Kiel vor der antifaschistischen Demo

eiliger Berichterstatter 30.06.2010 19:54 Themen: Antifa
- Kieler Naziszene weiterhin aktiv

- Mehrere tausend Flugblätter für antifaschistische Demo am Freitag verteilt, 1.000 Teilnehmer_innen erwartet

- Antifaschistischer Druck zeigt Wirkung: Kieler SPD und Oberbürgermeister versuchen sich durch Solidaritätsbekundungen aus der Affäre zu ziehen
Nach wie vor ist ein harter Kern Kieler Neonazis unter dem Namen „Aktionsgruppe Kiel“ aktiv in der Schleswig-Holsteinischen Landeshauptstadt. Nach wie vor haben sie inhaltlich außer den altbekannten dumpfen Parolen nicht viel zu sagen, sondern pflegen ihr aktivistisches („soldatisches“) Selbstverständnis mit pathetischen Texten und niedrigschwelligem Aktivismus. Dieser reicht von Aufkleber verkleben und Flugblätter verteilen bis hin zu spontanen und geplanten Übergriffen auf tatsächliche oder vermeintliche Gegner_innen, sowie auf Migrant_innen. Dass das von den Nazis gepflegte Image als gewaltgeile Aktive, für die es nichts Wichtigeres als ihren Kampf gibt, nicht auf alle jungen Leute abschreckend wirkt zeigen die öffentlichen Auftritte der Gruppe: Sowohl zu Aktivitäten innerhalb- wie auch zu Aktivitäten außerhalb Kiels konnten Daniel Zöllner und Thomas Breit in den letzten Wochen sehr junge Neonazis mobilisieren. Aussagen von Sozialarbeiter_innen zufolge rekrutieren die Neonazis ihren Nachwuchs teilweise direkt auf und vor Schulhöfen vor allem im Kieler Norden.

In den letzten Wochen traten Jungnazis unter anderem in den Stadtteilen Friedrichsort (am Strand) und Holtenau auf, wo sie durch aggressives Provozieren türkischer Jugendlicher, verkleben von Aufklebern, neonazistischen Schmierereien (immer wieder auch Hakenkreuzen), lautem Abspielen von Nazi-Rock und Grölen von Naziparolen auffielen. Im Vorfeld der Nazi-Demo in Hildesheim verteilten Kieler Neonazis mehrmals unter der „Führung“ von Zöllner Flugblätter in der Innenstadt. Auf ihrer Internetseite berichtet die „AG Kiel“ in diesem Zusammenhang von Auseinandersetzungen mit Gegner_innen. Gerüchten zufolge sollen sie hierbei unter anderem mit einem Hammer (!) bewaffnet gewesen sein.

Anlässlich des anstehenden Gerichtsprozesses wegen eines schweren Naziübergriffs auf einen Tänzer des Kieler Opernhauses vor einem Jahr mobilisiert ein breites Bündnis von Betroffenen rechter Gewalt und Unterstützer_innen für eine antifaschistische Demo am kommenden Freitag in Kiel (www.nonaziskiel.blogsport.de ; einen Hintergrundartikel findet ihr hier:  http://de.indymedia.org/2010/06/283657.shtml?c=on#comments2). Mittlerweile haben Aktivist_innen mehrere tausend Flugblätter an verschiedenen Orten der Stadt verteilt, unter anderem am Opernhaus, dem ehemaligen Arbeitsplatz von Claudiu C.. Obwohl die Demo nicht an einem Wochenendtag stattfindet, rechnet das Demo-Bündnis mit bis zu 1.000 Teilnehmer_innen. Der sich aufbauende antifaschistische Druck, welcher nicht nur die Aktivitäten und Gewalttätigkeiten der Kieler Naziszene thematisiert, sondern vor allem auch das Wegschauen der Polizei und das Schweigen der etablierten (städtischen) Politik, zeigt unterdessen Wirkung. Die Kieler SPD, welche auch den Oberbürgermeister stellt, sah sich nach heftiger interner Kritik und sicherlich auch begründeter Angst vor anstehenden Peinlichkeiten im Zuge der antifaschistischen Kampagne gezwungen, ein paar Prominente loszuschicken um Kontakt zu Betroffenen der Nazigewalt zu suchen. MdL Bartels und Konsorten nahmen sich hierzu vor drei Wochen allerdings lediglich einen halben Nachmittag Zeit und besuchten zwei in den letzten Jahren mehrfach angegriffene Projekte – natürlich ohne irgendwelche Zusagen zu machen oder konkrete Unterstützung anzubieten. Pünktlich kurz vor der Demo reagierte nun auch Kiels Oberbürgermeister Thorsten Albig mit einer gemeinsamen Erklärung mit Stadtpräsidentin und hohen Gewerkschaftsvertreter_innen auf die schweren Vorwürfe des Demo-Bündnisses. In ihrer Erklärung rufen die hohen Damen und Herren tatsächlich zur Unterstützung antifaschistischer Aktivitäten auf. (In dem Aufruf zur Demo wird u.a. Albig vorgeworfen zu der Nazigewalt in der Stadt zu schweigen und damit zu einem gesellschaftlichen Klima beizutragen, ohne dass die Nazis gar keine Chance hätten dermaßen dreist aufzutreten.)

