Bielefelder Uni-Rektorat sucht Eskalation

StudentIn 17.02.2006 22:36 Themen: Soziale Kämpfe
Am Vormittag des 16.2. haben Mitglieder des Rektorats der Universität Bielefelder, darunter der Universitätskanzler, sich gewaltsam gegen teils schlafende Studierende in Szene gesetzt.

Weder die RektoratsbesetzerInnen noch andere AktivistInnen der Proteste gegen Studiengebühren haben sich einschüchtern lassen.

Offenkundig wollen die Uni-Verantwortlichen eine gewaltsame Räumung des Rektorats medial vorbereiten. Die BesetzerInnen sind für diesen Fall gewappnet.
In den Morgenstunden des 16.2. verschafften sich Dr. Gerd Meier (Referent des Rektors), Dr. Hans-Martin Kruckis (Referent für Öffentlichkeitsarbeit) und Kanzler Hans-Jürgen Simm gewaltsam Zutritt zu den besetzten Räumlichkeiten des Rektorats an der Uni Bielefeld.

Der Eingangsbereich des besetzten Rektorats war zu diesem Zeitpunkt zunächst nur durch einen schlafenden Studenten "gesichert". Nachdem andere BesetzerInnen auf die Provokation der Rektoratsmitglieder aufmerksam geworden waren und die Eindringlinge zur Rede stellen wollten, wurden Meier und Simm handgreiflich. Auch einzelne Angehörige des hinzugezogenen Sicherheitsdienste griffen Studierende gewaltsam an.

In einer anschließenden Presseerklärung wendete das Uni-Rektorat die Vorkommnisse, indem es eine Art "Geiselnahme" durch BesetzerInnen suggerierte. Im Laufe des Tages wurde der Uni-Sicherheitsdienst (Firma PRODIAC) erheblich aufgestockt. Am Abend deuteten verschiedene Anzeichen zeitweise auf eine bevorstehende Räumung hin.

Die BesetzerInnen, die schon auf den Vorfall selbst sehr besonnen ausnahmslos mit angemessener Abwehr reagierten, haben ihrerseits Konsequenzen gezogen. Die Räume des besetzten Rektorats werden nun wieder rund um die Uhr gesichert, so dass es bisher nicht zu weiteren Übergriffen gekommen ist.

Offenbar reagierten auch militante GebührengegnerInnen zeitnah auf die Provokation der Uni-Leitung. Laut einer Pressemitteilung des Rektorats sollen in der Nacht zum 17.2. etliche Türschlösser in den provisorischen Rektoratsräumen verklebt worden sein, so dass hier zeitweise kein Zutritt möglich war. Diese Darstellung wird jedoch von Teilen der GebührengegnerInnen angezweifelt, da der betroffene Universitätsflur nachts verschlossen sei und von Studierenden gar nicht betreten werden könne.

Wie dem auch sei, die Uni-Leitung versucht offenkundig für die Öffentlichkeit ein Gewaltszenario zu provozieren und konstruieren - für viele BesetzerInnen ein deutliches Zeichen dafür, dass eine gewaltsame Räumung des besetzten Rektorats geplant sei. Die zunehmenden Provokationen - auch durch die Aufstockung des uniformierten Sicherheitsdienstes - sollen offenbar ein Bild gewaltbereiter BesetzerInnen manifestieren, das von der geplanten Gewalt des Rektorats ablenken bzw. diese rechtfertigen soll.

Für die große Mehrheit der BesetzerInnen - so das Plenum vom 16.2. - ist beschlossene Sache: Die Gewalt und Gewaltdrohungen des Rektorats werden in aller Klarheit durch eine Fortführung der Besetzung zurückgewiesen. Auf weitere Gewalttätigkeiten bereiten die BesetzerInnen sich angemessen vor, werden sich weder einschüchtern noch weiterhin ohne Gegenwehr angreifen lassen. Zudem erlebt die Besetzung durch die jüngsten Vorfälle neuerlichen Zulauf.


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PRESSESPIEGEL

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Rektorat wird handgreiflich

Am Donnerstag Morgen, den 16.02. gegen 9:00 Uhr, verschafften sich Dr. Gerd Meier (Referent des Rektors), Dr. Hans-Martin Kruckis (Referent für Öffentlichkeitsarbeit) und Kanzler Hans-Jürgen Simm Zutritt zu den besetzten Räumlichkeiten des Rektorats. Dr. Gerd Meier und Kanzler Hans-Jürgen Simm wurden dabei handgreiflich. Ein Angebot seitens der Studierenden, sich zunächst auf ein Gespräch einzulassen, wurde ausgeschlagen. Die Rektoratsmitglieder versuchten mit Akten die besetzten Räume zu verlassen. Die friedliche Türblockade wurde mit Hilfe des gerufenen Sicherheitsdienstes geräumt.

Am Abend zuvor hatten Rektoratsmitglieder in privaten Gesprächen den Wunsch nach Aktenzugang geäußert. Dieser Wunsch wurde jedoch von den Besetzenden abgelehnt.

