Der Gewalt ins Gesicht sehen

Pyrrhus 19.10.2009 15:19 Themen: Blogwire
Emanzipatorische Politik misst sich nicht an der Anzahl fliegender Steine, rennender Bullen und brennender Autos - und sie kann dran scheitern. Einige Überlegungen zur aktuellen Praxis der linken Bewegung.
Ich erinnere mich dunkel, im Reader zum Autonomie-Kongreß 1996 eine Aussage einer Teilnehmerin gelesen zu haben, für die Freiheit vielleicht der Moment zwischen dem Werfen und dem Auftreffen des Steines war. Ich fand das damals faszinierend - stand es doch so eindeutig und faszinierend ausserhalb dessen, was mir die Gesellschaft als "Freiheit" anbot und was ich mir überhaupt als solche vorstellen konnte. Der Moment der Gewalt schien die gesellschaftlichen und schlicht existentiellen Zwänge aufzuheben: während der Stein fliegt, muss ich mich anderweitig nicht zu den anderen Individuen der Gesellschaft verhalten, muss ich mich nicht um deren Lebenssituationen kümmern und genausowenig darum, welche die besten Strategien sind, um diese Situationen endlich in eine menschenwürdige Form zu bringen. Der Moment der Gewalt schien für mich, aus dieser eben individuellen, subjektiven Perspektive, das Problem aufzulösen, das Leute haben, die in einer schlecht eingerichteten Welt von der Notwendigkeit einer vernünftigen überzeugt sind. Das Verlangen, die Wut, die Analyse bestehen in einer Gegenwart, die von der Utopie nichts wissen will, ihre tatsächliche Umsetzung vom Zeitpunkt des Wunsches trennt und in die Zukunft (oder ins Nichts) verschiebt.

Was bleibt also von der Freiheit, wenn sie vom fliegenden Stein oder vom brennenden Auto verkörpert wird, wenn die Sehnsucht nach einem Ende der Gewalt dieses Systems die Form des subjektiv-körperlichen Akts annimmt? Das Gefühl. Und das ist das Problem.

Nun ist es nicht so, dass Gewalt keinen Sinn macht. Der Satz, demzufolge keine Gewalt auch keine Lösung sei, ist richtig und wichtig, indem er darauf hinweist, dass diese bestimmte Kritik an der Gewalt nur von der Kritik an der Gewalttätigkeit des Bestehenden ablenken will. Gewalttätigkeit kann eine nette Begleiterin sein, ein charmanter Kompagnon: bei der Verhinderung von Abschiebungen, der Blockade von Atomtransporten, der Verhinderung von diversen Naziaktionen, der Verteidigung von Demonstrationen, usw usf. Die Worte "Begleiterin" und "Kompagnon" machen es klar. Gewalt kann, wenn sie politischen Sinn machen soll, niemals alleine sein, sie braucht einen Riesen, auf dessen Schultern sie sitzen kann: die Kampagne, die Vermittelbarkeit in die Gesellschaft, den akuten und konkreten Grund, die ethische Rechtfertigung. (Die Frage nach der Kategorie "Moral" soll hier mal ausgeklammert werden bis auf den offensichtlichen Punkt, dass Gewalt ihre Grenzen haben muss. Skrupel sind auch hier, wie so oft, empfehlenswerte politischer Ratgeber.) Hat die Gewalt aber keine dieser BegleiterInnen, kommt sie alleine daher, aus sich selbst und für sich selbst, ist sie nichts als ein Selbstzweck: dann ist sie mehr als nur zwecklos. Denn dann verweist sie auf das Gefühl (s.o.) und ist ausschließlich auf die Subjektivität des Individuums, das sie ausübt, zurückgeworfen. Für die einzelne Person, die Hand an das Auto legt, weil es die relativ günstige Gelegenheit dafür gibt, schrumpft die Gesellschaft zusammen: auf den persönlichen Wunsch nach der Veränderung, die im Hier und Jetzt nicht zu erreichen ist und über die Faszination der Handlungsmacht gegenüber einem Blech-Plastik-Ensemble kompensiert wird. Sie ist destruktiv im schlechtesten Sinne des Wortes:

Das Symbol wird für die soziale Realität gehalten. Das Adrenalin beherrscht die Situation auf den Demonstrationen, die ausnahmsweise Lücken in der sonstigen Überlegenheit der Bullen bereithalten. Der Reflex, endlich einmal ausbrechen zu können aus der gesellschaftlichen Zwangsjacke, lässt Solidarität, Zuneigung und Sorgfalt hintenüberfallen: DemonstrantInnen und PassantInnen werden gefährdet, Bullen teilweise in einer Art angegangen, die die Frage aufwirft, ob die Leute denken, sie würden sich in einer irgendwie entscheidenden Situation befinden. Sie handeln, als wäre ihr Gefühl der Befreiung eine tatsächlich zwischen den Menschen ihrer Gesellschaft sich vollziehende Veränderung. Die Leute zünden Autos an, als wäre dieser Vorgang die Etablierung einer bundesweiten linksradikalen Struktur, sie entwickeln einen Verve gegen Bullen, als wäre dies identisch damit, dass sich gerade die entstandenen Stadtteilinitiativen in St. Georg für einen aktiven Wahlboykott ausgesprochen haben, sie entwickeln eine existentialistische Militanz, als wäre dies die Verankerung eines Mindestmasses an rotzigem Staatsmisstrauen in der BRD. (Sie verhalten sich, ja, wie eine Jugendbewegung.)

Das hat auch mit Nostalgie zu tun, denke ich, mit einer Nostalgie der Auswahl. Der aktuelle Radikalismus, der auf indymedia schon mal von einer "09er Offensive der autonomen Bewegung" träumt, träumt eben auch immer noch von den 1980er Jahren in der Hafen- und Mainzer Straße und wählt diese Schlaglichter für seine Nostalgie aus. Er vergisst dabei unter anderem, dass der Rest an gesellschaftlicher Eingebundenheit seit den 1980ern verschwunden ist, ganz im Gegenteil zum durch den Militantismus dieser Zeit hochgerüsteten Repressionsapparat.

Es ist auch klar, dass Leute, die sich an zB oben aufgezählten gewalttätigen Aktionen beteiligen oder diese richtig finden, auch noch andere Dinge machen. Es geht hier nicht um einen Streit zwischen peaceniks und black bloc, sondern um den Charakter, den die Gewalt annimmt, wenn sie den Schein von Macht vermittelt. Es geht um das Politikverständnis, das es auf der Krisendemo in Berlin im März 2009 mit einem Megaphon aus dem Antifa-Block schallen lässt: "Hier - regiert - der Schwarze Block!". Das von Staat und Mehrheitsgesellschaft im politischen Sinne völlig kontrollierte Event der Demonstration wird in der einfallsloseren linksradikalen Phantasie zum kurzen Nachmittag der Anarchie, so wie der ausgebrannte Audi ein erfahrungsorientierter Nachtausflug ist, der die langweilige und langwierige Organisierung ersetzt.

Die Schaum-vorm-Mund-Rede von der „09er Offensive“ verweist auf ein weiteres Problem der Gewalt, das oft, aber nicht of genug angesprochen wurde. Wo Gewalt unhinterfragt ausgebübt wird, als Essential, als Assecoire eben dabei ist wie die drei Buttons am Käppi oder die dunkle Jeans, wo sie als unverstandener Akt, als Fetisch das Handeln bestimmt, da ist ihre geschlechtliche Seite eben auch unterbelichtet. Wird die Gewalt als „Teil und Vorrecht der Jugendbewegung“ einfach so miteingekauft, wird auch nicht nach ihrem patriarchalen Charakter gefragt. So zeigt zB die grafische Präsentation linker Gewalt auf antifaschistischen Mobilisierungsplakaten eindeutig, wie sehr Gewalt grade in in ihren als männlichen bestimmten Eigenschaften positiv gesehen wird: Kraft, Stärke, Heroismus, Tapferkeit, Bedrohlichkeit, Potenz.
So werden patriarchale Ideologien fleissig weiterfabriziert und die Muskeln präsentiert, anstatt sich auf die Analyse der Situation und die „feinen Dinge des Klassenkampfes“ zu konzentrieren: „Zuversicht, Mut, Humor, List, Unentwegtheit“ (Walter Benjamin, IV. der Thesen zum Begriff der Geschichte). Die Aufzählung ist natürlich zu erweitern.

