Mythos und Wirklichkeit einer "Nazi-Homezone"

knüt 25.12.2006 23:43 Themen: Antifa
Antifaschistische Interventionen in den Rudower Alltag (Berlin) oder warum Spaziergänge politisch sein können.
Das offensive Besetzen öffentlicher Räume ist seit langem Bestandteil neonazistischer Strategien, vor allem in Gegenden mit einer nur gering ausgeprägten Zivilgesellschaft bzw. einer kaum wahrnehmbaren antifaschistischen Gegenkultur. Am Anfang steht das offen neonazistische Auftreten in Cliquen und Gruppen, teilweise initiiert und angeleitet von Nazi-Kadern (wie z.B. Rene Bethage in Berlin-Rudow) - als Resultat ausbleibender Gegenwehr sind alle denkbaren Formen psychischer und physischer Gewalt gegenüber denjenigen zu verzeichnen, welche im menschenverachtenden Weltbild der Nazis als GegnerInnen und FeindInnen der Volksgemeinschaft definiert werden. Unterbleibt der Widerstand gegen die Herausbildung von Räumen mit neonazistischer Hegemonie über einen längeren Zeitrum, ermöglicht dies das Entstehen des Mythos einer "Nazi-Homezone".

Eine dieser sogenannten "Nazi-Homezones" ist Berlin-Rudow im Süden Neuköllns - zumindest wird sie von den örtlichen Nazis aus NPD und Kameradschaftsstrukturen als eine solche halluziniert.

Genauere Informationen zu Nazistrukturen und AkteurInnen in Berlin-Neukölln sind hier zu finden:

 http://de.indymedia.org//2006/08/156053.shtml
 http://two.fsphost.com/tagarchiv/fightback03_web.pdf (Recherche-Ergebnisse)
 http://ana.so36.net/ (inklusive Chronik neonazistischer Aktivitäten und Übergriffe)
 http://de.indymedia.org/2006/08/156142.shtml (NPD-Nazis in Nord-Neukölln)

Doch auch wenn Rudow eine lange Geschichte neonazistischer Aktivitäten und Strukturen hat, sind Mythos und Wirklichkeit zumindest in diesem konkreten Fall nicht deckungsgleich. Vor allem ist die gegebene Zurschaustellung neonazistischer Hegemonieansprüche mitnichten unangreifbar.

Was also ist eine geeignete Strategie, die Allmachtsphantasien der Nazis zu attackieren und sie ihrer Agitationsorte zu berauben?

Als eine praktikable und wirksame Methode hat sich die offensive Intervention in die von Nazis als "Homezone" propagierten öffentlichen Räume herausgestellt.

Genau aus diesem Grund machten sich größere Gruppen von Menschen im Vorfeld der Neonazi-Demonstration am 09. Dezember 2006 von Schöneweide nach Rudow auf den Weg in den Süden Neuköllns - zu einem antifaschistischen Spaziergang in nahezu dörflicher Idylle. Ein zweiter Besuch erfolgte einige Wochen später.

Ziel der Aktionen war es zum einen, den an zivilgesellschaftlicher oder antifaschistischer Gegenwehr interessierten Menschen vor Ort zu demonstrieren, das die behauptete Hegemonie der Nazis zu einem großen Teil ein propagandistischer Taschenspielertrick ist, welcher sich spätestens im Angesicht antifaschistischer Intervention als Bluff offenbart. Zum zweiten sollte den lokalen Nazis ganz konkret gezeigt werden, wie schnell sie an die Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit stoßen, wenn AntifaschistInnen beginnen, ihnen "ihre" Räume offensiv streitig zu machen. Schließlich und ganz praktisch sollte die teilweise massiv vorhandene Nazi-Propaganda in Rudow in Form von Aufklebern, Plakaten und Sprühereihen entfernt bzw. durch eigene, bessere und schönere Slogans ersetzt werden.

Alle drei Ziele konnten im Rahmen der beiden Rudow-Besuche verwirklicht werden.

