Hamburg: Massenspektakel am 20. April

Clubeinseinsnull 20.04.2007 11:48 Themen: Antifa Freiräume Kultur Soziale Kämpfe
Transparentaktion und Text aus der Hafenstrasse zu den monumentalen Feierlichkeiten am 20. April im Hamburger Hafen.
Hamburg feiert Führergeburtstag!
»Ist es die Suggestion der ungeheuren Propaganda – Film, Radio, Zeitungen, Flaggen, immer neue Feste (heute der Volksfeiertag, Adolfs des Führers Geburtstag)? Oder ist es die zitternde Sklavenangst ringsum?«
Tagebucheintrag Victor Klemperers, 20.April 1933.

Hamburger Feierlichkeiten am 20. April
Die »weltgrößte« Schiffstaufe, Massenspektakel vor Industriekulisse, Lichtshow, Volksauflauf, die größte..., das längste..., der lauteste... Es ist dieser Stadt nicht möglich, ihre maritime Tradition zu pflegen, ohne dabei in reichsdeutschen Monumentalphantasien zu schwelgen. Alles ist aufeinander abgestimmt: Bei der Schiffstaufe der AIDAdiva verbinden sich Ort und Datum und Ästhetik zu einem Gesamtprodukt des nationalen Vergessens.
Der 20. April wurde im »tausendjährigen Reich« als »Führergeburtstag« etabliert, er ist das passende Datum, der Welt zu zeigen, was wiedervereinigte Deutsche unter Ästhetik verstehen. Der Lichtdom hat sich bei Massenspektakeln als Nazipop schon bewährt. Für eine besondere Illumination mit Reichstradition sorgte ja 2003 schon Innensenator Schill, als er - begleitet von Hamburger Burschenschaftlern - das Bismarckdenkmal beleuchten ließ. So ungern sich Oberbürgermeister und Senat heute an ihren peinlichen Steigbügelhalter Schill erinnern mögen, das Pathos monumentaler Ästhetik als Zeichen neues Selbstbewußtsein prägt noch jeden konservativen Geschmack.
Auch der Hamburger Hafen ist weit mehr als nur pittoreske Kulisse: Hier ließ schon Wilhelm II. seine Flotte bauen, um endlich dem deutschen Vormachtsanspruch die angemessene Schlagkraft zu verleihen, und die Nazis lieferten später den Werften KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter, um den Rüstungsnachschub zu gewährleisten. Heute fördert die Stadt hier mit öffentlichen Millionen eine gigantische Militaria- und NS-Devotionaliensammlung, die als »Maritimes Museum« die abgesoffenen Träume deutscher Großmachtpolitik zur »guten alten Zeit« verklärt.

St.Pauli als Ort des Spektakels
Massenveranstaltungen wie die Schiffstaufe verstärken den Trend, St.Pauli als Großcircus auszubauen. Das neue Kiezkonzept mit seiner aufwendigen Spektakelkultur – Schlagerparaden, Harleytreffen, Hafengeburtstag, Fußballgroßübertragungen und jetzt Führergeburtstag – hat nichts mit einer Qualitätssteigerung für die Anwohnerinnen und Anwohner zu tun. Im Gegenteil, die Belastung steigt. Seit Jahren wird hier zusätzlich zur traditionellen »Freizeitkultur« der Reeperbahn ein Raum für Großevents bereitgestellt. Flankiert wird dieser Trend von ausgreifenden Überwachungsmaßnahmen, wie Kameras, Platzverweise, verstärkte Kontrolle bestimmter Strassen, etc. Die Logik dahinter ist einfach: In der so geschaffenen Vergnügungszone darf der Spießer tun, was er sich zu Hause nie erlauben würde. Solange er dabei niemanden absticht, kann er zum Saufen und Vögeln die ansässige Freizeitindustrie in Anspruch nehmen. Anschließend wird noch mal in Hauseingänge gekotzt und auf den Spielplatz geschissen, dann geht es wieder zurück – in eine anständige Nachbarschaft. Über allem wachen systematisch Zuhälter und Polizei, die das Interesse an sicherem und geregeltem Konsum eint. Wer dazwischen wohnt, hat den Trubel von Wochenende zu Wochenende zu akzeptieren oder macht mit den genannten Ordnungsmächten Bekanntschaft.
So kam es schon bei der Durchführung des europaweit als zukunftsweisende Stadtplanung gefeierten Park-Fiction Projektes durch die Anwohnerinnen und Anwohner St.Paulis regelmäßig zu Polizeiübergriffen. Denn noch jeder Senat dieser Stadt hat versucht, eine selbstbestimmte, menschenfreundliche Stadtplanung in St.Pauli und anderswo nach den Interessen der Anwohnenden zu verhindern. Und die Umsätze? Von den 30 Mio €, die sich die Stadt an Einnahmen durch die Feierlichkeiten erhofft, bleibt den hier ansässigen »Unterschichten« das Flaschenpfand.

