Venezuelas "sozialistische Unternehmer"

Wladek Flakin 16.04.2008 10:54 Themen: Weltweit
Venezuelas Präsident Hugo Chávez, der sich selbst gern als "bolivarischer Sozialist" darstellt, setzt auf eine Bündnispolitik mit der nationalen Bourgeoisie. Nach Chávez sollen sogar nationalistische UnternehmerInnen an der venezolanischen Revolution teilnehmen. Doch wollen das auch die UnternehmerInnen selbst?
Es ist klar, dass die große Mehrheit der venezolanischen KapitalistInnenklasse keine großen Sympathien zu Chávez hegt, was bereits in Form zweier Putschversuche deutlich wurde. Trotzdem gibt es auch einen wichtigen Sektor in der Bourgeoisie, der die Regierung unterstützt. Von der Politik die Abhängigkeit vom Imperialismus zu reduzieren, erhoffen sie sich hohe Profite. Aber wer sind diese KapitalistInnen und wie schätzen sie die Situation in Venezuela ein?

Um diese Frage zu beantworten besuchte ich ein Treffen der "Vereinigung venezolanischer Unternehmer", die besser unter ihrem informellen Namen "Vereinigung sozialistischer Unternehmer" bekannt sind. Dieses Treffen fand in einer schicken Bar, in der teuersten Einkaufspassage Venezuelas statt. An diesem Abend tauschten sich UnternehmerInnen und Presse aus und berichteten von ihren Erfahrungen vom Geschäfte machen unter einer "sozialistischen Regierung". Es wurden keine Kosten und Mühen gescheut, um BesucherInnen anzulocken: frisch gepresster Melonensaft, Filet mignon in mundgerechten Häppchen und kleine Kuchenstückchen, die von KellnerInnen gereicht wurden - in dieser Nacht war diese Bar, laut einem Gast, der beste Club in der Stadt.

Diese Vereinigung wurde während der UnternehmerInnensabotage und den Aussperrungen (die manchmal auch Streiks genannt wurden) im Dezember 2003 gegründet. Der Versuch die Chávez Regierung zu stürzen misslang, hinterließ jedoch große Schäden in der Wirtschaft. Eine Gruppe mittelgroßer und einige wenige große Unternehmer gaben die Losung aus: "Nein zu dem Streik! Ja zur Arbeit!" und die Vereinigung war geboren! Anfänglich zählte sie 3.000 Mitglieder, heute sind es mehr als 300.000, die meisten unter ihnen BetreiberInnen von Mittel- und Kleinunternehmen.

Ich sprach mit Dr. Uzcátegui, dem Präsidenten der Vereinigung und meine erste Frage war natürlich: "Sozialistische UnternehmerInnen? Ist das nicht ein wenig widersprüchlich?". Aber offensichtlich war er diese Fragen gewöhnt und meinte: "Wir müssen präziser sein. Die Regierung spricht vom Sozialismus des 21. Jahrhunderts, der weder dogmatisch noch reformistisch ist. Es ist ein nationaler Sozialismus, ein venezolanischer Sozialismus, der sich auf alle sozialen Sektoren stützt, auch auf die Unternehmer."

Ich erwähnte, dass Chávez oft in der internationalen Presse attackiert wird, weil er den freien Markt einschränkte und Uzcátegui antwortete: "Der Staat muss regulieren, um die Wirtschaft zu kontrollieren. Die traditionellen Unternehmer hatten eine neoliberale, spekulative und keine produktive Ausrichtung. Diese Mentalität darf nicht unkontrolliert bleiben. Wir hingegen unterstützen das wirtschaftliche Modell der Regierung, das bisher auch erfolgreich ist. Die alten Unternehmer verlieren an Einfluss, das ist auch der Grund, weshalb sie die Regierung destabilisieren wollen. Wir wiederum zielen auf eine Integration des privatwirtschaftlichen Sektors in die bolivarische Regierung ab."

Unser Gespräch wurde durch einige Präsentationen unterbrochen. Ein Vertreter eines Chemiebetriebes schilderte, wie er mit Hilfe des venezolanischen Arbeitsministeriums die Möglichkeit bekam zu einem geschäftlichen Treffen nach Shanghai zu fahren. Dann kam es zu meiner Vorstellung: "Wir haben einen Freund, einen Journalisten aus Deutschland hier." Ich bin kein guter Redner und brachte nur ein: "Ja, äh, danke, äh, für das Essen…" heraus.

