Die Phantompartei von Rechts – Ist da was dran?

Brandsaetze.blogsport.de 05.11.2010 20:03 Themen: Antifa Antirassismus
Ein Gespenst geht umher, es ist das Gespenst einer bundesweit erfolgreichen Partei rechts von der Union. Die Medien schrieben diese Partei in den vergangenen Wochen ja schon fast herbei. Da wird munter spekuliert, wer mitmachen könnte (Merz, Steinbach, …) und immer wieder wird verwundert auf die Nachbarländer geschaut, weil da landesweit extrem rechte Parteiformationen teilweise schon länger Realität sind (Front National, Geert Wilders PVV, Vlaams Belang in Flandern, Lega Nord in Norditalien).
Eine „Sarrazinpartei“, wie die Geisterpartei im Überschwang getauft wurde, könnte es auf knapp 20% bringen so ergaben Umfragen. Diese Zahl entspricht so ziemlich genau der Zahl von Menschen in Deutschland, die laut der Heitmeyer-Studie ein stark rechtes Weltbild aufweisen.

Nun wurde erst unlängst in Berlin eine Partei mit dem Namen „Die Freiheit – Partei für mehr Freiheit und Demokratie“ gegründet. Gründungsmitglieder sind René Stadtkewitz (ein abtrünniger Berliner CDU-Abgeordneter), Marc Doll (war im Vorstand eines Berliner CDU-Ortsverbands aktiv) und Stefan „Aaron“ Koenig (ein ehemaliger Funktionär der Piratenpartei). Das bestimmende Thema von „Die Freiheit“ ist, ähnlich wie bei Sarrazin, die Hetze gegen Muslime. Es ist gut möglich, dass diese Partei „Die Freiheit“ bei den nächsten Wahlen in Berlin die 5%-Hürde überschreitet, aber nicht sicher. Denn die rechtspopulistische Pro-Bewegung und sicher auch die NPD werden antreten und sich so gegenseitig die Stimmen wegnehmen.

*** Blick zurück: die erfolglosen bundesweiten Versuche ***
Nun gab es unzählige Versuche rechts von der Union eine Partei zu etablieren, doch keiner war bisher bundesweit erfolgreich. Frühere Versuche, dass waren u.a. die Republikaner (REPs), der „Bund freier Bürger“ (BfB), die „Partei Rechtsstaatlicher Offensive“ bzw. Schillpartei, ProDM und viele andere mehr. Hier ein kleiner Rückblick auf vier solcher Versuche.

Das Autorenduo Martin Dietzsch und Anton Maegerle nennt den BfB den (misslungenen) „Versuch, in der Bundesrepublik Deutschland einen Ableger von Haiders FPÖ zu etablieren“.
Der BfB wurde im Januar 1994 von Manfred Brunner gegründet, der bis 1993 Mitglied der FDP war und von 1983 bis 1988 FDP-Landesvorsitzender von Bayern. Mit dem Nationalliberalen Heiner Kappel, einem ehemaligen hessischen FDP-Landtagsabgeordneten, wechselte ein weiterer FDP-Funktionär zum BfB über. Der BfB kann daher auch als nationalliberale Abspaltung von der FDP gesehen werden. Trotz der Unterstützung von Jörg Haider und seiner FPÖ erhielt der BfB bei der Europawahl im Juni 1994 nur 1,1 % der Stimmen. Auch später schaffte es der BfB nie sich ernsthaft der 5%-Hürde zu nähern und das obwohl allerhand Honoratioren (z.B. mehrere Professoren) sich für den BfB engagierten. Offenbar gelang u.a. dem intellektuellen Personal nicht der Schulterschluss mit dem einfachen Wahlvolk. Auch die stark (neo)liberale Wirtschaftsausrichtung könnte viele abgeschreckt haben, die den Wohlfahrtsstaat schätzen.

Die 1993 gegründete STATT-Partei war von Anfang an populistisch, aber konnte (damals) nicht einfach zur extremen Rechten gezählt werden. Sie übte eine populistische Kritik am „Parteienstaat“ und erhielt 1993 in Hamburg 5,6% aller Stimmen. Nach diesem Wahlsieg kooperierte sie mit der SPD. Die 1994 versuchte Ausweitung auf die gesamte Bundesrepublik scheiterte und nach dem Wahlerfolg der Schillpartei 2001 in Hamburg traten viele STATT-Parteiler zu Schill über.

