Berlin hat Krebs - eine Polemik

Johannes Haunerdinger 31.08.2010 14:30 Themen: Freiräume Globalisierung Kultur
Das ist die subjektive Einschätzung eines emanzipatorisch eingestellten Architekturstudenten über die modernste Multifunktionshalle der Welt und ihr Zukunftspotenzial.
Berlin hat Krebs. Metastasen in Planung !
Zurzeit wird enorm Anlass geboten, einmal sehr genau darüber nachzudenken, wie es mit der
Zukunft der Menschheit aussehen soll.
Was wird passieren nach dem großen, anzunehmenden Unfall im Golf von Mexiko ? Wie
lange gibt es den Golfstrom noch ? Und wenn er weiter fließt, wie viel giftiges Material wird
die Küsten Westeuropas verkleben ? Wie ölig wird Bremerhaven ?
Wohin wird die Menschheit von ihren Ingenieuren gebracht ? Wem dienen sie ?
Wenn es möglich ist, die Lebensgrundlagen der Menschheit auszulöschen, werden es
Architekten, Maschinenbauer, Chemiker sein, die dazu in der Lage sind, unseren Untergang
mit Stahlmonstern und Giftmüll zu exekutieren. Die Menschheit muss ihr Wirken nur
zulassen.
Als Architekturstudent bin ich eben nach Berlin gefahren, da wurden und werden viele
unterschiedliche Architekturen zugelassen, um auf der Suche nach mehr Erkenntnis auch
fündig zu werden.
So hat mich in der Hauptstadt am Bahnhof Warschauer Straße ein Gebäude, ich will nicht
sagen, angelächelt, sondern eher bissig angestarrt: O2 World, die modernste Mehrzweckhalle
der ganzen Welt. Ich hatte sie nicht auf dem Plan meiner Besichtigungstour,
zugegebenermaßen.
Erster spontaner Gedanke: O2 World ist eine Verstopfung des Berliner Urstromtals, der
Mauerstreifen hat hier eigentlich optisch besser gepasst !
Nur da ich einen Vertrag mit dem Unternehmen Telefónica O2 Germany abgeschlossen habe
und sie mich im Austausch für Geldware mit dem Rest der Welt telefonisch verbinden, kam
mir in den Sinn, dass ich O2 World, die Verstopfung ja auch einmal aus der Nähe besichtigen
könnte.
Im Folgenden will ich meine Beobachtungen an der Verstopfung schildern, welche bis zum
heutigen Tag andauern.
Am Anfang steht die Feststellung, dass es kaum Gebäude mit klareren Aussagen gibt. Ich
halte immer die Augen offen, wenn ich unterwegs bin und nach acht Semestern Architektur
gab es schon viel zu sehen, aber so etwas noch nicht.
Die Verstopfung ist in der Vorderansicht exakt achsensymmetrisch aufgebaut, genauso wie
Gesichtschirurgen oder barocke Architekten sich das auch vorstellen würden. Seine
Spiegelachse endet erst im rechten Winkel zur Spree am Ufer mit der hauseigenen
Bootsanlegestelle. An der Bootsanlegestelle und in der Spiegelachse befindet sich ein
gigantisch hohes Schild. Es ist beiderseits eine LED-Großleinwand, die immer nur immer
wieder sagt: „Coca-Cola ! O2 ! MTV ! Berlin ! British Petrol !“ …Die letztere Erwähnung
war ein Scherz… Dieses Schild richtet sich wie ein Vektor hin zu O2 World, ähnlich wie das
Flimmerleinwandschild am Bahnhof Warschauer Straße, welches zwar in keiner schönen
Achse untergebracht ist, aber seine Funktion als Vektor ebenso wenig verfehlt. Um die
Sichtachse zwischen dem Symmetrievektor und der Verstopfung frei zu machen, wurde ein
bekanntes Denkmal zerstört, das da stand: Die East Side Gallery. Die Verstopfung braucht
ihren Platz.
Bei näherer Betrachtung aus dieser Spiegelachse heraus erscheint mir die Verstopfung wie ein
Monster, das auf seinen sprunghaften Hinterbeinen lauert, mit Schneidezähnen über das ganze
