Stuttgart 21: Hauptbahnhof-Nordflügel besetzt

Juan Diego Botto 27.07.2010 12:46 Themen: Ökologie
Am 10. Juli hatten bereits tausende gegen das Großprojekt Stuttgart-21 demonstriert. Unter dem Motto "Gemeinsam Stuttgart 21 stoppen" zogen vor zwei Wochwen die Stuttgart-21-GegnerInnen aus vier Richtungen in einem Sternmarsch zum Stuttgarter Hauptbahnhof. Im Schlossgarten versammelten sich nach Angaben der Polizei dann mehr als 5.000 Menschen zu einem Protest-Festival. Die VeranstalterInnen sprachen von ungefähr 20.000 Teilnehmern.

Jetzt gab es wieder Protest. Nach einer Demonstration mit ca. 3000 Teilnehmern, entschlossen sich ca. 50 AktivistInnen in mehrere Räume des bereits von den Mietern geräumten Nordflügels am Hauptbahnhof zu gehen. Etliche TeilnehmerInnen kletterten zusätzlich von außen über eine Leiter in die im ersten Obergeschoss gelegenen Räume. Die AktivistInnen skandierten Parolen gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 und hängten mehrere Transparente aus den geöffneten Fenstern.
Stuttgart-21...was ist das?!

Stuttgart-21 soll den bisherige Kopfbahnhof in eine unterirdische Durchgangsstation verwandeln, auf den ersten Blick eigentlich gar nicht so übel. Die GegnerInnen des Projekts bezweifeln jedoch den verkehrspolitischen Nutzen der Verlegung. Angesichts der Rekordverschuldung der öffentlichen Kassen sei das Prestigeprojekt unverhältnismäßig, meinen sie. Das Projekt wird bezüglich der Aspekte Verkehr, Ökologie, Stadtentwicklung, Denkmalschutz und Finanzierung kontrovers diskutiert. In Meinungsumfragen sprach sich eine Mehrheit der Stuttgarter Bürger wiederholt gegen das Projekt aus. Ein Alternativkonzept wird derzeit unter dem Namen Kopfbahnhof 21 diskutiert.


Ökologisch sinnvoll?

Während den letzten Protestkundgebungen kam außerdem zur Sprache, dass für das Milliarden-Bahnprojekt 280 alte Bäume im Schlossgarten gefällt werden sollen. Auch der geplante Teilabriss des Hauptbahnhofs stand hierbei in der Kritik. Neben Schauspieler Walter Sittler und dem Musiker Max Herre waren auf der Großdemonstration auch Politiker wie der Bundesvorsitzende der Linkspartei, Klaus Ernst, der Sprecher des Verkehrsausschusses des Bundestags, Winfried Hermann (Grüne), sowie viele andere Naturschützer, wie z.B. Robin Wood anwesend. Unter anderem wurde mit einem Kettensägenkonzert darauf hingewiesen, welches Geräusch die DemonstrantInnen künftig nicht im Schlossgarten hören wollen.


Der Protest Gewalttätig und brutal?

Der Protest hat bis jetzt eher wohlwollenden Bericht erfahren, sogar der BILD-Reporter Markus Piechotta verbrachte die Nacht bei der Mahnwache, um "einmal für eine Nacht S21-Gegner zu sein, wie er schreibt. Die Polizei berichtete in ihrer Mitteilung an die Presse von Gewalttaten und Aggressivität. Sie habe die HausbesetzerInnen mehrmals aufgefordert, den Bahnhof Stuttgart zu verlassen, was diese allerdings nicht taten. Die ursprünglich angemeldete übliche montägliche Demonstration wurde laut Polizei gegen 18.45 Uhr vom Versammlungsleiter beendet. Anschließend habe sich eine neue Versammlung, die sich vor dem Nordflügel aufhielt gebildet. Die dort versammelten DemonstrantInnen hätten nun im Wechsel mit den AktivistInnen im Gebäude Parolen gegen das Projekt Stuttgart 21 skandiert. Zudem sei eine zunehmend aggressive Stimmung spürbar gewesen, die sich zum Teil auch gegen die Einsatzkräfte gerichtet habe. Einige Beamte und Beamtinnen sollen demnach massiv beleidigt und deren Mütze vom Kopf gerissen worden sein.


