43. Montagsdemo in Jüterbog

Michael Maurer 27.07.2005 11:01 Themen: Soziale Kämpfe
Zwar sprach er von einem Traum, von einer Vision, aber Michael Maurer wurde doch ziemlich konkret, wie er sich eine radikalere Gangart Kampf gegen Sozialabbau in Deutschland vorstellt. Der 53-jährige Mitorganisator der Jüterboger Montagsdemonstrationen rief am Montagabend auf dem Markt der Flämingstadt zu mehr Solidarität nicht nur unter den Hartz-IV-Betroffenen auf und erklärte dazu erneut, dass vom gegenwärtigen „neoliberalen Amoklauf“ längst nicht mehr nur Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger betroffen seien. Er formulierte das bekannte Motto ‚Alle Räder stehen still, wenn fein starker Arm es will“ und träumte laut davon, dass sich alle - mindestens ein paar Millionen Menschen - widersetzen würden und das Land zum Stillstand brächten.
An einem Großunternehmen wie dem VW-Konzern, in dem die Arbeitnehmer derzeit gravierend in ihren Rechten beschnitten würden, könnte ein Exempel in Form eines politischen Streiks statuiert werden, so Maurer. Die gesamte Belegschaft würde die Arbeit verweigern und ganz Deutschland würde die Streikenden unterstützen (indem man in eine Streikkasse einzahlt). Wären dort die Forderungen erfüllt, könnte der nächste Konzern drankommen. „Offenen Klassenkampf von unten“, „Arbeitskampf, der aufs Ganze geht“ ‚ nannte Maurer seine Vision und versicherte gleichzeitig, dass er keine Revolution wolle, sondern einen humanen Sozialismus als langfristiges Projekt sehe.

Vielleicht waren sie sich nicht ganz des Ausmaßes und der Tragweite derartiger politischer Aktionen bewusst - es war ja auch nur ein Traum -, doch spendeten die Montagsdemonstranten Beifall.
Einer der nächsten Redner riss sie dann aus den Träumen und führte sie mit seinen Worten wieder auf den Boden des Jüterboger Marktplatzes zurück. Gewerkschaftsvertreter Anton Gorisek forderte auch stärkere Solidarität ein, musste aber konstatieren, dass halt vielen „das Hemd näher als die Hose“ sei und sich unter dem Motto „Hannemann geh du voran, du hast die größeren Stiefel an“ auf andere verließen.
Und zu den anderen zählen sich auf jeden Fall die Jüterboger Montagsdemonstranten. An die 60 waren am Montag auf den Markt gekommen und demonstrierten auch bei ihrer 43. Protestkundgebung erst einmal und erneut die Solidarität unter sich, berichteten von ihren persönlichen Schicksalen und bedachten die Politiker, egal welcher Couleur mit Schmährufen und Spottversen. Verschont blieb die PDS, die mit ihren Spitzenpolitikern im Landkreis Teltow-Fläming Maritta Böttcher, Kornelia Wehlan und Jürgen Akuloff angetreten war. Gerade ihnen dürfte der Traum von Michael Maurer irgendwie bekannt vorgekommen sein.

So spricht die bürgerliche Presse
(Märkische Allgemeine vom 27.07.2005 Seite 17)
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Ergänzungen

Alle Räder stehen still....

Michael Maurer 27.07.2005 - 11:26
Hier der Redetext, welcher übrigens von Egbert Scheunemann ist,
und welcher bei der bürgerlichen Presse Gänsehaut hervorgerufen hat.
Streik ist verfassungsmäßiges, legitimes Recht!
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„Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.“ Dieser Satz ist vollkommen wahr: Wenn die arbeitenden Menschen sich in diesem Lande verweigern würden, ja wenn in diesem hochgradig arbeitsteilig verflochtenen Wirtschaftssystem genügend viele arbeitende Menschen genügend lange Zeit sich widersetzen würden, strategisch wichtige Arbeiten auszuführen, käme dieses Land und damit der neoliberale Amoklauf in kürzester Zeit zum Stillstand. Dann würde sich zeigen, wer LETZTLICH die Macht hat – wenn man es nur versteht, sich dieser Macht bewusst zu werden und sie klug einzusetzen.

Um konkret zu werden: Man stelle sich vor, eben jene Gewerkschaft, die gerade noch einen Knebelvertrag unterschrieben hat bei VW, einem Konzern, der in diesem Jahr einen Gewinn von 1,9 Mrd. Euro einfahren wird, würde diesen Knebelvertrag auf der Stelle kündigen und sämtliche Beschäftigten bei VW bundesweit zu einem unbefristeten Streik aufrufen, bis die VW-Führung klein beigibt und einen Tarifvertrag folgenden Inhalts unterschreibt:

1. Alle Leistungskürzungen werden zurückgenommen.
2. Die Löhne aller VW-MitarbeiterInnen steigen in den nächsten fünf Jahren entsprechend des Produktivitätswachstum und der Inflationsrate.

3. Die Hälfte aller zukünftigen Gewinne wird allen VW-MitarbeiterInnen als Gewinnbeteiligung ausbezahlt nach dem Pro-Kopf-Prinzip.

4. Die Geschäftsführung verzichtet für alle Zeiten auf alle Produktionsverlagerungen ins Ausland. Andernfalls, auch nur bei bekannt Werden diesbezüglicher Pläne, wird die gesamte Belegschaft sofort in einen unbefristeten Streik treten und alle Produktionsanlagen besetzen.

5. Das Management wird aufgefordert, sich selbst nach Tschechien oder Bulgarien out zu sourcen als Strafe für erpresserisches Verhalten und verfassungsfeindlichen (Artikel 14!) asozialen Einsatz ökonomischer Macht.