Gesicht verteilt. Einen Kiefer scheint das Monster aber ebenso wenig zu besitzen wie ein
Rückgrat. Das Monster ist ein Zyklop. Sein üppiges Fensterband sieht aus wie ein lang
gezogenes Facettenauge, es reflektiert tagsüber das gegenüber liegende Kreuzberg Südost 36.
Nachts antwortet es leuchtend mit „Las Vegas !“
Es wäre auch möglich, im Anblick des Monsters von vorne eine Polizeimütze zu entdecken,
das würde wiederum zu den Verbotsschildern an den verschlossenen, aber transparenten
Eingängen passen, denn sie führen gleichermaßen vor, dass Dinge nicht erlaubt sind und dass
das Unerlaubte verfolgt wird.
Wer in die Kathedrale eintreten will, darf nichts zu trinken mitnehmen, keine Tiere, kein
Essen, keine Drogen, er darf nicht rauchen, nicht fotografieren, nicht skateboarden. Insgesamt
gibt es 25 Verbote vor ihrem Gott. Wer seine Botschaft hören will, muss zahlen. Aber die
Kathedrale hat für jeden einen Platz, der seinen Tribut zollt. Für Reiche, für Arme und sogar
für körperlich beeinträchtigte Glaubensbrüder und –schwestern. Sie können bequem auf
Rampen ins Himmelreich gleiten. Die Macht Gottes äußert sich darin, dass er zeigt:
„Entdecke die Möglichkeiten !“ und innerhalb von einer halben Stunde seine geäußerte
Gestalt verändern kann. Er kann sich offenbaren als Boxkampf, als Eishockeyspiel, als
Großkonzert oder mit der Predigt des Dalai Lama, wie in der Eröffnungszeremonie im Jahre
2008.
Und jene, die mit O2 verbunden sind, können in ihrem Haus sogar Klingeltöne herunterladen,
ohne dass ihnen zusätzlich etwas abverlangt wird.
In diesen Maßstäben gedacht, spalten sich aber schon die ersten Protestanten von der reinen
Lehre ab: Den Anhängern der Eisbären Berlin schmeckt das Essen in ihrem Haus nicht und
sie laufen deswegen laut und reformatorisch auf die Straße.
Die Anhänger dürfen auch nur dann in die Kathedrale, wenn ihr Herr es zulässt ! Die
Vorderfassade ist halboval umlaufend, größtenteils demokratisch verglast und die mittig
vorne liegenden fünf Eingänge sagen, jeder für sich, ganz laut „Eingang !“ und wer
hindurchblickt, bekommt einen Innenraum zu sehen der auch ganz laut sagt „Innenraum !“
Wer aber in das Haus des Herrn eintreten will, muss auch zeigen, dass er demütig sein kann.
Und diese Demut verlangt offensichtlich eine wahrhaft zehrende Pilgerreise bis zum Betreten
des Tores.
So demokratisch leicht die Fassade auch erscheinen mag, diese Kathedrale ist aus sakralem,
römischen Stein gebaut, aus dem Stein, durch dessen Verwendung eine Hochkultur erst ihren
Namen verdient, aus dem imperialen Opus Caementitium.
Das Monster hat ein Herz aus gegossenem Stein.
Wer ist denn eigentlich, ganz nebenher gefragt, dieser Herr ? Wer ist der Gott, dem das Haus
gehört ? Er heißt Philip Frederick Anschutz. Sauerstoff ist nur der Name des Hauses, sonst
nichts. Dieser Herr hat auch schon einmal nach Erdöl gebohrt und ist dadurch einer der
reichsten Männer der Vereinigten Staaten geworden. Heute bezahlt er Wissenschaftler dafür,
zu behaupten, die Menschheit stamme von Adam und Eva ab und lässt weltweit Immobilien
bauen und vermarkten. Die Eisbären gehören zu 100 % ihm. Er lebt, ohne dass jemand
großartig etwas davon mitbekommt, in Denver, Colorado. Will er Berlin in Denver
verwandeln ? Er wird diese Frage wohl nicht persönlich beantworten.
Eine erste zentrale Aussage sehe ich im Grundriss und in der Bezeichnung der Kathedrale
