Berlin: Zivilpolizisten kontrollieren Radler

Scott Van Tage 06.04.2009 21:26 Themen: Repression
Die Grenze zwischen Arm und Sexy: Zivilpolizisten kontrollieren Radfahrer in Berlin-Wedding

Radfahren ist eine tolle Sache. In Zeiten von Klimawandel, Finanzkrise und ständigen Warnungen vor „Volksverfettung“ sowieso. Viele Menschen können sich auch gar kein Auto leisten, Mensch denke an die Spritpreise vor der Krise. Einigen ist sogar die BVG mit ihrem „Sozialticket“ für 33,50 € pro Monat zu teuer (Wen wundert’s?). Hört sich an, als hätte der Umstieg auf den guten, alten Drahtesel ausschließlich Vorteile. Ist aber nicht so. Radfahren ist gefährlich. Und teurer als Mensch oft denkt.
Dies konnte Mensch am Freitag, den 3. April 2009 auf der Seestrasse im Wedding am eigenen Leibe erfahren. Dort, kurz vor den Osramhöfen, stand nämlich ein auf den ersten Blick einsamer uniformierter Polizist und hielt Radfahrer an.

Wer nun aber denkt, mit einem kräftigen Tritt in die Pedale selbigen schnell hinter sich zu lassen, dem sei davon dringend abgeraten! Wie es nämlich aussehen kann, wenn Mensch mit Rad von der Polizei gestoppt wird, ist hier eindrucksvoll dokumentiert:

 http://www.youtube.com/watch?v=oUkiyBVytRQ

Erst auf den zweiten Blick offenbarte sich dem aufmerksamen Radler außerdem, dass besagter Polizist nämlich gar nicht so einsam war: In einigem Abstand befand sich ein „Kollege“ in zivil mit Funkgerät. Und quasi überhaupt nicht zu erkennen waren zwei weitere Zivilpolizisten, welche als normale Fußgänger getarnt knapp 50 Meter weiter an einer Fußgänger-Ampel postiert waren. Insgesamt also vier Polizisten, drei davon in zivil!

Die Seestraße selber, dies sei für Ortsunkundige kurz ausgeführt, ist eine große Straße, mit zwei Fahrbahnspuren in jeder Richtung, getrennt durch Straßenbahngleise in der Mitte, sowie rot gepflasterten „Radwegen“ auf beiden Gehwegen. Gehweg plus „Radweg“ sind zusammen geschätzte 6 Meter breit. Mehr als genug Platz für Alle, sollte Mensch meinen, solange Mensch mit gesundem Menschenverstand am Straßenverkehr teilnimmt. Und diesen scheinen ja zumindest die „hippen“ und besser verdienenden Mitte-Bewohner zu besitzen. Nicht aber Diejenigen, welche aufgrund der dort stattfindenden Gentrifikation ihre Wohnung aufgeben und gezwungener Maßen in einen Bezirk mit niedrigeren Mieten ziehen mussten.

Während sich Berlin in Mitte seinen Touristen und Latte-Macchiato-Trinkern nämlich progressiv und sexy-unbürokratisch präsentieren möchte und man(n) hier über die Einführung von „Shared Space“-Konzepten diskutiert ( http://www.taz.de/regional/berlin/aktuell/artikel/1/auf-der-strasse-sind-alle-gleich/ ), wird im einkommensschwachen „Sozialfall“ Wedding schon kontrolliert!

Und das nicht etwa an einer Stelle, an welcher von rücksichtslosen Radfahrern wirklich eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht (z.B. in Fußgängerzonen, vor Kitas, Spielplätzen, Grünanlagen), sondern an einer Stelle mit entsprechender „Gewinnausschüttung“, wo sich der Einsatz von vier Ordnungshütern am Ende des Tages auch rechnet:

An besagter Stelle in der Seestrasse befinden sich nämlich auf der Südseite in den Osramhöfen zahlreiche Geschäfte, u.a. ein Lebensmitteldiskounter, während auf der Nordseite nur Friedhof zu finden ist. Logisch, dass hier also viele Radfahrer geltendes Recht grob missachten, denn: „Wir sind hier nicht in England, in Deutschland wird immer ordentlich Rechts gefahren!“ (Zitat Polizist).

