Der Ruhrpott am Vorabend des Spektakels

for what 07.01.2010 14:39 Themen: Freiräume Kultur Soziale Kämpfe
Am 09. Januar 2010 wird die Kulturhaupstadt Ruhrpott feierlich eröffnet. Seit Monaten werden Hoffnung, Mut & local heroes propagiert und über die Massenmedien auf den Volkskörper projiziert. Kritik an der Kulturhauptstadt formiert sich bislang nur mäßig. Zu undankbar - bis hin zu zynisch - scheint eine politische Auseinandersetzung mit dem kulturalisierten Spektakel und der herrschenden Stadtpolitik. Die AG K2010 ruft zu kreativen Interventionen auf!
Am Wochenende des 9 // 10 Januar 2010 ist es nun soweit: "Die Stunde der Wahrheit naht", sagt Fritz Pleitgen, Vorsitzender der Geschäftsführung von RUHR.2010. Gemeinsam mit dem Ruhr Museum wird am Wochenende die große Eröffnung der Kulturhauptstadt Ruhr gefeiert auf dem Weltkulturerbe Zeche Zollverein in Essen. Bis zu 100.000 besucher_innen werden erwartet, darunter so illustre Gäste wie der Präsident der Europäischen Kommission José Manuel Barroso. 1738 künstler_innen, 300 Projekte, 2500 Veranstaltungen, 500 journalist_innen sowie 500 ehrenamtliche helfer_innen sind offiziell dabei. Seit Monaten werden Hoffnung, Mut & local heroes propagiert und über die Massenmedien auf den Volkskörper projiziert. Kritik an der Kulturhauptstadt formiert sich bislang nur mäßig. Zu undankbar - bis hin zu zynisch - scheint eine politische Auseinandersetzung mit dem kulturalisierten Spektakel und der herrschenden Stadtpolitik. Die AG K2010 ruft zu kreativen Interventionen auf!

Der Ruhrpott befindet sich im Strukturwandel und inszeniert sich als Kulturhauptstadt Europas 2010. Welche Strukturen sich wie gewandelt haben und von welcher Kultur hier die Rede ist, ist eine spannende Frage. Während die Bewerbung zur Kulturhauptstadt eine Art Mut zur Lücke hatte und außerirdisch anmutende Pilotprojekte, wie „Land for Free“ (Grund und Boden für lau) propagierte, hat das offizielle Programm das Projekt fallengelassen und will von derart subversiven Geschenken nichts mehr wissen. Was vorher land for free hieß, heißt jetzt Kreativ.Quartiere und wird ganz normal über den Immobilienmarkt an kreative selbstausbeuter_innen vermittelt: „Zehn Städte haben jeweils einen ‚Roundtable’ aus allen zuständigen Ressorts der Verwaltung und aus der lokalen Kreativwirtschaft einberufen. Hier werden gemeinschaftlich urbane Areale definiert, die sich für eine Entwicklung als "Kreativ.Quartiere" eignen. Und: Hier werden ohne langwierige bürokratische Verzögerungen Leerstände für die Nutzung durch Künstler und Kreative zugänglich gemacht“, so heißt es. Alle nicht berücksichtigten Kulturhauptstadtsprojekte haben sich unterdessen in der Rubrik unprojekte versammelt.

Nicht erst seit Richard Florida’s (2002) „The Rise of the Creative Class“ ist Kreativität - Technologie, Talent, Toleranz - zum Produktionsfaktor avanciert. Bereits 1991 rief Amsterdam’s Bürgermeister Patijn >Keine Kultur ohne Subkultur< und legte später ein millionenschweres creative city Programm (breeding places) zur Integration und letztlich Vereinnahmung besetzter Häuser auf. Seither erweist es sich als schwierig, den wirtschaftlichen Mehrwert kreativer (kultureller) Initiativen zu quantifizieren. Auf die Frage, ob der Hype um die creative city nicht bereits vollends ausgebeutet sei, antwortete Florida kürzlich: I hope not, Bob, I hope not!