oder des Monsters oder der Verstopfung. Es versucht von der Vorderansicht, eine runde Sache
zu sein. Aber von oben betrachtet ist es ein Ω ! Wenn die Pyramiden das Alpha waren, ist
dieses Monster das Omega ? Ist es das Ende des Äons, das Harmagedon oder ist mit dem Ω
die physikalische Einheit Ohm, der so offensichtlich am Gebäude vorkommende elektrische
Widerstand gemeint ?
Das Monster nimmt für sich in Anspruch, die ganze Welt zu sein, sonst hieße es nicht O2
World. Aber was heißt das denn auf deutsch ? Sauerstoffwelt. Ist es nur Luft ? Sternenstaub ?
Welche Darstellungsabsichten haben die Ingenieure, Joos Stauss Krüger-Heyden Architekten
heißen sie, kurz JSK, verfolgt ?
Bei der Architektur fließen künstlerische Darstellung und bauliche Planung zusammen. Der
Architekt und die Architektin sind die archaischen Techniker, sie stehen auf der Spitze des
Erbes, das uns die ersten Menschen mit dem Entdecken ihrer geistigen und handwerklichen
Fähigkeiten und der Arbeit aufgebaut haben.
An dieser Stelle muss ich schon einmal meinen höchsten Respekt vor dieser darstellerischen
Leistung von Herrn Joos und seinen Kolleginnen und Kollegen aussprechen. Von diesen
Baumeistern kann ich als Lehrling nur lernen.
Andere bewundern sie nicht, sondern setzen ihre Pläne in die Tat um. Sie mähen für JSK
Architekten breite Schneisen in den Wald, irgendwo zwischen Darmstadt und Mainz, damit
diese den FRAPORT, den Frankfurt International Airport neu erfinden können. Dort werden
auch Monster geboren.
Es gibt nur eine Erde. Was planen sie mit ihr ?
O2 World stellt trotz bester ÖPNV-Anbindung etwa 2000 Parkplätze zur Verfügung. Sie
liegen beiderseits des Gebäudes und sehen für mich aus wie außen liegende Lungenflügel.
Braucht die Sauerstoffwelt CO2 zum Atmen ? Telefónica O2 Germany und Anschutz
Entertainment Company beflügelt durch Golf und britisches Petroleum ?!?
Die grünen Restflächen, im übrigen voll symmetrisch angelegt, ähnlich wie Versailles,
täuschen ein bisschen Natur vor. Wer sich überzeugen will, sollte dort einmal versuchen,
einen Baum zu pflanzen.
Der eigentlich interessante Punkt aber liegt auf der Spiegelachse zwischen dem zentralen
Eingang zum Monster und dem LED-Schild, wahlweise Vektor genannt, auf dem Boden. Es
ist eine aus Regenrinnen und Pflasterplatten geformte Sonne mit Strahlen. Vom Vektor aus
gesehen kann man sie nicht erkennen, aber wenn man von diesem Punkt aus gesehen in die
Achse dem Vektor entgegen spricht, ist die Stimme zehnmal so laut und wird gut verteilt.
Lautverstärkung nach Plan ?!?
An dieser Stelle, meine Empfehlung an Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sehen Sie sich diesen
Punkt auch einmal an, beobachten Sie den Boden dabei, wie genau er niedrig ist !
Es ist gerade so aufzufassen, dass diese Luftwelt Sie persönlich fragt, wenn Sie sich in diese
Sonne setzen: „Willst du mich wirklich zulassen ? Denk vielleicht noch einmal nach !
Vielleicht willst du ja etwas anderes.“ Ist es nicht so, Herr Joos ? Ihre Offenbarung fragt den
Erleuchteten auch, ob die Verstopfung sein soll oder nicht.
JSK Architekten engagieren sich auch für die Prestigeträchtigkeit von PPP-Projekten
PPP, Public Private Partnership, ist ein beliebtes Baufinanzierungsmodell von Joos und
Kollegen aber auch an so manchem Lehrstuhl in meiner Architekturfakultät.
Was bedeutet PPP konkret ?
Das Konzept der PPP geht davon aus, dass in den Kassen der Stadtkämmerer kein Geld