Mittlerweile ruft die Kieler SPD sogar mit einem eigenen Aufruf zur Demo auf - immerhin zu einer Demo, in deren Aufruf sie selbst scharf angegriffen wird. Mensch darf gespannt sein, was die „Genoss_innen“ sich noch alles einfallen lassen, immerhin scheint das „Kartell des Totschweigens“ aus Lokalpolitik, Polizei und Lokalmedien ein wenig zu bröckeln... Heute ist auf KN-online auch ein längerer Artikel zu dem Angriff auf Claudiu zu lesen, in dem die Kieler Nazigewalt thematisiert wird. Natürlich wird die Kritik an dem systematischen Wegschauen der Polizei und dem (bisherigen) Schweigen der Politik komplett ausgespart.

Es wird nun an der antifaschistischen Bewegung der Stadt liegen, die Erfolge der Kampagne auszubauen, weiterhin laut ihre Stimme zu erheben und den politischen Druck zu verstärken – nicht nur am Freitag.
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Ergänzungen

Artikel der KN von heute

Feindbeobachtung 30.06.2010 - 20:03
Prozess um Attacke auf Kieler Balletttänzer beginnt - Aufruf zur Demonstration

Er wird nie mehr tanzen können

Kiel. Der brutale Angriff auf einen Kieler Balletttänzer wird am Dienstag, 6. Juli, vor dem Kieler Amtsgericht verhandelt. Claudiu C. war am 18. April 2009 als Unbeteiligter in Auseinandersetzungen zwischen Rechtsextremen und Nazigegnern geraten und schwer verletzt worden. Das Bündnis „Runder Tisch gegen Rassismus und Faschismus - Kiel“ ruft aus diesem Anlass zu einer Demonstration gegen faschistische Gewalt am Freitag, 2. Juli, auf. Die Kundgebung soll um 16 Uhr am Kieler Hauptbahnhof beginnen. In einer gemeinsamen Erklärung appellierten auch Susanne Schöttke (ver.di Kiel-Plön), Peter Seeger (IG Metall Kiel/Neumünster), Ralph Müller-Beck (Deutscher Gewerkschaftsbund Kiel), Stadtpräsidentin Cathy Kietzer und Oberbürgermeister Torsten Albig an Solidarität gegen faschistische Gewalt in Kiel: „Lassen Sie uns eintreten für das Unterbinden von faschistischer Propaganda in der Stadt, gegen faschistische Aufmärsche und Kundgebungen und für die Unterstützung antifaschistischer Aktivitäten“, heißt es darin.

Am kommenden Dienstag ab 9 Uhr muss sich dann der mutmaßliche Schläger, den die Polizei dem rechtsextremen Lager zuordnet, in einem Strafprozess wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten. Wie das Theater Kiel mitteilt, bleibt der schwer verletzte Künstler Claudiu C., der damals mit zwei Kollegen das Opernhaus nach einer Probe verlassen hatte, infolge der hinterrücks geführten Faust-Attacke dauerhaft arbeitsunfähig und auf einem Ohr taub.

„Nach einem Jahr quälender Reha und einem leider gescheiterten Wiedereingliederungsversuch in die Kompanie des Balletts Kiel muss ich akzeptieren, dass die Gleichgewichtsstörungen und die einseitige Taubheit aufgrund des doppelten Schädelbasisbruchs irreparabel sind und ich nie wieder werde tanzen können“, so Claudiu. Nach Pressemitteilung der Kieler Bühnen absolviert der Künstler derzeit Praktika in verschiedenen Bereichen des Theaters, an die sich dann eine Ausbildung oder Umschulung anschließen könne.


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Der „Runde Tisch gegen Rassismus und Faschismus - Kiel“ erinnert in diesem Zusammenhang an weitere gewalttätige Aktionen rechtsextremer Kräfte, die sich in der Vergangenheit wiederholt linke und demokratische Projekte als Zielscheibe gesucht hätten. Dazu gehörten die Alte Meierei, das Wohnprojekt „Dampfziegelei e.V.“, der Kinderladen in der Hansastraße 48 sowie der Buchladen „Zapata“. gey/mad

Wer ruft jetzt auf?Wer veranstaltet die Demo?