Als wir unser Gespräch fortsetzten, fragte ich Uzcátegui nach dem Konzept der "patriotischen Kapitalisten" und er antwortete mir auf eine Art und Weise, die stark an Chávez erinnerte: Eine Transformation des ökonomischen Modells hin zu mehr Verteilung von Reichtum, weniger Ausbeutung, mehr Produktion und weniger Monopole. Er bezeichnete dabei wiederholt sein Ziel mit den Worten "sozialistische Produktion". "Die ökonomische Macht, die in den Händen der alten Oligarchie liegt, zählt noch immer sehr viel in Venezuela und wird eingesetzt, um medial gegen die Chávez Regierung Stimmung zu machen." Sein Ziel war es die Macht der Oligarchen "im problematischsten Sektor der Revolution" zu brechen.

Ebenfalls Unterstützung bei der Unternehmervereinigung fand die venezolanische Verstaatlichungspolitik, beispielsweise der SIDOR Stahlwerke. "Diese Unternehmen hatten alle eine wichtige strategische Rolle und von der Verstaatlichung profitierten tausende andere Unternehmen." Aber gleichzeitig betonte er, dass das Wort Verstaatlichung nicht wirklich der Wahrheit entspräche, nachdem die Unternehmen alle zu regulären Marktpreisen gekauft wurden. "Die Regierung und die multinationalen Konzerne setzen sich zu Verhandlungen zusammen und arbeiten an einem Deal, der für beide Seiten erträglich ist. Im Fall von CANTV [der Telefongesellschaft aus Caracas] gab es auch keinerlei Beschwerden der Shareholder. Die Regierung war überaus fair und zahlte 480 Millionen für das Unternehmen."

Zum Schluss fragte ich noch, ob sich die "sozialistischen Unternehmer" Gedanken über eine mögliche Radikalisierung der chávistischen Bewegung machten - schließlich gibt es ja einige Stimmen, die sich für eine komplette Vergesellschaftung der Ökonomie stark machten. Aber Uzcátegui macht sich keinerlei Sorgen: Venezuela hat mit Chávez einen "starken Führer", der sich mindestens einmal monatlich mit den sozialistischen UnternehmerInnen trifft. Chávez stellt sicher, dass seine Regierungspolitik nicht in Konflikt mit UnternehmerInneninteressen gerät. Nach Uzcátegui lag Chávez´ bedeutendste Errungenschaft in der "Reform des Nationalismus", deren Politik den "produktiven Unternehmenssektor" gestärkt hat, v.a. die Klein- und Mittelbourgeoisie.

Die "Vereinigung der Unternehmer für Venezuela" (spanisch: EMPREVEN) wächst schnell und das auf Kosten der alten anti-chávistischen Vereinigung FEDECAMERAS. Übersetzt heißt dieser Name "Föderation lokaler Handelskammern" und nach und nach wechseln viele dieser Kammern zu EMPREVEN.

Die Chávez Regierung nutzt die Gewinne der Erdölindustrie, um Privatisierungen, die früher gemacht wurden wieder rückgängig zu machen und sie gewährt Kredite an kleine und nicht ganz so kleine Unternehmen. Dadurch schafft sie eine neue Bourgeoises, die der Regierung gegenüber loyal ist. Das Chávez Projekt - und hier stimme ich als Marxist mit dem Vertreter der KapitalistInnen überein - dient dazu eine starke, unabhängige Ökonomie in Venezuela aufzubauen, die auf Privateigentum basiert.

Dr. Uzcátegui fasste unser Gespräch mit den Worten zusammen: "Um Geschäfte zu machen ist die Zeit gerade gut in Venezuela. Eigentlich fantastisch!" Auch die Flugblätter sprechen für sich: "Venezuela in eine Weltmacht verwandeln."

von Wladek Flakin (unabhängige kommunistische Jugendorganisation Revolution) aus Caracas.
Übersetzt aus dem Englischen und in Zusammenarbeit mit der RSO (Revolutionär Sozialistische Organisation)
Übersetzung: Reza Gilani (RSO Wien Süd/West)

Aktuelle Analysen der RSO zur Entwicklung in Venezuela:
Teil 1: "Bolivarischer Prozess" und Klassenkampf
 http://www.sozialismus.net/ue_texte/weiter-venezuela_1.html

