Veranstaltung zu Schikanen im Einzelhandel

evawehrdich 08.08.2008 16:49 Themen: Soziale Kämpfe
Veranstaltung zum Einzelhandel in der Dudenstraße
- Resolution gegen Schikanen und Repression im Einzelhandel
verabschiedet.
Veranstaltung zum Einzelhandel in der Dudenstraße
- Resolution gegen Schikanen und Repression im Einzelhandel
verabschiedet.

Die aus Anlass der Kündigung von Emmely ausgerichtete Veranstaltung
im ehemaligen IG-Medien Haus in der Dudenstraße war mit über 50 Leuten
sehr gut besucht. Das Publikum war eine interessante Mischung aus
linksgewerkschaftlich orientierten Leuten, Linksradikalen und welchen,
die ich nicht zuordnen konnte. Die Linksradikalen haben sich in der
Diskussion aber sehr zurückgehalten.
Einige mussten stehen und angesichts des heißen Tages war die
Luft knapp.

Dennoch folgte das Publikum gespannt den drei ReferentInnen. Die
Soziologin Gisela Notz erläuterte, dass die unteren Plätze in der
Erwerbsarbeit schon immer hauptsächlich durch Frauen besetzt waren und verwies auf Diskussionen, die schon in den 80er Jahren auf die Zunahme ungeschützter Arbeitsverhältnisse aufmerksam gemacht haben. Sie präsentierte jede Menge Zahlen zum Zusammenhang von Prekarisierung geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung: 70 % aller Beschäftigten im Niedriglohnsektor sind Frauen. Angesichts der fehlenden Strategien
der Gewerkschaften empfahl sie neue Allianzen zwischen sozialen Bewegungen und Gewerkschaftsapparaten.
Für den Einzelhandel spezifisch seien die immer kürzeren Teilzeitarbeiten, die es verunmöglichen, von dem wenigen Geld selbstsändig zu leben und auch eine gemeinsame Organisierung erschweren, weil das bisschen Arbeit und Einkommen den Aufwand kaum wert ist.

Haufenweise Details zu dieser eher abstrakten Perspektive lieferte Mona Frias, die seit 13 Jahren Betriebsrätin bei Schlecker ist. Da ging es um verdorbene Lebensmittel, die vor Schichtbeginn in die Regale geschmuggelt werden, um unliebsame KollegInnen zu kündigen oder einer Kündigung wegen der Unterschlagung eines Cents, den ein Kunde als Trinkgeld gegeben hat. Eines der größten Probleme für eine Organisierung bei Schlecker ist es, dass die Arbeiterinnen in den Läden immer allein sind bzw. sich gerade mal 15 Minuten bei der Schichtübergabe sehen - so haben die Arbeiterinnen kaum Kontakte zu anderen Kolleginnen. Frias machte deutlich, dass das Arbeitsrecht oft das einzige Mittel ist, sich zu wehren. Einige dieser Schikanen konnten vor Gericht abgewehrt werden. Interessant war auch, dass es kaum noch Vollzeitbeschäftigte in diesem Bereich gibt. Von 200 Beschäftigten in einem Bezirk sind nur noch 27 in Vollzeit tätig und die Teilzeitstunden beginnen bei 7,5 Stunden in der Woche.

Rechtsanwalt Dieter Hummel sollte zum Arbeitsrecht als Repressionsinstrument sprechen. Dabei wies er aber zunächst darauf hin, dass das Arbeitsrecht ein Schutzrecht ist und das Problem darin bestehe, dass dieser Schutz nicht ausreicht. Dafür hatte er auch eine Reihe von Beispielen, das schlagendste war vielleicht das einer Verkäuferin, die das abgerissene Grünzeug von Kohlrabis mit nach Hause nahm um es an ihre Kaninchen zu verfüttern. Sie würde gekündigt, weil die Arbeitsanweisung lautete, das Grünzeug wegzuwerfen. Diese Kündigung wurde vom Gericht bestätigt. Passend zum Fall Emmely erklärte Dieter Hummel der Versammlung das Konstrukt der Verdachtskündigung, bei der eben laut herrschender juristischer Meinung ein Verdacht das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und beschäftigten so zerstören kann, dass das Arbeitsverhältnis gekündigt werden kann. Dabei könne es unter Umständen in einem parallel laufenden Strafverfahren zum Freispruch kommen, die Kündigung hätte
trotzdem Bestand, weil der Verdacht zuvor begründet war.

Wesentliche Veränderungen des Arbeitsrechts sah Dieter Hummel auf der Seite der Gesetzesnorm vor allem in der Einführung der generellen Möglichkeit der befristeten Beschäftigung durch die schwarz-gelbe Regierung. Diese habe die Erpressbarkeit der KollegInnen erheblich gesteigert. Auf der Seite der Rechtssprechung machte er eine Verschiebung hin zu liberaleren, d. h. arbeitgeberfreundlichen Positionen aus. Dies führte er auf die immer jünger aus der Ausbildung kommenden RichterInnen zurück, die ohne viel Lebenserfahrung in anderen Bereichen die herrschende Lehrmeinung anwendeten.