Die „Partei Rechtsstaatlicher Offensive“ oder Schillpartei wurde 2000 in Hamburg als rechte Law&Order-Partei von Ronald Schill (Spitznamen: „Haider von der Elbe“, „Richter Gnadenlos“) gegründet. Sie wahrte anfangs organisatorische Distanz zur extremen Rechten, errang (u.a. durch eine kostenlose positive Berichterstattung der Lokalpresse) 2001 knapp 20% der Stimmen in Hamburg und bildete eine Koalition mit CDU und FDP. Im Überschwang dieses lokalen Erfolges versuchte die Schillpartei bundesweit zu expandieren und zog damit auch die üblichen Galgenvögel an, was zu Turbulenzen und negativen Schlagzeilen führte. Bei der Bundestagswahl scheiterten die Rechtsstaatlichen aber vor allem durch ihre geringen bundesweiten Strukturen und die nicht vorhandene mediale Begleitmusik. Ronald Schill überwarf sich durch seine Egotrips mit seiner eigenen Partei und trat aus. Bei der nächsten Wahl in Hamburg scheiterten sowohl Schill, der sich mit ProDM verbündet hatte, als auch die Reste der „Partei Rechtsstaatlicher Offensive“.

Die Partei „Die Republikaner“ war wohl seit der (alten) NPD die erfolgreichste extrem rechte Partei in der Bundesrepublik seit Ende der Nachkriegszeit, aber anders als die NPD rekrutierten sich die REPs nur zu einem Teil aus der traditionellen Rechten. Der Autor Claus Leggewie zeigt in seinem inzwischen 30 Jahre alten Buch „Die Republikaner. Ein Phantom nimmt Gestalt an“ (Berlin, 1990) überzeugend auf, dass die REPs vor allem eine Art Radikalisierung des Extremismus der Mitte waren („REPs, das sind Herr und Frau Nachbarin!“) und insbesondere eine Art CSU-Plagiat darstellten.
Mit ihrem Gründer und Vorsitzenden Franz Schönhuber hatten die REPs einen Medienprofi als Chef, der gleichzeitig auch wusste wie man ein Bierzelt-Publikum aufhetzt. Innerparteiliche Machtkämpfe führten aber dazu, dass Schönhuber die Partei verließ.
Die REPs zerlegten sich nach Schönhubers Weggang und den immer schlechteren Ergebnissen selbst. Heute stellen sie nur noch einen Schatten ihres einstigen Erfolges dar. Der Versuch sich als eine Art „grundgesetztreue Nazis“, so die Beschreibung eines Bekannten, zu etablieren hat ihnen da auch nicht weitergeholfen.
Heute finden sich viele ehemalige REPs bei der rechtspopulistischen Pro-Bewegung wieder, die den REPs sehr gleicht, allerdings mit ihrer Antimuslimischen Agitation ein neues Hauptthemenfeld hat. Inzwischen haben sich die REPs und ihre verlorenen Söhne von der Pro-Bewegung angenähert und planen zukünftig zusammenzuarbeiten. Ob das den anhaltenden Zerfall der REPs oder die fehlende Erfolglosigkeit der Pro-Bewegung aufhalten wird ist fraglich.

*** Lokal durchaus erfolgreich ***
Die Erfolglosigkeit für Rechtsaußenparteien gilt aber nur für das gesamte Bundesgebiet. Extrem rechten Parteien gelang es immer wieder auf Landesebene oder darunter Sitze zu erringen.
Beispiele wären die neonazistische NPD (Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und zahlreiche Kommunen), die altbacken-deutschnationale DVU (Sachsen Anhalt, Brandenburg), die rassistische Republikaner-Partei (u.a. Baden-Württemberg, Berlin etc., diverse Kommunen aber mit abnehmender Tendenz), die rechtspopulistische Pro-Bewegung (diverse Kommunen wie Köln, mit zunehmender Tendenz), die rechtspopulistische Wählerformation „Bürger in Wut“ (Bremen), das „Bündnis Arbeit, Familie, Vaterland“ des CDU-Abtrünnigen Henry Nitzsche (Kreis Bautzen in Sachsen) oder die rechtskonservative DSU (diverse Kommunen in Sachsen, aber mit abnehmender Tendenz).
Diese Beispiele beweisen, dass es prinzipiell möglich ist das rechte Wählerpotenzial zumindest auf der Ebene unterhalb des Bundestages zu wecken.