Die AnwohnerInnen wurden mit Flugblättern über die Intention der Aktionen sowie über die bestehenden neonazistischen Strukturen in Rudow informiert und zeigten sich der Thematik gegenüber erstaunlich interessiert und aufgeschlossen. Während des ersten antifaschistischen Spaziergangs wurden die PassantInnen außerdem über die Gegenaktionen zum Naziaufmarsch am 09. Dezember informiert, welche im Hinblick auf eine stundenlange Blockade der Nazis als Erfolg bezeichnet werden können.

Das beim zweiten Besuch in Rudow verteilte Flugblatt wird am Ende dieses Artikels dokumentiert.

Die vorhandene Nazipropaganda wurde an beiden Tagen flächendeckend entfernt und der Bezirk sieht nun deutlich schöner aus - Spachtel und antifaschistische Aufkleber sind nützliche Werkzeuge.

Die lokalen Nazis nahmen die antifaschistischen Spaziergänge irritiert zur Kenntnis und widmeten sich dem etwas verzweifelt anmutendenden Versuch, Unterstützung herbeizutelefonieren - was kläglich scheiterte. Die Überraschung war gelungen und jede Form offensiver Aktionen der Nazis blieb aus - ein oft zu beobachtendes Verhalten, wenn den heldenhaften Kämpfern für das Vaterland mit unaufgeregter Entschlossenheit entgegengetreten wird. Letztendlich beschränkte sich der Tatendrang einiger weniger Rudower Nazis auf den Versuch, am späten Abend die hundertfach verklebten Antifa-Aufkleber zu entfernen - ein aussichtsloses Unterfangen.

Beim zweiten Spaziergang waren erste zaghafte Ansätze eines Wiederauflebens der Staats-Antifa zu beobachten, was sich in der Präsenz von 2 Streifenwagen am zentralen Ort neonazistischen Herumlungerns zeigte: Dem Ketchup-Imbiss an der Rudower Spinne direkt am U-Bahnhof Rudow. Für die relativ große Gruppe AntifaschistInnen und ihre Aktivitäten stellte die Präsenz dieser StreifenpolizistInnen aber kein ernsthaftes Problem dar.

Die gut geplante Intervention im Alltag, hinein in die existierenden Angst-Räume, ist ein erfolgversprechende Strategie für antifaschistische Politik. Neben Rudow wurde sie zuletzt vor allem auch in Berlin-Lichtenberg angewandt. Ort und Zeit der Aktionen können selbst bestimmt werden, der Überraschungseffekt ist auf unserer Seite und die Gefahr staatlicher Repression bleibt zumindest geringer als bei anderen politischen Aktionsformen.

Die beschriebene Attraktivität dieser Form antifaschistischer Intervention soll dabei durchaus zum Nach- und Selbstmachen anregen. Das optische Erscheinungsbild der vermeintlichen "Nazi-Homezone" wird nachhaltig umgestaltet, anderen Menschen das eigene Potential für Gegenwehr aufgezeigt und das selbstbewußte, entspannte und entschlossene Auftreten beim Gang hinein in die Angst-Räume sorgt bei den lokalen Nazis für Verunsicherung, Überforderung und jede Menge Sorgenfalten auf der Außenhülle des Leerraums oberhalb ihres Halses - zumal ihre Mobilisierungsfähigkeit vor dem Hintergrund diverser Haftaufenthalte und Strafverfahren angenehme Schwächen offenbart.

Zerstören wir also die Mythen und Allmachtsphantasien der Nazis -
mit unberechenbaren und erfolgreichen antifaschistischen Interventionen im Alltag.



Als Anhang folgt nun schließlich noch das an die PassantInnen in Rudow verteilte Flugblatt:


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Am 9. Dezember 2006 sind ca. 150 Rechtsextreme für ein "Nationales Jugendzentrum" im Süd-Osten Berlins von Treptow-Köpenick nach Rudow marschiert. Bereits das vierte Jahr in Folge haben Berliner Neonazis damit eine Demonstration unter dem Motto "Jugend braucht wieder Perspektiven - Für ein nationales Jugendzentrum" durchgeführt; die Abschlusskundgebung konnte wiederum an der "Rudower Spinne" stattfinden.
Hier konnten der Vorsitzende der rechtsextremen NPD, Udo Voigt, sowie der Berliner NPD-Chef Eckard Bräuniger, ein wegen der Teilnahme an einer sog. "Wehrsportübung" rechtskräftig verurteilter Straftäter, den Jung-Nazis ungestört ihre Unterstützung für ihre menschenverachtenden Anliegen zusichern.
Diese liegen klar auf der Hand: Die Nazis wollen ausgehend vom Süden Berlins eine rechtsextreme Jugendkultur etablieren und damit alle verdrängen, die nicht in ihr Weltbild passen. Dahinter steht die Absicht, einen Raum zu schaffen, in dem ungestört menschenfeindliche Inhalte vertreten und entsprechende Aktionen geplant werden können.