Wichtig und unabdingbar wäre (ich rede hier also von einer Conditio sine qua non!) dass alle links und sozial orientierten Menschen in diesem Lande die VW-Belegschaft ohne zeitliche Befristung in ihrem Kampf unterstützen – und zwar ganz konkret und ganz MATERIELL. Man stelle sich vor, einige Millionen Menschen würden für die Zeit des Kampfes (der, wenn er denn wirklich vollständig und frontal erfolgen würde, wahrscheinlich in wenigen Wochen erfolgreich abgeschlossen wäre) zehn Prozent ihres Einkommens an die Streikenden spenden als "Lohnersatzleistung" – welche klar denkenden und gut meinenden VW-Mitarbeiter sollten sich dann einem solchen Kampf verweigern?

Wichtig wäre zudem (ich rede hier also von einer zweiten Conditio sine qua non!), dass die zum Arbeitskampf aufrufende Gewerkschaft gleich zu Anfang klar macht, dass an VW nur ein Exempel statuiert werden soll – und dass der Kampf nach erfolgreichem Abschluss bei VW sofort in einem anderen Großunternehmen aufgenommen wird, das sich, wie Siemens etwa, ebenso durch verfassungsfeindliche Drohungen mit Produktionsverlagerungen und repressiver, ausbeuterischer Lohn- und Arbeitszeitpolitik hervorgetan hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei Siemens (oder Karstadt oder Opel oder…) überhaupt noch gestreikt werden müsste, wenn den neoliberalen Amokläufern bei den Arbeitgebern, in Politik und Medien deutlichst gezeigt wird, dass alle wohl meinenden Menschen in diesem Lande nicht mehr gewillt sind, sich dem neoliberalen Sozial- und Ausbeutungsterror zu unterwerfen, dass dem offenen Klassenkampf von oben nun der offene (friedliche!!) Klassenkampf von unten entgegengesetzt wird, erscheint sehr gering.

Ein Konditional könnte also Geschichte machen: „Alle Räder stehen still, WENN dein starker Arm es will.“ Rein technisch-organisatorisch wäre ein solcher Arbeitskampf, der aufs Ganze geht, der offen und friedlich angreift und die neoliberalen Asozialen in ihre Schranken weist, ein Klacks.
Es geht AUSSCHLIESSLICH darum, ob wir, ob die politische Linke, ob die Gewerkschaften einen solchen offenen Kampf WOLLEN und dann auch solidarisch und faktisch DURCHFÜHREN.

Was könnte schief gehen? Habt ihr Angst, dass ihr im Gefängnis landet oder an die Wand gestellt werdet? Was habt ihr eigentlich noch zu verlieren – euch werden doch schon so die Löhne, das Weihnachts- und Urlaubsgeld gekürzt und Mehrarbeit für nichts abgepresst?
Ihr seid doch, als Gewerkschafter, so und so schon die Betonköpfe, die ewig Gestrigen, die Blockierer – obwohl ihr faktisch NICHT blockiert und immer nur brav nachgegeben habt in jüngster Vergangenheit! Wie wäre es – ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert – , wenn ihr das System, den neoliberalen Amoklauf einfach WIRKLICH blockieren und die asozialen Neoliberalen vorführen würdet, so wie diese euch seit langer Zeit vorführen?

Ich rufe auf zu einem GROSSEN RATSCHLAG, an dem sich alle linksorientierten, sozial und human denkenden Menschen aus den verschiedensten Parteien und sozialen Bewegungen und vor allem aus den Gewerkschaften beteiligen, um über die konkrete Vorgehensweise zu beraten und konkrete Organisationsstrukturen aufzubauen – bis hin zur Einrichtung eines zentralen Streikkontos, auf das ab sofort Unterstützungsgelder einbezahlt werden könnten.
Wichtig wäre, dass das alles in aller Offenheit vonstatten geht, um den Herrschenden frühzeitig aufzuzeigen, wohin der Hase laufen wird.
Was wir brauchen, ist MUT. Was wir brauchen, ist der WILLE, das hier Beschriebene zu TUN.

Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren – auch so ein Satz, der, obwohl ebenso vollständig wahr wie jener oben, leider fast ebenso vollständig in Vergessenheit geraten ist.

Rufe ich zur Revolution auf? Nein. Und zwar aus tiefster Überzeugung. Die Französische Revolution von 1789 endete im jakobinischen Terror, die Russische von 1917 im stalinistischen und die Chinesische von 1949 im Terror der so genannten Kulturrevolution.
Der emanzipierte, vollkommen aufgeklärte und selbstbewusste „neue Mensch“ ist ebenso VORAUSSETZUNG eines humanen Sozialismus wie sein ZIEL.
Insofern ist der humane Sozialismus ein langfristiges Projekt – gerade in Zeiten übelsten sozialen und mentalen Rückschritts.

Wir leben aber NOCH in einer freien Gesellschaft – zumindest dem theoretischen Anspruch eines politischen Liberalismus nach, der noch nicht, wie sein reales Pendant, zum reinen Wirtschaftsliberalismus degeneriert ist.
Und in einer freien Gesellschaft, in der Zwangsarbeit demnächst zwar unter Androhung von Sozialleistungsentzug perverser Weise aufgedrängt, aber faktisch und de jure noch nicht direkt erzwungen werden kann, ist Arbeitsverweigerung, auch in Form eines politischen Streiks, jedes Menschen Recht.
Und nichts anderes hat die hier vorgestellte, friedliche Kampfstrategie gegen den menschenfeindlichen Neoliberalismus und seine Schergen und Claqueure zum Inhalt.
(www.egbert-scheunemann.de)
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