Diese räumlich begrenzten Wahlerfolge rechts von der CDU werden von Experten damit erklärt, dass (A) nur die als unwichtiger erscheinenden Landtagswahlen, Kommunal- und Europawahlen immer wieder als Ventile zur Erteilung von „Denkzetteln“ genutzt werden und dass (B) es bundesweite Projekte in Deutschland durch den Föderalismus und die vielfach regionalisierte (Medien-)Öffentlichkeit schwerer haben bundesweit wahr genommen zu werden.

*** Zur Erfolglosigkeit (bundesweit) verdammt – Woran liegts? ***
In dem Sammelband „Populismus in Europa“ (Bonn, 2006) herausgegeben von Frank Decker werden vor allem rechtspopulistische Parteien in Europa analysiert und miteinander verglichen. Es wird auch analysiert warum in Deutschland rechtspopulistische Projekte so erfolglos waren. Dazu analysiert der Autor des Deutschland-Kapitels die STATT-Partei, die Republikaner, den „Bund freier Bürger“, die Schill-Partei und das „Projekt 18“ von Jürgen W. Möllemann in NRW (dem bescheinigt der Autor aber kein echter Rechtspopulist zu sein.).
Gründe für das Scheitern des Rechtspopulismus in Deutschland sieht der Autor im Fehlen einer charismatischen Persönlichkeit, Ausnahme: Schönhuber und zeitweilig Schill, und die Sogwirkung neuer, selbst gemäßigt rechtspopulistischer Wahlformationen auf extrem rechte Personen.
Doch bei genauer Betrachtung lassen sich noch weitere Gründe für diese Erfolglosigkeit finden.
So lassen im Wesentlichen sieben Gründe für das Scheitern einer Partei rechts von der Union ausmachen:

1. Der Trottelmagnet
Der Parteiforscher Jürgen Falter meinte unlängst in einem Interview, eine „Sarrazin-Partei wäre [eine] Attraktion für Spinner aller Couleur.“
Es ist stimmt, die extreme Rechte in Deutschland ist zerstritten wie nirgends eine Rechte sonst und alle warten sie auf den Zug; auf den sie aufspringen und endlich mitfahren können. Nur ein Teil der extremen Rechten hat sich der NPD angeschlossen, einmal weil viele aus Überzeugung oder politischen Kalkül heraus deren unverhohlenen NS-Bezug nicht mögen, zum anderen aus persönlichen Gründen. Auch überzeugte Neonazis haben die NPD wieder verlassen, weil sie das Opfer von Intrigen und Machtspielen wurden. Daneben gibt es auch noch parteifreie Neonazis, die der NPD vorwerfen zu wenig Systemfeind und zuviel Systempartei zu sein.
Ein neue Rechtspartei mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg erzeugt immer ein „Jetzt geht’s endlich los“-Gefühl bei den vielen im parteifreien Raum umherschwirrenden rechten Spinnern und Chaoten. Diese sind erstens nicht in der Lage sich unterzuordnen und haben zweitens angreifbare Biografien und obskure Hobbys. Es ist immer peinlich wenn ein altes Foto vom Spitzenkandidat auftaucht, wie er unter einer Hakenkreuzflagge sitzt oder wenn herauskommt, dass ein Kandidat an die Welteislehre glaubt oder mit Bärenfell bekleidet in den Wäldern ums Feuer tanzt. Wenn dann auch noch ein Kinderpornografie-Liebhaber in einer rechten Law&Order-Partei oder gar in einer Partei, die die „Todesstrafe für Kinderschänder“ fordert (NPD), auffliegt, wird es schnell peinlich.
Da viele der Neu-Zuflüsse auch noch Egomanen mit dem Glauben sind, sie wüssten am besten wo es langgeht oder wären der am besten geeignete Partei-Häuptling, ist das Scheitern schnell vorprogrammiert. Der größte Egomane ist nicht selten der oder die Parteivorsitzende selbst und schon so mancher Partei-Versuch ist am autokratischen Gehabe des oder der Vorsitzenden gescheiter. Beispiele wären Gabriele Pauli oder Ronald Schill. Auf kleinerer Ebene sind daran schon unzählige Ortsverbände zerbrochen.
Trotzdem sind kleine Parteien wegen ihres Personalmangels auf jede und jeden angewiesen, so kommen auch skurrile Personen schnell mal zu einem vorderen Kandidatenplatz.
Selbst die Piratenpartei mit ihrem postideologischen Konzept (nicht links, nicht rechts, sondern für die Bürgerrechte) haben einige Rechte angezogen wie das Licht die Motten.