Dass politische, soziale, kulturelle, autonome Zentren – sogenannte soziokulturelle Zentren – eine tragende Rolle für die (sub)kulturelle Infrastruktur im neoliberalen Kapitalismus spielen, dürfte weitgehend unstrittig sein. In einer am 8. Dezember 2009 im Dortmunder Domicil vorgestellten Studie zur Bedeutung soziokultureller Zentren in NRW heißt es: "Mit ihren niederschwelligen Raumangeboten für Künstler/innen etc. und andere Selbstständige dieser Branche leisten soziokulturelle Zentren einen bislang zumeist wenig beachteten und auch seitens der Wirtschaftsförderung der Städte kaum angemessen 'honorierten' Beitrag zur endogenen Entwicklung der Kultur- und Kreativwirtschaft". Eine andere kürzlich veröffentlichte Studie der deutschen Bundesregierung beziffert den Sektor kultureller Produktion mit ca. 3% des Bruttosozialprodukts und macht ihn damit sogar zur zweitgrößten Branche nach der Autoindustrie.

Während also klar sein sollte, worum es bei der neuen, flexiblen, kreativen Verwertung von Humankapital in der Stadtentwicklung geht – business as usual – kann man den verantwortlichen lokalpolitiker_innen durchaus Provinzialität anlasten, die der ambitionierten Marketingkampagne zur Metropole Ruhr zuwiderläuft. Und was bedeutet das für 6 Millionen Menschen? Machen die nicht den Pott zu dem, was er ist? Werden sie die ihnen zugedachte Zuschauerrolle erfüllen, die Zeche zahlen und dann *back to work*?

Von einer breiten stadtpolitischen RECHT AUF STADT Bewegung mit 120 Initiativen, wie derzeit in Hamburg scheint der Ruhrpott zwar noch entfernt. Aber auch die kam nicht von irgendwo und ist die Konsequenz aus einer fast schon beispiellosen dt. Stadtumstrukturierung samt Preissteigerung und Verdrängung ...formerly known as gentrification. Neben *land for free* berichten unter anderem  http://www.ruhrbarone.de/ kritisch über das Kulturhauptstadtspektakel und ruft die AG Kritische Kulturhauptstadt (AG K2010) zu kreativen Interventionen auf. Die AG K2010 trifft sich zur Eröffnungsveranstaltung am 09.01. // 14.30 Uhr vor dem Kokerei Café auf der Zeche Zollverein in Essen. Darüber hinaus gab es für das Sondierungstreffen zum Euromayday in Dortmund eine Terminänderung. Der neue Termin ist am 19.01. // 19.00 Uhr im taranta babu in Dortmund. Hierzu wird in Kürze noch gesondert eingeladen werden
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Ergänzungen

dortmund

city 07.01.2010 - 15:15
in dortmund gab es letztens einen appell von bildungsbürger_innen und künstler_innen, der aber nirgends wirklich online steht. die ruhrnachrichten waren sich aus irgendeinem grund nicht zu schade, die forderungen komplett zu drucken  http://www.ruhrnachrichten.de/lokales/dortmund/kultur/Kultur-in-Dortmund-Appell-fuer-den-Erhalt-der-kulturellen-Vielfalt;art13731,759615

und das schreibt der westen
 http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/kultur/Kampf-fuer-Dortmunds-Kultur-id2249197.html

Recht auf Stadt

wuppertal 07.01.2010 - 16:46
Soliaktion für die Beschäftigten des Schauspielhaus in Wuppertal
23. Dezember 2009 // 17. Januar 2010 um 16:00 Uhr vor das Schauspielhaus

Im Opernhaus haben am Abend Gegner des Sparkurses demonstriert. Nach der Aufführung des Stückes „Im Dickicht der Städte“ enterten 15 Aktivisten eines bis dahin nicht bekannten Bündnisses „gegen das Totsparen“ die Bühne. Verkleidet als Bademeister, Bauarbeiter und Kindergartenkinder protestierten sie gegen die geplanten Einsparungen bei Kultur, Sport und im Sozialbereich. Auch wandten sie sich gegen den Döppersberg-Umbau. Das neue Bündnis kündigt weitere Aktionen an. (Radio Wuppertal)

15 verkleidete AktivistInnen solidarisierten sich heute (22.12.09) abend nach dem Theaterstück mit den Beschäftigten, verteilten Blumen, hielten ne Rede, in der zu weiteren Widerstandsaktionen gegen das lokale Sparpaket aufgerufen wurde und verteilten folgendes Flugblatt.