vorhanden ist, um öffentliche, städtische Versorgungseinrichtungen aufzubauen oder zu
erhalten. Bis hierher sehe ich das selbst auch ganz genau so. Hier sind alle möglichen Sachen
damit gemeint, die der Stadt gehören: Schulen, Krankenhäuser, Parks, öffentlicher
Personennahverkehr, Schwimmbäder, Bibliotheken, etc.
PPP sagt deswegen aber nicht, dass die Städte einfach irgendwie mehr Geld brauchen, damit
die öffentlichen Einrichtungen auch mehr Geld haben und funktionieren.
PPP sagt, dieses Geld gibt es halt einfach nicht und fährt die pragmatische Schiene: Das
Konzept schlägt eine tiefe Verflechtung von öffentlichen Einrichtungen und Unternehmen
vor, die weit über Bauaufträge hinausgeht. Wir können so dann „öffentliche“ Gebäude von
Privatunternehmen in Auftrag geben, Instand halten und betreiben zulassen, und es monatlich
als Steuerzahler zurückmieten. Wie am anschaulichen Beispiel des Bildungszentrums Ostend
von JSK Architekten, in dem die Betonmauer reißt.
Es gibt eine Reihe ähnlicher Konzepte. Wo in den Sechziger Jahren einerseits die Konzerne
Steuern zahlen mussten, wenn sie jemanden für sich arbeiten lassen haben, und es andererseits
gar keine Konzerne gab, gehen die Kinder jetzt wohl bald in den Bertelsmann-Kindergarten,
die Greise ins Sandoz-Altersheim und die Gebrechlichen ins British Petrol-Krankenhaus.
Wenn wir diese Baufinanzierung weiter zulassen, geht die Wirtschaft gestärkt aus der Krise
hervor, das Humboldtforum wird gebaut werden können und es gibt dann ganz viele neue
Arbeitsplätze.
Die verantwortlichen Politiker in Berlin, die gerne eine Stadt von Weltrang wie Paris oder
New York regieren würden, geben besonders gerne Steuergelder aus, um Unternehmen
anzulocken, sich anzusiedeln. So am Spreeufer. Mit Mediaspree. Mit O2 World, der Luftwelt,
ist hier nur der Grundstein gelegt.
Albert Speer Senior hat es noch nicht geschafft, in Berlin ein Gebäude zu überdachen, in
welches das Brandenburger Tor hineinpassen würde. Mediaspree macht es hier und heute
möglich, 90er Jahre Reichshauptstadtpläne des damaligen Berliner Senats in die Tat
umzusetzen !
Das Mediaspree Investorenufer, Welthauptstadt Germania 2.0 und gleichzeitig ein Ort, der
genau so auch in Hongkong existieren könnte ?!?
Mediaspree e. V. ist ein gemeinnütziger Verein, der sich für die Schaffung von Arbeitsplätzen
in Berlin engagieren will, vor allem direkt da, wo viele Menschen arbeitslos sind, in
„Problemkiezen“ wie Friedrichshain und Kreuzberg.
Arbeitsplätze gibt es nur da, wo Unternehmen sind, sagt dieser Verein, also müssen
Unternehmen aufgebaut werden. So weit, so gut.
Mediaspree e.V. alias Anschutz Entertainment Company bekommt wegen dieser guten Idee
laut Bürgerinitiative ‚Mediaspree versenken’ 27 Millionen Euro für
Erschließungsmaßnahmen aus öffentlichen Kassen. Millionen an Starteuros zahlen die
Berliner, um Unternehmen wie Universal, Vivendi und MTV an die Spree zu locken. Kinos,
Casinos und Sektnebel sollen in den Sandboden tief hineingerammt werden, um sich wie
Trabanten um die Luftwelt zu drehen. Ist das Fundament der Luftwelt vielleicht auch
steuerfinanziert ?
Was ist denn mit den 30.000 Arbeitsplätzen, die Mediaspree e.V. versprochen hat, die durch
die Errichtung eines MTV-Ufers entstehen sollen ? Bei O2-World sind sie schon geschaffen
worden. Prekäre Handlanger sollen froh sein, wenn sie sich mit Karten abreißen,
Ausscheidungen wegputzen und Rikschafahren einen Eurofuffzig zum Hartz IV
