Hessisches Wissenschaftsministerium besetzt

abc 05.07.2006 15:54 Themen: Bildung
Hessisches Wissenschaftsministerium besetzt
...bzw war von 8.30 Uhr - 11.30 Uhr besetzt.

Der von uns dort verlesene Gesetzesentwurf:
 http://www.uebergebuehr.de/uploads/media/Gesetzentwurf.pdf


Hier die Pressemitteilung:

Studierende der hessischen Hochschulen haben heute, 5. Juli, 8 Uhr 30 das Ministerium für Wissenschaft und Kunst in Wiesbaden besetzt, um eine Bildungspolitik mit dem Ziel des freien Zugangs aller gesellschaftlichen Schichten zu Bildung und einer besseren Finanzierung der Hochschulen zu machen.

Das Plenum der BesetzerInnen hält die diesen Schritt aus folgenden Gründen für nötig:

1. Herr Corts hat zwar seine angebliche "Gesprächsbereitschaft" in der Öffentlichkeit oft hervorgehoben, jedoch gleichzeitig betont, dass die Einführung von Studiengebühren beschlossene Sache sei. Die Studierenden Hessens und ihre VertreterInnen sehen deshalb keine Möglichkeit einer Verhandlungslösung. Die Studenten lehnen es ab, an Modifikationen eines ungerechten und falschen Gesetzes mitzuarbeiten. Zu Verhandlungen über ein vermögenssteuerbasiertes Hochschulfinanzierungssystem ist Herr Corts jedoch nicht bereit.

2. Es widerspricht den Grundsätzen eines demokratischen Staates, dass Herr Corts gegen den erbitterten Widerstand nicht nur der großen Mehrheit aller in Hessen lebenden Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten, gegen die Gewerkschaften, Studenten-, Lehrer- und Schülerverbände, die Junge Union und Teile der CDU, sondern auch gegen jeglichen Sachverstand ein Gesetz mit Hilfe des Hessischen Landtages beschließen will. Dieser Sachverstand wurde bereits durch die praktisch geschlossene Ablehnung des Gesetzentwurfes durch die Hochschulpräsidenten, die Senate der Hochschulen und die unzähligen Resolutionen aus Professorenschaft und akademischem Mittelbau zum Ausdruck gebracht.

3. Des Weiteren möchten die Studierenden die sich offenbarenden Informationsprobleme des Ministers beheben. Wenn er bei einem Gespräch mit hessischen Jusos die Teilnehmer der Studierendenproteste als "überschaubare Menge von 200-300 Mann" darstellt, dann offenbaren sich strukturelle Mängel in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit dieses Landes durch die Regierung.

- Die Studierendenzahl in Hessen beträgt knapp 160.000 und auf jeder Vollversammlung an hessischen Hochschulen haben sich die dortigen Studierenden gegen Studiengebühren ausgesprochen.
- Alle Senate der hessischen Hochschulen haben sich mit einer Ausnahme gegen das von Herrn Corts vorgelegte Gesetzesprojekt ausgesprochen.
- Es hat sich eine breite soziale Bewegung aus Gewerkschaften, Elternverbänden, SchülerInnen, Studierenden und einer unüberschaubaren Anzahl engagierter Bürgerinnen und Bürger gebildet, die gemeinsam hinter der Forderung nach einem sozialen und gerechten Bildungssystem stehen.

4. Artikel 59, 1 der Hessichen Verfassung besagt, dass in allen öffentlichen Grund-, Mittel-, höheren und Hochschulen der Unterricht unentgeltlich sei. Es ist ein offensichtlicher Verfassungsbruch, wenn die Landesregierung nun Studiengebühren durchsetzt. Artikel 146, 1 der Hessischen Verfassung bezeichnet es als Pflicht eines jeden, für den Bestand der Verfassung mit allen ihm zu Gebote stehenden Kräften einzutreten. Nachdem alle Versuchen, Herrn Corts und die Landesregierung von der Verfassungswidrigkeit ihres Verhaltens zu überzeugen fehlgeschlagen sind, haben sich die Studierenden des Landes Hessen für diesen Schritt zum Schutze der hessischen Verfassung entschieden.
Um 10:00 Uhr soll ein im Foyer des Ministeriums ein Gesetzentwurf des nun von Studierenden geführten Ministeriums vorgestellt werden, der eine vermögenssteuerbasierte, solidarische Finanzierung der Hochschulen sicherstellen kann. Kernpunkt des Gesetzentwurfes ist die Wiedereinführung der Vermögenssteuer zur Bildungsfinanzierung:

"Das neue Wissenschaftsministerium fordert die Landesregierung auf, keine Studiengebühren zu erheben und eine verbesserte Finanzierung des Bildungswesens aus Steuermitteln zu gewährleisten. Zu diesem Zweck die Initiative zur Wiederbelebung der Vermögensteuer zu ergreifen. Das neue Wissenschaftsministerium erhebt an sich außerdem den Anspruch eine Politik zu betreiben, die beim Entscheidungsfindungsprozess die verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Gruppierungen und andere Expertenmeinungen mit einbezieht. Deswegen fordern wir in diesem Gesetz die Einberufung von entsprechenden Kommissionen für den Bereich Bildung und für die Lösung der öffentlichen Einnahmeprobleme."

Zum Schluß noch einige praktische Hinweise zur Besetzung einiger Räume des Ministeriums. Während der Besetzung wird es keine Gewalt der Besetzer gegen Menschen oder Dinge geben. Das Ministerium soll nicht beschädigt werden. Die Aktionen der Studenten werden sich auf das Erdgeschoss beschränken, mit Ausnahme des Anbringens von Transparenten an der Außenfassade. Die Mitarbeiter des Ministeriums werden gebeten, ihren Arbeitsplatz für den heutigen Tag zu verlassen, es ist ihnen jedoch freigestellt, sich an offenen Diskussionsveranstaltungen im Rahmen der Besetzung zu beteiligen. Jedem Mitarbeiter steht es zu allen Zeiten offen, das Gebäude zu verlassen. Sollte es zu einer Räumung durch die Polizei kommen, so werden die BesetzerInnen ausschließlich passiven Widerstand z.B. durch Sitzblockaden leisten. Im Laufe des Tages werden die Studenten das Gebäude friedlich räumen.
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Ergänzungen

Persönlicher Bericht

Jo Nau 06.07.2006 - 16:34
HMWK- right here, right now

Gestern Abend um 19.30h war es dann also soweit; Codewort „Party in Fulda“. Auf nach Wiesbaden, um am nächsten Morgen mit Kasslern, Frankfurtern Darmstädtern und vier Franzosen das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst (HMWK) zu besetzen.

Nach einem Treffen einiger Marburger und Frankfurter am Café Klatsch in Wiesbaden sind wir dann erst mal in den Arbeitskreis Umwelt gegangen, um dort wenigstens etwas zu schlafen. Überall „Atomkraft, nein danke!“-Buttons und Aufkleber, supernette Besitzer und eine geräumige Wohnung mit drei Balkonen in Wiesbadens bester Lage. Noch letzte Koordination, da die Kassler irrtümlicherweise in Marburg ausgestiegen sind und dort festsaßen. Sie fanden Unterkunft bei hilfsbereiten Marburgern und kamen am nächsten Morgen mit selbigen und anderen Frankfurtern in Wiesbaden an.

Am nächsten morgen dann erst mal ein kleines Plenum um 7h im Keller des Gebäudes. Nervosität machte sich breit. Keiner wusste genau, was dort geschehen würde, wie wir genau hinein und vor allem wieder heraus kommen würden. Ein Sprinter füllten wir schon vor dem Haus mit Leuten, mit dem anderem zum Schlachthof gefahren, um dort einige Zugfahrer einzuladen. Der Rest spielte den betroffenen deutschen Fußballfan.

Es konnte also losgehen. 8.40h. Drei Leute, die zur Jazzausstellung wollten, an fordester Front, um die Tür aufzumachen. Die Austellung öffnete natürlich später, doch die nichtsahnende, nette Pförtnerin konnte ihnen den Wunsch nach einer Toilette natürlich nicht verwehren.

