"Total Extrem?" - ein Interview

"Straßen aus Zucker"-Redaktion 08.12.2009 16:04 Themen: Antifa Freiräume Repression
Begleitend zur zweiten Ausgabe der "Straßen aus Zucker" hat die Redaktion ein kurzes Interview mit der "Initiative gegen jeden Extremismusbegriff" geführt. Angesichts der aktuellen Ereignisse und Debatten gewinnt dieses noch mehr an Aktualität. Erstveröffentlichung auf Indymedia.
Der Berliner Innensenator spricht von "rotlackierte Faschisten", diverse CDU-Politiker_innen rechtfertigen nachträglich die ohnehin getroffene Koalitionsentscheidung, das bisher "nur gegen Rechtsextremismus" eingesetzte Geld nun gegen "jede Form von Extremismus, also auch Linksextremismus und islamischen Extremismus" einzusetzen und der Verfassungsschutz in NRW ist schon einen Schritt weiter und hat genau diesem Konzept folgend seinen dritten "Aufklärungs-Comic" veröffentlicht, in dem der Vorzeigedemokrat seinen Freund vor dem Abrutschen in die linksextreme Szene bewahrt.

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Ein Interview der "Straßen aus Zucker"-Redaktion (SaZ) mit der "Initiative gegen jeden Extremismusbegriff" (INEX):


SaZ: Ihr seid ja im Jahr 2008 mit einem "Offener Brief gegen jeden Extremismusbegriff" in die Öffentlichkeit getreten. Könnt ihr kurz erklären was ihr damit erreichen wolltet und was eure Kritik am Extremismusbegriff ist?

INEX: Am Anfang des Jahres 2008 gab es einen sehr konkreten Anlass, der uns zur Auseinandersetzung mit der Extremismustheorie führte. Der damalige sächsische Innenminister Albrecht Buttolo startete gemeinsam mit VertreterInnen aus Wissenschaft und Medien eine Diffamierungskampagne gegen linke Projekte, so dass wir uns ersthaft um die Existenzgrundlage dieser sorgten. Wiederholt wurden dabei Auseinandersetzungen im Fussball, in der Türsteherszene und bei Naziaufmärschen mit dem Betreiben linker Kulturprojekte gleichgesetzt. Die Grundlage für ein solches Denken samt dieser Angriffe stellt die so genannte Extremismustheorie dar. Mittels derer wird eine gute bürgerliche Mitte herbeigeredet und verherrlicht, die einer ständigen Bedrohung vom linken und rechten Rand ausgesetzt wäre. Aber die Gesellschaft ist nicht so einfach strukturiert, dass es mehrere einteilbare politische Gruppierungen wie Links, Mitte, Rechts existieren, die sich durch eine eindeutige und gleichartige Ideologie auszeichnen würden. Diese klare Aufteilung verharmlost Rassismus, Antisemitismus und andere Ungleichwertigkeitsideologien, die sich durch alle gesellschaftlichen Bereiche ziehen, oder blendet sie gänzlich aus. Beispielweise wirkt ein Alltagsrassismus ebenso in der so genannten „Mitte der Gesellschaft“. Zudem werden linke Gesellschaftskritik und antifaschistischer Widerstand mit dem Denken und Handeln von Nazis gleichgesetzt. Die von Nazis ausgehende Bedrohung für Menschen mit anderer Hautfarbe oder sexueller Orientierung, wird dabei völlig ignoriert.
Statt Diffamierung und Repression braucht es mehr Freiräume für antifaschistische und linksalternative Kultur und Politik.


SaZ: In der aktuellen Ausgabe der "Strassen aus Zucker" geht es ja auch viel um die so genannte "Wende" und den Realsozialismus. Nun gab und gibt es auch im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um die ehemalige DDR und die Sowjetunion Bestrebungen, diese mit faschistischen Gesellschaftssystemen bzw. dem Nationalsozialismus gleichzusetzen.
Was steckt dahinter und was kritisiert ihr daran?