dazuverdienen können.
Wenn wir Mediaspree zulassen, sind das die Arbeitsplätze der Zukunft !
Gehen wir doch einmal davon aus, die Deutschen, die Berliner lassen Mediaspree zu. Dann
wird die Verstopfung zum Krebs und befällt gesundes Gewebe.
Mit Unmengen von Betonfundamenten und heftig schwerem Stahl wird dann das Spreeufer
weiter verstopft werden. Dann wird O2 World nicht nur die Mietspreise der übrig gebliebenen
Kieze unerträglich hoch getrieben haben, das Wohnen dort wird noch unerträglicher sein. Und
das Berliner Grundwasser, das an Mediaspree nicht durch zur Spree abfließen kann, wird sich
rückstauen auf die Fläche, auf der eben Mediaspree den Abfluss nicht zulassen wird. Dann
wird sich die Spree in Friedrichshain zurückholen, was sie ursprünglich war. Nasser,
sumpfiger Sandboden wird sämtlichen umliegenden älteren Bauten das Fundament
wegbröseln. Wer Mediaspree zulässt, macht mittel- und langfristig die ganze Stadt kaputt.
Und vielleicht noch mehr !
Die Stadt Berlin lässt in ihrem Herzen O2 World zu. Sie lässt Mediaspree zu.
Die Deutschen haben schon vieles zugelassen. Jetzt lassen die Deutschen zu, dass
Großkonzerne die Mitte und andere historische Viertel ihrer Hauptstadt als moderne
Architekturspielwiese vergewaltigen.
Ich habe einen Und/Oder-Vorschlag aus zwei Komponenten:
Die eine Möglichkeit ist es, dem Monster zu antworten: Nein, ich will dich nicht ! Wir wollen
dich nicht zulassen ! Wir wollen eine gesunde Zukunft ! Weg mit dir ! Abreißen !
Die andere besteht darin, auch andere Spielplätze zuzulassen. Berlin hätte sowieso genügend
davon. Könnten andere bitte, die nicht so viel Geld haben oder bekommen, aber auch
experimentierfreudig sind, einmal etwas auf der Museumsinsel bauen (dürfen) ? Wieso nicht
dort, wo früher das Stadtschloss und danach der Palast der Republik stand und jetzt nichts, ein
kleines deutsches Dorf bauen, mit deutschen Häusern aus Holz und Lehm ? Solche Gebäude
können atmen, sie haben eine bessere Klimabilanz als ein steinernes Unglück mit
Photovoltaik und sie sind gut geerdet, ohne ein riesiges Fundament auszuheben ! Oder an
diesem Ort oder auf einer anderen Spielwiese bunte Lichter einfach einmal bauen zulassen,
was sie wollen. Häuser für Menschen bauen, zulassen ! Leben zulassen !
Wer O2 World zulässt, muss auch Hausbesetzungen zulassen, wenn er fair sein will !
Ein Gedankenspiel: Welche Fraktion würde in dem Fall, in dem alles zugelassen würde,
längerfristig mehr Menschen anziehen ?
Schauen sie sich nicht nur Mediaspree an ! Nicht nur das eine Geschwür am Spreeufer.
Schauen sie sich die ganze Welt an und was in ihr wächst ! Gehen Sie zur
Vorsorgeuntersuchung ! Lassen sie zu, dass erkranktes Gewebe, wenn nötig, chirurgisch
entfernt wird, bevor es sich auf den Organismus ausbreitet !
Haben Sie Ihren Körper im Blick ? Machen Sie die Augen auf und seien Sie wachsam !
Erlauben Sie es mir, liebe Leserin, lieber Leser, am Ende nicht mit eigenen Worten
abzuschließen, sondern jemanden sprechen zu lassen, dessen Worte von niemandem klarer
ausgedrückt werden könnten !
"Vielleicht überzeugt man sich bald", schreibt Goethe 1801, "daß es keine patriotische Kunst
und patriotische Wissenschaft gebe. Beide gehören, wie alles Gute, der ganzen Welt an und
können nur durch allgemeine freie Wechselwirkung aller zugleich Lebenden, in steter
Rücksicht auf das, was uns vom Vergangenen übrig und bekannt ist, gefördert werden."

