Halberstadt-Ein Mensch verschwindet

mkm 20.08.2006 11:01 Themen: Antirassismus
In der Nacht vom 15.08.06 zum 16.08.06 gegen drei Uhr früh wurde Thibaut Antonie Lassarat in dem so genannten Ausreisezentrum in Halberstadt verhaftet. Anschließend wurde er offensichtlich nach Guinea abgeschoben.
Halberstadt-Ein Mensch verschwindet

In der Nacht vom 15.08.06 zum 16.08.06 gegen drei Uhr früh wurde Thibaut Antonie Lassarat in dem so genannten Ausreisezentrum in Halberstadt verhaftet. Anschließend wurde er offensichtlich nach Guinea abgeschoben.
Lassarat lebte mindestens seit 1990 in der BRD. Auf Grund eines angeblichen Passvergehens wurde er verurteilt und ein Jahr lang in den Knast gesperrt. Im Jahre 2002 wurde er in das so genannte Ausreisezentrum in Halberstadt eingewiesen.
Das Ausreisezentrum wurde durch die damalige sozialdemokratische Regierung in Sachsen Anhalt, die durch die PDS toleriert wurde, 2002 eingerichtet. Mit dem offiziell als Modellprojekt bezeichneten Abschiebelager sollte getestet werden, mit welchen Methoden Menschen dazu gebracht werden können, initiativreich ihre eigene Abschiebung zu unterstützen. Diese Methoden durften und dürfen entsprechend dem zivilgesellschaftlichen Diskurs keine sichtbaren Zeichen hinterlassen. In das Ausreisezentrum werden Menschen eingewiesen, die ihrer so genannten Mitwirkungspflicht bei der Betreibung ihrer Abschiebung nicht nachkämen. Diese Mitwirkungspflicht ist nirgendwo definiert. Das führt in der Regel dazu, dass die Flüchtlinge der subjektiven Willkür von BeamtInnen ausgeliefert sind, deren Qualifikation darin besteht in einem Amt für Ordnung, Sicherheit und Straßenverkehr tätig sein zu dürfen.(1) Im Jahre 2005 wurde durch das Zuwanderungsgesetz die rechtlichen Rahmenbedingungen für das Ausreisezentrum nachträglich geschaffen. (2)
Bei den Menschen im Ausreisezentrum handelt es sich um Flüchtlinge deren Identitäten durch die Ausländerbehörden in Zweifel gezogen werden. Die Identität wird dann auf Grund von so genannten Sprachgutachten festgelegt. Dazu werden die Menschen immer wieder verhört. In Folge solch eines Sprachgutachtens galt Lassarat als Bürger der Elfenbeinküste. Im Jahre 2004 wurde aus ihm ein Bürger von Guinea ohne dass dies begründet wurde. Die Gründe dafür lagen auf der Hand. In die Elfenbeinküste konnte Lassarat auf Grund der dortigen inneren Entwicklung nicht abgeschoben werden. Zu dem verweigerte die Botschaft des Landes die Ausstellung des entsprechenden Passes.
Das Lager in dem Lassarat leben musste befindet sich ca. 7 Kilometer außerhalb von Halberstadt. Die Möbel in seinem Zimmer waren Restbestände der NVA, die dieses Objekt bis ca. 1990 als Kaserne nutzte. In dem gesamten Zeitraum musste Lassarat faktisch ohne einen Cent Geld leben. Die Menschen im Ausreisezentrum erhalten ausschließlich Sachleistungen. Das sind Bekleidungstücke aus der Kleiderkammer, Verpflegung und eben das Zimmer zum Schlafen. Briefmarken, Briefumschläge oder gar Busfahrscheine sind in diesen Sachleistungen nicht enthalten. Lassarat hatte immer wieder gesundheitliche Probleme. Ein notwendiges Gutachten über seine Gesundheit wurde Ihm stets verwehrt. Die Begründung durch das zuständige Sozialamt lautete, dass er dies selber bezahlen müsste. Die Menschen im Ausreisezentrum dürfen im Krankheitsfall nicht einfach zum Arzt gehen. Sie müssen sich in der Krankenstation im Lager durch eine Krankenschwester begutachten lassen. Diese entscheidet dann, ob der Betreffende krank sei. Anschließend müssen sich die Flüchtlinge einen Krankenschein vom Sozialamt holen. Der zuständige Vertragsarzt, zu dem sie sich dann begeben müssen, befindet sich ca. 7 km vom Lager entfernt. (3)