Räumung des Nordflügels durch die Polizei

Insgesamt war die Polizei angeblich mit rund 200 Beamten und Beamtinnen im Einsatz, darunter Einsatzkräfte der Bundespolizei, der Reiterstaffel sowie Kräfte aus umliegenden Polizeidirektionen. Kurz vor 22.45 Uhr rückten die Einsatzkräfte in das Gebäude ein und nahmen rund 50 Personen vorläufig fest, schreibt die Polizei in ihrer Pressemitteilung. Die Personalien der Stuttgart-21 AktivistInnen seien festgestellt worden, sie müssten nun mit einer Anzeige wegen Hausfriedensbruch rechnen. Um den Abtransport der Festgenommenen zu verhindern, hätten weitere Personen kurzfristig die eingesetzten Streifenwagen blockiert. Diese Aktivisten seien daraufhin zum "Zweck der Feststellung der Identität" vorläufig festgehalten worden. Während der Festnahmeaktion habe es im Nordflügel erneut Übergriffe durch die BesetzerInnen gegeben. Wie die Polizei Stuttgart weiterhin bekannt gab, seien die eingesetzten Beamten und Beamtinnen beleidigt, eine Polizistin bespuckt und ein weiterer Beamter mit Fußtritten traktiert worden. Insgesamt müssen demnach mindestens drei Stuttgart 21 AktivistInnen mit einer Anzeige wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte rechnen. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart prüft laut der Mitteilung, ob sie dem Haftrichter vorgeführt würden.


Geplanter frühzeitiger Abriss

Die BesetzerInnen protestierten vor allem gegen den geplanten frühzeitigen Abriss des Nordflügels. Trotz eines Rechtsstreits, der erst im Oktober vor dem Oberlandesgericht fortgesetzt werden soll, will die Bahn im August schon mit dem Abriss des nördlichen Seitenflügels beginnen. Ein vom Umwelt- und Verkehrsministerium in Auftrag gegebenes Gutachten bescheinigt dem Milliardenprojekt Stuttgart-21 Mängel bei der Bewältigung des Verkehrs. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) will die Studie heute vollständig vorstellen. Die Kosten für das Projekt sollen sich demnach von ursprünglich 2,6 Milliarden auf 4,1 Milliarden Euro belaufen.


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Ergänzungen

SWR berichtet:

Netwalker 27.07.2010 - 14:07
(...)Innenminister Heribert Rech (CDU) kritisierte das Vorgehen der Demonstranten. "Wir werden diese Auswüchse nicht dulden", sagte er. Die Polizei werde "gegen Krawallmacher mit aller Konsequenz vorgehen"(...)

Weiterlesen auf:
 http://www.swr.de/nachrichten/bw/-/id=1622/nid=1622/did=6695504/17t9na8/index.html

Stuttgarter Zeitung berichtet

Babette 27.07.2010 - 15:54
(...) Nach der Besetzung des Nordflügels des Stuttgarter Hauptbahnhofes am Montag " durch Gegner von Stuttgart 21 kommt auf 55 von ihnen eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs zu. Die Personen seien nach der Räumung des Gebäudes in Gewahrsam genommen und aufs Polizeipräsidium gebracht worden, inzwischen aber wieder auf freiem Fuß, sagte ein Polizeisprecher am Dienstag. Lediglich ein 47-Jähriger sollte am Nachmittag einem Haftrichter vorgeführt werden, weil er "massiv Widerstand" geleistet habe. Unter den 55 Personen seien auch sechs Jugendliche gewesen.(...)

Weiterlesen:
 http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2571570_0_9223_-stuttgart-21-55-anzeigen-gegen-besetzer.html

seltsame allianz

hate-cars 27.07.2010 - 23:24
hm,
hab selbst kein auto, (kanns mir nicht leisten und will auch bahn fahren)
in berlin hat auch niemand gegen die bahn demonstriert
und dann diese allianz aus grüne und bildzeitung....
gegenkonzept k21 ist auch sone sache, meistens passiert dann gar nix (bzw. die autobahnen werden gebaut)

ps.: von wege baudenkmal...der architekt des bahnhofs hat 1933 die adolf-hitler-kampfbahn in stuttgart gebaut...

Neue Proteste:

SWR.de 31.07.2010 - 08:36
Bei Protesten gegen des Bahnprojekt Stuttgart 21 hat die Polizei in der vergangenen Nacht mindestens drei Menschen festgenommen. Die Bahn hatte gestern Abend unter Polizeischutz einen Bauzaun am Nordflügel des Stuttgarter Hauptbahnhofs errichten lassen. Der Nordflügel soll in Kürze abgerissen werden.