2. (sympathisierende) Begleitung durch die Mainstreammedien
Wenn die Mainstreammedien nicht berichten, dann nützt der charismatischste Kandidat nichts. Es muss eine gewisse Aufmerksamkeit der Medien geben. Eine direkte Unterstützung der Boulevard-Presse ist wünschenswert, aber nicht notwendig. Aufmerksamkeit an sich reicht auch schon. Zwar ist es generell gut, wenn die Journalisten kritisch über Aktivitäten von Rechtsaußen berichten und nicht wegschauen, aber es verstärkt die Wahrnehmung der WählerInnen, dass es eine Alternative gibt. Die Anklage, dass die und die rechte Partei für Rassismus steht, ist in den Augen der durchschnittlichen Umfrage-Rassisten natürlich keine Anklage, sondern eine Wahlempfehlung. Für andere ist die negative Berichterstattung der Beleg, dass die Wahl dieser Partei genau das richtige ist um „denen da oben“ eins auszuwischen. Daran orientiert(e) sich auch die Anti-Establishment-Schelte von rechtspopulistischen Politikern wie Haider, die sich erfolgreich als Vertreter des kleinen Mannes darstellen konnten.

3. das Schrumpfen der traditionalistischen Milieus
In anderen Ländern sind die traditionalistischen Milieus wohl größer als in Deutschland. Hierzulande sind sie scheinbar schneller geschrumpft als anderswo. Wenn konservativ-klerikale AbtreibungsgegnerInnen „Märsche für das Leben“ organisieren kommen in nach ihren jeweiligen Eigenangaben in Madrid 1.200.000-1.500.000 (24.10.09), in Paris 20.000 (17.01.10), in Warschau
6.000 (30.05.10) aber in Berlin nur 1.500-1.800 (18.09.10) Menschen zusammen, um auf die Straßen zu gehen.
Dass heißt in der Bundesrepublik sind die religiös-konservative Wählerschaft vermutlich dünner gesät als in anderen Ländern. Eine potenzielle Rechtspartei könnte hier mit einem traditionell rechtskonservativen Thema wie „Lebensschutz“ (Antiabtreibung) wohl nicht besonders viele WählerInnen gewinnen.
Die auch in Deutschland erstarkende Strömung der Evangelikalen (protestantische Fundamentalisten), könnte hier ein neues Wählerreservoir darstellen. Evangelikale sind aber meist sehr israelfreundlich und üben sich eher in einem Deutschland-Patriotismus denn in einem völkischen Deutschnationalismus. Eine rechtskonservative Partei, die auf die evangelikalen Stimmen schielt, dürfte also nicht antisemitisch oder allzusehr völkisch ausgerichtet sein bzw. auftreten.

4. Der Schatten Hitlers
Rechtsaußenparteien müssen ihr Verhältnis zur Vergangenheit bestimmen. Wie jede nationalistische Gruppierung versuchen sie möglichst viel Positives und möglichst wenig Negatives in der Vergangenheit ihres Landes auszumachen. Doch in Deutschland gibt es eine bestimmte dunkle Epoche, die es in dieser radikalen Form mit ihren millionenfach tödlichen Opfern nirgendwo sonst gegeben hat. Auch nicht-neonazistische Rechtsaußen-Parteien stolpern bei der Bestimmung ihres Verhältnisses zum „Dritten Reich“ häufig. Es wären keine Rechte, wenn sie in diesen zwölf Jahren nicht auch irgendetwas Positives zu finden vermeinen. Da ist dann vielleicht nicht die SS toll, aber die Wehrmacht war zumindest keine Verbrecherarmee. Das ist der Versuch Teile des Nationalsozialismus (Armee, Autobahnen, Kunst ala Breker usw.) zu entpolitisieren und zu entnazifizieren, um sie dann in eine positive Retrospektive auf die deutsche Vergangenheit zu integrieren. Eine kritische und aufmerksame (Medien-)Öffentlichkeit bemerkt diese Versuche aber schnell und skandalisiert sie zu Recht.