Zugriff! Ein kurzer Anruf an die „Fußballfans“ in der Nähe und die beiden Kleinlaster und schon stürmten insgesamt knapp 70 StudentInnen gen Eingang. Drinnen haben wir es uns dann erst mal gemütlich gemacht. Die Dekoration in Form von Luftballons und Plakaten hatten wir ja dabei. Mit einigen anderen lief ich in den ersten Stock um unser „Neu besetzt“-Transparent aus dem Fenster zu hängen, wir wurden jedoch von einem Mitarbeiter dazu „angehalten“ es wieder abzuhängen. Also wieder ins Erdgeschoss, wo Andere bereits den Ausstelltungssaal herrichteten.

Das Ziel mit dem wir das Ministerium besetzten, war es eine Pressekonferenz im Innern des HMWK abzuhalten, bei der wir unsere Alternative zu Studiengebühren – eine Hochschulfinanzierung durch Vermögenssteuer- vorstellen wollten. Gleich nachdem wir „drin“ waren, schickte der AStA Marburg eine Pressemitteilung an ca. 150 Emailadressen von u.a. HR, FR, dpa und Roland Koch persönlich. Wir warteten also nur noch auf die Presse. Wir wollten den Politikern zeigen, dass wir nicht nur „inhaltslos“ protestieren, sondern uns ernsthaft Gedanken um vernünftige, realisierbare Alternativen machen. Nach einigem Hin und Her der Mitarbeiter des HMWK und der Polizei stimmten sie der Pressekonferenz zu.

Delegierte aus allen Städten versammelten sich am Tisch und stellten unser seit Wochen ausgearbeitetes Studiengebührenmodell vor. Anschließend stellten sich zwei Angestellte der Diskussion mit Presse und angehenden Akademikern. Leider bezogen wir uns in dem Streitgespräch zu sehr auf Studiengebühren allgemein und nicht auf das Vermögenssteuer-basierte Modell, doch man merkte, wie schnell den CDUlern die Argumente ausgingen und sie teilweise nur Udo Corts' Pressetexte zitierten. Die Frage wie uns garantiert würde, dass der Hochschulpakt bis 2010 eingehalten wird, wurde einfach und mit Lächeln beantwortet: man wählt die CDU einfach wieder!

Die etwa eine Stunde andauernde Pressekonferenz endete gegen 11.30h, worauf wir uns mit Bernd, dem „Kommunikator“ (mit Waffe wohlgemerkt!) der Polizei einigten, dass wir ohne Personalienaufnahem gehen könnten, wenn wir „nach hause gehen und keine Spontandemo mehr machen würden“. Gesagt, getan. Wir zogen gemeinsam friedlich, mit Erfrischungsstopp an diversen Brunnen zum Hauptbahnhof.

Wie wir, war die Polizei äußerst kooperativ und gewaltfrei. Nette Gespräche mit Angestellten und selbst mit Zivilpolizisten, die übrigens hessenweit vorwiegend karierte Hemden tragen, lockerten die Stimmung ungemein.

Nebenbei haben wir sehr viel Material für einen neuen Film gesammelt, Fotos gemacht und sogar Martin Keßler, Macher des Protestdokumentation „Neue Wut“, filmte uns von Anfang bis Ende dabei.

Diese Aktion war ohne Einschränkungen, die beste bisher. Nach dem zweiten Anlauf musste einfach alles klappen und wir hielten uns nicht mehr an Personenzahlen auf, sondern zogen die Aktion einfach durch. Die Polizei hatte, trotz der ca. 1000 „Eingeweihten“ aus ganz Hessen, keinen Schimmer von unser Besetzung.

Adrenalin, Euphorie und eine Menge Spaß gemisch ist eine gute Kombination, um Angst, Müdigkeit und Ungewissheit nahezu auszulöschen.


Mehr Infos auf FR-Online, uebergebuehr.de, Fuldainfo und HR-Online

Film der Besetzung

Jo Nau 26.10.2006 - 14:51
Der Film über die Besetzung ist raus:

 http://youtube.com/watch?v=KdmMgntefyk

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 5 Kommentare an

studi — studis

@studis — (muss ausgefüllt werden)

Corts in Giessen!! — Cortsianer

@studi [k.E.] — krachbum