Juristischer Erfolg für Atomkraftgegner

EnBW aufs Dach! Stromanbieter wechseln! 13.09.2006 04:19 Themen: Atom
Freispruch bei irrwitzigem Prozess wegen Protest gegen Atompolitik des Energiekonzerns EnBW im November 2005
Am 11.09.2005 stand in Karlsruhe ein Anti-Atom-Aktivist vor Gericht. Er war an einer Protestaktion am 2. November letzten Jahres beteiligt. Nachdem das Unternehmen Energie Baden Württemberg (EnBW) trotz Nachfrage durch die Kriminalpolizei eine Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs nicht für wünschenswert hielt, war ihm nun vorgeworfen worden, als Versammlungsleiter gegen das Versammlungsgesetz verstoßen zu haben. Nach der Zeugenvernehmung musste auch die Staatsanwaltschaft erklären, dass der Beschuldigte keine herausragende Funktion eingenommen hatte, die den Vorwurf des Versammlungsleiters rechtfertigen könnte – und plädierte von sich aus auf Freispruch. Die Verteidigung des Aktivisten kritisierte dennoch scharf den Verlauf des Verfahrens: Entgegen der Aussage des Richters handle es sich eindeutig um ein politisches Verfahren, da der Staatsschutz von sich aus aktiv geworden sei und das Verfahren überhaupt erst initiiert habe. Außerdem sollte einer der Aktivisten willkürlich zum Versammlungsleiter gemacht werden. Für die Verteidigung relevante Zeugen waren schließlich gar nicht zum Prozess vor dem Amtsgericht Karlsruhe geladen worden. Insgesamt sei der Prozess von Anfang an überflüssig gewesen.
Zur Prozessbegleitung wurde eine Mahnwache veranstaltet, bei der das original-Transparent aufgespannt wurde. Außerdem wurde ein Film über die Kletteraktion gezeigt und Flugblätter verteilt.

Bei der Aktion im November 2005 stiegen fünf AktivistInnen der Firmenzentrale von EnBW in Karlsruhe „aufs Dach“ und hängten an die Fassade ein 15x5 Meter grosses Transparent mit der Aufschrift „EnBW – Unternehmen Strahlentod - Atomkraftwerke abschalten“. Die Aktion im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen richtete sich gegen den risikoreichen Atomkurs des Energieversorgungsunternehmens. Gut die Hälfte des Stroms, den EnBW verkauft, stammt aus Atomkraftwerken – deutlich mehr als bei anderen Anbietern.

EnBW betreibt fünf eigene Atomkraftwerke: Philippsburg I+II, Neckarwestheim I+II sowie den (im Mai 2005 vom Netz genommenen) Uralt-Reaktor Obrigheim. Dazu vertreibt EnBW fleißig Atomstrom aus französischen Atomkraftwerken

Bis heute haben die EnBW-Atomkraftwerke schon mehr als 2.000 Tonnen hochradioaktiven Atommüll produziert: rund 250 Castor-Behälter voll. Jeden Monat, den die EnBW-Atomkraftwerke weiter laufen, kommt ein Castor dazu. Die Strahlung ist lebensgefährlich, jahrtausendelang. Ob und wo dieser Müll je sicher gelagert werden kann, ist weltweit ungeklärt.

Das EnBW-Atomkraftwerk Philippsburg schickte 1995 den ersten Castor ins bis dahin leere Zwischenlager in Gorleben, durchgeprügelt von 15.000 PolizistInnen. Dieser Transport allein kostete die SteuerzahlerInnen mehr als 25 Millionen Euro. Der nächste Transport von hochradioaktivem Atommüll in das oberirdische und ungeschützte Zwischenlager in Gorleben findet voraussichtlich zwischen dem 10. und dem 13. November 2006 statt.

Dass sich die Firmenpolitik von EnBW indes nicht geändert hat, zeigen die wiederholten Ankündigungen, Laufzeitverlängerung für ihre AKWs zu beantragen. Dabei stimmten die Energieversorgungsunternehmen beim sogenannten „Atomkonsens“ den Laufzeitfestlegungen selbst zu.

Die von den AktivistInnen geäusserte Kritik hat an Aktualität nicht verloren: Im Juli diesen Jahres kam es im schwedischen Reaktor Forsmark beinahe zu einer Kernschmelze. Und auch bei EnBW ist es um die Sicherheit nicht zum Besten gestellt. In allen EnBW-Atomkraftwerken wurden Sicherheitsvorschriften missachtet, zum Teil jahrzehntelang systematisch. Selbst die atomfreundliche Internationale Atomenergie-Agentur (IAEA) stellte EnBW unlängst ein schlechtes Zeugnis aus. Als sie im Januar 2005 das AKW Philippsburg inspizierte, kritisierte sie neben 15 weiteren Punkten den unzureichenden Ausbildungsstand des Personals. Im Sommer 2004 warf selbst der Sicherheitschef des Atomkraftwerks Neckarwestheim dem Unternehmen EnBW einen zu laxen Umgang mit den Sicherheitsvorschriften vor. Die Folge: Der international renommierte Experte wurde entlassen – und flog auf Druck von EnBW auch noch aus der Reaktorsicherheitskommission des Bundes.

