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Saalfeld: Kein Fußbreit den Emanzipationsfein

AK Kritische Gesellschaftsanalyse 10.05.2010 15:22
Einen Auftritt von Holger Burner bei einer "Befreiungsparty" am 8. Mai im Saalfelder Klubhaus nahmen kritisch gesinnte Leute zum Anlass, ein Flugblatt zu verteilen, in dem sie über die sowohl strukturell-antisemtische als auch geschichtsrevisionistische Haltung Holger Burners aufklärten.
Einen Auftritt von Holger Burner bei einer "Befreiungsparty" am 8. Mai im Saalfelder Klubhaus nahmen kritisch gesinnte Leute zum Anlass, ein Flugblatt zu verteilen, in dem sie über die sowohl strukturell-antisemtische als auch geschichtsrevisionistische Haltung Holger Burners aufklärten. Neben konkreter Kritik an den Texten des selbsternannten "Klassenkampf-Rappers" bozogen sich die Autor_innen auch auf die solidarische Haltung Holger Burners gegenüber dem Antisemiten Hugo Chavez. Weiterhin forderten sie in dem Flugblatt, künftig keinen Raum für Antisemiten in linken Projekten bereitzustellen.

Nachfolgend der Text des verteilten Flugblattes:

"Kein Fußbreit den Emanzipationsfeinden...

...oder warum wir der Ansicht sind, dass Holger Burner kein Forum zur Verbreitung seiner antisemitischen Haltung geboten werden sollte

Holger Burner, seines Zeichens „Klassenkampf-Rapper“, soll heute Abend im Saalfelder Klubhaus auftreten. Die Einsicht, dass die Inhalte, die Holger Burner mit seinen Songs verbreitet, objektiv betrachtet mitnichten den emanzipatorischen Anstrich tragen, den er ihnen selbst zuspricht, war für uns Anlass zur Herstellung dieses Flyers.

So begreift er das kapitalistische System der Vergesellschaftung nicht etwa als ein Ganzes, das alle Lebensbereiche durchdringt und dem man sich innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft nicht entziehen kann, sondern er personifiziert die aus dem Kapitalismus resultierenden Zurichtungsmechanismen: Schuld an der ganzen Scheiße ist bei ihm nicht das System an sich, sondern wahlweise diverse Konzern-Chefs, George W. Bush oder etwa vermeintliche Yuppies.[1] Von einer emanzipatorischen Kritik der kapitalistischen Verhältnisse ist er damit meilenweit entfernt. Denn nicht etwa nur Manager, Banker oder gar George W. Bush sind für das Funktionieren der kapitalistischen Zurichtungsmaschinerie verantwortlich, sondern auch der_die Lohnarbeiter_in, der_die mit dem oftmals unfreiwilligen Verkauf seiner_ihrer Arbeitskraft auf dem Markt die Lohnarbeit und damit den Kapitalismus als solchen akzeptiert. Bei Holger Burner scheint es ganz so, als würde mit der Liquidierung diverser Charaktermasken des Kapitals sogleich das Ende von Herrschaft, Ausbeutung und Gewalt eingeläutet.

Doch die Personifizierung kapitalistischer Zurichtung, wie etwa im Song „Ketten zerreißen“ - „Ich will Uzis verteilen von Hamburg bis München – Mit dem Aufruf die Chefs aller Banken zu lynchen“ - ist nicht nur analytisch völliger Nonsens. Durch die Identifikation Einzelner mit dem Kapital – im hier gewählten Beispiel sind das die „Chefs aller Banken“ - begibt er sich in strukturell-antisemitische Erklärungsmuster: Was im Nationalsozialismus „der Jude“ als „Agent des Kapitals“ war, ist heute die Charaktermaske von der Hypo Real Estate. Ein Antisemitismus also, der keine Juden_Jüdinnen mehr benötigt. Als Grundlage beider Konzeptionen fungiert dabei eine verhängnisvolle Trennung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse in eine vermeintlich gute Produktionssphäre und eine vermeintlich böse, raffende Finanzsphäre, in der schließlich der_die Arbeiter_in um seinen_ihren gerechten Lohn gebracht werde.

