Finanzkrise - Wider die eigenen Regeln?

ContraInfo 22.09.2008 13:03 Themen: Globalisierung
Was mit dem Zusammenbruch des US-Immobilienmarktes im Frühjahr 2007 begann, hat sich zu einer der grössten Krisen der Finanzwelt aufgeblasen. Grosse und renommierte Bankenhäuser mussten Abschreibungen in Milliardenhöhe hinnehmen oder brachen teilweise aus Mangel an Kapital gar zusammen.
Im Verlauf der letzten Woche spitzte sich die Lage derart zu, dass ein Kollaps des gesamten US- Finanzsektors drohte. Daraufhin sah sich der US Amerikanische Staat genötigt, vehement einzugreifen. Nach Rettungsaktionen vereinzelter Banken- und Versicherungshäuser während den letzten Monaten, hat nun die US Notenbank bekannt gegeben, dass ein Rettungspaket im Rahmen von mehreren hundert Milliarden Dollar geschnürt werde. Mit den bereitgestellten Geldern sollen marode Kredite aufgekauft werden, um so die Situation zu beruhigen. Damit belaufen sich die Finanzspritzen des amerikanischen Staates, welche im Verlauf der jüngsten Finanzkrise ausgeschüttet wurden, auf über 1000 Milliarde Dollar.

Fachleute gehen davon aus, dass die Verschuldung des Staates lediglich über Steuererhöhungen und Leistungsabbau zu kompensieren sein werde. Letztlich werden also die SteuerzahlerInnen für die Versäumnisse der DirektorInnen der Finanzwelt bezahlen.


Die Doktrin des Washingtoner Consensus

Aussergewöhnlich ist nicht nur die Summe, die in die maroden Finanzhäuser gepumpt wird, sondern auch, dass es überhaupt passiert. Denn über Jahrzehnte hinweg haben ÖkonomInnen der klassischen Schule die Nichteinmischung des Staates, Privatisierung und Liberalisierung gepredigt. Dies nicht zuletzt mit der Begründung, dass staatliche Kontrolle zu Ineffizienz und Fehlplanungen führe.

Diese Doktrin war auch Leitlinie der neoliberalen Wirtschaftsdoktrin der letzten Jahrzehnte. Mit dem Washingtoner Consensus wurde 1990 in Washington D.C. ein Programm festgehalten, welches fortan als Grundlage für die Interventionen der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) dienen sollte. Aufstrebende Wirtschaftsnationen und Entwicklungsländer, welche Mittel von den genannten Institutionen beanspruchten, wurden unter das Diktat des neuen Paradigmas gestellt. Prägende Schlagworte der verlangten Anpassungen waren und sind Haushaltsdisziplin, Steuerreform zur Senkung der Steuersätze, Liberalisierung der Handelspolitik, Privatisierung sowie Deregulierung und Entbürokratisierung. Die Anpassungen an die westlichen Wirtschaftsleitlinien folgten in vielen Fällen eher widerwillig, wie dies von Joseph Stiglitz, seinerzeit Direktor der Weltbank, in seinem Buch „Die Schatten der Globalisierung“ (2002) eindrücklich beschrieben wird.


Nur ein Beispiel unter vielen

Die Anpassungen führten zur verlangten Öffnung der Märkte für ausländische Investoren. Die Folge war der Ausverkauf gut funktionierender staatlicher Betriebe an gewinnorientierte westliche Finanzinstitute, sodass der Gewinn nicht nur privatisiert wurde, sondern auch ins Ausland abfloss. Argentinien, um nur ein Beispiel zu nennen, erlebte unter der Regierung des Peronisten Carlos Menem einen Totalausverkauf der staatlichen Infrastruktur zu lachhaft tiefen Preisen. Die Situation gekoppelt mit der enormen Staatsverschuldung gegenüber dem IWF führte schliesslich im Dezember 2001 zur Hyperinflation und dem Totalzusammenbruch. Der Staat musste Bankrott anmelden und tausende KleinanlegerInnen verloren ihr gesamtes Vermögen. Lange Zeit Begünstigte waren amerikanische und europäische Finanzinstitute, welche auf Kosten der Krise enorme Gewinne verbuchen konnten.


Verschiebung des Gewichts

Jahrelang hat also die bestehende Doktrin dem US Amerikanischen und Europäischen Kapital den Einstieg in die aufstrebenden Märkte gesichert - der Neoliberalismus war Garant des eigenen Machtanspruches. Die Gewinne aus dem Ausland vertuschten zudem die Tatsache, dass die Amerikanische Aussenhandelsbilanz ins Bodenlose rasselte. 2007 verbuchte die USA ein Defizit von 711,6 Mrd. US$, dies obwohl auch die Exportzahlen eine neuen Rekordwert erreichten (1621,6 Mrd. US$). China hingegen konnte im selben Jahr eine positive Aussenbilanz bekannt geben und verbuchte ein sattes Plus von 262 Mrd. US$. Die enormen Überschüsse, welche gerade die asiatischen Staaten durch ihren Status als Produktionsstätten des Westens, aber auch die ölreichen Länder scheffeln konnten, schüttelten in jüngster Zeit das finanzielle Machtverhältnis tüchtig durch. Für Aufsehen sorgte die Rettung der UBS, die mit Hilfe eines anonymen Investors aus dem Nahen Osten und dem singapurischen Staatsfonds GIC rekapitalisiert wurde. Für Unruhe sorgt aber auch das Engagement von chinesischen Staatsfonds in afrikanischen Ländern, um sich dort Ölreserven zu sichern. Kurz: die kapitalbezogene Gewichtsverteilung hat sich verschoben und dies führt zusätzlich zu Unruhe in den ehemalig unangefochtenen Machtzentren.

