Illegaler Spitzeleinsatz in Freiburg

Antifa Freiburg 09.09.2005 20:00 Themen: Repression
Nachdem 1992 in Tübingen zwei Spitzel des baden-württembergischen LKA aufgeflogen waren, wurden damals angeblich alle "verdeckten Ermittler" aus der linksradikalen Szene in Baden-Württemberg abgezogen, da sie alle ähnliche Legenden hatten. Am 9.9.2005 hat das Verwaltungsgericht Freiburg den damaligen Einsatz eines Spitzels in Freiburg für illegal erklärt.
Mit den folgenden Zeilen beginnt ein Papier mehrerer Tübinger Gruppen vom Dezember 1992, das den Einsatz und die Enttarnung der zweier Bullenspitzel in Tübingen dokumentiert:

"Am 21.07.92 wurde der Einsatz zweier Verdeckter Ermittler des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg bei uns in Tübingen bekannt. Einer der beiden Ermittler hatte seine Identität aufgrund der Beziehung zu einer Frau aus der Szene, die wir im weiteren der Einfachheit halber Anna nennen wollen, offengelegt. Anna war - das war für den Beamten und seine Dienststelle offensichtlich der Grund, die Legende nicht weiter aufrecht zu erhalten bzw. den Einsatz der Beamten in Tübingen abzubrechen - schwanger und hatte sich dafür entschieden, das Kind zu bekommen. Zu der Beziehung mit Anna werden wir in dem Abschnitt über unsere Aufarbeitung noch ausführlicher eingehen.

Unter dem Namen Joachim Armbruster und Ralf Hausmann wohnten die beiden Beamten seit Februar 91/April 91 im selben Haus wie eine politisch aktive Wohngemeinschaft. Beide Verdeckten Ermittler waren mit einer vollständigen Legende ausgestattet. Teil dieser Legende war der wahrscheinlich durch das Landeskriminalamt vermittelte Arbeitsplatz bei der Körperbehinderten Förderung (KBF), Mössingen. Der Einsatz war auf mehrere Jahre geplant."

Quelle:  http://www.geocities.com/~aufbau/Gruppe2/Stellungnahmen/tuebingen.pdf

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Auf den Seiten des Verwaltungsgerichts Freiburg findet sich die Urteilsbegründung vom 9.9.2005:

"V-Mann-Einsatz des LKA war rechtswidrig

Mit einem den Beteiligten vor kurzem zugestellten Urteil (vom 6.7.2005 - 1 K 439/03) hat das Verwaltungsgericht die Rechtswidrigkeit der Anordnung des Einsatzes eines verdeckten Ermittlers des Landeskriminalamts nachträglich festgestellt.

Der Ermittler war laut Einsatzanordnung zur "Aufhellung des militanten autonomen Spektrums sowie des RAF-Umfelds in Freiburg" im Jahr 1991 eingesetzt worden, hatte sich mit dem bei einer Hilfsinitiative für politische Gefangene aktiven Kläger angefreundet, war zu ihm in die Wohngemeinschaft gezogen und hatte ihn ausgeforscht. Er brach im Sommer 1992 die Beziehung zum Kläger plötzlich ab und verschwand, nachdem zwei verdeckte Ermittler in Tübingen enttarnt worden waren und daraufhin alle verdeckten Ermittler im Bereich Linksextremismus/Terrorismus abgezogen worden waren. Dem misstrauisch gewordenen Kläger gegenüber hatte das Landeskriminalamt erst nach jahrelangen, verschiedenen verwaltungsgerichtlichen Auseinandersetzungen durch alle Instanzen über Auskunfts- und Unterrichtungsansprüche im März 2003 eingeräumt, auch er sei von den verdeckten Ermittlungen im Raum Freiburg betroffen gewesen, Dauer und Umfang der Datenerhebung seien aber nach Löschung aller personenbezogenen Daten nicht mehr feststellbar.

Daraufhin klagte er zwecks Rehabilitation auf nachträgliche gerichtliche Feststellung, dass diese Datenerhebung rechtswidrig gewesen sei. Über ihn sei in geheimdienstlicher Manier ein vollständiges Persönlichkeitsbild angefertigt worden, ohne dass dies einem konkret gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahren gedient habe. Das Landeskriminalamt entgegnete, der Kläger sei im Sinne des Landespolizeigesetz als "Kontaktperson" von der verdeckten Ermittlung betroffen gewesen, weil er Kontakte zu Personen gehabt habe, bei denen Anhaltspunkte für künftige Straftatbegehung vorgelegen hätten.