Dass Zirkulation und Produktion nicht voneinander zu trennen sind und sich wechselseitig bedingen, scheint sich dem „Klassenkampf-Rapper“ nicht zu erschließen. Er verkennt, dass die Grundlage der Dynamik des Kapitals nicht etwa die Banken sind, sondern ein notwendig falsches Bewusstsein der Gesellschaft. Dieses falsche Bewusstsein verschleiert die gesellschaftlichen Realitäten und lässt sie als das erscheinen, was sie vorgeblich sind: Als eine Freiheit und Gleichheit aller. Somit erfolgt die wirkliche Ausbeutung nicht durch den Banker oder Manager, also in der Zirkulationssphäre, sondern bereits in der Produktionssphäre durch den Verkauf der Ware Arbeitskraft, deren Gebrauchswert in einer Generierung von Mehrwert besteht. Folglich ist auch der wahnwitzige Plan, den Kapitalismus erschießen zu wollen, notwendigerweise zum Scheitern verurteilt; am Ende liegt immer ein Mensch auf der Straße.

Psychoanalytisch soll hier mit der Ausrottung jener, die mit dem Kapital identifiziert werden, alsbald die gleichsam schmerzliche sowie verdrängte Erinnerung an die Nichterfüllbarkeit des bürgerlichen Glücksversprechens, nämlich der Gleichheit aller in concreto, ausgelöscht werden. Mit dem Mord an den Bankern, die als Projektionsfläche für die als Ursache der konkreten Ungleichheit der Subjekte wahrgenommene Finanzsphäre herhalten müssen, sollen gleichsam die vermeintlich durch die Finanzsphäre ausgelösten Übel verschwinden. Ein wahrhaft irrsinniges Unterfangen.

Neben einer Kapitalismuskritik, die diese Bezeichnung eigentlich nicht verdient, übt er sich auch in einer politisch nicht zu verantwortenden Verharmlosung nationalsozialistischer Verbrechen: „Damals die Nazis, heute schmeißt die Bomben die NATO“[2] oder „Kurze Zeit später andres Land, kaum andre Zeit – inzwischen gibt’s in Deutschland wieder Zwangsarbeit.“[3] Im Hinblick darauf, dass es sich bei der heutigen Veranstaltung um eine „Befreiungsparty“ handelt, erscheint es besonders paradox, einem Geschichtsrevisionisten wie Holger Burner ein Podium zur Agitation zu bieten.

Auch die politische Alltagspraxis des Rappers, der mit bürgerlichen Namen David Schultz heißt, zeugt nicht gerade von einer Fähigkeit zur Reflexion. Er sei „[...] gegen jeden Nationalismus und vor allem gegen den Zionismus“, kolportierte er bei einem Auftritt auf einem Anti-G8-Camp der Berliner „Falken“ im Jahr 2007 in völliger Ignoranz gegenüber dem Konzept Israels als historisch begründeten sowie notwendigen Schutzraum für Juden aus aller Welt. In Reaktion auf dieses Statement distanzierten sich die Verantwortlichen von Holger Burner und entschuldigten sich für dessen „antisemitischen und antizionistischen“ Aussagen.

Im Widerspruch zu seiner vermeintlich antinationalen Einstellung steht mithin auch seine Sympathie zum venezuelanischen Präsidenten Hugo Chavez. So solidarisiert sich der Rapper mit seinem „amigo“ und dessen nationalistischer Regierung.[4] Und überhaupt: Nicht nur die affirmative Haltung gegenüber des Nationalstaates Venezuela bedarf dabei einer Kritik, sondern auch die Person Hugo Chavez selbst. „Das ist eine ungerechtfertigte Aggression [gemeint war die Außenpolitik Israels gegenüber dem Libanon; die Verfasser], die in einer faschistischen Art wie einst von Hitler geführt wird“, verlautbart der Präsident im Jahr 2006 in Dubai und lässt damit keinen Raum für Zweifel an seiner dezidiert antisemitischen Haltung.

