Mindestlohn für Briefzusteller

Wal Buchenberg 30.11.2007 11:26 Themen: Soziale Kämpfe

Für alle Briefzusteller soll ab 1. Januar ein Mindestlohn gelten, egal ob es in einem Betrieb eine Gewerkschaftsvertretung gibt oder nicht. Eine erfreuliche Entwicklung?


Es gibt etliche, die sich darüber ein bisschen freuen und einige wenige, die sich darüber mächtig freuen. Gehen wir die Fakten einmal durch, dann werden wir sehen, wer Grund zur Freude hat.


Das Postmonopol
Dass mit Einführung des gesetzlichen Mindestlohns für Briefzusteller am 1. Januar 2008 auch das 100 Jahre alte Monopol bei der Briefzustellung wegfällt, ist keineswegs Zufall. Der Wegfall des staatlichen Postmonopols war vielmehr die treibende Kraft bei der Einführung des Mindestlohns in dieser Branche.
Das staatliche Postmonopol bei der Briefzustellung gibt es seit dem 1. April 1900. Für die Staatsbürokratie sorgte das einerseits für eine sichere Einnahmequelle und andererseits für eine Vereinfachung bei der staatlichen Überwachung der Bürger. Nicht nur unter den Nazis im Dritten Reich galten an der Wohnungstür schnüffelnde Postboten als Informationslieferanten für Polizei und Geheimdienste. Und im Vorfeld des G8-Gipfeltreffens in Heiligendamm bewies die komplette Briefüberwachung in Hamburg und Berlin was ein staatliches Monopol bei der Briefzustellung wert ist.
Bislang wird der Briefmarkt mit seinen rund 17 Milliarden Sendungen und 10 Milliarden Euro Umsatz im Jahr noch von der Deutschen Post dominiert. Die Konkurrenten der Deutschen Post ergatterten von diesem Markt bisher nur rund 1 Milliarde oder 10 Prozent. Zwei Drittel dieses Marktes macht das Segment der Briefsendungen unter 50 Gramm, für die die Deutsche Post noch das Monopol besitzt. Was Wunder, dass immer mehr Kapitalisten auf den Postzustellungsmarkt drängen und ihr Stück vom Profit-Kuchen abhaben wollen.
Auf dem Briefmarkt sind das vor allem die Unternehmen TNT mit in Orange gekleideten Zustellern und PIN mit den grün gekleideten Briefträgern. Insgesamt beschäftigen die Briefkonkurrenten der Post schon 30.000 Mitarbeiter, aber fast zwei Drittel davon sind Teilzeitkräfte. Vielfach zahlen diese Unternehmen Hungerlöhne, um mit niedrigeren Kosten sich einen größeren Marktanteil zu erobern. So kam es, dass sich ein Kapitalvertreter wie Postchef Klaus Zumwinkel für Mindestlöhne in seiner Branche stark machte. Als etabliertes Unternehmen zahlt die Post höhere Löhne. Falls die Konkurrenten gezwungen werden können, vergleichsweise hohe Löhne zu zahlen, dann untergräbt das deren Konkurrenzvorteile und die Profite bleiben bei der Post. Das ist kein böser Wille, sondern kapitalistische Profitlogik.

Die Deutsche Post ist aber keineswegs der "gute Kapitalist". Sie hat sich seit Jahren gut auf die kapitalistische Konkurrenz vorbereitet. Seit 2000 hat die Post 34.000 Teil- und Vollzeitarbeitskräfte abgebaut. Außerdem sind 1.800 Subunternehmen im Auftrag der Post tätig, zum Beispiel Taxiunternehmen, die Briefkästen leeren. Für solche Subunternehmen wird es auch in Zukunft keine Mindestlöhne geben.