Recht auf Stadt
„Uns gehört die Stadt“, diese alte Parole aller sozialen Kämpfe gilt es wieder zu beleben. Gegenwehr und Aufbau neuer solidarischer Strukturen gehören zusammen. Wir halten es mit dem Intendanten des Tanztheaters in Mexiko-City John Holloway „Wir bitten niemandem um etwas, vielmehr erschaffen wir hier und jetzt unsere kreative Aufsässigkeit, indem wir so weit wie möglich die Momente und Räume ausweiten, in denen wir sagen: Nein, wir beugen uns nicht den Anforderungen des Kapitals, wir werden etwas anderes machen, wir werden die Selbsthilfe fördern, die Kooperation, die Erschaffung gegen das Kapital. Es ist nicht leicht, es ist nicht offensichtlich, aber dies ist die Richtung, in die wir uns bewegen müssen, die wir erkunden müssen. Mit Wut, aber mit einer Wut, die andere Perspektiven eröffnet, die andere Dinge erschafft, eine Wut der Würde. (aus dem Grußwort von John Holloway)

Auf diese Wut vieler WuppertalerInnen setzen wir. Selbstorganisierung und Selbstermächtigung sind auf lange Sicht die einzige Perspektive den Zumutungen zu entfliehen und was Neues aufzubauen! Übrigens nicht nur in Wuppertal, sondern weltweit organisieren und vernetzen sich soziale Bewegungen unter dem Motto „Recht auf Stadt“. Dieses Recht wird nicht erteilt, es gehört allen – unabhängig von sozialer oder nationaler Zugehörigkeit. Die Stadt gehört allen! Deshalb sollten auch alle die Möglichkeit haben, mitzubestimmen, wie Stadt gestaltet wird.

Gefordert sind wir alle! Das Publikum hier genauso wie die über 200 Beschäftigten der Wuppertaler Bühnen, die Bademeister genauso wie der Schwimmverein, die Schulklassen wie die Frühschwimmer und die Badegäste, die den Warmwassertag lieben. Lassen wir uns nicht gegeneinander ausspielen! Sport gegen Kultur, Schwimmbäder gegen das Schauspielhaus.

Diese Stadt gehört allen, nicht nur den Politikern, die die Sparbeschlüsse mal soeben via Presse der Bevölkerung mitteilen. Die Monarchie ist – soweit wir informiert sind – schon länger abgeschafft. Wir sagen: Dies ist vielleicht der Anfang einer neuen städtischen Bewegung. Wir brauchen jetzt eine wirkliche Bewegung gegen das Totsparen. Eine Bewegung von unten, die mitdiskutiert und kritisiert und nicht alle Leuchturmprojekte wie den Döppersberg schluckt.

Wir laden zu einer ersten Solidaritäts- und Bürgerversammlung am 17. Januar 2010 um 16:00 Uhr vor das Schauspielhaus ein. Für Glühwein und Punsch und eine Lautsprecheranlage mit offenen Mikro ist gesorgt. Und sorgen wir dafür, das wir am 15. März 2010 massenhaft vor der entscheidenden Ratssitzung vor dem Barmer Rathaus stehen. Seid herzlich eingeladen und bringt eure Nachbarinnen und Nachbarn mit.

Es grüßen Horst Tappert, Mina K. Husch-Husch, Günther Pröpper, Zuckerfritz, Juri Gagarin und alle anderen von „Wuppertal wehrt sich gegen das Totsparen!“