5. Ressourcen
Eine bundesweit erfolgreiche Rechtspartei müsste über allerhand Ressourcen verfolgen. Sie bräuchte Geld, fähige Funktionäre und eine Präsens an vielen Orten, die über ein Postfach hinaus geht. Gut wäre auch ein Partei-Organ oder ein nahestehendes Organ, dass für die Begleitmusik sorgt. Hier würde sich die strammrechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“ aus Berlin anbieten, die sowieso schon mehrere Rechtspartei-Versuche wohlwollend publizistisch begleitet hat (REPs, BfB, teilweise Pro-Bewegung).
Ohne Geld geht trotzdem überhaupt nichts, mit Geld aber umso mehr. Wenn eine großzügige Plakatierung und millionenfache Postsendungen erfolgen, dann kann sogar eine Phantompartei wie die DVU es schaffen in einen Landtag einzuziehen wie die Beispiele Brandenburg und Sachsen-Anhalt gezeigt haben.
Der Einsatz von Wahlkampf-Mitteln und die Aufstellung von Kandidaten muss natürlich auch von fähigen Leuten organisiert werden Bei einem organisatorischen Unvermögen nützt das höchste Budget nichts.

6. Es fehlt ein Führer! Gottseidank!
Es fehlte den Rechtsparteien in Deutschland fast immer eine Person mit Charisma, möglichst noch eine aus ihrem Leben vor der Politik prominente Persönlichkeit. Österreich hat den smarten Austrofaschisten Strache und vorher Haider, die Niederlande haben den Moslemfresser Geert Wilders und Frankreich hat den Langzeit-Rechtspopulisten Le Pen.
Eine Ausnahme war in Deutschland der ehemalige Fernsehmoderator und Franz Schönhuber und zeitweise Ronald Schill in Hamburg.
Doch es geht auch generell ohne kleinen Führer, wie z.B. die NPD mit ihren biederbürgerlichen-schnarchlangweiligen Kandidaten in Sachsen gezeigt hat.

7. Antifaschistische Gegenwehr
In Deutschland gab es in der Nachkriegs-Generationen unter vielen Menschen das Credo „Nie wieder!“, dass dazu führte rechte Parteineugründungen besonders kritisch wahrzunehmen und so einem Projekt aktiv entgegen zu arbeiten. Die Bundesrepublik ist sicher nicht insgesamt antifaschistischer als andere Staaten, aber durch die spezielle deutsche Vergangenheit ist die politische Rechte hier stärker diffamiert und isoliert. Die Rechten sehen hinter der starken Medienkritik an ihren Partei-Versuchen häufig so etwas wie eine linke Meinungshegemonie. Der Fall Sarrazin zeigt, dass das ein Hirngespinst ist. Auch die Behauptung mit einer Nazi-Keule würde auf Rechte eingeprügelt, die gar nicht „Nazi“ sein ist nicht richtig. Ein Rechtskonservativer und ein 100%iger Neonationalsozialist können sich durchaus in vielen Punkten (Wehrmachts-Apologie, Rassismus, Antiamerikanismus, …) einig sein, in anderen wiederum nicht.
Auf diese Übergänge und Ähnlichkeiten in den politischen Zielen und Vorstellungen aufmerksam zu machen und sie zu kritisieren ist überaus wichtig. Wenn ein Mensch wie mit Thilo Sarrazin mit SPD-Parteibuch sich rassistisch äußert und sich stellenweise anhört wie ein NPD-Funktionär, verdient das dieselbe Kritik und denselben Protest. Das Parteibuch einer etablierten Partei darf kein Schutzschild darstellen.

Es gibt aber neben einer Parteigründung noch drei weitere Optionen für (extreme) Rechte Einfluss auf die Politik zu nehmen.