Lassarat durfte die Stadt Halberstadt seit dem Jahre 2002 nicht mehr offiziell verlassen. Die Residenzpflicht für die Menschen im Ausreisezentrum ist auf Halberstadt begrenzt. In einer Verordnung in der die Bedingungen für das Lager noch einmal verschärft wurden sind heißt es, „dass Urlaubsanträge der Flüchtlinge sehr restriktiv zu handhaben seien“.(4) Jede Woche musste Lassarat sich seine Duldung bei der Ausländerbehörde verlängern lassen. Als er sich einmal diesem sinnlosen Verfahren entziehen wollte, da er das Lager so gut wie nie verließ, wurde er umgehend verhaftet.
Im Lager war Lassarat so was wie ein ehrenamtlicher Sozialarbeiter. Afrika, so wie sie ihn nannten begleitete sie bei den notwendigen Behördengängen und erläuterte ihn die anstehenden Verfahren.(5)
Immer wieder hat sich Lassarat an Personen des öffentlichen Lebens gewendet, um sie auf die Situation der Menschen im Lager aufmerksam zu machen. U.a. an Herrn Kosmehl, innenpolitischer Sprecher der FDP Fraktion im Landtag Sachsen Anhalts, an Herrn Prof. Dr. K. Peter Fritzsche, Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechtserziehung Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, an Kollegen Udo Gebhardt, Vorsitzender des DGB von Sachsen Anhalts, den Oberbürgermeister der Stadt Halberstadt sowie an Frau Gabriel, selbsternannte Bürgerrechtlerin und derzeitige Vorsitzende des Bündnisses für ein gewaltfreies Halberstadt. Nicht eine dieser zivilcouragierten Personen hatte es für nötig befunden Lassarat zu antworten. Die Schreiben die er von offiziellen Institutionen erhielt, sei es der Petitionsausschuss des Landtages oder seine für ihn zuständige Ausländerbehörde im Ohrekreis enthielten standardisierte Antworttexte. Nicht eins der Anliegen von ihm wurde konkret geprüft.
Die Botschaft von Guinea hatte sich von 2004 bis ca. Juli 2006 geweigert Lassarat einen Pass auszustellen, da er nicht ein Bürger dieses Staates sei. Aus welchen Gründen sich die Botschaft jetzt im August 2006 anders entschied, darüber kann mensch nur spekulieren.
In Guinea herrscht ein Präsidialregime, welches auf den Seiten des Außenministeriums wie folgt umschrieben wird. Guinea-Bissau ist eine Präsidialrepublik mit starker Stellung des direkt gewählten Staatspräsidenten, der nicht nur Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, sondern auch ein Vetorecht gegen Beschlüsse der Nationalversammlung besitzt, die er zudem auch bei politischen Krisen auflösen kann... Das System der verfassungsmäßigen Gewaltenteilung ist schwach ausgebildet, mit einer dominierenden Exekutive und einem nach wie vor sehr präsenten Militärsektor.
Während des Generalstreikes im Juni dieses Jahres wurden 12 Menschen durch so genannte Anti-Aufruhr Einheiten erschossen.(6)
Seit Jahren gibt es im Land ein Bürgerkrieg mit mal stärkeren und schwächeren Intensionen. Für wohlgemerkt deutsche Touristen gibt das Auswärtige Amt gegenwärtig die Warnung heraus, die Grenzregionen zu Senegal nicht zu bereisen. Innerhalb der herrschenden Gruppierung scheint sich im Moment ein Kampf um die Neuaufteilung der Machtverhältnisse abzuspielen. Insgesamt sind die Zustände in Guinea mehr als instabil und entsprechen nicht einmal ansatzweise so genannter rechtsstaatlicher Kriterien.
Die politische Verantwortung für das Ausreisezentrum im allgemeinen sowie dieser konkreten Abschiebung trägt der Innenminister des Landes Sachsen Anhalts. Welche Sorgfalt die Zivilgesellschaft bei der Auswahl dieser Personen walten ließ und lässt, zeigte der letzte Innenminister. Zu dem engsten Umfeld von Klaus Jeziorsky gehörten die Neofaschisten aus Pretzien, die sich in diesem Dorf legal in dem Verein – Heimat Bund Ostelbien- organisieren durften.(7) Von dem gegenwärtigen Innenminister dürften die Menschen aus dem Ausreisezentrum auch nicht allzu viel erwarten können. Gehört er doch zu jenen inhaltsleeren funktionalen Charaktermasken, die egal welche gesellschaftlichen Gegebenheiten sich ergeben immer einen Posten und ein Einkommen finden. (8)
Wir wissen nicht, wo konkret Lassarat sich im Moment befindet und wie es ihm geht ...