(Pressemitteilung der RektoratsbesetzerInnen, 16.2.2006)

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Besetzung spitzt sich zu

Die Besetzung des Bielefelder Uni-Rektorats spitzt sich nach zwei Wochen weiter zu. Am Morgen haben Studenten zwei Uni-Mitarbeiter daran gehindert, die besetzten Räume des Rektorats zu verlassen. Die Mitarbeiter hatten wichtige Akten geholt. Herbeigerufene Wachleute mussten ihnen helfen. Dabei ist es nach Angaben des Uni-Rektorats zu Handgreiflichkeiten gekommen. Unterdessen haben viele Studenten die Besetzung des Rektorats kritisiert. In Radio-Bielefeld-Interviews hielten sie die Aktion für wenig produktiv und zeigten Verständnis für die Ansichten des Rektorats.

(Radio Bielefeld, 16.2.2006)

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Handgemenge im Uni-Rektorat

Sicherheitsdienst im Einsatz / Besetzung geht weiter

Bielefeld. Der Streit um Studiengebühren an der Universität Bielefeld eskaliert. Gestern Morgen kam es zu Handgreiflichkeiten, als Uni-Mitarbeiter Akten aus ihren Büros holen wollten. Eine Räumung steht noch nicht zur Diskussion. Der Bürotrakt ist seit dem 1. Februar besetzt.

Am Vorabend hatte es noch ausgesehen, als würde sich die Situation etwas beruhigen. Im Flur vor dem Rektorat führten Universitätsvertreter, darunter Kanzler Hans-Jürgen Simm, mit einer Gruppe der Besetzer ein zweistündiges Gespräch. Ein Ergebnis war, dass das Rektorat auf der Homepage ein Diskussionsforum zum Thema Studiengebühren einrichtet.

Außerdem habe die Universitätsleitung abgesprochen, dass am nächsten Morgen einige Mitarbeiter dringend benötigte Akten aus ihren Räumen holen müssten, erklärte Uni-Sprecher Ingo Lohuis. Bei diesem Versuch kam es zur Eskalation. Als Rektoratsangestellte den Flur verlassen wollten, wurden sie von Besetzern daran gehindert. Die Uni-Leitung rief den Sicherheitsdienst. Dessen Mitarbeiter verschafften den Eingeschlossenen Platz, um das Rektorat wieder zu verlassen. Dabei kam es zu Handgreiflichkeiten und Schubsereien. Verletzt wurde nach Uni-Angaben niemand. Mit diesem Vorfall sei "eine Grenze überschritten", sagte Uni-Sprecher Lohuis. Die Universität sehe von einer Anzeige ab. Ein weiterer Zwischenfall werde aber nicht geduldet.

Die Besetzer forderten zusammen mit Studenten aus Paderborn eine stärkere Vertretung der Studenteninteressen im Senat. Zu offiziellen Gesprächen zwischen Besetzern und Rektorat war es bisher nicht gekommen, weil beide Seiten die Bedingungen des Verhandlungspartners nicht anerkennen.

(Neue Westfälische, 17.2.2006)

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Stimmung an der Bielefelder Universität ist verhalten

Entgegen der Berichterstattung in den Medien bezeichnet Benni Stiesch für den AStA die Stimmung an der Universität als verhältnismäßig ruhig. Die Unzufriedenheit bei den Studierenden über den Senatsbeschluss vom ersten Februar weiterhin zu spüren sein, aber durch die vermeintlichen Provokation des Rektorat würde die Stimmung nicht aufgeheizt.

Bei den gestrigen Handgreiflichkeiten im Flur des derzeit zweckentfremdeten Rektorats handle es sich eher um ein Übergriff von verschiedenen Angehörigen des Rektorats als durch die derzeitigen NutzerInnen. ?Das Rektorat kennt die mittlerweile eingespielten Wege, wenn sie Unterlagen benötigen?, betont Benni Stiesch. Seitdem die Räume der Universitätsleitung einer sinnvollen Nutzung unterliegen, seien den Rektorat nach Recherchen des AStA bislang nicht ein einziges Mal der Zugang zu benötigten Unterlagen verwehrt geblieben.

Eine Ausnahme bot sich am Donnerstagmorgen. Die vermeintliche Absprache zwischen dem Rektorat und den Besetzern war noch nicht von Plenum genehmigt gewesen. Wenn das Plenum diesen Vorgang zustimmt und das Rektorat bis dahin gewartet hätte, wäre es nicht zu Handgreiflichkeiten gekommen. Das Rektorat kennt die Entscheidungswege unter den seit 16 Tagen im Rektorat lebenden Studierenden.

Dieses Vorpreschen des Rektorats wird von den Besetzern deshalb nicht zu unrecht als Vertrauensbruch bezeichnet. Auch seien die Handgreiflichkeiten von einzelnen Mitgliedern des Rektorats ausgegangen sowie von einer Mitarbeiterin des Bewachungsunternehmens Prodiac.

Wenn das Rektorat von seiner Ausdrucksweise runter kommt und in der Lage ist, sein eigenes Handeln zu hinterfragen, wird es seine eigenen Fehler erkennen können und diese in Zukunft vermeiden.