Johannes Haunerdinger
Technische Universität Darmstadt
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Ergänzungen

O2 World Berlin

Johannes Haunerdinger 02.09.2010 - 14:20
frontale Perspektive

Ein paar Dinge zur Historie von Mediaspree

DJ Tüddel 07.09.2010 - 02:36
Mediaspree wurde ursprünglich (2001) als GmbH gegründet, ein Zusammenschluss einiger Immobilienentwickler und Grundstückeigentümer, die nach dem Berliner Immobiliencrash Ende der 90er auf ihren teuer erworbenen Spreeufer-Grundstücken sitzen geblieben waren. Der Traum von der neuen Weltstadt Germa...äh- Berlin hatte sich nicht erfüllt, die Konzernzentralen waren in ihren Konzernzentralenstädten geblieben statt an die Spree zu ziehen. Die Headquarter-Architekturpläne blieben also in den Schubladen, und die edelsten unter ihnen wurden nach und nach in den Papierkorb befördert.

Aber das wollten einige Immobilienentwickler nicht auf sich sitzen lassen: Der Spreeraum östlich der City sollte eine neue Vision übergestülpt bekommen. Kein neuer Entwurf, sondern ein neues Image, das dem losen Nebeneinander diverser Bürobaupläne einen gemeinsamen Namen geben sollte, eine Idee, eine Art Werbeportal, überhaupt: etwas. Und weil es gerade, als diese Idee geboren wurde, etwa das Jahr 2000 war und man gehört hatte, New Economy, das ist's, das hat auch San Francisco voll voran gebracht, wurde das fulminante Werbekind eben Mediaspree getauft.

So ein Pech aber auch, dass im selben Jahr, als Mediaspree als Marketing-GmbH das Licht derr Welt erblickte, auch das vorläufige Ende der New Economy war. Da half es auch nichts, dass man den prognostizierten möglichen Arbeitsplätze-Zuwachs (30.000 Stück), den die Stadt Berlin im Bereich der Medienindustrie würde erzielen können, mal eben völlig aus dem Zusammenhang riss und hartnäckig in diversen Pressegesprächen als Zahl allein für das Mediaspree-Gelände für sich behauptete. (Und so kursiert diese Zahl immer noch unterm Label Mediaspree, siehe oben.) Die Wirklichkeit sah anders aus: Das Vorzeige-Medienunternehmen im sogenannten Mediaspree-Raum, Pixelpark, schrumpfte während der New-Economy-Krise mal eben von 500 auf unter 50 Arbeitsplätze.

So wundert es auch nicht, dass sich jahrelang niemand wirklich für Mediaspree interessierte. Es passierte schließlich auch nicht viel dort. Und machte niemandem so recht Angst. Das musste auch ein kleiner Teil der linken Szene rund um Köpi, Schwarzer Kanal & Co. merken, als sie versuchten, Media Spree zu thematisieren.

Der Senat sah, dass die Privaten nix zu bewegen vermochten, und nahm das Heft ein Stück weit in die Hand: Er gab flugs einen zweistelligen Millionenbetrag aus, um Universal Music aus Hamburg abzuwerben. Ole von Beust wurde sehr sauer, aber Universal war's recht, da sie angesichts der Medien- und Musikkrise eh den Betrieb verschlanken wollten und praktischerweise ein Großteil der Beschäftigten es überhaupt nicht einsah, nach Berlin umzuziehen. So bekam Universal nicht nur die Umzugskosten bezahlt, sondern sparte sich auch teure Abfindungen für weit über hundert Angestellte.

Aber zurück zu Mediaspree: Universal war hier der große Coup, und die geschundene Seele des durchschnittlichen Weltstadt-Berliners konnte ein bisschen Trost finden: Kamen die Headquarters schon nicht von selbst, so verstand sich der Regierende wenigstens darauf, die Konzernleitung ein bisserl zu bestechen. Große Politik also!

