Madrid feiert die Abschottung

Ralf Streck 16.01.2009 14:00
Hat die Abschottung durch Frontex ( http://de.indymedia.org/2007/03/169470.shtml) oder die Wirtschaftskrise in Spanien dafür gesorgt, dass weniger Flüchtlinge und Einwanderer ins Land kamen? Jedenfalls freut sich die sozialistische spanische Regierung darüber, dass ihre Abschottung angeblich erfolgreich war, auch wenn die nur dazu führt, dass immer mehr Menschen auf den langen Wegen im Atlantik das Leben verlieren ( http://de.indymedia.org/2007/12/203719.shtml)
Die spanische Regierung jubelte über die sinkende Zahl der Bootsflüchtlinge, die 2008 die gefährliche Überfahrt ins Land geschafft haben. Nach ihren Angaben wurden 13.424 Menschen nach der Überfahrt aufgegriffen. Diese Zahl sei etwa 25 Prozent geringer als 2007, als gut 18.000 Menschen die Fahrt in kleinen Booten auf die Kanarischen Inseln, die Balearen oder auf das Festland überlebten. Der spanische Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba zog deshalb eine positive Bilanz der Abschottung, die mit Hilfe der EU-Grenzschutzbehörde Frontex zwischen Westafrika und den Kanarischen Inseln hochgezogen wurde. Dort sei die Zahl sogar um 26,4 Prozent gefallen. "Fast niemand schafft mehr die Einreise, ohne dass wir ihn bemerken", triumphierte Rubalcaba. Heute kämen weniger an und es würden mehr in die Heimat zurückgeschickt. "Sie riskieren ihr Leben und dann werden sie doch zurückgeschickt", sagte er.

Doch die Interpretation durch den Innenminister ist auffällig schönfärberisch. Denn die Zahl der Abgeschobenen oder die Zahl derer, denen an den Grenzen die Einreise verweigert wurde, ist um 17 Prozent von fast 56.000 auf gut 46.000 im Vergleich gesunken. Hierfür hat der Innenminister ebenfalls eine spezielle Erklärung parat. Er meinte, man hätte weniger Ausweisen müssen, weil weniger hereingekommen sind. Dabei wird geschätzt, dass sich in Spanien noch mehr als zwei Millionen Menschen ohne gültige Papiere aufhalten.

Rubalcabas Jubel in Bezug auf die Abschottung muss aber noch weiter relativiert werden. Trotz der Abschottung durch Frontex, deren Budget von 6,3 Millionen Euro im Jahr 2005 auf schon 70 Millionen aufgestockt wurde, hätte 2008 noch 9181 Menschen lebend die lange Überfahrt aus Westafrika hinter sich gebracht. Das sind noch immer fast doppelt so viele wie 2005. Wie viele Menschen tot angekommen sind, verschwieg er. Hilfsorganisationen schätzen, dass vor allem die Zahl derer steigt, die auf den immer längeren Routen ertrinken, verhungern und verdursten. Inzwischen kommen die Boote sogar aus Gambia, Guinea Bissau und Guinea Conakry und haben oft eine Fahrt von mehr als einer Woche hinter sich. Als 2006 noch die Mehrzahl aus Mauretanien und dem Senegal gestartet sind, gingen Hilfsorganisationen, der spanische Geheimdienst und die Guardia Civil schon von mehr als 6000 Menschen aus, die spurlos im Atlantik verschwunden sind.

Dass weniger Menschen nach Spanien wollen, dürfte kaum etwas mit der teuren Abschottung zu tun haben. Es hat sich auch in Afrika und Lateinamerika herumgesprochen, dass Spanien in einer tiefen Krise steckt. 2008 haben offiziell eine Million Menschen ihren Job verloren, Hunderttausende illegale Beschäftige nicht mitgezählt. Mit einer Arbeitslosenquote von knapp 14 Prozent ist Spanien in der EU abgeschlagener Spitzenreiter. Doch das mag die sozialistische Regierung nicht als "Erfolg" bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung feiern. Spanier machen nun wieder die miesen Jobs als Erntehelfer, Tellerwäscher und Altenpfleger.

Die Abschottung vor den Kanaren hat erneut zur Verlagerung der Routen geführt. So kommen trotz Abschottung durch Frontex immer mehr Bootsflüchtlinge in Italien an. 2008 waren es rund 36.500. Davon landeten etwa 31.000 auf der Insel Lampedusa. 2007 waren es noch gut 14.000. Also hat dort die illegale Einwanderung aus Afrika extrem zugenommen. Auf Lampedusa kamen so viele Menschen an, wie im Rekordjahr 2006 auf den Kanarischen Inseln. Mit nur etwa 300 Kilometer ist die Überfahrt vergleichsweise kurz.

