30 Jahre alternative Lübeck!

alternative 10.09.2008 20:36 Themen: Freiräume
Die alternative, das selbstverwaltete Jugend-, Polit- und Kulturzentrums Lübecks ist 30 Jahre alt geworden. Seit ihrer Gründung in der Hüxstraße 69 in der Lübecker Innenstadt ist die alternative ein Ort alternativer Kultur und linker und linksradikaler Politik sowie seit einer Platzbesetzung 1986 auch Bauwagenplatz. Mit einem großen Sommerfest und 2.000 Gästen feierte die Walli, wie die alternative seit ihrem Umzug auf die Wallhalbinsel 1984 auch genannt wird, nun ihren Geburtstag. Ein 260 Seiten starkes Buch ist erschienen, das die Geschichte(n) des Zentrums und seiner Projekte erzählt. Ein Überblick über 30 aufregende Jahre.

Walli-Kampagne // Kneipe VeB //Cafe Brazil // Konzertveranstalter treibsand // Basta! Linke Jugend //Anarchist Federation //Avanti //Lübecker Bündnis gegen Rassismus //Fußballverein Roter Stern
Alles fing 1978 damit an, dass dem Frauen helfen Frauen e.V. von der Stadt ein Altstadthaus für ein Frauenhaus zur Verfügung gestellt worden war. Da die Räumlichkeiten für ein Frauenhaus jedoch ungeeignet waren, wurden die Zimmer "in der Szene aufgeteilt" und an verschiedene Initiativen untervermietet. Ein autonomer Buchladen wurde eingerichtet, im Hinterhofkino wurden Filme gezeigt, Bands traten dort auf und mit der Teestube war wohl die erste unkommerzielle Kneipe der Stadt geboren. In den ersten Jahren war die alternative in erster Linie Tagungsort für die vielfältige Initiativenbewegung der Stadt - von der LIGA (Lübecker Initiave gegen Atomanlagen) über Frauengruppen bis zur Knast- oder Antifagruppe. Seit Anfang der 80er kamen auch Punks hinzu.



Hüxstraße 69 / Demo für den Erhalt 1983 / Logo

Seit 1982 häuften sich die Probleme und Konflikte im und um das Haus: Der Vertrag wurde letztmalig bis zum März 1983 verlängert. Die Angriffe der Fascho-Skins häuften sich. Regelmäßig wurde das Haus attackiert, teilweise drangen Faschos bis ins Haus und schossen mit Gaspistolen um sich. Auseinandersetzungen zwischen Fascho-Skins und alternative-BesucherInnen waren an der Tagesordnung. Eine Mietvertragsverlängerung wurde abgelehnt, die Geschäfte und AnwohnerInnen der Hüxstraße beschwerten sich über Lärm und die Punks. Ende 1982 wurde der Verein alternative Tagungsstätte e.V. gegründet, um mit der Stadt direkt verhandeln zu können. Eine erste Kampagne für den Verbleib in der Hüxstraße wurde gestartet, doch es half nichts: Die Hüxstraße 69 war seit Ende 1983 besetzt! Um die 60 Menschen quartierten sich im Haus ein. Das Angebot des Ersatzstandortes Wallhalbinsel wurde schließlich nach kontroverser interner Debatte angenommen. Die alternative zog im April 1984 um auf die Wallhalbinsel.