Mindestlohn für Briefzusteller
Der Geltungsbereich des gesetzlichen Mindestlohnes für Briefzusteller und Briefverteiler erstreckt sich auf »alle Betriebe oder selbstständigen Betriebsteile, die überwiegend Briefe gewerblich oder geschäftsmäßig für Dritte befördern», wie ver.di mitteilte. Gewerkschaftsvertreter gaben allerdings zu, dass Mitarbeiter von Betrieben, die Briefzustellung ohne Spartenausgliederung als Nebengewerbe betreiben, wie z.B. Kurierdienste, nicht unter den gesetzlichen Mindestlohn fallen. Auch neben- bzw. teilberufliche Zustellung, beispielsweise durch Spediteure und Taxiunternehmen würden nicht erfasst. Das sind genau die Bereiche, die auch von der Deutschen Post zur Kostensenkung in der Briefzustellung genutzt werden. Nach Schätzungen der CDU deckt die jetzige Regelung des Mindestlohns nur die Hälfte aller Beschäftigten in der Branche ab.

Der Mindestlohn sieht regional und nach Tätigkeit gestaffelte Minimalvergütungen zwischen acht und 9,80 Euro vor. Es handelt sich nicht wirklich um einen Mindestlohn, sondern um eine "Bandbreite von 8 Euro bis 9,80 Euro". Man muss davon ausgehen, dass innerhalb dieser Bandbreite sich ein "Sog nach unten" durchsetzt. Es wird für jeden einzelnen Beschäftigten schwer werden, die Untergrenze des Mindestlohns von 8 Euro zu überschreiten.
Ein weiteres Problem, das der gesetzliche Mindestlohn nicht beseitigen kann, sind die Regelarbeitszeiten. Wird für ein bestimmtes Briefrevier eine zu knappe Regelarbeitszeit festgesetzt, dann ist der gesetzliche Mindestlohn das Papier nicht wert, auf dem er steht.
Machen wir eine Beispielrechnung:
Die abgerechnete Arbeitszeit für ein Briefrevier sei 4 Stunden für je 8 Euro gesetzlicher Mindestlohn. Für die Zustellung benötigt der Briefzusteller aber mindestens 5 Stunden, dann beträgt sein tatsächlicher Stundenlohn 8 Euro mal 4 geteilt durch 5 Stunden, macht 6,40 Euro. Braucht er für sein Revier sogar 6 Stunden, dann müsste er für einen Stundenlohn von 5,33 Euro arbeiten.

Der gesetzliche Mindestlohn ist eine Mogelpackung. Gesetzliche Lohnregelungen sind ohne funktionierende Gewerkschaftsarbeit in den Betrieben nicht das Papier wert, auf die sie gedruckt sind. Es wäre auch ein Wunder, wenn ausgerechnet der deutsche Bundestag, der uns ständig mit steigenden Steuern und sinkenden Sozialleistungen das Geld aus der Tasche zieht, plötzlich durch Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen zur "Arbeitnehmervertretung" geworden wäre. Dass uns Lohnerhöhungen, die die Gewerkschaftsbewegung nicht erzwingen kann oder - was es leider auch gibt - nicht erzwingen will, von der Mehrheit des deutsches Bundestages geschenkt werden, hat soviel Wahrscheinlichkeit wie ein leibhaftiger Goldesel oder wie ein Regen von Sterntalern.
Der gesetzliche Mindestlohn für Briefzusteller ist erst recht eine Mogelpackung, weil dahinter das Profitinteresse der Deutschen Post steckt, die ihren kapitalistischen Konkurrenten das Leben schwer machen will.

Das haben auch andere bemerkt. Dazu ein paar Pressestimmen:

Kölnische Rundschau
Auf dem Postmarkt "funktioniert der Mindestlohn eher als Schutzprogramm für einen alten Monopolisten, der dem künftigen Wettbewerb lieber aus dem Wege gehen möchte."

Neue Presse" (Hannover)
"Und doch hat die ganze Debatte um den Postmindestlohn ein Geschmäckle. Weil von vornherein der Verdacht bestand, dass Post AG, Gewerkschaft und Politik an einem Strang ziehen, um unliebsame Wettbewerber von der Post fernzuhalten."

Reutlinger General-Anzeiger
"Wenn der Ex-Monopolist nicht gegen "fairen Wettbewerb" ist, wie es heißt, dann hat er sicher nichts dagegen, wenn auch private Zusteller von der Mehrwertsteuer befreit werden die Post AG jedenfalls genießt dieses Privileg. Eine steuerliche Gleichbehandlung würde auch den Privaten mehr Spielräume bei den Löhnen verschaffen."