Polizisten schützen einen Bagger am Stuttgarter HauptbahnhofErsten Angaben zufolge waren die Festgenommenen an Straßenblockaden beteiligt. Augenzeugenberichten zufolge wurden auch Flaschen auf Polizisten geworfen. Diese sollen ihrerseits Schlagstöcke eingesetzt haben. Die Polizei rückte unter anderem auch mit der Reiterstaffel vor, um die Blockaden aufzulösen. Die Polizei schätzte die Zahl der Demonstranten auf insgesamt rund 500.(...)

Weiterlesen:
 http://www.swr.de/nachrichten/bw/-/id=1622/nid=1622/did=6717610/1lz4iby/index.html

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@ Mods

Juan Diego Botto 27.07.2010 - 13:05
Bitte in Zeile 10 "am Wochenende" rausnehmen, da man das ja natürlich nicht weiß und es ja eher der "Wochenanfang" war :-)

Danke

Einige Fragen bleiben offen

gabi 27.07.2010 - 14:44
Der Protest und auch die Argumente sind dafür sind soweit einleuchtend, aber einiges ist mir nicht klar.

Mich würde interessieren, warum Ihr nicht das Argument des Zugewinns von 106 Hektar Bahnflächen in der Stadt ansprecht.

Was ist per se daran schlecht, innerstädtische Flächen von lauten Verkehrswegen zu befreien?

Na klar: teuer! Aber wieso lässt man das so marginal hinten runterfallen?
Ihr schreibt ja auf der Homepage auch selbst, dass es sich mehr um ein "städtebauliches Projekt" als um ein Bahnprojekt handelt. Ist das nicht fast eher eine Entkräftung des Kosten-Arguments? Sprich: Für ein Bahnprojekt natürlich sau-, bzw. viel zu teuer -aber für ein Städtebauprojekt nur noch bedingt...

Was ich auch nicht verstehe (ich würde echt gern eine Antwort darauf hören):

Ein Argument ist: "Von Stuttgart sieht der Reisende nichts mehr."
Frage: Schonmal darüber nachgedacht, dass die "schöne Aussicht" von der anderen Seite betrachtet für die Stuttgarter bestimmt nicht so schön ist? Züge und Gleisanlagen sind laut, (logischerweise) nicht betretbar und zerschneiden eher Städte.

Haftrichter?

K-21 27.07.2010 - 14:53
Wie sieht es denn mit den drei Leuten aus, die evtl. zum Haftrichter sollten?? Sind die etwa immer noch nicht draußen?
Viele Grüße und noch mehr Solidarität!

@ gabi

Irie 27.07.2010 - 15:52
Wieso fragst du nicht direkt per E-Mail nach? Das hier ist doch nur ein Artikel.

a wa dreckle

exilnerdinger 27.07.2010 - 16:29
Was habt ihr gegen neue, schnellere Bahnstrecken? Warum wollt ihr diesen monströsen Bonatzbau (seht euch mal seine Biografie an!) als Bahnhof behalten? Der Klotz gehört eigentlich ganz abgerissen. Ich finde die Pläne super, vor allem für die Region. Vielleicht hilft die Modernisierung der Bahnlinien sogar, den Schwaben ihren Autowahn auszutreiben.

@exilnerdinger

schwabe 27.07.2010 - 18:29
was die bürger daran stört, weis ich nicht. was mich stört: es handelt sich hier um ein milliardenschweres prestigeprojekt, das vollkommen intransparent und undemokratisch durchgepeitscht wird, und worunter ALLE anderen (gerade ländliche) zugstrecken (und sonstige öffentliche bauprojekte) in BaWü leiden, da für diese kein geld mehr da ist!

@gabi

wieß nicht 27.07.2010 - 23:00
nunja vielleicht bringt das ganze ruhe - mag ich nicht beurteilen, bin n stuttgart mal umgestiegen sonst nichts, aber allgemein, kann man annehmen:

wenn es ruhiger wird und vermutlich die qualität steigt, steigen die mieten - es würde also einen typischen fall von gentrifikation stattfinden mit allem drum und dran: z.B. bisherige bevölkerung wird verdrängt, weil sie sich höhere mieten nich leisten können. und wenn die qualität ansteigt, wie du sagst, werden auch die mieten steigen, könnt ich wetten!

meine einschätzung und das obwohl ich stuttgart kaum kenne.