Denn diesem revolutionären Equipment sollte die Gewalt, grade die, die auf die Größe der einzelnen und nicht die Anzahl der vielen Muskeln zielt, sich leise und geknickt hinzugesellen. Gewalt kann immer nur reflektiertes Mittel zum Zweck sein, das wiederholt und von allen Seiten auf seine Folgen abgecheckt ist. Gewalt kann nur passieren, wenn sie Sinn macht – Sinn im Rahmen einer politischen Überlegung, die darauf aus ist, kritisch (und auf die Kacke hauend) in diese Gesellschaft hineinzuwirken. Sich versammeln, sich für viele und „krass“ halten, sich an der eigenen Lebenskraft weiden und sich oder andere Leute hauen – das kann jeder Sportverein, jede Feuerwehrfeier, sogar jede Skatrunde – und Nazis sowieso.

Es scheint mir grade so, als müssten wir manchmal einen Schritt zurück gehen, und gucken, was grade passiert ist. Wenn in manchen Situationen die Bullen ihre übliche Übermacht verlieren – grade dann ist nicht die blinde Wut gefragt, sondern die eigene Vision, der eigene Maßstab an politischem Handeln. Wenn die Bullen nicht unter jedes Auto einen Zivi legen können – grade dann ist nicht die Gelegenheit gefragt, sondern die konkrete Überlegung von Sinn und Zweck dessen, wozu sich hier grade die Möglichkeit bietet.
Vielleicht waren es nur kleine Momente, die hier überbewertet sind; vielleicht habe ich mich verguckt. So oder so aber gibt es Momente in der Gewalt der Bewegung, vor denen es mich gruselt – vor allem, wenn ich mir ausmale, wie sie sich vermehren, verstetigen und steigern können.

Der Spruch, der sagt, dass Gewalt die einzige Sprache ist, die die Herrschenden verstehen, trifft den Nagel ja auf den Kopf. Nur dass er dabei den falschen Schluß zieht. Denn dass die Herrschenden diese Sprache verstehen, in der Tat so außergewöhnlich gut verstehen und sich ständig darin üben, bedeutet, dass die "Argumentation" auf diesem Gebiet fast immer sie gewinnen werden. Und eine emanzipatorische Bewegung, die als Ziel eine herrschafts- und gewaltfreie Gesellschaft hat, einen unendlich langen, himmelschreienden Ostseeurlaub freier Menschen, würde gut daran tun, diese Art von Gewalt nicht zu verstehen. Sondern im Gegenteil: sie kaputtzumachen.
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Ergänzungen

Recht?

Rechtkriegen? 20.10.2009 - 15:28
Leider muss ich dem Autor recht geben hinsichtlich der Behauptung das die 1980er und 1990er erst zu dieser extrem Aufrüstung der Polizei gesorgt haben... sie gaben den Medien und der Politik die Möglichkeit der einfachen Bevölkerung härtere Gesetze zu verkaufen!

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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fein — powpow

... — ...

Danke. — Heraklit

meine Meinung — fred vom jupiter

Neue Wege? — afa

@uebersetzer — Fred vom Jupiter

Danke — noname

Schönes — Schlusswort

hm.. — nettes gelaber

@ schlusswort — bä

Anarchie und Gewalt — derwoimmer

Supertext — finde ich mal

@ blue boy — naja

vorschläge??? — mr.nice