Wir sehen also: Es gibt viele gute Gründe, die dafür sprechen, sich die Songs von Holger Burner einmal kritisch zu Gemüte zu führen und es bleibt zu hoffen, dass die Erkenntnis über die Emanzipationsfeindlichkeit des „Klassenkampf-Rappers“ weite Kreise zieht. Bisweilen müsste auch das kurze Statement mit Selbstbezug „Zu wahr um schön zu sein...“, das aktuell auf Holger Burners Myspace-Seite zu lesen ist, richtigerweise „Zu dumm um wahr zu sein...“ lauten. Wir verbleiben mit dem Appell, dass zukünftig kein Raum mehr für Antisemiten und solche, die unverhohlen zur Menschenjagd aufrufen, in linken Projekten bereitgestellt wird.



Fußnoten:

[1] Vgl. „Deshalb“ und „America del Sur“ von Holger Burner
[2] Vgl. „Antifahistory“ von Holger Burner
[3] Vgl. „Si se puede“ von Holger Burner
[4] Vgl. „Deshalb“ von Holger Burner


(AK Kritische Gesellschaftsanalyse)


Für eine wahrhaft kritisch-emanzipatorische Bewegung!"
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Ergänzungen

Contra Wertkritik

Antifa 10.05.2010 - 16:34
Kritik an den Texten von Holger Burner hat durchaus ihre Berechtigung, schließlich spiegeln sich darin einige falsche Ansichten wieder, die in der radikalen Linken immernoch weit verbreitet sind. Allerdings sind mir auch in eurem Text einige Aussagen aufgestoßen, womit ich vor allem auf folgenden Satz meine:
"Denn nicht etwa nur Manager, Banker oder gar George W. Bush sind für das Funktionieren der kapitalistischen Zurichtungsmaschinerie verantwortlich, sondern auch der_die Lohnarbeiter_in, der_die mit dem oftmals unfreiwilligen Verkauf seiner_ihrer Arbeitskraft auf dem Markt die Lohnarbeit und damit den Kapitalismus als solchen akzeptiert."
Ihr solltet mal über die Widersprüchlickeit in diesem Satz nachdenken. Lohnarbeiter_innen sollen also eine Mitschuld an den kapitalistischen Verhältnissen tragen, obwohl sie dem Zwang unterliegen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen? Per Zwang zu "akzeptieren" ist nicht möglich. Alternativen zum "Mitspielen" gibt es in der Regel auch nicht, wenn Hartz4 und sozialer Abstieg vermieden werden sollen. Somit gibt es natürlich verschiedene Verantwortlichkeiten für die Reproduktion von kapitalistischer Verwertungslogik. Deshalb hat Klassenkampf als poltische Gegenstrategie auch nichts an Bedeutung verloren, getreu dem Motto "Fight the game, fight the players". Um dabei strukturellem Antisemitismus und der Personifikation ökonomischer Verhältnisse zu entgehen genügt ein Blick in "Das Kapital" von Karl Marx:
"Die Waren können nicht selbst zu Markte gehn und sich nicht selbst austauschen. Wir müssen uns also nach ihren Hütern umsehn, den Warenbesitzern. Die Waren sind Dinge und daher widerstandslos gegen den Menschen. Wenn sie nicht willig, kann er Gewalt brauchen, in andren Worten, sie nehmen. Um diese Dinge als Waren aufeinander zu beziehn, müssen die Warenhüter sich zueinander als Personen verhalten, deren Willen in jenen Dingen haust, so daß der eine nur mit dem Willen des andren, also jeder nur vermittelst eines, beiden gemeinsamen Willensakts sich die fremde Ware aneignet, indem er die eigne veräußert. Sie müssen sich daher wechselseitig als Privateigentümer anerkennen. Dies Rechtsverhältnis, dessen Form der Vertrag ist, ob nun legal entwickelt oder nicht, ist ein Willensverhältnis, worin sich das ökonomische Verhältnis widerspiegelt. Der Inhalt dieses Rechts- oder Willensverhältnisses ist durch das ökonomische Verhältnis selbst gegeben. Die Personen existieren hier nur füreinander als Repräsentanten von Ware und daher als Warenbesitzer. Wir werden überhaupt im Fortgang der Entwicklung finden, daß die ökonomischen Charaktermasken der Personen nur die Personifikationen der ökonomischen Verhältnisse sind, als deren Träger sie sich gegenübertreten." Bei Charaktermasken handelt es "sich hier um die Personen nur, soweit sie die Personifikation ökonomischer Kategorien sind, Träger von bestimmten Klassenverhältnissen und Interessen", für die es keinen Sinn hätte, "den einzelnen verantwortlich [zu] machen."