Wallhalbinsel in den 80ern / Autonome im Einsatz / Migrantische Kultur

Die 1980er Jahre auf der Wallhalbinsel

Vor 1984 waren die Gebäude auf der Wallhalbinsel Sitz des Amtes für Stadtreinigung gewesen, hier hatte auch die Problemmüll-Sammelstelle ihren Sitz. In den 80ern und bis Anfang der 90er war das Areal noch von Güterbahnschienen und Gebüsch geprägt. Während manche Projekte den Umzug nicht mitmachten, kamen neue hinzu: Initiative Atomwaffenfreies Europa, die Grünen, ein Internationales Kulturcafé wurde eröffnet, türkische Sprach- und Tanzkurse wurden angeboten. Das Lübecker Plenum gegen Faschismus, der AKAW und die Autonome Gruppe trafen sich dort. Bis 1989 gab es weitere Konflikte mit der Stadt, die ihre Ursache teilweise in einer geplanten Umstrukturierung des Geländes hatten. Schon 1985 ging eine Diskussion über "neue Impulse" für das Areal los, seit 1987 wurde überlegt, die Musik- und Kongresshalle (ein Geschenk des damaligen Ministerpräsidenten Uwe Barschel) auf der Wallhalbinsel zu bauen. 1986 wurde als Reaktion auf die Ablehnung einer Mietvertragsverlängerung das Grundstück neben der alternative besetzt und Bauwagen dort aufgestellt. Gegen Proteste der CDU gelang es, von der SPD grünes Licht für die Vermietung des Geländes zu erlangen. Eine weitere Platzbesetzung 1989 (auf der anderen Seite) scheiterte allerdings.



Blockade der Walderseekaserne 1988 / Platzbesetzung 1989 / Fassade der alternative

Die seit den 70ern bestehende LIGA gegen Atomtransporte hatte sich nach der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl 1986 neu gegründet und begann auf die über Lübeck laufenden Atomtransporte von Frankreich nach Skandinavien aufmerksam zu machen. Die Marienkirche wurde Anfang 1987 besetzt, ebenso die Herrenbrücke im Juli 1987. Die Bewegung vergrößerte sich. Eine Blockade des Fähranlegers sowie der BGS-Kaserne, in der die LKWs mit der strahlenden Fracht stationiert worden waren, durch tausende Menschen im Januar 1988 sowie die mit 10.000 Menschen größte Demonstration der Nachkriegszeit bewirkten einen endgültigen Stopp der Transporte. Die Lübecker Anti-AKW-Bewegung hatte gesiegt!

Die Solidarität mit den Häusern in der Hamburger Hafenstraße, internationale Solidaritätsarbeit, Antimilitarismus und praktischer Antifaschismus waren weitere Themen, die von der alternative aus thematisiert wurden. Auch der Hungerstreik der RAF-Gefangenen (drei von ihnen saßen in Lübeck) war Anlass von Solidaritätsaktionen. Als am 30.11.1989 der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Herrhausen, von der RAF getötet wurde, wollte die alternative mit einem Transparent die öffentliche Stimmungsmache gegen potentielle SympathisantInnen durchbrechen. Doch das Transparent mit dem Titel "Deutsche Bank - Deutsches Geld morden mit in aller Welt" führte zu einem SEK-Einsatz und einer fristlosen Kündigung. Letztere wurde allerdings wieder rückgängig gemacht.



Anlass für fristlose Kündigung 1989 / Wagenleben mit Kindern 1993/94 / Der umstrittene Jesus 1995

Die 1990er Jahre

Die 90er Jahre waren zunächst von gesellschaftlichen und politischen Ereignissen wie dem Wegfall der Mauer (und damit dem Ende des Kalten Krieges), dem Niedergang der Initiativbewegungen sowie dem unglaublichen Erstarken faschistischer Gewalt geprägt. Interne Konflikte prägten zudem die erste Hälfte der 90er: 1990 war ein Streit zwischen Teilen des Lübecker Plenum gegen Faschismus um den AKAW bzw. Avanti auf der einen und den Autonomen auf der anderen Seite eskaliert, bei der es um die Bezahlung politischer Arbeit im Rahmen der Antifaschistischen Zeitung (AZ) ging und in dessen Gefolge das Rest-Plenum und Avanti das Zentrum verließen. Die verbliebenen autonomen Gruppen verließen drei Jahre später, 1993, das Zentrum, nachdem die Kinogruppe Laterna Magica einen Pornofilm von Russ Meyer öffentlich zeigen und ein großer Teil der alternative sich nicht mit dem Thema Sexismus auseinandersetzen wollte.