Die Aktivisiten fordern die VerbraucherInnen dazu auf, der unverantwortliche Atompolitik von EnBW den Rücken zu kehren, durch den Wechsel zu einem alternativen Stromanbieter auf Atomstrom zu verzichten und dadurch eine nachhaltige Energiepolitik voranzutreiben.

Ein Videoclip der Aktion von 'cinerebelde.org' gibt es hier:
 http://video.indymedia.org/download/%5BIndymedia%5D_(2005-12-05)_Kletteraktion_ENBW.mpg

Einen Indymedia-Artikel von 2005 hier:
 http://de.indymedia.org/2005/11/131316.shtml
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Ergänzungen

Presse zu dieser Aktion

nix 25.09.2006 - 11:11
Aus: ka-news.de karlsruhe, 13.09.2006
Online-Tageszeitung für Karlsruhe

Atomgegner freigesprochen
Transparent-Aktion bleibt ohne Folgen

Karlsruhe - Vor dem Amtsgericht wurde gestern ein Umweltaktivist aus Kiel freigesprochen, der am 2. November des vergangenen Jahres mit anderen Aktivisten an einer Aktion beteiligt war, im Rahmen derer an der Fassade der EnBW-Zentrale in der Durlacher Allee ein großes Transparent aufgehängt worden ist. Dem Mann wurde vorgeworfen, als Leiter einer nicht angemeldeten, öffentlichen Versammlung gegen das Versammlungsgesetz verstoßen zu haben.
In der Verhandlung gab der Mann an, vor Ort lediglich als Verbindungsmann zwischen der EnBW, der Polizei und fünf Fassadenkletterern fungiert zu haben. Geleitete habe er die Aktion nicht. Mehrere Zeugen unterstützten die Aussage des Angeklagten. Sie erklärten, die Kletteraktion hätte keinen eigentlichen Leiter gehabt. Der Angeklagte habe lediglich zum "Bodenpersonal" gehört, der die Forderungen von Polizei und EnBW an die Umweltaktivisten weiterleitete, die das Transparent vom Dach her kommend aufhängten.
Das Gericht sprach den Mann frei, nachdem auch der Oberstaatsanwalt wegen fehlender Beweise auf Freispruch plädierte. Zur Anzeige kam es nicht auf Bestreben der EnBW. Der Konzern hatte auf eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch verzichtet. Das Verfahren wurde auf Initiative der Karlsruher Polizei eröffnet. (hok)



Aus: Badisches Tagblatt, 12.9.2006
Freispruch für Umweltaktivist
Von Winfried Heck

Karlsruhe - Eine Aktion von Umweltaktivisten, die am 2. November 2005 die Fassade des Verwaltungsgebäudes der Energie Baden-Württemerg (EnBW) in Karlsruhe hochgeklettert waren und auf großen Transparenten den Ausstieg aus der Atomenergie gefordert hatten, bleibt strafrechtlich ohne Folgen. Vor dem Amtsgericht Karlsruhe wurde jetzt ein Mann aus Kiel vom Vorwurf freigesprochen, er habe als Leiter einer "nicht angemeldeten, öffentlichen Versammlung" gegen das Versammlungsgesetz verstoßen.
Das Verfahren war auf Initiative der Staatsschutzabteilung der Karlsruher Polizei betrieben worden; die EnBW selbst hatte auf eine Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs verzichtet.
Der Beschuldigte, der sich selbst als "unabhängiger Umweltaktivist" bezeichnete, gab vor Gericht an, er habe sich vor Ort lediglich als Kontaktperson zur Verfügung gestellt und die Verbindung zwischen der EnBW, der Polizei sowie den Fassadenkletterern hergestellt. Die Aktion selbst habe er zu keinem Zeitpunkt weder faktisch noch tatsächlich geleitet. Doch allein die Versammlungsleitung, nicht aber die Teilnahme an der Aktion, war laut Richter Eckelt strafrechtlich relevant. Mehrere Zeugen hatten vor Gericht erklärt, dass die Aktion nach "basisdemokratischen Prinzipien" ohne speziellen Chef geplant und durchgeführt worden sei. Der Beschuldigte sei lediglich Teil des "Bodenpersonals" gewesen, dem es oblag Informationen und Forderungen der Polizei oder der Firmenvertreter nach "oben" an die fünf Fassadenkletterer weiterzuleiten. Auch habe der Beschuldigte weder die Aktion gestartet, noch ihr Ende angeordnet.
Oberstaatsanwalt Peter Zimmermann blieb letztlich nichts anderes übrig, als auf Freispruch zu plädieren. Für ihn stehe es zwar außer Frage, dass die Aktion einen Leiter im gesetzlichen Sinn gehabt habe, doch dies hätte jeder innerhalb der Gruppe sein können.
Für die Verteidigung war der ganze Prozess überflüssig und allein auf den Übereifer der Polizei zurückzuführen. Ähnliche Erfahrungen habe man auch schon in Norddeutschland gemacht, wo die Polizei Ansprechpartner automatisch zu Versammlungsleitern gemacht habe. Ansprechpartner seien jedoch vor allem dazu da, eine Eskalation der Geschehnisse möglichst zu vermeiden. Es sei demnach nicht zu rechtfertigen, wenn solche Personen strafrechtlich stärker belastet würden als die Aktivisten selbst.