© Ralf Streck, den 15.02.2009
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Ergänzungen

Hier noch ein paar Texte zur Finanzkrise +++

Ralf 16.01.2009 - 18:22
Friedensprozess nicht auf die Anklagebank
Ralf Streck 12.01.2009 18:44 Themen: Weltweit

Die Farce ist (zunächst) vorbei. Der Prozess gegen die zentralen Akteure im baskischen Friedensprozess wurde nun eingestellt. Rechtsradikale Organisationen hatten den baskischen Regierungschef, fünf Mitglieder der baskischen Partei Batasuna und zwei Führungsmitglieder der baskischen Sektion der spanischen Sozialisten (PSOE) wegen den Friedensgesprächen angezeigt und die Richter der ultrarechten Volkspartei (PP) hatten das Verfahren gegen die bisherige Rechtsprechung vorangetrieben (  http://de.indymedia.org/2006/10/159135.shtml), um den baskischen Regierungschef vor den Regionalwahlen am 1. März auf der Anklagebank zu sehen. Doch das entwickelte sich zum Rohrkrepierer. Die linke Unabhängigkeitsbewegung hat eine neue Wahloption vorgestellt, um nach den neuen Verboten (  http://de.indymedia.org/2008/09/227886.shtml) daran teilnehmen zu können.
 http://de.indymedia.org/2009/01/239185.shtml

Spaniens wirtschaftlicher Absturz beschleunigt sich

Die EU driftet bei der Wettbewerbsfähigkeit immer weiter auseinander, Gegenpole sind Deutschland und Spanien

Das schwer von der Krise gebeutelte Spanien zeigt, was die Wirtschaftskrise verschiedenen EU-Ländern bescheren kann. Die viertgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone steckt tiefe in der Krise, wobei die sozialistische Regierung bis heute offiziell noch nicht von einer Rezession spricht. Dabei sind die ökonomischen Daten extrem schlecht.
 http://www.heise.de/tp/blogs/8/121516

Auch europäischer Leitzins auf historischem Tiefstand

Die Europäischen Zentralbank versucht, mit einer erneuten Zinssenkung den Absturz der Konjunktur und der Börsen zu begrenzen
 http://www.heise.de/tp/blogs/8/121770

50 Milliarden für Wahlkampfgeschenke

Das größte Konjunkturprogramm der Geschichte der Bundesrepublik soll pünktlich zum Bundestagswahlkampf ab dem 1. Juli wirken. Es geht an den sozial Schwachen fast völlig vorbei und bittet Reiche nicht zur Kasse.

Die große Koalition hat das bisher größte Konjunkturprogramm in der
Geschichte der Bundesrepublik beschlossen, mit dem im Superwahljahr 2009
die Bürger entlastet werden sollen. Obwohl es nie Konjunkturprogramme
geben sollte, wurde zwei Monate nach dem ersten nun schon das zweite Paket
verabschiedet. Es ist ein Mischmasch an Maßnahmen, die sich mehr aus der
Koalitionsarithmetik als aus realen Notwendigkeiten erklären. Nur so ist
gewährleistet, dass jede Koalitionspartei vor den Wahlen Erfolge verbuchen
kann: Von einer Verschrottungsprämie für Altautos und
Infrastrukturmaßnahmen, sind über Bürgschaften für Firmen in einer Höhe
bis zu 100 Milliarden Euro, eine peinliche Einmalzahlung zum Kindergeld
von 100 Euro oder eine schlappen Senkung der Krankenversicherungsbeiträge,
die gerade erst massiv angehoben wurden, fast alles dabei. Ein schwach
gesenkter Eingangssteuersatz, statt 15 bald nur noch 14 % und die leichte
Anhebung des Grundfreibetrags sollen auch die unteren Lohngruppen
entlasten. Wer keinen Job hat, profitiert erneut praktisch nicht von dem
Paket. Allerdings kostet dieses Paket die höchste Neuverschuldung in der
Geschichte, für die alle später einmal aufkommen müssen. Dass es Kritik
von allen Seiten hagelt, darf nicht verwundern.
 http://www.heise.de/tp/r4/artikel/29/29546/1.html

Bundesregierung verstaatlicht Commerzbank
Ralf Streck 15.01.2009 - 11:38
Bundesregierung verstaatlicht Commerzbank für eine zweifelhafte Übernahme

Ralf Streck 10.01.2009
Der deutsche Staat wird größter Aktionär bei der Commerzbank und übernimmt 25 % der Aktien
Es ist ein ungewöhnlicher Vorgang. Der Bund greift mit insgesamt mehr als 18 Milliarden Euro der Commerzbank mit Steuergeldern unter die Arme, damit die Commerzbank die umstrittene Übernahme der Dresdner Bank schultern kann. Vor allem in deren Bilanzen sollen noch immer faule Kredite in Milliardenhöhe schlummern. Es gibt aber auch Hinweise darauf, dass sich die Dresdner Bank kurz vor der Übernahme noch Gelder aus dem Bankenrettungspaket sichern will. Die Bundesregierung schwenkt nun auf den britischen Weg der Teilverstaatlichungen ein, die sie bisher heftig kritisierte. Sie behauptet gleichzeitig, obwohl sogar eine komplette Verstaatlichung nicht ausgeschlossen wird, es sei gar keine Verstaatlichung.
 http://www.heise.de/tp/r4/artikel/29/29507/1.html