Wir sagen daher: Der 20. April ist der falsche Tag, St.Pauli der falsche Ort, eine Show der Superlative zu inszenieren. Durch die Gigantomanie der »wachsenden Stadt« scheint die großdeutsche Scheiße hindurch. Das ist Hamburger Geschichtspolitik. Noch ehe die letzten Holocaustüberlebenden, KommunistInnen, GewerkschafterInnen und andere NS-Verfolgte gestorben sind, soll das Datum des »Führergeburtstag« endlich neu besetzt werden. Den Schlußstrichdebatten des Feuilletons läßt man in Hamburg Taten folgen. Mit Hurrah ins Spektakel, mit Volldampf ins Vergessen. Das ist der Trend im größten Hafen der größten Volkswirtschaft Europas. Daher schließen wir mit einem Zitat der göttlichen Marlene Dietrich, der die Matrosen stets näher waren als die Offiziere:
Nie wieder Deutschland!
Club EinsEinsNull





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Ergänzungen

Was für ein Unsinn...

Inhaltl. Ergänzung 21.04.2007 - 21:03
... vor allem dass hier ernsthaft kritisiert wird, dass der 20. April thematisch "neu besetzt" wird. Als ginge es darum, dass dieses Datum auf ewig nur für den "Führergeburtstag" reserviert ist. Wovon der/die ArtikelschreiberIn offenbar fälschlich ausgeht.

Diese Schiffstaufe, wie pompös sie auch immer gewesen sein mag, auch nur ansatzweise mit dem Geburtstag Adolf Hitlers in Verbindung zu bringen, ist eine völlig an den Haaren herbei gezogene, konstruierte Geschichte, und reinste Polemik, um nicht von Hysterie zu reden.

Mal davon abgesehen, dass Aida eine Rostocker Firma ist, sind Mega-Spektakel wie dieses nun wahrlich nichts, was auf Hamburg oder Deutschland (von wegen "reichsdeutsch" u.ä.) beschränkt wäre. Mensch erinnere sich nur an die erst wenige Wochen zurückliegende Silvester-Super-Party z.B. in Australien. Auch mit Nazi-Lichtdom-verdächtiger Lasershow! (Wo war da wohl der Zusammenhang mit Adolf Hitler? Hm... mal überlegen: Am 31. Dezember - hat da nicht auch schon Hitler immer Silvester gefeiert? Und "Australien"... hört sich das nicht auch ein wenig an wie "Austria" - das Heimatland des "Führers"? - Genau auf diesem logischen Niveau bewegt sich oben stehender Artikel...)

Mensch kann sich auch leidenschaftlich, ja geradezu in Raserei verfallend über Dinge und Probleme aufregen, die mensch selbst erfunden und krampfhaft herbeikonstruiert hat. Dieser Beitrag ist ein Musterbeispiel dafür.

Zur allgemeinen Erinnerung: Der 20. April ist ein völlig normaler Tag wie jeder andere auch - nur überzeugte Nazis können das anders sehen! Und dementsprechend gibt es an diesem Tag nicht den geringsten Grund, nicht eine Schiffstaufe, eine Lasershow, oder sonst was zu machen.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 8 Kommentare an

naja ... — Anwohner

Ich freu mich drauf — Gaffer

Naja.. — ...

peinlich — Maternus Gold

durchaus treffend — sankt pauli bewohner