Ist es so einfach? Liegt Mensch mit „rechts“ immer richtig? Wie verhält es sich denn eigentlich mit Radwegen und der Straßenverkehrsordnung (StVO)? Sind die denn so eindeutig, wie Herr Grün es so markant formuliert hat? Die StVO ist 1998 nämlich „überarbeitet“ worden und wartet mit einer Vielzahl an Ausnahmen auf:

Grundsätzlich ist zu sagen, dass Radfahrer nur solche Radwege benutzen MÜSSEN, wenn diese auch entsprechend gekennzeichnet sind. Fehlt entsprechende Kennzeichnung, so ist die Wahl zwischen „Radweg“ und Fahrbahn freigestellt. Allerdings nur im Rechtsverkehr. Die tatsächliche Farbe des Radweges ist dabei unerheblich. Mit Rot liegt Mensch also nicht immer richtig, was sich wohl auch auf den Berliner Senat in diesem Zusammenhang übertragen lässt.

Vollständige Klarheit über die einzuhaltende Fahrrichtung gibt nämlich die ergänzende „Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung“ (VwV-StVO), in der es heißt:

„Die Benutzung von in Fahrtrichtung links angelegten Radwegen in Gegenrichtung ist mit besonderen Gefahren verbunden und deshalb aus Gründen der Verkehrssicherheit grundsätzlich nicht erlaubt“.

Tatsächlich ist es wohl so, dass Radfahrer, welche linksseitig unterwegs sind, einem zirka viermal höheren Unfallrisiko ausgesetzt sind, als Radfahrer, welche rechts fahren. Noch dazu kommt, dass sie im Falle eines Unfalls eine Teilschuld von mindestens 30% zugewiesen bekommen, auch wenn der andere Verkehrsteilnehmer grob fahrlässig gehandelt hat. Kein Pappenstiel also.

„Aber Moment!“, werden Einige jetzt sagen, „Ich weiß ganz genau, dass an Stelle X ein Radweg für beide Seiten gilt und auch so ausgeschildert ist…!?!“. Richtig. Werfen wir also wiederum einen Blick in die VwV-StVO, in welcher es heißt:

„Links angelegte Radwege können allerdings, wenn eine sorgfältige Prüfung nichts Entgegenstehendes ergeben hat, durch die Straßenverkehrsbehörden im Einzelfall mit Zeichen zur Benutzung durch die Radfahrer auch in Gegenrichtung freigegeben werden“.

Was bedeutet das jetzt? Wenn also ein Radweg auf der linken Seite ausnahmsweise freigegeben ist, MUSS ich mich dann einem ungefähr viermal höherem Unfallrisiko plus Teilschuld bei Schadensfall aussetzen?

NEIN!!! Natürlich ist bei IDENTISCHER Kennzeichnung, welche einen Radfahrer normalerweise dazu verpflichtet, einen rechtsseitigen Radweg zu benutzen, die Benutzung eines linksseitigen Radweges freigestellt. Ist doch logisch, oder?

Den vollständigen Text der VwV-StVO findet Mensch hier:
 http://bernd.sluka.de/Recht/StVO-VwV/index.html

Mensch möge diesen Artikel im Übrigen nicht falsch verstehen: Er ist kein Plädoyer für die grundsätzliche Unschuld aller Radler, die sich natürlich immer und überall an die Verkehrsregeln halten. Wer kann schon von sich behaupten, er würde auch bei menschenleerer Straße an jeder roten Ampel stehen bleiben, sofort aus dem Sattel springen, sobald ein Reifen den Gehweg berührt oder habe nicht mal eben ein paar Meter Einbahnstrasse zum Brötchen holen verkehrt herum benutzt? Auch Kollisionen zwischen Radfahrern und Fußgängern können für alle Beteiligte lebensgefährliche Folgen haben, auch wenn die dabei freigesetzte Energie aufgrund der vergleichsweise niedrigeren Geschwindigkeiten um ein vielfaches kleiner ist, im Verhältnis zu einem Unfall mit einem Kfz.

