HB: Protesttag gegen Ausgrenzung

AutorIn 08.05.2008 12:15 Themen: Freiräume Soziale Kämpfe
Am Dienstag den 6. Mai fand in Bremen der mittlerweile 16. Protesttag gegen Diskriminierung behinderter Menschen statt. Nach einigen Workshops zog eine Demo mit gut 400 TeilnehmerInnen in die Innenstadt zur Abschlusskundgebung.
Der 16. Protesttag stand unter dem Motto "Teilhabe statt Ausgrenzung" und hatte das Ziel Menschen für ein Thema zu sensibilisieren, dass durch eine UN-Konvention und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz noch lange nicht erledigt ist. Denn auch wenn Gesetze und Konventionen mehr oder weniger deutlich versuchen die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung herzustellen oder einzufordern, so bedarf es eines grundlegenden Wandels in den Köpfen und im Alltag.
Der Tag begann nach unterhaltsamem Begrüßungsprogramm mit Workshops und Filmen in den Räumen der Friedensgemeinde in der Humboldtstraße. In den Filmen wurden verschiedene Aspekte der Teilhabe dargestellt. So gab es einen Film über den Alltag eines Schauspielers mit Trisomie 21, einen über die Heirat zweier geistig behinderter Menschen, einen über den Versuch und die Hürden einer Eheschließung zwischen behinderten Menschen und einen über Sexualität und Behinderung.
Gerade der Film über Sexualität und Behinderung zeigte sehr gut, welche gesellschaftlichen Vorbehalte bestehen und welchen Druck ein herrschendes Schönheitsideal auf Menschen ausübt, die diesem nicht entsprechen können. Noch wurde allerdings die Problematik ausgeblendet, wie unwahrscheinlich Sexualität zwischen nicht-behinderten und behinderten Menschen eigentlich in einem Alltag ist, in dem diese faktisch in Paralellgesellschaften leben.
Zeitgleich dazu fand ein Workshop statt in dem Barrieren in HB und BHV gesammelt wurden, mit dem Ziel diese zu beseitigen. Hier ging es sowohl um Busse, Bahnen. Kneipen, öffentliche Gebäude uvm., die für RollstuhlfahrerInnen nicht zugänglich sind, als auch um Barrieren für Menschen, die nicht hören, sehen oder sprechen können. Hier handelt es sich z.B. um Behördenbriefe und Internetseiten, die nicht auf Tonband aufgenommen werden, zu klein geschrieben oder unübersichtlich sind uvm. Hier zeigte sich wie wahnsinnig viele Hindernisse der Alltag bereit hält, denen Menschen ohne Behinderung sich keinesfalls bewusst sind. Achtet doch mal auf kleine Treppenstufen in Läden, Diskos, Kneipen. Auf Internetseiten, die auch mit Sehstörung lesbar sind, oder oder oder.
Paralell fand außerdem ein Workshop zum Thema "persönliches Budget" statt. Hier handelt es sich um einen möglichen Weg, um Menschen mit Behinderung mehr Selbständigkeit zu ermöglichen, in dem sie anhand ihres Budgets auch über BetreuerInnen und Wohnort usw. bestimmen können. Ich habe leider noch nicht wirklich Einblick in die Thematik, es lohnt sich, sich damit mal auseinanderzusetzen.
Außerdem fand noch eine Sammlung behindertenpolitischer Schweinereien statt, zu denen, wie in so vielen Bereiche, die massive Kürzung von finanzieller Unterstützung gehört. So steht unter anderm dieser Protesttag vor dem Aus, weil der mitorganisierenden Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfe e.V. die Gelder um 40 % gekürzt wurden. Auch gibt es erhebliche Erschwernisse im Alltag durch die Kürzung von TAxischeinen uvm.