*** Die APO-Option: Eine deutsche Teaparty ***
In den Vereinigten Staaten ist es den Rechten gelungen innerhalb von einem Jahr eine riesige, aber sehr heterogene Graswurzelbewegung namens „Tea-Party“ zu installieren und eine rechte Kulturrevolution zu starten. Obwohl die Teaparty massiv Einfluss auf ihr nahestehende Flügel der Republikaner nimmt, ist sie eine Art „Außerparlamentarischer Fraktion“.
In Deutschland ist dergleichen nicht absehbar. Kein Wunder, bei den enormen Unterschieden zu den USA. Hier gibt es keine rechten Groß-Medien wie „Fox News“, keine starke evangelikale Rechte, kein einigendes Feindbild wie Obama und hier würden sich auch nicht ärmere Schichten mobilisieren lassen mit der Forderung, dass das Sozialsystem abgeschafft gehöre.

Den Ansatz zu einer Art rechten Graswurzelbewegung in der Bundesrepublik bildeten einmal die Lesezirkel der neurechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“, die 1992 bis 1994 gegründet wurden. Damals existierte bundesweit ein Kapillarsystem von rechten Lese- und Diskussionszirkeln. Es gab damals solche Zirkel u.a. in: Berlin, Karlsruhe, Mainz/Wiesbaden, Mannheim, Braunschweig, Hamburg, Hannover, im Ruhrgebiet, Bielefeld, Dresden, Gießen/Mittelhessen, Weimar, Osnabrück, Stuttgart, München, Tübingen, Passau oder Bamberg.
Doch die „Junge Freiheit“ beendete das Ganze, weil diese Lesekreise durch die Beteiligung von eindeutig extrem rechten Akteuren im Verfassungsschutzbericht Niederschlag fanden. Die „Junge Freiheit“ entzog ihnen die Unterstützung und distanzierte sich von ihnen. Darauf hin benannten sich die meisten Lesekreise in „Konservativer Gesprächskreis“ oder „Konservativer Arbeitskreis“ um, einige radikalisierten sich. Ein paar Jahre später waren die meisten rechten Lese- und Diskussionskreise wieder verschwunden.

Derzeit jedoch ist eine deutsche Teaparty nicht absehbar. Jede Gruppe und Organisation in Deutschland steht für sich und verlangt, dass sich die anderen aus ihrer Strömung unter speziell ihrem Dach vereinen sollen.

*** Die SVP-Option: Verschiebung einer etablierten Partei ***
Die „Schweizer Volkspartei“ (SVP) war zwar immer eine rechte, konservative Partei, aber die rechte Ausrichtung hat sich sehr verstärkt. Die SVP gilt spätestens seit 1999 mit der Dominanz von Blochers „Zürcher Flügel“ als rechtspopulistisch.
Inzwischen bestehen auch Kontakte zu der extremen Rechten in Rest-Europa, beispielsweise zu den deutschen Republikanern oder der rechtspopulistischen Pro-Bewegung aus NRW.
Auch in der Bundesrepublik wäre es eine Möglichkeit für die nichtneonazistische extreme Rechte eine bereits erfolgreiche Partei zu übernehmen und nach rechts zu verschieben bzw. zumindest den rechten Flügel zu stärken. Für diese Strategie würden sich vor allem die Union und die FDP anbieten und es wurde auch tatsächlich bereits ausprobiert. Sowohl in der Union als auch in der FDP gab es bereits Versuche die Partei nach rechts zu rücken oder mindestens einen Stahlhelm-Flügel (wieder) zu etablieren.

In der FDP gab es zuletzt 1995 starke Versuche die FDP nach rechts zu verschieben. Es gab dabei eine Orientierung an der FPÖ („Haiderisierung der FDP“). Zu diesem Ziel vereinigten sich die Alt-Mitglieder vom nationalliberalen Flügel mit rechten Neu-Mitgliedern, die in einer Art Unterwanderungsstrategie verfolgten, und versuchten die Landesverbände in Berlin und Hessen zu kippen. Trotz aller Anstrengungen misslang aber dieses Unternehmen, nur einzelne Ortsverbände in Berlin konnten übernommen werden. Die neurechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“ schrieb am 4. November 1995 die übliche Begleitmusik:

"Jetzt müssen die nationalliberalen Kräfte in den Reihen der FDP sichtbar werden und mutig rechtsliberale Pflöcke einschlagen."