Teil 2: PSUV und ArbeiterInnenbewegung
 http://www.sozialismus.net/ue_texte/weiter-venezuela_2.html

Teil 3: Referendum und weitere Perspektiven
 http://www.sozialismus.net/ue_texte/weiter-venezuela_3.html
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Ergänzungen

relationen

hauser 16.04.2008 - 14:47
Im großen und ganzen geht es doch voran in Venezuela. Die Bildungschancen haben sich stark verbessert, die Armut geht zurück, die Basis wird gestärkt, der Hunger geht zurück. Wichtige Betriebe wurden verstaatlicht. Auch ich habe ein Problem mit dem Ein-Parteien-System, und Cavez hat sicher nicht alles nach meinen Vorstellungen gemacht. Deshalb sollte man, bei aller angebrachter Kritik, aber trotzdem die Erungenschaften der Revolution würdigen. Da können sich vor allem die europäischen Linken eine dicke Scheibe abschneiden.
Des weiteren geht es ja auch um den "Sozialismus des 21. Jahrunderts, und nicht um eine Kommunistische Revolution.

Kein Ein-Parteien-System

Horst 16.04.2008 - 17:08
In Venezuela gibt es durchaus andere Parteien, aber diese haben zur Zeit keine Chance gegen die sozialistische Partei von Hugo Chavez, weil dessen Politik große Erfolge gebracht hat.

Die neue Verfassung, welche Venezuela bekommen hat (die zweite wurde in einer Volksabstimmung abgelehnt) verschafft dem Volk deutlich mehr Einfluss als in unserem System.

Nationaler Sozialismus

AnarchoKommunist 16.04.2008 - 20:11
Nicht umsonst bezeichnet der Unternehmer den venezolanischen Sozialismus als "nationalen Sozialismus". In Teilbereichen kann man in stark abgeschwächter Form strukturelle Parallelen zum deutschen Nationalsozialismus erkennen. Es wird nicht der Klassengegensatz zwischen Kapital und Arbeit aufgehoben, sondern es wird das imperialistische, das "raffende" Kapital verurteilt und ein neues nationalistisches, "schaffendes" Kapital geschaffen, dass sozialen Fortschritt bringen soll ohne die kapitalistische Produktionsweise anzutasten. Das wird in Venezuela mit einem autoritären Staat und einem üblen Nationalismus kombiniert, der Venezuelas Modell für mich nicht mehr in Ansätzen links oder emanzipatorisch erscheinen lässt. Fernerhin fährt Chavez eine Politik des Antiimperialismus um jeden Preis und kooperiert zB mit dem Klerikalfaschisten Ahmedinedschad.

Gegen jeden Nationalismus!
Für die soziale Revolution!
Für die herrschaftsfreie, grenzenlose und klassenlose Weltgesellschaft!

paradox

hauser 17.04.2008 - 08:44
anarchokommunist:
"Es wird nicht der Klassengegensatz zwischen Kapital und Arbeit aufgehoben, sondern es wird das imperialistische, das "raffende" Kapital verurteilt und ein neues nationalistisches, "schaffendes" Kapital geschaffen, dass sozialen Fortschritt bringen soll ohne die kapitalistische Produktionsweise anzutasten."
Wie soll man denn die Klassengegensätze aufheben, wenn man sich diese nicht bewußt macht? Das ist doch paradox. Außerdem wird die kapitalistische Produktionsweise ganz klar angetastet. Jede einzelne Fabrik, die Pleite geht, wird vom Staat aufgekauft. Erdöl-, Stahlindustrie, Telekom und andere Schlüsselunternehmen wurden bereits verstaatlicht. Die Revolution in Nähe zum NS zu schieben ist einfach eine Frechheit gewisser Zyniker. Die Rolle der Arbeiter kann man zwischen diesen Systemen überhaupt nicht vergleichen.
Das ein Land, in dem vor 10 Jahren die Hälfte der Bevölkerung nicht schreiben konnte, und das einen grßen Teil seiner Agrarprodukte importieren muss, da sonst viele Menschen einfach verhungern, nicht von heute auf Morgen vom Neoliberalismus zum Utopie-Kommunismus übergehen kann, müsste doch jedem klar sein. Selbst wenn er sich nur philosophisch äußert, und mit der Realität nicht viel zu tun hat.

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