INEX: Ein Vergleich von Nationalsozialismus, Faschismus und Stalinismus kann durchaus ein Erkenntnisgewinn bedeuten. In eine solche Analyse die DDR mit einzubeziehen zu wollen, erachten wir als unnütz. Nicht um sie vor grundlegender Kritik zu schonen, sondern weil sich ihre historischen Entstehungsbedingungen grundlegend unterscheiden. Wenn man aber die 1930er Jahre der Sowjetunion, Italien und Deutschland vergleicht - dabei aber nicht gleichsetzt - kann man durchaus Gemeinsamkeiten in allen Regimes beobachten. Diese befinden sich aber auf einer sehr allgemeinen Ebene. All diese neuartigen Gesellschaftssysteme reagierten beispielsweise auf die durch Industrialisierung und bürgerlichen Staat entstandene Vereinzelung der Menschen mit einer Überhöhung des Staates und des Kollektivs. Bei diesem Gedanken gehen aber zugleich die Ziele, die hinter diesen Systemen standen verloren. Der Massenmord an den europäischen Juden und Jüdinnen lässt sich nicht mit der Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft vergleichen, auch wenn letztere Absicht durch die Repression und Unfreiheit im stalinistischen Regime drastisch unterlaufen wurde.
Anlässlich der Wendefeierlichkeiten wird immer wieder die Rede von der glücklichen Überwindung der beiden deutschen Diktaturen geschwungen. In dieser Gleichsetzung von DDR und Nationalsozialismus verkommt die Bevölkerung zum bloßen Opfer von Diktatoren und Parteien. Die Frage nach dem Handeln der Bevölkerung wird nicht gestellt. Indem man gleichzeitig den 2.Weltkrieg und den Massenmord an den europäischen Juden und Jüdinnen als eine negative Tat unter vielen benennt, finden diese Verbrechen eine Relativierung.
Wenn zwanzig Jahre nach dem Mauerfall die sozialistische mit der nationalsozialistischen Idee in einen Topf geworfen wird, soll vor allem eines bewiesen werden: Man hätte alles schon ausprobiert. Damit wird nicht nur die Existenz des kapitalistischen Normalzustand samt seiner menschenunwürdigen Verhältnisse gerechtfertigt, sondern es sollen jegliche Utopien unterdrückt werden, die über die jetzige Gesellschaft hinausweisen.
Eine tiefer gehende Kritik an den Wendefeierlichkeiten findet ihr in unserer Broschüre „Nie wieder Revolution für Deutschland“, die es unter  http://inex.blogsport.de zum Download oder Bestellen gibt. Dort findet sich natürlich ebenfalls der "Offene Brief gegen jeden Extremismusbegriff".


SaZ: Danke für das Interview.
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Ergänzungen

SAZ #2 komplett online!

SaZ 08.12.2009 - 16:23
STRASSEN AUS ZUCKER #2

ES GIBT IMMER WAS ZU TUN - EINE ANNÄHERUNG AN DEN KOMMUNISMUSBEGRIFF
 http://strassenauszucker.blogsport.de/2009/11/08/es-gibt-immer-was-zu-tun/

ICH MARX EINFACHER - „DAS KAPITAL“ FÜR EINSTEIGER_INNEN
 http://strassenauszucker.blogsport.de/2009/11/09/ich-marx-einfacher/

REALSOZIALISMUS - DER SOZIALISMUS, IN DEM ALLES REAL WAR – AUSSER DEM SOZIALISMUS
 http://strassenauszucker.blogsport.de/2009/11/09/realsozialismus/

FRITTENBUDE INTERVIEW
 http://strassenauszucker.blogsport.de/2009/11/09/frittenbude-interview/

LESETIPPS
-„KOMMUNISMUS. KLEINE GESCHICHTE, WIE ENDLICH ALLES ANDERS WIRD.“
-„PLANET DER HABENICHTSE“
-„TIPPS UND TRICKS FÜR ANTIFAS“
 http://strassenauszucker.blogsport.de/2009/11/10/lesetipps/

GRAFFITI - INKLUSIVE PLAKAT/SPRÜHSCHABLONE ZUM RAUSNEHMEN.
 http://strassenauszucker.blogsport.de/2009/11/20/graffiti/
&  http://strassenauszucker.blogsport.de/2009/11/13/bambule-stencil/

GESCHICHTE IST, WAS DU DRAUS MACHST.
 http://strassenauszucker.blogsport.de/2009/11/10/geschichte-ist-was-du-draus-machst/

20 JAHRE WIEDERVEREINIGUNG?
 http://strassenauszucker.blogsport.de/2009/11/10/20-jahre-wiedervereinigung/

MUSTERUNG UND BUNDESWEHR
 http://strassenauszucker.blogsport.de/2009/11/11/musterung-und-bundeswehr/

DEUTSCHLAND EINE KLEBEN. - AUFKLEBER
 http://strassenauszucker.blogsport.de/2009/11/11/aufkleber-2/

Termine
 http://strassenauszucker.blogsport.de/termine/

“Programme gegen Extremismus”: Fakten bitte!

npd-blog 08.12.2009 - 16:36
Die neue Bundesfamilienministerin Kristina Köhler hat eine Prüfung der „Programme gegen Extremismus“ angekündigt. Dies wurde bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Seit dem Stühlerücken in der Koalition ist nun aber ausgerechnet die Extremismusexpertin der Union für den Bereich zuständig. Köhler hatte sich in den vergangenen Jahren so gut wie nie zu rechtsextremer Gewalt zu Wort gemeldet, obwohl es auch in Hessen reichlich Anlass gab. Dafür warnte sie vor „deutschfeindlicher“ sowie linksextremer Gewalt (von der es in Hessen sowie den meisten anderen Bundesländern Deutschlands so gut wie keine gibt, linksextreme Szenen sind vor allem in den Großstädten aktiv – und davon gibt es nicht allzu viele in Deutschland).