Neue Osnabrücker Zeitung
"Eigentliches Ziel des geplanten Gesetzes ist nicht die angemessene Entlohnung von Arbeitnehmern, sondern die Beeinflussung des Wettbewerbs zugunsten des bisherigen Monopolisten. So ist es bezeichnend, dass ausgerechnet Post-Chef Klaus Zumwinkel zu den Ersten gehörte, die die Einigung bejubelten."


Wal Buchenberg für Indymedia, 30.11.2007


Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Mindestlohndebatte

Wal 30.11.2007 - 12:18
Argumente gegen oder auch für den Mindestlohn stehen hier:
 http://www.marx-forum.de/geschichte/deutschland/mindestlohn.html

Gruß Wal

?

mein name 30.11.2007 - 15:29
weil die arbeiterInnen von subunternehmen schlecht bezahlt werden und dort (leider) noch kein gesetzlicher mindestlohn greift, sollen briefzustellerInnen auch auf einen vllt. existenzsichernden mindestlohn verzichten? ich denke es ist nicht hinnehmbar, dass manche briefzustellerInnen der PIN-AG nur um die 500€ monatlich bekommen. ich halte eienn gesetzlichen mindestlohn für richtig und wichtig. natürlich bracuhn wir auf dauer den flächendeckenden mindestlohn.

msg

nochwas

postkutscher 30.11.2007 - 17:21
das ist alles richtig, was ihr da anmerkt, dass dem unternehmen deutsche post aus wettbewerbsgründen sehr am mindeslohn gelegen ist. nur sollte man nicht vergessen, dass der "kapitalist post" aus lauter arbeitnehmern zusammengesetzt ist, von denen ohne den mindestlohn viele ihren job verloren hätten, um durch leute mit 4 euro am tag in wettbewerbsunternehmen ersetzt zu werden.

und die geschichte mit der mehrwertsteuer hat damit zu tun, dass auch nach dem fall des monopols die post im gegensatz zu allen andern verpflichtet ist, jeden und jede zum selben preis zu versorgen. ob er nun auf der zugspitze oder auf irgendner einsamen eisscholle in der nordsee wohnt. das müssen die andern nicht.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Verstecke den folgenden Kommentar

Mindestlohn ist Standortlogig

Wal Buchenberg 05.12.2007 - 15:09

Ich finde, wenn es um materielle Interessen (wie Lohn, Arbeitszeit etc.) geht, muss man auch materiell argumentieren.
Wer für den gesetzlichen Mindestlohn ist, muss nachweisen, dass er die materielle Lage mindestens von Teilen der Lohnarbeiter nachhaltig verbessert.
Wer gegen einen gesetzlichen Mindestlohn ist, muss nachweisen, dass er die materielle Lage auch von Teilen der Lohnarbeiter nicht nachhaltig verbessert.
Das habe ich in meinen Beiträgen zum Thema versucht.
Teils durch Verweis auf die Praxis in anderen Ländern, teils durch Verweis auf die vielen Schlupflöcher, die der Mindestlohn den Kapitalisten lässt.

Richtig und wichtig ist der Hinweis, dass die Mindestlohndebatte in Deutschland zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt aufkam, als nämlich einerseits sich die Lage großer Teile der aktiven und inaktiven (=arbeitslosen) Lohnarbeiter deutlich verschlechterte, und andererseits die sozialdemokratisch geprägte Gewerkschaftsbewegung politisch wie organisatorisch gelähmt war (und sie ist immer dann gelähmt, wenn die SPD an der Regierung beteiligt ist).

Mit dem wachsenden Druck auf die aktiven Lohnarbeiter durch drohende Arbeitslosigkeit, daraus resultierend Lohnabbau, Arbeitszeitverlängerung und zunehmendem Arbeitsstress wuchs das Bedürfnis und die Notwendigkeit besonders in den unteren Lohngruppen deutliche Lohnsteigerungen durchzusetzen.

Es gibt in dieser Lage zwei Wege: Erstens der Weg, den zum Beispiel die Lokführergewerkschaft geht und zweitens den Weg, den Staat zu Hilfe zu rufen.