Frager 30.06.2010 - 20:06
Wer ruft denn jetzt zur Demo auf und wer veranstaltet sie? ist nonaziskiel.blogsport.de nicht die Bündnisseite? Da kann ich den Runden Tisch gar nicht finden, spannend dass die jetzt die Demo-Sprecher sind...

Taz von heute zum Thema

Kommentator 01.07.2010 - 14:29
Im Anhang der Artikel der Taz von heute.
Was soll mensch dazu sagen?
Wenn selbst Andreas Speit - der ja eigentlich über hinreichende Informationsquellen verfügen müsste - die antifaschistische Kritik an Albig und Co ausspart und sich stattdessen darüber freut dass ausgerechnet OB und Stadtpräsidenten zur Demo aufrufen, bleibt uns wirklich nur die Öffentlichkeit der Strasse...
Damit Niemand durcheinanderkommt: Die Demo findet MORGEN (Freitag) ab 16:oo statt, nicht wie fälschlicherweise in der Taz berichtet am Samstag!



DER RECHTE RAND
Wie Neonazis in Kiel agieren
Übergriffe und Sachschäden
Nach einem Angriff von Neonazis kann der Tänzer Claudiu C. seinen Beruf nicht mehr ausüben. Irreparable Gleichgewichtsstörungen und Taubheitsgefühle auf der einen Körperhälfte werden bleiben. Nach einem Jahr quälender Reha, so der Balletttänzer beim Kieler Opernhaus, stünde fest: Nie wieder werde er auf einer Bühne tanzen können.

Über ein Jahr ist der brutale Angriff her. Am Nachmittag des 18. April 2009 hatte nahe des Kieler Rathauses der "Runde Tisch gegen Rassismus" einen Infostand aufgebaut. Mit Holzknüppeln bewaffnet versuchten an die 30 Neonazis der "Aktionsgruppe Kiel" die Teilnehmer anzugreifen. Am Rande schlug der Neonazi Christopher R., im Jahr 2008 NPD-Kandidat bei der Kommunalwahl, den unbeteiligten Claudiu C. nieder. Mit zwei Arbeitskollegen hatte C. das Opernhaus verlassen. Der Faustschlag des Neonazis kam so unerwartet und so brutal dass C. einen doppelten Schädelbasisbruch erlitt.

"In den vergangenen zwei Jahren wurden eine Vielzahl von Menschen durch Neonazis verletzt, sie richteten Sachschäden in Höhe von mehreren 10.000 Euros an", sagt eine Sprecherin des Bündnis "Runder Tisch". Und sie erinnert daran, dass Unbekannte auf das linke Zentrum "Alte Meierei" geschossen haben. Steine flogen zuletzt am 9. Mai durch das Fenster eines Kinderzimmers in dem Wohnprojekt "Dampfziegelei". In der selben Nacht gingen auch Scheiben des Buchladens "Zapata" zu Bruch.

Warum die Nazis so auftreten glaubt Harald Mücke vom Buchladen zu wissen: "Im Rat der Stadt wird von Bandenkriegen zwischen Links und Rechts gesprochen." Am Samstag will der "Runde Tisch" mit einer Demonstration Solidarität für alle Opfer rechter Gewalt zeigen. Zu der Aktion rufen auch die Stadtpräsidentin Cathy Kietzer (SPD) und Oberbürgermeister Torsten Albig (SPD) auf. Die Demo beginnt um 16 Uhr am Kieler Hauptbahnhof.

Hinweis:
ANDREAS SPEIT arbeitet als freier Journalist und Autor über die rechte Szene nicht nur in Norddeutschland

Richtigstellung Demo in Bargteheide

Fredi Bobic 01.07.2010 - 14:51
Am morgigen Freitag ist eine (man mag fast sagen lokale) Bündnis-Demo in Bargteheide (16 Uhr Beginn). Die Demo findet u.a. statt, weil zwei Wochen zuvor ca. 50 Neonazis darunter Daniel Zöllner und Christian Worch durch die Stadt gezogen sind. Der Bürgermeister hatte zusammen mit der Polizei verheimlicht, dass die Nazis kommen werden. Morgen ist also KEIN Nazi-Aufmarsch in Bargteheide, und vermutlich lassen sich die Neonazis aus Stormarn nur am Rande blicken, wenn diese überhaupt schon schulfrei (respektive hitzefrei) haben. Das soll natürlich keine Verhamrlosung sein.

Wie immer gilt: Erst lesen, dann verstehen und dann schreiben...

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Achtung! — name

@Bargteheide — viel spaß und so

@Frager — aus dem Bündnis

Interessant — Egal