Die FDP nach rechts zu verschieben, statt auf eine Neugründung zu setzen, scheint immer noch bei manchen eine Option darzustellen. So schrieb ein Gregor van Dorn aus Essen 2009 in einem Leserbrief an die „Junge Freiheit“:

"Es hat keinen Sinn, wenn wir Konservativen uns in Splittergruppen wie Republikaner, Christliche Mitte, Deutsche Partei, Bayernpartei, Zentrum, Bund Freier Bürger, Pro, DSU und anderen gegenseitig blockieren. Entweder die genannten schließen sich zusammen und nehmen die Fünf-Prozent-Hürde, oder wir besorgen uns FDP-Parteibücher und sorgen dafür, daß die FDP sich, wie in den fünfziger Jahren, auch gesellschaftspolitisch wieder rechts von der Union aufstellt. Der Nationalliberalismus ist noch immer nicht völlig tot. Beinahe hätte es Alexander von Stahl in Berlin geschafft, seine Partei umzukrempeln."

Ob eine nationalliberale Wende in der FDP langfristig bei den Wahlen Erfolg gehabt hätte, wäre aber nicht sicher gewesen. Dass Problem wäre die wirtschaftspolitische Ausrichtung der FDP gewesen, die viele nationalistische Wähler wohl abgeschreckt hätte. Die FDP will als neoliberale Partei den Sozialstaat mehr oder weniger beseitigen, die nationalistische Wählerschaft – besonders die aus der Unterschicht – will aber nur die Minderheiten nicht mehr davon profitieren lassen.

Tatsächlich lahmt die Union derzeit auf dem rechten Flügel. In der CSU sind die rechtskonservativen Stimmen noch lauter als in der CDU, aber bei beiden sind sie im Vergleich zu früher sehr dünn geworden. Wer hätte in der Adenauer-CDU sich je vorstellen können, dass es einmal ein „Deutsch-Türkisches Forum in der CDU“ (mit teilweise sehr rechten und muslimisch-orthodoxen Deutschtürken) geben würde oder dass eine ehemalige FDJ-Funktionärin Bundeskanzlerin für die Union wird?
Der 2009 gegründete rechtsklerikale „Arbeitskreis engagierter Katholiken“ (Heiner Geißler: „Piusbrüder der CDU“) und die 2010 initiierte Aktion „Initiative Linkstrend stoppen“ sollen den rechten Unionsflügel stärken und den Gang in die Mitte aufhalten. Beides ist aber kein echter Gegenwind, sondern eher ein laues Lüftchen. Der Arbeitskreis hat ein paar hundert Mitglieder und die Initiative haben zwar immerhin einige tausend CDU-Mitglieder unterschrieben, aber unter den Unterzeichnenden findet sich niemand aus der höheren Etage der CDU.
In Ermangelung ernsthafter politischer Alternativen werden die CDU-Nationalkonservativen zähneknirrschend bei ihrer Mutterpartei bleiben oder sich ins Private zurückziehen.

*** Die Zwei-Lager-Theorie: „Getrennt marschieren, vereint schlagen“ ***
Das extrem rechte Infoportal „Gesamtrechts“, was versucht die politikfähigeren Teile der extremen Rechten zu sammeln, spekuliert auf eine zweiteilige Parteirechte. Eine „gemäßigte“ extreme Rechte soll sich unter dem vereinigten Dach der REPs und der Pro-Bewegung („REPRO“) sammeln und eine „radikale“ extreme Rechte unter dem vereinigten Dach von NPD und DVU („NPDVU“), möglichst unter dem Ausschluss des hitleristischen Flügels.
Dieser „Gesamtrechts“-Wunschtraum überschätzt aber bei weitem die Fähigkeiten aller Beteiligten. Die REPs und die DVU haben kaum noch echte Parteisoldaten, sondern sehr viel mehr Parteileichen. Die NPD kommt nicht über Ostdeutschland und die Pro-Bewegung nicht über NRW hinaus.
Die Sammlung schwacher Kräfte macht sowieso nicht automatisch stärker. Das Problem einer prinzipiellen Konkurrenz bei Wahlen mit der 5%-Hürde bleibt außerdem bestehen. Im Gegensatz zu NPD und DVU werden die Pro-Bewegung und die REPs sich mit ihrem vorgeblichen Anti-Extremismus nicht auf Absprachen mit der NPD einlassen. So werden sie sich wieder gemeinsam erfolgreich von Einzügen in Gremien abhalten.