1995 war das Jahr der Razzien: Zunächst brach die Polizei im Mai alle Türen auf, um eine urinierende Jesusfigur auf dem Dach zu entfernen. Die Staatsanwaltschaft interpretierte die Geste der Jesusfigur als Onanieren, während die Verteidigung mit Verweis auf eine Kneifzange von einem "symbolischen Befreiungsakt" sprach. Der Künstler wurde drei Jahre später aufgrund der "Beschimpfung religiöser Bekenntnisse" verurteilt. Einen Monat nach der Jesus-Razzia stürmte die Polizei erneut das Gelände, aber um einiges martialischer. Diesmal lautete der Vorwurf gegenüber einem Bewohner: §129a - Mitgliedschaft in einer "terroristischen Vereinigung". Das Konstrukt erklärte die autonome Zeitschrift "radikal", deren Herausgabe u.a. dem Bewohner vorgeworfen wurde, zur Kommunikationsschaltstelle zwischen sämtlichen "linksterroristischen Gruppierungen". Nach monatelanger Soliarbeit wurden 5 Angeklagte im Dezember 1995 aus dem Knast entlassen, das Verfahren schließlich eingestellt.



Radikal-Razzia 1995 / Hafenstraße 1996 / SchülerInnen gegen Rassismus 1992/93

Geprägt waren die 90er Jahre aber vor allem auch durch eine Welle faschistischen Terrors: Nach den Anschlägen und Pogromen in Rostock, Mölln und Solingen war seit 1994 Lübeck Schauplatz des Terrors: 1994 und 1995 brannte die jüdische Synagoge, 1996 die Flüchtlingsunterkunft in der Hafenstraße, 1997 die Vicelin-Kirche. Aber nicht nur mit den Nazis musste sich die unabhängige antifaschistische Bewegung und v.a. das Lübecker Bündnis gegen Rassismus (LBGR) auseinandersetzen: Die Staatsanwaltschaft beschuldigte nach dem Brand in der Hafenstraße, bei dem 10 Menschen starben, einen der Hausbewohner, Safwan Eid, der Tat. Vier Nazis aus Grevesmühlen, die sich mit frischen Brandspuren in der Tatnacht in der Nähe des Tatorts aufgehalten hatten, wurden nie belangt. Das LBGR kritisierte die "rassistischen Ermittlungen" und kämpfte für ein Bleiberecht für die Opfer des Anschlags.


Die 2000er Jahre

Nachdem der Mietvertrag der Walli 1999 unter einer rot-grünen Mehrheit noch um vier Jahre verlängert worden war, trat die CDU, die seit April 2003 die absolute Mehrheit in der Bürgerschaft besaß, mit einer Kampfansage an: Die Walli sollte auf einen neuen Standort umziehen, das Gelände sei ein "Filetstück" (inzwischen war das Areal grundlegend umstrukturiert worden) und müsse verkauft werden. Doch das Fehlen eines Investors, das unprofessionelle Vorgehen der CDU und eine riesige Mobilisierung durch die Walli machten den Plänen der CDU einen Strich durch die Rechnung. Mit der wohl größten Kampagne in 30 Jahren, mit Unterschriften, Leserbriefen, Demonstrationen, Farbbeutelwürfen und Straßenaktionen wurde für das Ziel "alternative bleibt - wo sie ist" gekämpft. Zunächst gelang es jedoch nur einen Teilerfolg zu erringen: Im Februar 2004, kurz vor einer Besetzung, einigten sich Walli und CDU auf 16 Monate Vertragsverlängerung und eine Mieterhöhung. Die Suche nach einem Ersatzstandort verlief ergebnislos, doch erneut musste gekämpft werden. 3 Tage und Nächte wurden gemeinsam mit dem Autonomen Frauenhaus vor dem Rathaus verbracht und alle Kräfte noch einmal mobilisiert. Das Ergebnis vom Juni 2005 war ein 4-Jahres-Vertrag, der sich danach automatisch um 1 Jahr verlängert.