Einmal mehr waren einige Neonazis unter den DemonstrationsteilnehmerInnen, die in Rudow wohnen. Bereits seit geraumer Zeit gehört das Auftreten gewaltbereiter Neonazis im öffentlichen Raum zum scheinbar akzeptierten Normalzustand in Rudow. Jedenfalls sind die Rechtsextremen als solche in der Rudower Straßenlandschaft deutlich zu erkennen, und es sind in Rudow zu wenige Bestrebungen zu verzeichnen, diesem Zustand etwas entgegenzusetzen.

Es darf nicht zur Normalität werden, dass Neonazis sich unwidersprochen öffentlichen Raum nehmen und sich ganz selbstverständlich in der Öffentlichkeit bewegen können. Von solchen Selbstverständlichkeiten ausgehend, gehört das Bedrohen von Menschen, das Verbreiten von nazistischen Sprühereien und von Aufklebern mit menschenverachtenden Inhalten mittlerweile zum festen Repertoire der Rudower Neonazis. Dabei beschränken sie sich mit ihren Aktionen schon länger nicht mehr auf ihre "Homezone" im Süden Neuköllns, sondern sind auch an Übergriffen in vielen anderen Gegenden in Berlin beteiligt.

Sie müssen immer wieder daran gehindert werden, ihre Forderungen und ihre Ideologie in der Öffentlichkeit zu verankern und ihre rassistischen und antisemitischen Parolen zu verbreiten. Dabei sind wir alle gefragt, offen zu zeigen, dass wir gemeinsam gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus einstehen.
Es gibt vielzählige Möglichkeiten den Rechtsextremen offen entgegenzutreten und ihnen zu zeigen, dass die Verbreitung von rassistischer Propaganda und von Nazisprühereien und -aufklebern in Rudow nicht geduldet wird.

Informieren sie sich über die Strukturen und Aktivitäten der Rechtsextremen in ihrem Stadtteil, engagieren sie sich aktiv gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Sexismus und Antisemitismus! Unterstützen sie antifaschistische Initiativen in ihrem Kampf gegen das öffentliche Auftreten von Neonazis und gegen die Verbreitung menschenverachtender Hetze in Neukölln und anderen Teilen Berlins!