(1) Die Ausländerbehörden in den Landkreisen sind in der Regel in dem Ämtern - Ordnung und Sicherheit – eingegliedert.
(2) Bis zu diesem Zeitpunkt wurde das Lager auf der Grundlage von Verordnungen eingerichtet. Damit wurden Tatsachen geschaffen die erst nachträglich rechtlich legitimiert wurden. Immerhin heißt es aber im Zuwanderungsgesetz, dass solche Lager eingerichtet werden können, aber nicht eingerichtet werden müssten.
(3) Nachdem John Williams unter bis heute nicht geklärten Umständen in diesem Lager verstarb, wurde dieses Verfahren so weit vereinfacht, dass sich die Menschen die Krankenscheine in dem Sozialamt der ZASt abholen können.
(4) Urlaubsanträge von Flüchtlingen haben nichts mit Urlaub zu tun, wie der Name suggeriert. Diese Anträge müssen die Menschen im Ausreisezentrum stellen, um den Ort Halberstadt verlassen zu dürfen, z.B. um eine Fahrt nach Aschersleben zu machen.
(5) Das Ausreisezentrum ist direkt in der ZASt, der Zentralen Aufnahmestelle des Landes Sachsen Anhalts für Flüchtlinge untergebracht.
(6)  http://www.labournet.de/internationales/gn/generalstreik06.html
(7) Dieser Verein geriet im Juli 2006 in die Schlagzeilen. Bei einer Sonnenwendenfeier die durch diesen Verein organisiert wurden war, wurde das Tagebuch von Anne Frank verbrannt. Mit den deutschen jungen Männern aus diesem Dorf, die u. a. mit T-Shirt`s Wehrmacht Pretzien herumliefen, ließ sich der damalige Innminister gemeinschaftlich fotografieren. Er selbst wohnte und wohnt in diesem Dorf.
(8) Herr Hövelmann ließ sich zum Politoffizier der NVA ausbilden. Nach dem diese Karriere durch die Ereignisse von 1989 beendet wurden ist, trat er der SPD bei. Dabei hatte er vergessen sein Qualifikation zu benennen. In der SPD profilierte er sich als rechts außen, dem schon die PDS zu linksradikal war. Für diese zivilcouragierte Identitätsverschleierung wurde er jetzt im Jahre 2006 durch die Zivilgesellschaft mit dem Posten des Innenministers belohnt.

Siehe auch
 http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/WNachLand?OpenView&Start=1&Count=200&Expand=60#60
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Ergänzungen

Auswärige Amt

mkm 23.08.2006 - 10:08
Mkm
Entschuldigung, bei den Angaben zum Auswärtigen Amt handelt es sich Guinea Bissau, Lassarat wurde aber offensichtlich nach Guinea abgeschoben,
siehe auch
 http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laender/Guinea.html


....Lage der Menschenrechte
Die Menschenrechtslage weist gravierende Defizite auf (fehlende Unabhängigkeit der Justiz, Straflosigkeit für Menschenrechtsübergriffe staatlicher Stellen, willkürliche Verhaftungen, Folter, Behinderungen der Oppositionsparteien, kein unabhängiges Radio und Fernsehen, Privatradiostationen sind geplant). Nach einem sechzehnjährigen de-facto-Moratorium werden in Guinea seit 2001 wieder Todesurteile vollstreckt.
Auswärtiges Amt

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