Mit dem Einstieg neuer Akteure hat auch die Dominanz von IWF und Weltbank und somit auch die Doktrin des Washingtoner Consensus an Gewicht verloren. Obwohl schon früher offensichtlich klar wurde, dass die Doktrin in erster Linie die Interessen der westlichen Finanzwelt bedient, dürfte nun wohl genau dort die Krux liegen. Die totale Liberalsierung, welche von den westlichen Ländern vorangetrieben wurde, hat die spezielle Situation hervorgebracht, dass die Exportstaaten massiv Kapital gewonnen haben und nun selbst als Investoren auftreten können. Die alten politischen Machtzentren müssen so ernsthaft um ihren Einfluss bangen.


Rettungspaket als nationaler Befreiungsschlag

In der momentanen amerikanischen Finanzkrise steht so also nicht nur die heimische Wirtschaft auf dem Spiel, sondern auch der hegemoniale Anspruch der USA. Letztlich baut der amerikanische Staat auf seinem Finanzwesen auf, dies macht die negative Aussenhandelsbilanz nur allzu deutlich. Sollten nun Investoren aus Nahost oder Asien als Financiers einspringen, würde das Finanzwesen aus der eigenen direkten Einflusssphäre verschwinden und damit auch die Möglichkeiten der direkten Kontrolle. Auch wenn die USA dies nicht zugeben werden, bedeutet ihr Verhalten nicht nur der Bankrott des amerikanischen Finanzwesens, sondern auch das Ende der totalen Liberalisierungsbestrebungen –zumindest wenn es um die eigenen Interessen geht, heisst es jetzt endgültig wieder „Zurück zum Protektionismus“. Liberalisierungen werden wohl nur noch dann gefordert, wenn die Einflussnahme durch westliche Institute als gesichert gilt oder es der eigenen Machtpolitik dient. Zu risikoreich wäre der Verlust der Kontrolle für den amerikanischen und europäischen Hegemonialanspruch.

Monokausale Erklärungen sind natürlich viel zu einfach um solch eine Krise und deren Lösungen zu beschreiben. Gerade deshalb dürften, neben der handfesten Sorge um den Kollaps des gesamten Finanzsektors, auch protektionistische Beweggründe die Grundlage der nie dagewesen Rettungsaktion des US Amerikanischen Staates sein. Dass damit auch die eigene Doktrin der vergangenen Jahre unterwandert wird, dürfte Anbetracht der Verschiebungen des Finanzgewichtes den Verantwortlichen gar nicht so ungelegen kommen.
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Ergänzungen

Das Ende der US-Investmentbanken

Ralf Streck 22.09.2008 - 20:49
Das Ende der US-Investmentbanken

Mit Goldmann Sachs und Morgan Stanley werden die letzten beiden großen Investmentbanken in normale Geschäftsbanken umgewandelt, um sie zu retten..

Mit Goldmann Sachs und Morgan Stanley werden die letzten beiden großen Investmentbanken in normale Geschäftsbanken umgewandelt. Das teilte die US-Notenbank FED mit. Nach der Pleite von Bear Stearns und Lehman Brothers und der Flucht von Merrill Lynch unter die Fittiche der großen Bank of America ist damit das Ende der Investmentbanken eingeleitet, welche die Wall Street für gut zwei Jahrzehnte dominierten.

 http://www.heise.de/tp/blogs/8/116307

The Point of No Return

Iraultza ! 22.09.2008 - 22:29
On Monday night, Senate Majority Leader Harry Reid was briefed on the gravity of the situation in a secret meeting with the Treasury Secretary and Federal Reserve Chairman. Reid's remarks are the best summary yet of the events of the last 14 months. He said, ""We are in new territory, this is a different game...No one knows what to do."

 http://www.counterpunch.org/whitney09192008.html

Noch ein ausführlicher Artikel

Verlinker 23.09.2008 - 13:02
Die Mutter aller Bailouts?

„Das Finanzsystem steht kurz vor der Kernschmelze“ sagte Chris Dodd, der Vorsitzende des Bankenausschusses des US-Senats, am Samstag unheilsschwanger. Nach mehreren stützenden Eingriffen der FED und der US-Regierung war es nun an der Zeit, einen gigantischen Rettungsplan vorzulegen, der dem Finanzsystem die nötige Stabilität gibt, um diese Kernschmelze zu verhindern. FED-Präsident Ben Bernanke ist zweifelsohne ein ausgewiesener Fachmann für Finanz- und Wirtschaftskrisen. Der ehemalige Ökonomieprofessor, der in Princeton und Stanford unterrichtete, verfasste mehrere Abhandlungen über die Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren. Zusammen mit dem ehemaligen Goldman-Sachs CEO Henry Paulson, der seit zwei Jahren Finanzminister im Bush-Kabinett ist, entwarf er am letzten Wochenende einen Aktionsplan, der aufgrund seines Finanzvolumens von mindestens 700 Mrd. US$ alles bisher da gewesene in den Schatten stellt. Bis zum Ende der Woche soll der „Bernanke-Paulson Plan“ vom US-Kongress gebilligt werden. Bislang liegt nur eine Rohfassung des Plans vor, die mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet. Der „Bailout, der alle Bailouts beenden soll“ (Nicholas von Hoffman) könnte sich als gigantische Umverteilung von Steuergeldern in die Taschen der Wallstreet-Banker und der Aktionäre der Wallstreet-Banken herausstellen. Ein Sozialismus für Reiche, in dem Gewinne privatisiert und Verluste verstaatlicht werden.
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