Köhler in einem Panorama-Beitrag:  http://www.youtube.com/watch?v=DadSCvVdKNE&feature

In der Welt am Sonntag kündigte Köhler nach den mutmaßlich linksextrem motivierten Angriffen auf Polizisten und Brandanschlägen auf öffentliche Einrichtungen in Hamburg und Berlin an, die bestehenden Programme gegen Rechtsextremismus überprüfen zu wollen. Diese sollten dann „gegen Rechts- und Linksextremismus und auch islamischen Extremismus“ ausgerichtet werden, betonte sie gegenüber der „Welt am Sonntag“. „Das werde ich umsetzen“, so Köhler weiter.

Beifall erhält sie dafür unter anderem von den rechtsradikalen Republikanern: „Wo bleibt der „Kampf gegen links“?“, fragt der Bundesvorsitzende Rolf Schlierer – und fügt weitere Fragen an: „Was muß noch passieren, bis endlich erkannt wird, daß die gefährlichsten Feinde der Demokratie auf der Linken stehen? Wo bleibt hier der Austand [sic!] der Anständigen?“ Die Angriffe der Linksextremisten auf den Staat und seine Repräsentanten seien eine Renaissance des linksextremen Terrorismus, behauptet Schlierer, ähnlich hatten sich Polizei- Gewerkschafter geäußert. Deswegen müssten nicht nur dringend Gelder aus den Programmen „gegen rechts“ in antiextremistische Maßnahmen „gegen links“ umgesteuert werden, so Schlierer weiter, notwendig sei auch, „der indirekten Finanzierung der Tätermilieus durch wild wuchernde Anti-Nazi-Programme das überfällige Ende zu bereiten“.

Kein einziger Beweis – nur Unterstellungen

Ohne überhaupt zu wissen, wer hinter den Anschlägen steckt, wird sofort und ohne einen einzigen Beweis (vorher soll der auch kommen?) eine Verbindung zu Initiativen hergestellt, die sich gegen Rechtsextremismus und für Demokratie engagieren. Eine beliebte Unterstellung, jeder der gegen Rechts sei, sei praktisch ein Linksextremist. Solche Gedankenkonstrukte reichen bis weit ins bürgerliche Lager, wer sich nicht mantraartig, präventiv und bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit (auch wenn es um ein ganz anderes Thema geht) von allen „Extremismen“ und Schlechtigkeiten der Welt abgrenzt, der wird verdächtig. So einfach geht das.

>>Bertolt Brecht: “Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist – Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt?”>Hintergrund: Die Extremismustheorie
 http://npd-blog.info/2009/06/16/extremismustheorie/

Jennerjahn kritisierte den Begriff Extremismusprogramm, da würden Gefahren „immer weniger konkret benannt, wenn alles unter dem Extremismusbegriff verwurschtelt wird. Dann geht es gegen alle Extremisten – und die einzelnen Formen werden vom normalen Bürger kaum noch unterschieden. Es entsteht ein gefährliches schwarz-weiß-Schema: Hier die gute Mehrheitsgesellschaft und dort die gefährlichen Ränder. Das Problem des Alltagsrassismus fällt komplett weg, dabei ist dieser Punkt für erfolgreiche Strategien gegen menschenfeindliche Einstellungen immens wichtig.“

„Menschenfeindliche Einstellungen“? Von solch bösen Dingen ist in der aktuellen Debatte leider nichts zu hören. Die Koalition wird also die Programme für Vielfalt und Demokratie überprüfen, das ist ihr gutes Recht und kann – wenn es wissenschaftlich und unabhängig geschieht – auch gar nicht schaden. Spannend wird es sein, welche Konsequenzen das Ganze dann hat. Vielleicht ist dann endlich Schluss mit den Floskeln, Unterstellungen und Gleichsetzungen.

Eine Kritik an der "Studie" des Berliner VS

Blogger 08.12.2009 - 16:39

zu hamburg

egal 08.12.2009 - 16:54
in hamburg ermitteln sie jetzt wegen versuchtem mord. es sei eine unglaublich brutale tat gewesen, eine neue qualität...
verletzt wurde niemand, es gab nur sachschaden. und wenn man sich die polizeimeldung und ihre abschrift in den medien anschaut, werden v.a. widersprüche deutlich. da wird behauptet die wache wäre vorne und hinten mit schloß bzw. mülltonne verbarikadiert worden. trotzdem soll ein beamter nach draußen gelockt worden sein - kann der fliegen oder durch wände gehen? dieser beamte sei dann mit einem "steihagel" angegriffen worden, wurde aber nicht verletzt - ist der supermann oder unbreakable?
das die bullen sowas veröffentlichen ist schon dreist, aber das die medien diesen scheiß unkritisch weiter verbreiten ist ein skandal und zeigt, wie weit es in diesem land mit pressefreiheit und co steht.

STRASSEN AUS ZUCKER #2 als PDF

SaZ 30.04.2010 - 02:07
...als PDF.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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asd — asd

hinter den kulissen — ausgefüllt

@asd — antifa

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Olaf — hansel