Um 12.45 Uhr zog dann die Demo mit gut 400 TeilnehmerInnen los, gut ausgestattet mit Transparenten und Plaktaten, die zuvor im Kreativworkshop gemalt worden waren. Besonders gut war auch die Ausstattung mit Flyern, die sicher viele Menschen zum Nachdenken angeregt haben. Auf ihnen war das Motto "Teilhabe statt Ausgrenzung" einfach und eindringlich dargestellt. Teilhabe ist..., Ausgrenzung ist...
Die Beispiele waren weitreichend und alle, die sie gelesen haben, sollten sich immer wieder an sich selbst erinnert gefühlt haben. Denn es ist Ausgrenzung, wenn die meisten sagen müssen, keinen Behinderten persönlich zu kennen. Wenn Behinderte in eigenen Werkstätten völlig unterbezahlt arbeiten, sie ihre eigenen Diskos haben, keine öffentliche Toilette benutzen können, sie in Sonderschulen gesteckt werden,...

Die ganze Demo über gab es ein offenes Mikrofon an dem alle erzählen konnten, was ihnen auf dem Herzen lag. Auch da wurden Ausgrenzung und Mobbing sehr deutlich und persönlich.

Ich weiß, dass es hier um Teilhabe an einer Gesellschaft geht, die die meisten hier (und ich auch) ablehnen. Es geht aber v.a. auch darum Menschen ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu erkämpfen. Dass ein selbstbestimmtes Leben in dieser Gesellschaft aus Bevormundung durch den Staat, Chefs, Moralvorstellungen und gesellschaftlichen Druck nicht wirklich möglich ist das eine. Das andere ist aber, dass es Menschen gibt, die jetzt hier und heute Unterstützung brauchen, weil es körperlich oder geistig nicht anders geht, die Hilfestellung und vor allem Rücksichtnahme und Respekt brauchen und das nur sehr selten kriegen.

Mir geht es darum hier Sensibilität zu schaffen für alltägliche Diskriminierung. Für AUsgrenzung und Barrieren, die den meisten von uns nie bewusst sind. Und für einen sozialen Kampf für ein selbstbestimmtes Leben, der geführt wird, ohne dass sich die Linke darum kümmert!
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Ergänzungen

In München

Karl-Heinz 08.05.2008 - 14:50
In München waren es geschätzte 100 TeilnehmerInnen, davon die meisten betroffene, also Menschen mit einer sog. Behinderung. War klar dass mensch von den sonst achso demofreudigen Leuten aus der Münchner Linken/dem Töpferlbad keineN bei der Kundgebung oder dem Straßenfest sah. Sehr schade.

Die Redebeiträge enthielten von der Forderung zu einer wirklich barrierefreien Stadt (ÖPNV, Lokale etc.) bis hin zu der Thematik dass Frauen mit Behinderung wegen ihrem Geschlechtes nochmal stärker diskriminiert werden.

War wirklich interessant, nur leider sehr geringe Resonanz, obwohl es auf dem Marienplatz (also die Stadtmitte) stattfand.

Selbstbestimmung in welcher Form?

Assistent 09.05.2008 - 11:29
Sicherlich ist es richtig, dass in der Linken ein zu geringes Interesse an der Selbstbestimmt Leben Bewegung vorhanden ist. Aber als jemand, der in der Assistenz behinderter Menschen bei einem bewegungsnahen ambulanten Dienst beschäftigt ist, möchte ich doch auf ein paar Widersprüche in diesem Feld hinweisen:
1.Selbstbestimmung in diesem Sozialversicherungssystem findet unter der Prämisse der Kostendeckelung statt. Da aber behinderte Menschen auf Assistenz angewiesen sind, müssen sie Lösungen unter diesen Bedingungen finden. Dies bedeutet praktisch, dass die ErbringerInnen von Pflegearbeit in schlecht bezahlten und schlecht abgesicherten Arbeitsverhältnissen arbeiten. (Siehe dazu der Bericht zur Auseinandersetzung bei Ambulante Dienste Berlin hier bei Indy).
2.Zudem glaubt ein Großteil der Bewegung mehr Selbstbestimmung durch eine Stärkung des Marktprinzips erreichen zu können. Genau dieser Idee ist das Persönliche Budget verpflichtet. In diesem Modell erhalten die Leistungsempfänger Geld, um sich ihre Leistungen selbst einzukaufen und durch ihre KundInnnenposition mehr Teilhabe verwirklichen zu können. Dies verschärft allerdings weiter den Druck auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten.

Das fatale an diesen Widersprüchen ist, dass es unter den Bedingungen dieser Kostendeckelung also zu einem wirklichen Gegensatz zwischen behinderten Menschen und Beschäftigten kommt.

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