Das Verwaltungsgericht entschied, es könne offen bleiben, ob nicht sogar die gesetzlichen Ermächtigungsvorschriften im Landespolizeigesetz zum Einsatz verdeckter Ermittler gegen Kontaktpersonen wegen Unbestimmtheit des Begriffs "Kontaktperson" verfassungswidrig seien, wie dies das Bundesverfassungsgericht jüngst in einer Entscheidung zu ähnlichen Vorschriften des niedersächsischen Polizeigesetzes entschieden habe. Die Einsatzanordnung des LKA-Präsidenten genüge zwar dem Behördenleitervorbehalt und sei auch schriftlich ergangen. Sie sei aber wegen mangelnder Bestimmtheit rechtswidrig. Verdeckte Ermittlungen stellten einen intensiven Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und in die Vertraulichkeit sowie in das Grundrecht des ahnungslosen Betroffenen dar, rechtzeitig effektiven Rechtsschutz zu erlangen. Die daher zu stellenden hohen Anforderungen an die Bestimmtheit der Anordnung eines solchen Einsatzes erfülle die Anordnung hier nicht.

Ihr sei nicht zu entnehmen, dass auch der Kläger Zielperson der verdeckten Ermittlung sein solle. Die keine namentlichen Personen benennende, pauschale Bezeichnung der Personen als Zielgruppe der verdeckten Ermittlung, "bei denen tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass sie künftig Staatsschutzdelikte begehen", lasse in keiner Weise eine bestimmte oder auch nur bestimmbare Zuordnung des Klägers zu dieser Zielgruppe zu. Die Einsatzanordnung nenne als Zielgruppe auch nicht ausdrücklich die "Kontaktpersonen" solcher Personen. Mangels jeglicher weiterer Präzisierung der Anordnung lasse sich in die Anordnung auch nicht hineinlesen, der Kläger sei zumindest als "Kontaktperson" individuell als Ziel der Anordnung feststellbar oder bestimmbar. Auch aus dem pauschalen Zusatz "das militante autonome Spektrum sowie das RAF-Umfeld in Freiburg" ergebe sich nichts Gegenteiliges. Da die Anordnung letztlich nur den Gesetzeswortlaut der Ermächtigungsgrundlage für verdeckte Ermittlungen mit anderen Worten wiederhole, blieben alle Erwägungen, die das Landeskriminalamt für eine Ausforschung auch des Klägers gehabt haben möge und aus denen sich die Bestimmung der Voraussetzungen und Grenzen des Eingriffs ergeben würden, lediglich polizeiintern und undokumentiert.

Dass mit dem Urteil keine für die Polizei in diesem Bereich unerfüllbaren Anforderungen gestellt würden, ergebe sich daraus, dass das Innenministerium schon 1994/95 seine internen Dienstanweisungen für solche Einsätze selbst geändert habe. Seither müssten die von verdeckten Ermittlungen betroffenen Personen namentlich benannt werden. Sei dies bei Einsatzbeginn noch nicht gleich möglich, müssten die Zielpersonen bzw. die Zielgruppe zumindest anhand konkreter Merkmale möglichst genau und klar bestimmbar beschrieben werden. Lasse sich im Einsatzverlauf eine Einzelperson bestimmen, so müsse die Anordnung unverzüglich individuell präzisiert und fortgeschrieben werden.

Die Entscheidung ist rechtskräftig."

Quelle:  http://www.justizportal-bw.de/sixcms/detail.php?id=103243

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An dieser Stelle möchten wir aus dem von Markus Mohr und Klaus Viehmann herausgegebenen Buch "Spitzel - Eine kleine Sozialgeschichte" zitieren:

"Was macht einen Spitzel aus, was ist das Besondere an ihm? Auch wenn ein Spitzel
denunziert, so ist er doch von der Figur des Denunzianten zu unterscheiden: Ein Spitzel nutzt nicht bloß Gelegenheiten aus, er hat den Auftrag, sie aktiv herzustellen. So steht selbst der Verräter noch über ihm. Zwar verrät auch ein Spitzel, doch im Unterschied zum Verräter hat er nie die Sache oder die politischen Ziele und Träume geteilt, für die Menschen sich einsetzen, leiden, kämpfen und auf deren Verwirklichung sie hoffen. Ein Spitzel kann für sein Tun nicht die geringste politische Legitimität beanspruchen. Um der eigenen kläglichen Existenz etwas abzugewinnen, mag sich ein Spitzel in dem Bedeutung und Gefährlichkeit erheischenden Begriff »V-Mann« sonnen, was eine besondere Verbundenheit - oder noch absurder: ein Vertrauensverhältnis - zu den Repressionsorganen ausdrücken soll. Aber auch das ändert nichts daran, dass ein Spitzel aus der Perspektive aller Beteiligten einfach das allerletzte ist."

Quelle:  http://www.assoziation-a.de/leseprobe/spitzel_einleitung.pdf
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Ergänzungen

Indy als Querfrontmedium?

Nicht mit uns! 16.09.2005 - 03:30
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Es geht immer weiter...

Autonom@ntifA 15.12.2005 - 15:37