muss ausgefüllt werden

muss ausgefüllt werden 10.05.2010 - 19:36
Ist schon toll euer Text... wegen einer Textzeile seitenlang darüber schreiben, das nur Banker herausgenommen werden a la "böses finanzkapital" und einfach mal ignorieren, das in viel mehr texten über die tatsächlichen Wirkungsweisen des Kapitalismus gerappt wird... ist ja auch viel einfacher, einzelne Textzeilen aus einzelnen Texten rauszunehmen und den Rest zu ignorieren wie z.B.  http://www.youtube.com/watch?v=e98XS7pFB0Q

Ich mache mir die welt widewidewie sie mir gefällt...

Dazu fällt mir kein Titel ein!

Ein Saalfelder Beobachter 11.05.2010 - 23:25
Dem Inhalt des Flugblattes mal vorweg genommen: Ich finde es zutiefst unverschämt den Auftritt eines Künstlers zu besuchen, um dort Flugblätter zu verteilen die in einer unverhohlenen Art und Weise gegen den besagten hetzen, dass ich nicht weiß ob ich lachen oder Heulen soll. Lachen aus dem Grund weil es nur ein schlechter Scherz sein kann und heulen weil solche Leute (Die/Der Verfasser_Innen) auch noch Akademiker sind und es eigentlich besser machen sollten. Im Vordergrund bzw. vor der Veranstaltung zu Informieren und auf einen eventuellen Verzicht auf die Person hinaus zu Arbeiten ist eine vernünftige Methode - wenn die Kritik berechtigt ist aber zur Party zu kommen und während des Auftrittes des "Hassobjektes" die besagten Flyer zu verteilen ist einfach nur der absolute Knaller. Ähnlich wäre es als Antifaschist auf ein Konzert von z.B. Kategorie C zu gehen, die sich ja bis vor kurzem noch zutiefst vom rechten Spektrum distanzierten obwohl klar war das 90% aller Hörer, Fans etc. aus eben diesem kommen, und dort Flyer zu verteilen auf denen zu lesen ist das Kategorie C Bezüge zur rechten Szene hat - mit dem kleinen aber feinen Unterschied, dass das ne Tatsache ist. Die Moral von der Geschicht: Was ich nicht mag, meide/Boykottiere ich, geschweige denn gebe ich Geld dafür aus um es zu sehen. Zu dem Inhalt: Ich kann mich nur meinen Vorrednern anschließen. Die "Argumente" sind einfach nur zurecht gerückt und so geschnitten wie man sie gerade braucht. Bestes Beispiel dafür ist die Passage "....ein Antisemitismus der keine Juden/Jüdinnen mehr benötigt" Warum zum Teufel ist es denn Antisemitismus wenn es überhaupt nicht um Juden geht? Die Bezeichnung "Antisemit" ist in den Kreisen, in denen sich Holger Burner bewegt eine derbe und bösartige Anschuldigung, die ich in seinem Falle nicht ohne weiteres Dulden würde. Abschließend bin ich der Meinung, das sich die "AK Kritische Gesellschaftsanalyse" mal die Zeit nehmen sollte um auf Wikipedia die Definitionen der Schlagwörter zu verinnerlichen mit denen sie auf dem Blatt wüst umher werfen. Mir fallen da zu aller erst "Antisemitismus, Nationalismus, Zionismus und Kapitalismus" ein, abgesehen von den vielen anderen fehlplatzierten Kraftausdrücken.

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Laalaa — lilu

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Gute Kritik — (muss ausgefüllt werden)

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Falken-Pfingstcamp 07 — Montgomery

klassenkampf — klassenkampf