*** Fazit: Wachsam bleiben! ***
Aller Wahrscheinlichkeit steht kein kurzfristig bundesweit erfolgreiches rechtes Parteiprojekt ins Haus. Zu viel spricht dagegen. Es bleibt für AntifaschistInnen trotzdem weiterhin die Aufgabe wachsam zu sein. Trotz der relativ geringen Chancen eines rechten Parteiprojektes, einer deutschen Teaparty oder der Verschiebung einer etablierten Partei nach rechts, wäre es generell möglich. Eine bundesweit erfolgreiche Rechtspartei wäre nicht nur für sich eine Katastrophe, sondern würde auch die anderen Parteien vor sich hertreiben. Die Wahlerfolge der NPD in Sachsen haben in der sächsischen CDU dazu geführt, dass mittels eigenem Nationalismus versucht wird der NPD die Stimmen wieder abzujagen.
Aufatmen kann man angesichts der „Deutschen Zustände“ vor allem in der Provinz sowieso nicht. Ob extrem rechten Parteien nun an der Wahlurne erfolgreich sind oder nicht, Nazischläger bedrohen auf der Straße tagtäglich Menschen und greifen sie an und ein Alltagsrassismus ist in der Gesellschaft weit verbreitet.
Wenn das durch Sarrazin und seiner Fangemeinde abgelieferte Input in einer angeblichen „Integrationsdebatte“ von der etablierten Politik in ein Output umgewandelt wird, dann braucht es gar keine Rechtspartei mehr. Wenn die etablierten Parteien beschließen die Zuwanderung (noch mehr) nach rassistischen, wohlstandschauvinistischen und biologistischen Kriterien zu filtern, dann hat die „Sarrazinpartei“ ihr Ziel erreicht ohne je zu den Wahlen angetreten zu sein.
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Ergänzungen

Produkt des Springerverlages

:-/ 06.11.2010 - 00:09
Bei all dem sollte man nicht vergessen, daß Sarrazin und seine Naziparolen vom Springer-Verlag offensiv gepusht wurde und der Springer Verlag seit einiger Zeit die Entstehung einer rechten bis rechtsextremen Partei befeuert und sich in Teilen von der CDU abwendet (siehe Volksabstimmung in HH). Das ging ja soweit, bis in BILD/Welt das Wunschkabinett des Springer-Verlages für die Rechtspartei vorgestellt wurde. Nicht alle der genannten rechten Politiker waren darüber amüsiert. Trotz massivster Kampagne-Politik von Springer incl. gefakter Umfragen, konnten sie nicht mehr als 33% der Deutschen als "potentielle Wähler" gewinnen. Das sind aber genau jene 33%, die schon immer in die Stammtischecke gehören. Insofern ist die BILD-Partei bis jetzt ein Flop.

Ein unerwartet hervorragender Artikel!

Marvin 06.11.2010 - 20:51
Selten oder nie so einen sachlichen und trotzdem spannenden Artikel auf Indymedia gelesen! Großes Kompliment!

Die 'Bild'-Ergänzung ist auch wichtig. Wenn man beispielsweise die Rede Udo Pastörs ("Judenrepublik" / "Krummnase Alan Greenspan"), für die er auf Bewährung und Geldstrafe verurteilt worden ist, mit gewissen Artikeln in 'Bild' beispielsweise über die "faulen Pleitegriechen" oder "kriminellen Ausländer" vergleicht...

Neulich titelte 'Bild' übrigens: "Wieviel Islam verträgt Deutschland?"

Man stelle sich vor, der Titel hätte gelautet: "Wieviel Christentum verträgt Deutschland?" oder ... "Wieviel Judentum verträgt Deutschland?"

Noch was zur Bedeutung von Medien

... 07.11.2010 - 10:51
Über die Art und Weise wie sich die unglaublichsten Lügen durch das rechte Medienuniversum (Fox und Co) verbreiten und "real" werden:  http://www.youtube.com/watch?v=yBxzMMCokpI

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Bravo — ▲

In Anbetracht dessen, — Schlauberger

Was lernen wir? — wachsam