Radioballett in Leipzig

tschenz 21.05.2007 19:10 Themen: Antirassismus Freiräume Kultur
Leipziger Innenstadt am letzten Sammstag Nachmittag - Rufe wie "Bäh", "Hilfe" und "Aua" erschrecken die Passanten. Viele Menschen bewegen sich gleichzeitig schwimmend, tanzend oder kletternd die Passagen entlang.

Die Marsianis sind mitten in der Leipziger Innenstadt gestrandet nach einer Odyssee durchs All. Ihre Heimat ist explodiert und nun erkunden sie ihr neues Zuhause. Doch irgendwie passen sie nicht in die moderne Einkaufspassage der sächsischen Großstadt. Sie werden verwundert von den Passanten gemustert. Ob Leben auf dem Mars existiert oder nicht - die Leipziger Marsianis waren Teamende und Freunde des Netzwerk für Demokratie und Courage.
Radioballett "Flucht der Marsianis"

Das Radioballett ist eine politische Kunstform. Für das Verhalten in öffentlichen Räumen gibt es gesellschaftliche Normen. Kinder, die in Einkaufszentren herumtollen oder auf dem Gehweg sitzen, werden ermahnt. Erwachsene kritisch beobachtet und als Gefährdung der öffentlichen Ordnung gesehen. Warum eigentlich?

Eine der ersten Radioballetts wurde im Hamburger Hauptbahnhof durchgeführt (meines Wissens nach). In anderen Ländern ein Platz zum Verweilen oder Treffen, wird der Bahnhof in Deutschland zur reinen Reise- und Einkaufszone. Beim Radioballett koordiniert sich eine zufällig verteilte Menschenmenge durch Radios. Im Radio wird eine Geschichte erzählt und Handlungsanweisungen für die HörerInnen gegeben, wie laufen, springen, in der Sonnen sitzen, schlafen ...

Das Radioballett vermittelt erst einmal keine Informationen nach außen, sondern erzeugt Aufmerksamkeit. Die Teilnehmenden probieren sich im Nicht-genormten/überraschenden Verhalten aus. Und nicht zuletzt soll die Aktion kreativ Spaß machen.

Thema des heutigen Radioballettes war Migration an der Südgrenze Europas. Täglich versuchen Menschen aus unterschiedlichsten Gründen, meist verzweifelt, nach Europa zu kommen - in unserem Fall Marsianis. Militär und GrenzbeamtInnen afrikanischer und europäischer Staaten versuchen mit allen Mitteln diese Migrationsströme zu unterbinden. Dies geschieht sowohl direkt mit Schüssen, als auch indirekt durch Ertrinken bei der Flucht. Auch unseren Marsianis gelang es nicht, ihr Ziel zu erreichen. In Leipzig blieben die Kreideumrisse der toten Marsianis.

Etwa 40 Personen nahmen am Radioballett teil und sorgten in der sonnigen samstäglichen Einkaufsathmosphäre für viel Verwunderung und Aufmerksamkeit. Kleine Flyer wurden im Anschluss verteilt und danach gings zum lustigen Anbaden im zentralen Springbrunnen. Eine gelungende Aktion.

Der Radiobeitrag wurde so geschnitten, dass keine Termine, Orte oder Uhrzeiten in ihm vorkommen. Er kann unter  http://www.freie-radios.net/portal/content.php?id=16841 herunter geladen werden und hoffentlich oft wiederholt werden.
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Ergänzungen

Radioballetts aus den letzten Jahren

Radiokaler 21.05.2007 - 22:35
hi,

hier gibts weitere Beispiele für Radioballetts aus den letzten Jahren:

 http://kreativerstrassenprotest.twoday.net/topics/Radioballett/


und das erste wurde 2002 im Hamburger Hauptbahnhof von der Radiogruppe Ligna entwickelt und umgesetzt, 2003 gabs dann weitere in Leipzig, Frankfurt/M und Bremen. Wie es dazu kam, das kann mensch recht anschaulich erzählt hier finden:

Marc Amann (Hrsg.)
go.stop.act!
Die Kunst des kreativen Straßenprotests
Geschichten – Aktionen – Ideen
2. Aufl. 2007
240 Seiten, Großformat, 18 Euro
ISBN 3-931786-38-2

wirkung

ich 22.05.2007 - 00:43
ich hatte nicht den Eindruck, dass wir als Spinner abgetan wurden. Die Wirkung mit 40 Leuten ist da sicher anders, als wenn es nur wenige wären. Während der Aktion lagen kleine Zettel mit dem Spruch "Uniformiertes Gedankengut stoppen" und einer Internetseite auf dem Pflaster rum. Und einzelne Gespräche mit PassantInnen wurden am Ende geführt.

Ursprünglich gab es noch die Idee, am Ende zum Handy zu greifen und lautstark zu erzählen, was gerade passiert ist (ohne wirklich zu telefonieren).

Die Aktion an sich wird erst hinterher aufgelöst. Ein anderer Effekt ist aber auch, dass persönliche Ausprobieren von "unüblichem" Verhalten. Warum nicht an einem anderen Tag ohne Radio einen imaginären Zaun in der Gruppe erklettern und sich tanzend freuen, wenn's geschafft wurde. Macht sich auch gut auf einer Demo.

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Hmmm..... — sdfggh