Die Veranstalter kritisierte Dieter Hummel für ihre Konzentration auf die Fälle von Repression, die als verhaltensbedingte Kündigungen sich niederschlügen. Dabei machten die betriebsbedingten Kündigungen den Löwenanteil der Kündigungen aus und hier sei das Problem, dass die herrschende Rechtssprechung die den betriebsbedingten Kündigungen argumentativ zugrunde liegenden unternehmerische Entscheidungen nicht hinterfrage, sondern die Angriffe der Arbeitgeber akzeptiere.

In der anschließenden Diskussion ging es um die beliebte Frage: Was tun? Festgestellt wurde, dass das Solikomitee für Emmely aus einem Defizit entstanden ist: nämlich der Untätigkeit von VERDI, ihr Mitglied öffentlichkeitswirksam gegen die aus der Luft gegriffenen Vorwürfe durch die Leitung von Kaisers in Schutz zu nehmen. VERDI zog es vor, mit der Öffentlichkeitsarbeit zu warten, bis der Arbeitsprozess vorbei ist. Das kürzlich in Lüneburg wegen ähnlicher Vorwürfe gewonnene Verfahren einer Betriebsrätin von Kaufland (gehört zu Lidl) zeigt, dass es auch anders geht: Hier hatte der DGB VOR dem Prozess eine große Kampagne organisiert und Unterschriften von zig Betriebsräten gesammelt. VERDI-Berlin scheint da noch nicht so weit zu sein, obwohl sie mit der Blockade eines Reichelt-Marktes im Juni offensiv in den Einzelhandelsstreik eingreifen wollten. Jedenfalls wäre es das mindeste, dass sich die Gewerkschaft öffentlich für ihre Mitglieder einsetzt und das Streikrecht, ihre wichtigste Waffe, ohne Wenn und Aber verteidigt. Darin waren sich die Teilnehmer der Veranstaltung einig und es wurde die folgende Resolution verabschiedet:

Berlin-Tempelhofer Resolution gegen Schikanen
und Repression im Einzelhandel

die über 50 Teilnehmenden der Veranstaltung „Kassiererin streikt: Kaiser's kündigt: Die Arbeitgeber greifen an“, Berlin, 07.08.2008, erklären einstimmig

Unsichere Arbeitsverhältnisse, Niedriglöhne und miese Arbeitsbedingungen sind kein Zufall:
Im in Berlin-Brandenburg immer noch aktuellen Tarifkonflikt im Einzelhandel streikten in der Kaiser's-Filiale Hauptstr./Berlin-Hohenschönhausen anfangs acht Kolleginnen. Nach einschüchternden Einzelgesprächen der Distriktmanagerinnen war es nur noch eine: Emmely. Emmely wurde daraufhin fristlos gekündigt: Unter dem Vorwand des Verdachts, Pfandbons im Gesamtwert von 1,30 EUR falsch abgerechnet zu haben. Emmely hatte bis dahin 31 Jahre noch immer im ersten Arbeitsverhältnis gearbeitet. Die vorgebliche Schädigung des Vertrauens des Arbeitgebers in Emmely wegen des Verlusts von 1,30 EUR, soll schwerer wiegen als das Recht dieser Frau auf eine eigene Existenzgrundlage. Kaiser's muss diesen Vorwurf gar nicht beweisen, ein „dringender“ Verdacht reicht aus: Sogenannte Verdachtskündigung.
Emmely ist kein Einzelfall: Regelmäßig schikanieren Arbeitgeber im Einzelhandel KollegInnen, die sich nicht alles gefallen lassen oder für bessere Bezahlung kämpfen. Regelmäßig versuchen Arbeitgeber, KollegInnen, die sich nicht alles gefallen lassen, aus dem Betrieb zu drängen. Regelmäßig verhindern oder behindern Arbeitgeber die Gründung oder Arbeit von Betriebsräten.
Die Veranstaltung „Die Arbeitgeber greifen an“ hat diese Schikanen und die Möglichkeiten der Gegenwehr zum Thema gemacht. Wir, die TeilnehmerInnen, erklären:
l Wir sind solidarisch mit Emmely und unterstützen sie in ihrer Kündigungsschutzklage.
l Wir fordern Kaiser's auf, Emmely sofort wieder einzustellen.
l Wir erwarten von unseren Gewerkschaften, dass sie gerade widerständige KollegInnen wie Emmely unterstützen: Nicht nur durch Rechtsschutz, sondern auch durch öffentliche Auftritte und Stellungnahmen und die aktive Organisierung von Solidarität.

Berlin, den 07.08.2008, die Veranstalter und Teilnehmenden der Veranstaltung „Kassiererin streikt: Kaiser's kündigt: Die Arbeitgeber greifen an“.
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