Wirklich ärgerlich ist, dass hier eben nicht zum Zwecke der „Verkehrserziehung“ kontrolliert wird, sondern offensichtlich ausschließlich um Kohle zu machen und zwar in einem einkommensschwachen Bezirk. Die anderen beiden Zivilpolizisten, die sich so gut als wartende Fußgänger getarnt hatten, hielten übrigens die Radfahrer an, die von der „richtigen“ Seite der Seestrasse über die Ampel kamen und „zu faul“ waren, die letzten 50 Meter zum Lebensmittelladen zu schieben.

Übrigens ist auch keiner der Radfahrer seitens der Polizisten auf das erwiesener Maße viel höhere Unfallrisiko, sowie besagte Teilschuld hingewiesen worden, man(n) begnügte sich mit dem Einfordern von Ausweisen und dem Schreiben eines Strafzettels.

Meinem freundlichen Hinweis, es sei doch ein so schöner, erster Sonnentag und man(n) könne es ja doch auch bei einer Ermahnung belassen, wurde nur entgegnet: „Wo kämen wir denn da hin, man(n) sei ja schließlich extra zur Fahrradkontrolle abgestellt“, ich solle schließlich „froh sein“, dass man(n) mein Rad nicht einer „genaueren Überprüfung hinsichtlich Verkehrssicherheit“ unterziehen würde, da könne er „auf den ersten Blick sagen, dass da noch mehr fällig wäre“!

Und das, wo doch im Rahmen der „Freundlichkeitsoffensive der „be Berlin“ Kampagne“ sogar Polizisten ihren eigenen Slogan bekommen haben: „Sei Cop, sei Top, sei Berlin“.
Gilt wohl auch nur unter Ausnahmen und gegenüber Touristen, sowie in Mitte:

 http://www.sei.berlin.de/uploads/media/090309_PI_freundlichkeitsoffensive.pdf

Mensch und man(n) sieht sich auf der nächsten Critical Mass Demo, natürlich nur mit verkehrssicherem Drahtesel.

Bike on!

PS: Natürlich sind auch ganz viele Frauen mit dem Rad unterwegs sind. Nur der Einfachheit halber wurde der Terminus „Radfahrer“ verwendet und soll keinesfalls das Nichtvorhandensein zahlreicher Radlerinnen vortäuschen.
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Ergänzungen

Verwöhnt

Joachim Herrmann 07.04.2009 - 17:10
Oh mann liebe Berliner, das Radfahrer von den Cops kontrolliert werden ist bei uns in Bayern schon seit Jahren alltäglich, da seid ihr scheinbar noch ganz schön verwöhnt.

Immer das gleiche Muster

Berufsradler 07.04.2009 - 22:42
Wie sie ihre "Verkehrskontrollen" durchführen ist immer das gleiche Muster. 2 Zivis stehen an der Ampel und sagen ihren Kollegen, die ein Stückchen weiter stehen per Funk durch wen sie anhalten sollen. Mir ist es auch schon passiert, dass ich einen einzelnen Bullen sehe, mir nichts dabei denk únd 100 Meter weiter kommen dann Bullen mit der Kelle auf die Straße gesprungen. Es stimmt allerdings nicht, dass sie nur in ärmeren Bezirken Radler abzocken, auch in Mitte oder am Kudamm stehen sie häufig. Sie habens diesmal sogar angekündigt, dass sie in den ersten beiden Aprilwochen viele Radkontrollen durchführen werden und im Moment muß mensch wirklich an jeder Kreuzung mit den Bullen rechnen. Wie jedes Frühjahr eigentlich.

Mensch kann davon halten was mensch will, ich kann mich da auch gut darüber aufregen, aber es stimmt einfach nicht, dass sie sich extra die ärmeren Bezirke aussuchen, sondern die Stellen, wo sie am meisten abkassieren können.

mensch is doof

kein Sexist 08.04.2009 - 00:21
Kann man(!) mir bitte mal erklären, was "man" mit "Mann" zu tun haben sollte?
Soweit ich weiß, gar nichts (außer vielleicht die Aussprache). Ganz im Gegenteil. So bedeutete "man" ursprünglich "Frau", inzwischen "Leute" oder "Mensch(en)".
Also wo ist das Problem?
Kann Feminismus fundamentalistisch sein? Anscheinend schon.

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man(n) — ?

Feminismus rockt — MenschIn

Bayern ... — Manuel