Wem gehört der Staat?

Ludwig Schönenbach 16.06.2010 20:38 Themen: Repression
Die Schriftstellerin und engagierte Publizistin aus der ehemaligen DDR Daniela Dahn hat in einem sehr interessanten Artikel im "Freitag" vom 25.5.2010 dargestellt, auf welchem staatsrechtlichen Konstrukt die erstaunliche Kontinuität beruht, die zwischen der Herrschaftspraxis des Absolutismus und dem Selbstverständnis und Herrschaftsgebaren moderner politischer Klassen besteht. Dabei scheint es kaum eine Rolle zu spielen, ob sie sich als autoritär oder demokratisch verstehen. Auf einen einfachen Nenner gebracht, könnte man hier vielleicht die volkstümliche Redewendung zum besseren Verständnis heranziehen, die da lautet: "Die da oben machen doch, was sie wollen!"
Die Schriftstellerin und engagierte Publizistin aus der ehemaligen DDR Daniela Dahn hat in einem sehr interessanten Artikel im "Freitag" vom 25.5.2010 dargestellt, auf welchem staatsrechtlichen Konstrukt die erstaunliche Kontinuität beruht, die zwischen der Herrschaftspraxis des Absolutismus und dem Selbstverständnis und Herrschaftsgebaren moderner politischer Klassen besteht. Dabei scheint es kaum eine Rolle zu spielen, ob es sich um autoritäre Regime handelt oder solche,die sich als demokratisch verstehen oder ausgeben. Auf einen einfachen Nenner gebracht, könnte man hier vielleicht die volkstümliche Redewendung zum besseren Verständnis heranziehen, die da lautet: "Die da oben machen doch, was sie wollen!"
Nach der einleuchtenden These von Daniela Dahn stützen sich die modernen politischen Klassen auf eine Fiktion, nämlich die "Fiktion des Staates als juristischer Person", mit der der Staatsrechtler Wilhelm Eduard Albrecht im Jahre 1837 die Voraussetzung geschaffen hat, "durch die das Privateigentum des Königs von dem des Staates abgegrenzt" werden konnte. Daniela Dahn erklärt dazu, dass "das einerseits sinnvoll war, andererseits aber den Hofstaat zum wirtschaftlichen Vormund über seine Untertanen machte."
Die Tatsache, dass man damals dem Staat den Status oder die Rechte einer "juristischen Person" zuerkannt hatte, erlaubt es der politischen Klasse offenbar auch heute noch , diesen zwischen den Wahlen wie ihr Eigentum zu nutzen und zu benutzen, obwohl seit der Entstehung des Gedankens der Volkssouveränität das Volk der eigentliche Souverän und damit auch der eigentliche Besitzer des Staates ist. Falls Albrechts "Fiktion des Staates als einer juristischen Person" also für das Jahr 1837 ein Fortschritt auf dem Wege von der Monarchie zur Republik gewesen sein sollte, so kann es meiner Ansicht nach nur noch als Täuschung oder Betrug angesehen werden, dass die politische Klasse h e u t e mit Hilfe dieser "Fiktion" den Staat mit allen damit verbundenen Rechten und Besitztümern usurpiert hat und über ihn verfügt, als sei er ihr Eigentum, wie wir es im Augenblick bei der Privatisierung, der Verschuldung und Verpfändung von "Staatseigentum" ohne Rücksicht auf den Mehrheitswillen in großem Stil erleben.
Dass die politische Klasse diese Fiktion nicht bloss als staatsrechtliches Erbe der Übergangszeit von der Monarchie zur "Demokratie'" übernommen hat, ohne sich der Tragweite dieser Kontinuität bewusst zu sein, darauf deutet ja wohl auch die Tatsache hin, dass sich unsere "Könige auf Zeit" gerne mit dem Nimbus, dem Zeremoniell und den Traditionen von Absolutismus und Monarchie umgeben, wie man man es bei Staatsempfängen, Staatsbesuchen, Staatsbegräbnissen, Militärparaden und anderen Militärspektakeln wie dem "Großen Zapfenstreich", mit dem unser Bundespräsident für seinen "Dienst am Vaterland" belohnt wird, mit Staunen beobachten kann.
Auch die heutige Außenpolitik ist wohl noch ein Relikt aus monarchischen Zeiten, bei dem man ohne Rücksicht auf die Ächtung von Mord und Todesstrafe in der europäischen Zivilisation weiterhin in großem Stil drauflos töten kann. Als "Sport der Könige" sozusagen!
Der Jurist Henning Uhlenbrock, der sich im Jahr 2000 in einer Dissertation mit diesem Thema beschäftigt hat, sieht in der Doktrin vom Staat als juristischer Person "ein Relikt der vom monarchischen Prinzip geprägten Staatsrechtslehre". Sie habe sich den fortschreitenden Verfassungsentwicklungen nicht angepasst und könne angesichts der Geltung des Grundgesetzes "nur sehr eingeschränkt aufrechterhalten werden"."Denn wenn der vom Souverän abgekoppelte Staat sich zum Subjekt von Hoheitsrechten erklärt. wird das Volk auf ein bloßes Wahlorgan reduziert. Und so fühlt es sich ja auch."
Auf jeden Fall müsste es eines der nächsten Ziele aller emanzipatorischen Bewegungen und auch Parteien sein, dass die "Fiktion der juristischen Person"öffentlich als das entlarvt wird, was sie ist, nämlich ein Betrug an den gutgläubigen Bürgern, denen man erfolgreich eingeredet hat, sie lebten in einer Demokratie, und aus dem Staatsrecht demokratischer Staaten getilgt wird, weil es die Verwirklichung einer echten Demokratie verhindert hat und mit dem Grundgesetz wohl kaum in Einklang zu bringen sein dürfte. Die Verschuldung und Verpfändung des Staates, der Verkauf von Staatseigentum und vor allem Verschleuderung aller Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge sollte gegen den Willen der Betroffenen nicht mehr möglich sein! Auch Kriege gegen den Willen der überwiegenden Mehrheit dürften dann der Vergangenheit angehören. Der Staat dürfte sich sogar "erpressen lassen"! Und erst dann könnten auch wir -. als Bürger - ein wenig stolz darauf sein, in einer Demokratie zu leben. Mit dem endgültigen Absterben des Staates werden wir ja doch noch ein wenig warten müssen!
Ludwig Schönenbach
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Ergänzungen

Gegendarstellung

Staatskritik 17.06.2010 - 13:38

Juristische Person der Unternehmen

Fritz Letsch 25.12.2010 - 20:58
Die hier vertretene gesellschaftliche und staatsrechtliche Sicht ist typisch aus der idealistischen Sichtweise staatsozialistischer Überlegungen, die nicht einrechnen, dass es noch eine weitere Rechtsform gibt: Die des Unternehmens. Entsprechend einem Verein ist eine eingetragene Gesellschaft oder Genossenschaft als juristische Person anerkannt und versteht sich selbst ebenso. Als Reaktion darauf ist das Handeln der gemeinschaftlichen juristischen Person ein Handeln des „Staat im Staate“; wird die gemeinsame Körperschaft über das Einzel- und das Staatswohl gestellt, weil es ja auch der eigenen Daseinsvorsorge und Zukunftssicherheit dient. Dies entspricht dem traditionellen Höherstellen der eigenen Familie (oder des Stammes oder der Partei) innerhalb der Gesellschaft, was immer schon auch als Rechtfertigung und Begründung für Lobbyismus, Steuerhinterziehung und Postenschacher / Seilschaften galt.