Und siehe da: Über die Jahre siedelte sich rund um die Oberbaumbrücke und entlang der Schlesischen Straße tatsächlich ein kleines Musikindustrie-Cluster an. Doch die Unternehmen, die die Mediaspree GmbH gegründet hatten, waren immer noch unzufrieden. Denn keines der sich ansiedelnden Musikunternehmen wollte einen ihrer teuren Neubaupläne kaufen. Nur Altbauten standen hoch im Kurs. Und davon gab es zwar einige rund um den Osthafen, aber das war's dann auch.

So griff der Berliner Senat noch einmal in seine Schatulle (und über ein großes Wurmloch dort drin bis hinein in die prachtvolle Schatzkiste in Brüssel) und nahm den privaten Immobilienunternehmen die Finanzierung von Mediaspree ab. So kam es, dass von 2005-08 das "Regionalmanagement Mediaspree e.V." tätig wurde, öffentlich finanziert, aber nach wie vor als Marketinginstrument den Interessen der privaten Immobilienfritzen dienend.

Warum ausgerechnet in dieser Zeit Mediaspree so interessant wurde, dass sich die Öffentlichkeit endlich dafür interessierte, lässt sich im Nachhinein wohl nicht ganz feststellen. Am wahrscheinlichsten ist wohl, dass die beginnende Aufwertung des Wrangelkiezes, zumindest entlang der Schlesischen Straße, einige Leute wachrüttelte. Im Jahr 2006 wurde Mediaspree auf diversen linken Großveranstaltungen (Mayday Parade, transgenialer CSD) thematisiert, der Bau der O2-Halle sollte bald beginnen, und so wurde "Mediaspree versenken!" gegründet.

Der Rest ist der bekanntere Teil der Geschichte. Im Jahr 2007 wurde das Thema Mediaspree in der linken Szene so richtig schön breit getreten, bis es jede/r mitbekommen hatte. Dann wurde das Projekt Bürger_innenbegehren angepackt, das hieß: viele tausende Unterschriften auf der Straße sammeln, also abertausende Gespräche führen - das Thema Mediaspree wurde nun also im gesamten Bezirk Friedrichshain/Kreuzberg so richtig schön breit getreten.

Aus dem Bürger_innenbegehren wurde ein Bürger_innenentscheid, also eine Volksabstimmung auf bezirklicher Ebene. Spätestens jetzt begann auch die bürgerliche Presse sich mit der Kritik an Mediaspree zu beschäftigen. Der Entscheid wurde mit 87% der Stimmen gegen Mediaspree gewonnen. Ende 2008 wurde Mediaspree e.V. sang- und klanglos aufgelöst. Seine Internetseite www.mediaspree.de wurde ein paar Monate später zum Kauf frei gegeben.

Dass sich Bezirk und Senat seitdem weigern, das Ergebnis des Bürger_innenentscheids anzuerkennen und zu respektieren, sprich: in die Tat umzusetzen (und dass ihnen die gesamte Hauptstadtpresse das eigentlich überhaupt nicht übel nimmt), das wiederum ist eine andere Geschichte.

Demo zum O2-Höllen-Geburtstag: Freitag!

A. N. Schutz 07.09.2010 - 06:31
Das trifft sich ja gut: Am Freitag gibt es Anlass zum Jubeln über die tolle Halle! Dann isses nämlich genau zwei Jahre her, dass die Eröffnungsfeier im Protest untergegangen war. Und weil das blöde Ding immer noch nervt, und weil drum herum weiter für Mediaspree gebaut werden soll, und weil auch noch Beginn des Intersquat-Festivals ist, gibt's ne Demo:

Freitag, 10.9.2010, 18 Uhr
ab Revaler Ecke Libauer Straße (F'hain)

 http://mediaspreeentern.blogsport.de/2010/08/28/wir-sind-alle-eingeladen-teil-2/
 http://mediaspreeentern.blogsport.de/2010/09/05/auf-zur-demo-am-freitag/

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(Moderation) — Christian Meyer, der Jüngere