Presseberichterstattung 2005 / Großdemo Mai 2005 / Ankettaktion Juni 2005

Heute ist die alternative lebendiger denn je. Die Kampfansage der CDU hat die alternative Szene Lübecks belebt und der Walli hunderte interessierte Jugendliche zugeführt. Gegenwärtig existieren neben dem Wagenplatz und den drei Kultur- bzw. Kneipen-Kollektiven (Cafe Brazil, VeB, treibsand) mehrere politische Gruppen auf dem Gelände (Basta! Linke Jugend, Anarchist Federation, Avanti, LBGR, ASOL). Vor kurzem wurde der Fußballverein "Roter Stern Lübeck"gegründet. Zum 30jährigen Jubiläum besuchten 2.000 BesucherInnen das Sommerfest am 6. September, das vom Kinderfest über Badewannenrennen (aka "Uwe-Barschel-Gedächtnisregatta"), Podiumsdiskussion und Kino bis zu etlichen Bands für alle was zu bieten hatte. Skeptisch macht allerdings, dass das Zentrum in der lokalen Presse als "etabliert" gefeiert und von der Stadtprominenz von Linken bis CDU gelobt wird - haben wir etwa was falsch gemacht?


Zum Jubiläum ist übrigens ein 260 Seiten dickes Buch erschienen, das die Geschichte und Geschichten der alternative und ihrer zahlreichen Projekte ausführlich in Form von Interviews, Überblicksdarstellungen und subjektiven Erinnerungen behandelt. Bestellen könnt ihr es per Mail: 30-jahre-alternative (att) web.de

Walli-Kampagne // Kneipe VeB //Cafe Brazil // Konzertveranstalter treibsand // Basta! Linke Jugend //Anarchist Federation //Avanti //Lübecker Bündnis gegen Rassismus //Fußballverein Roter Stern
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Ergänzungen

Nix falsch gemacht

nva, veb,... 11.09.2008 - 21:53
"Skeptisch macht allerdings, dass das Zentrum in der lokalen Presse als "etabliert" gefeiert und von der Stadtprominenz von Linken bis CDU gelobt wird - haben wir etwa was falsch gemacht?"
Ach wat! Dem lokalen Käseblatt LN und der CDU könnte Hetze gegen die Walli sehr schlecht bekommen. Das mußte die CDU schließlich am eigenen Leib erfahren, als sie die Walli abräumen wollte. Und das die Walli in großen Teilen der "normal"-Bevölkerung große Akzeptanz bis Beliebtheit genießt kann sich doch nur positiv auswirken, wenn 2010 der Vertrag wieder ausläuft...

Fotos von der Uwe-Barschel-Gedächtnis-Regatta

Uwe B. 11.09.2008 - 22:06

Walli bleibt bis mind. 2015!

Lübecker Nachrichten 26.09.2008 - 23:52
Alternative darf bis Mitte 2015 auf der Walli bleiben

Lübeck - Das Jugend- und Kulturzentrum Alternative darf auf der nördlichen Wallhalbinsel bleiben – und muss weniger Miete zahlen.

Das hat die Bürgerschaft gestern mit den Stimmen von SPD, Grünen, Linken, FDP und Lübecker Bunt beschlossen. Die CDU hat dagegen gestimmt, die Bürger für Lübeck (BfL) haben sich enthalten.

Demnach wird der Mietvertrag für die Alternative vorzeitig bis zum 30. Juni 2014 verlängert. Frühestens kann der Vertrag zum 30. Juni 2015 gekündigt werden. Außerdem senkt die Lübecker Bürgerschaft die Miete der Alternative ab dem 1. Januar 2009 von 900 Euro auf symbolische 51 Cent – und reduziert damit die monatlichen Kosten des Jugend- und Kulturzentrums deutlich. Inklusive Betriebs- und Nebenkosten betrugen die monatlichen Kosten der Alternative bislang etwa 2000 Euro im Monat. Auch der Zuschuss der Stadt für die Alternative in Höhe von 395 Euro bleibt erhalten.

Damit hat die neue Bürgerschaft wieder einen CDU-Beschluss zurückgedreht. jvz
Von Josefine von Zastrow
ln-online/lokales vom 26.09.2008 00:00

Text zum Buch im ND vom 24.10. 2008

leser 26.10.2008 - 12:57

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