(Presseerklärung des AStA der Uni Bielefeld, 17.2.2006)

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Der lange Weg von A 3 nach B 3

Am 17. Tag der Besetzung des Uni-Rektorats ist kein Ende in Sicht / Wasserpfeife statt Büroarbeit

Bielefeld. Ein paar Meter können Welten bedeuten. Auf der einen Seite des Zwischengangs ist das belagerte Rektorat der Universität: besetzt, bunt, mit zugeklebten Wänden; auf der anderen Seite die provisorische Unterkunft der Rektoratsmitarbeiter: karg, in Büros ohne Akten, mit Schreibtisch, Stuhl, Telefon und Computer. Tag 17 der Besetzung. Ein Annäherung im Streit um Studiengebühren ist nicht in Sicht, ein Ende erst recht nicht.

Die Glastür zum Rektorat ist zugeklebt, bunte Flatterbänder hängen herunter, ein Plakat mit Mauersteinen macht klar, dass es nicht weitergeht. Bastian Roloff (19) und Robert Bache (20) machen einen gelassenen Eindruck. Die beiden sitzen im Konferenzraum am Ende des 20 Meter langen Flurs, den an der Uni fast jeder unter dem Namen A 3 kennt. Sie sind zwei von 40 bis 50 Studenten, die von Anfang zu den Besetzern gehören.

Wo sonst Büroarbeit erledigt wird, Gespräche geführt und Entscheidungen getroffen werden, liegen Schlafsäcke, stehen Lebensmittel und ein paar Getränke. Im Besprechungsraum neben dem Zimmer von Rektor Dieter Timmermann sind Wandbilder umgedreht, am Tisch steht eine Wasserpfeife.

Offizielle Statements gibt es nicht, die müssen "basisdemokratisch beschlossen werden", erklärt Geschichts- und Jura-Student Robert Bache. "Wenn das Rektorat dachte, es könnte das Problem aussitzen, hat es sich getäuscht", findet Bache. "Für mich ist klar, dass wir weiter gewaltfreien Widerstand leisten wollen", sagt Bastian Roloff.

An den Wänden zwischen den eigentlichen Büros von Rektor, Kanzler und anderen hängen Kopien, Flugblätter, Plakate. Bundesweit sorgt der Streit für Schlagzeilen, der Protest gegen drohende Gebühren führt zu Medienecho und Solidaritätsbekundungen von Kiel bis München. Der Einsatzwille scheint ungebrochen, trotz Klausurphase und vorlesungsfreier Zeit.

Neben A 3 kommt B 3. Nur durch Zufall, Urlaub und Umzüge waren Räume frei, in denen diejenigen arbeiten, die vertrieben wurden. So wie Gudrun Rehm aus dem Vorzimmer des Kanzlers Hans-Jürgen Simm. Arbeiten mit Telefon und Computer ist kein Problem, alles, was mit Akten zu tun hat, schon. Denn die wichtigen Materialien liegen ein paar Meter weiter.

Dass die Nerven blank liegen, ist offensichtlich. Am Donnerstag gab es ? wie berichtet ? das Handgemenge, als Rektoratsmitarbeiter morgens Akten aus A 3 holen wollten und festgehalten wurden. Beide Seiten behaupten, der jeweils andere sei zuerst handgreiflich geworden. Am Freitag dann die Aktion von Unbekannten in den Morgenstunden, als sie zwölf Türschlösser im Trakt B 3 so zuklebten, dass sie vom Schlosser ersetzt werden mussten. Die Uni erstattete Anzeige gegen Unbekannt. Die Besetzer distanzierten sich, verwiesen auf ihren Verhaltenskodex mit Gewaltfreiheit und Absage an Beschädigungen.

Die Fronten sind verhärtet. Die Studenten Robert und Bastian sehen das "Vertrauen gebrochen" und keine Chance auf offizielle Gespräche, solange die Uni nicht Vorbedingungen wie die Veröffentlichung der Resolution auf der Uni-Homepage erfüllt. Das Rektorat will keine Polizei, sondern vernünftig ins Gespräch kommen, ohne dass die Situation eskaliert. Aber A 3 und B 3 finden nicht zueinander.

(Neue Westfälische, 18.2.2006)
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Ergänzungen

Was läuft zu Bertelsmann?

Tatjana Herbst 18.02.2006 - 19:51
Was läuft zu Bertelsmann in Bielefeld? Gütersloh ist doch praktisch um die Ecke.
Das Centrum für Hochschulentwiclung von Bertelsmann ist doch die neoliberale Zentrale für die Durchsetzung der Studiengebühren.

Schaut mal auf die Seite:
 http://www.bertelsmannkritik.de
oder
 http://www.anti-bertelsmann.de

Siehe auch:
Frank Böckelmann; Hersch Fischler; Bertelsmann. Hinter der Fassade des Medienimperiums, (Eichborn) Frankfurt/M. 2004. In dem Buch ist die erste Bestandsaufnahme der NS-Vergangenheit des Bertelsmannkonzerns enthalten.


Viele Grüße
Tatjana

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Solidarität — Duisburger Besetzer

solidarität — Peter