahren. Bei den RASH-Skins dominieren hier die klassischen Redskins. Von den RASH-Skins wurde das Fanzine “Perro Rojo” (Roter Hund) herausgegeben. Ausserdem war die Gruppe fuer das Entstehen verschiedener Antifa-Gruppen wie, “Coordinadora Antifascista de Bogotá”, “Grupo Antifascista de Bogotá” und “Brigadas Antifascistas” verantwortlich. Die meisten Mitglieder sind unter 25 Jahre alt.

Antifa!
In Bogotá gibt es in vielen Stadtteilen Gruppen von verschiedenen Subkulturen, die durchaus als “links” bezeichnet werden koennen. Demzufolge gibt es natuerlich auch Gruppen, die sich explizit als Antifas bezeichnen. Neben den RASH-Skins, der “Coordinadora Antifascista”, dem “Movimiento Unido Antifascista” und den “Brigadas Antifascistas Bogotá”, die eher als Plattformen gelten, gibt es auch regionale Gruppen, wie im Norden von Bogotá, in Suba oder in Kennedy. In diesen Gruppen sind meist Jugendliche zu finden und das Ausleben der Antifa-Kultur steht im Vordergrund, eine klassische politische Arbeit findet nur selten statt. Doch gehoeren zu den Aktionsformen auch das Verhindern von Nazi-Treffen und –Veranstaltungen, Agitation und das Organisieren von Konzerten und Info-Veranstaltungen.

Koordination
In Bogotá gibt es Versuche, die verschiedenen Cliquen und Gruppen, die Antifa-Arbeit machen, zu koordinieren, zu buendeln und somit zu staerken. Das Projekt mit dem Namen “Coordinadora de ContraCultura Popular” strebt eine Zusammenarbeit mit allen Gruppen und Personen an, wobei die Autonomie der Kollektive natuerlich bestehen bleibt. Hierzu findet aktuell (4. und 5. Dezember) ein grosses antifaschistisches Treffen (Encuentro Multicultural y Popular Contra el Fascismo) in Bogotá statt.
Themen wie Antifa und Vernetzung stehen bei dem Treffen im Vordergrund. Hierzu gibt es zwei Arbeitsbereiche, einen auf nationaler Ebene und ein Bereich beschaeftigt sich mit der Thematik auf der lokalen Ebene. Den Tag ueber finden ebenso Vortraege zu politischen und sozialen Themen statt. Heute und Morgen Abend finden ausserdem Konzerte mit verschiedenen Bands (Punk, Ska, HC, Oi, HipHop) statt.

Links
RASH Bogotá:  http://rashbta.org/
Coordinadora Antifascista Bogotá:  http://www.myspace.com/cafbogota
Antifa Bogotá:  http://antifabogota.wordpress.com/
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Ergänzungen