Pfui Spinne! - Neonazis in Rudow

Im Alltag erkennbar und auf den Straßen präsent: In Rudow ist eine deutliche Dominanz von Rechtsextremen zu spüren. Allein die massive Verbreitung von rechten Schmierereien, Aufklebern und Plakaten schafft ein Klima in Rudow, in dem sich alle Menschen, die nicht in die engen Schemata der Neonazis passen, bedroht fühlen. An jedem Mülleimer, an jeder Laterne und an jedem Stromverteilerkasten finden sich NPD-Aufkleber oder Aufkleber, Spuckies und Sprühereien so genannter "Freier Nationalisten". Mit Hakenkreuzen und Parolen wie "Ausländer/ Juden/ Linke raus - ANB", "Smash Antifa" oder "White Power" zeigen insbesondere am Konzept der "Autonomen Nationalisten" orientierte Neonazis aus Rudow Präsenz im Straßenbild.
Zentraler Treffpunkt der Neonazis ist die „Rudower Spinne“ am U-Bahnhof Rudow; hier kommen alle am "Ketchup Imbiss" zusammen, hier lässt sich besonders an den Wochenenden und nach Einbruch der Dunkelheit eine starke rechte Hegemonie feststellen. So tummeln sich traditionelle Neonazi-Skins, Neonazis im Autonomen-Look, neben rechten Hools und Hertha-Fans. Dabei dient der äußerst zentral gelegene Imbiss nicht nur als eine Art Kontrollpunkt, sondern auch als Ausgangspunkt von Angriffen. Am U-Bahnhof Rudow treffen sich regelmäßig größere Gruppen junger Neonazis und bedrohen PassantInnen. Von hier aus können sie ungestört Aufklebertouren starten, auf der Rudower Straße und am Zwickauer Damm Hakenkreuze und SS-Runen an die Wände sprayen und Hauseingänge mit NPD-Propaganda bekleben. Das Vorbei- oder Ankommen am
U-Bahnhof Rudow und seiner unmittelbaren Umgebung ist nicht für MigrantInnen, Antifas oder alternativ aussehende Menschen gefährlich, sondern für alle, die nicht in das sehr begrenzte Weltbild der Neonazis passen. Doch trotz der Bedeutung des U-Bahnhofs und des "Ketchup-Imbisses" als Treffpunkt für die Neonazis, ist dies nicht der einzige Ort in Rudow oder Neukölln, an dem sich eine rechte Dominanz bemerkbar macht. Auch weiten Rudower Nazis ihre Strategie, öffentliche Räume zu besetzen, nach Nord-Neukölln aus, indem sie dort Aufkleber kleben und Graffitis sprühen. Darüber hinaus waren Neonazis aus Rudow schon berlinweit an gewaltsamen Übergriffe beteiligt (wie bspw. in Schönefeld im Juni 2006) und sind überregional auf rechtsextremen Demonstrationen anzutreffen. Unter anderem dort geben sie sich Mühe als organisierte Kameradschaft aufzutreten und bewegen sich im Spektrum der so genannten "Freien Kräfte", welche die jährlich im Dezember in Treptow-Köpenick stattfindende Demonstration "Für ein nationales Jugendzentrum" anmelden.

Über diese aktionsorientierten Organisationsversuche hinaus festigen sich auch die Strukturen der NPD in Neukölln. Im September 2005 gründete sich ein Stützpunkt der Nachwuchsorganisation der NPD der "Jungen
Nationaldemokraten (JN)" und im Oktober desselben Jahres kam es zur Gründung eines neuen Kreisverbandes der NPD für Neukölln, der sich mittlerweile damit rühmt, der zweistärkste in Berlin zu sein. Bei
der im September 2006 in Berlin abgehaltenen Bezirksverordnetenwahl kam es dann auch zum Wahlerfolg: In Neukölln hat die NPD 3,9% der Stimmen erhalten und zog mit zwei Verordneten ins Neuköllner Kommunalparlament ein.
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Ergänzungen

Jaja, Rudow

Icke 26.12.2006 - 03:13
War neulich mal durch Zufall in Rudow. Gleich am U-Bahnhof die NPD-Plakate (in den Eingang geklebt), die ANB-Pseudo-Graffitis und dann die vielen Sticker. Haben bestimmt 30 Stück abgepopelt. Wirkte schon recht offensiv an den wichtigen Punkten angebracht. Aber Nazis gesehen haben wir keine. Die meisten Leute sind normale Spiesser. Mehr nicht. Rudow ist ein vergessenes Stück am Rande der Welt.

Thema Nazi-Schmiererein

Revo 26.12.2006 - 19:25
Viele Straßen in Rudow, werden anscheinend spontan Nachts entweder zu gesprayt oder per Flowpen an Stromkästen etc geschmiert.

icke zu Rudow

PUSTEBLUME 27.12.2006 - 12:01
Für dich scheint die Welt eine Scheibe zu sein.
Für die Nasen aus Schöneweide und Alt-Glienicke liegt Rudow leider nicht am Rande der Welt, sondern ist a) gut zu erreichen und b) kommt man von da wieder schnell mit der U-Bahn weg. Außerdem noch der Hinweis, daß die "Rudower Spießer" (wat is'n det?) bei der letzten Wahl mit 3,0 % für die Braunen unter dem Neuköllner Schnitt lagen. Also´, so schlimm wie es hier oft dargestellt wird, ist Rudow nicht. Natürlich, jede braune Nase ist einer zuviel. Aber viel mehr als am KETCHUP eine Flasche Bier nach der anderen reinziehen könen die meisten von denen nicht.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Gute Sache! — .

zur historie — Abel

Flowpen... nur so — nicht wichtig