Es stimmt, staatliche Hilfe ist nicht grundsätzlich und generell abzulehnen.
Was aber hilft der Staat in Lohnfragen?
Tatsächlich schadet seine Hilfe in Lohnfragen mehr als dass sie nützt.
Im Großen und Ganzen werden die Lohnarbeiter zu Almosenempfängern degradiert. (Die inaktiven, arbeitslosen Lohnarbeiter sind das längst.)

In aller Regel stehen die staatlichen Lohnalmosen nur auf dem Papier und können im Arbeitsalltag tausendfach von den Kapitalisten umgangen werden. Sie werden umgangen, weil es keine Kontrollen und Sanktionen gibt. Sie werden umgangen, weil die materielle Lage immer eine komplexe Wirkungsresultante aus mehreren Faktoren ist: Stundenlohn, Arbeitszeit, Arbeitstempo, Erholungszeiten etc.

Es gab zum Beispiel Zeiten mit staatlichen Lohn- und Preisstopps, die keine wirkliche Verbesserung brachten.
Alle diese Versuche laufen darauf hinaus, der brutalen kapitalistischen Wirklichkeit ein Deckmäntelchen umzuhängen.
Alle diese Versuche laufen darauf hinaus, den Kapitalismus zu bewahren, indem man "seine Auswüchse beschneidet".
In der Praxis sind alle diese Versuche mehrmals gescheitert.

In der Praxis gewinnen die Lohnarbeiter gegen die Kapitalisten nur einen Blumentopf, wenn sie sich organisieren und sich wehren. Das heißt die Lohnarbeiter müssen die Konkurrenz untereinander überbrücken (= Konkurrenz zwischen aktiven und inaktiven Lohnarbeitern, die Konkurrenz zwischen niederen und höheren Lohnempfängern, die Konkurrenz zwischen Belegschaften unterschiedlicher Betriebe und Branchen).
Dazu muss allerdings die Gewerkschaftsarbeit neu ausgerichtet werden. Wenn (wie bei Labournet nachzulesen) Opelarbeiter in Bochum Grußadressen an die Lokführer schreiben, dann ist das ein hoffnungsvoller Anfang.

Interessant ist ja an dem jetzigen Mindestlohn für Briefzusteller, dass es den Herrschenden keineswegs um Verbesserung der materiellen Lage von Lohnarbeitern geht, sondern ganz und gar um die Konkurrenzbedingungen der kapitalistischen Unternehmen untereinander.
Genauso dient der Mindestlohn im Baugewerbe zum Schutz von deutschen Baufirmen gegen osteuropäische Konkurrenz.
Ob quasi als Nebeneffekt irgend eine Lohnverbesserung für wirkliche Arbeiter dabei herauskommt, bezweifle ich sehr. Das wird aber von unseren "Staatslinken" blauäugig unterstellt. Durch den Mindestlohn im Baugewerbe werden osteuropäische Firmen mit osteuropäischen Lohnarbeitern vom deutschen Baumarkt ferngehalten.
Genaus so sollen durch den Mindestlohn für Briefzusteller Dumpingfirmen mit Dumpinglöhnen vom deutschen Briefmarkt ferngehalten werden. Eine wirkliche Lohnerhöhung für jetzt aktive Briefzusteller ist damit nicht verbunden.
Das zeigt schon die Bandbreite des "Mindestlohns" von 8 Euro "aufwärts". Ich behaupte, die wirkliche Bewegung läuft umgekehrt: von 9,80 Euro in Richtung 8 Euro. Der Lohndurchschnitt der Konkurrenten der Deutschen Post liegt derzeit bei 8,50 Euro.

Ich behaupte, dass die (klugen) Mindestlohnvertreter genau das beabsichtigen und genau das wollen: nämlich die Lohnarbeiter auf "Standortinteressen" festzulegen. Das ist sozialdemokratische Gewerkschaftspolitik seit 1945: die Konkurrenzbedingungen der "eigenen" Kapitalisten zu stärken, um damit die Lage der deutschen Lohnarbeiter angeblich oder wirklich zu bessern.
Das ist auch die Wirkungsweise der gesetzlichen Mindestlohnforderung.
Gruß Wal