Oberstufenkolleg Bielefeld besetzt

Nicht-OSlerIn 21.04.2005 02:19 Themen: Bildung
"Projekttag Schulbesetzung" -
Ein Lehrstück in Sachen Vereinnahmung von Protest...

Leider nicht mehr ganz aktuell: Vor einer Woche, am 12. April 2005, wurde das Oberstufenkolleg Bielefeld einen Tag lang besetzt. Anstelle von Unterricht und Prüfungen gab es selbstorganisierte Diskussionen und AGen, von Reformpädagogik und alternativen Lernformen über Tierrechte bis hin zu Töpfern und Schwertkampf...
Anlass waren die Kürzungen und weitergehenden Einschränkungen durch das Bildungsministerium NRW, die das als Experimentierschule gegründete Oberstufenkolleg vollends zu einer Normalschule machen werden.
Der folgende Text ist weniger ein Nachrichtentext als der Versuch, meine vielfältigen Eindrücke so zu schildern, dass möglichst viele Menschen von den Erfahrungen "profitieren" können. Und: Natürlich habe ich das OS an den zwei Tagen nur oberflächlich kennengelernt, auch deshalb sind Berichtigungen, Widerspruch und Diskussion gerade von Kollis (KollegiatInnen) sehr erwünscht...


Ich muss erstmal etwas weiter ausholen, wer das OS kennt, kann also ruhig die ersten Absätze überspringen...


ERSTE EINDRÜCKE

Beeindruckend am Oberstufenkolleg (OS) Bielefeld ist zunächst einmal die Architektur, sehr offen und grün, und gar nicht so leicht zu beschreiben: Der Hauptteil sind drei sogenannte Felder mit Stühlen, Tischen und Stellwänden zum flexiblen verschieben. Zwischen den Feldern gibt es erhöhte Galerien, auch offen und voller Pflanzen, mit vielen Sitzecken und Arbeitstischen. Auf einer seitlichen Galerie sind die Arbeitsplätze der "Lehrenden", Schreibtische und Aktenregale, alle offen und frei zugänglich. Auf der anderen Seite des Gebäudes gint es einige geschlossene Räume und viele weitere mit Glaswänden. Außerdem eine Menge Computer-Arbeitsplätze mit Druckmöglichkeiten, super ausgestattete Labore, Sammlungen, Bibliothek... Normalerweise ist die Schule bis abends offen um Computer, Bibliothek usw. zu nutzen.


WAS WAR DAS OS FRÜHER?

Die Laborschule nebenan und das Oberstufenkolleg wurden Anfang der 70er als staatlich geförderte Experimentierschule gegründet, auf deren Grundlage das Schulsystem grundlegnd geändert werden sollte. Wichtig war dem Gründer Hartmut von Hentig der reformpädagogische Ansatz, der Lernende solle Subjekt werden und seine Einzigartigkeit entfalten.
Während die Laborschule etwa die erste bis zehnte Klasse umfasst, sollte das Oberstufenkolleg einen fließenden Übergang von der Schule zur Uni bilden. Dabei gab es keine Anwesenheitspflicht und zu Anfang auch keine Bewertung, Lernen sollte nicht nur im Unterricht stattfinden, sondern auch und gerade außerhalb davon.
Am OS kamen Menschen mit sehr unterschiedlicher Vorgeschichte und Vorbildung zusammen, bis 25 konnte (und kann) mensch aufgenommen werden. Diese Vielfalt hatte sicher auch einen Einfluss auf die Atmosphäre, die wohl sehr anders war als die Erfolgsorientierung vieler "Kollis" (KollegiatInnen) von heute (siehe unten)...


UND HEUTE?

Heute ist von den immerhin nicht ganz schlechten Ansätzen nicht viel übrig geblieben. Zeugnisse und Bewertung im Unterricht gibt es zwar nicht, aber die verschiedenen Scheine, die jedeR braucht, Abiprüfungen und eine längere Hausarbeit üben schon genug Druck aus und erschwren bis verunmöglichen selbständiges, unabhängiges Lernen. Anwesnheitspflicht besteht auch, obwohl Fehlzeiten wohl eher toleriert werden als an anderen Schulen.
Interessant ist vielleicht noch, dass die Hälfte der Kollis keinen "Q-Vermerk" haben, d.h. angeblich nicht für die gymnasiale Oberstufe "geeignet" sind und dennoch am OS das Abi machen können. Dafür gibt es aber ein internes Auswahlverfahren, in dem die Schülis "persönlich eingeschätzt" werden.
Dann gibt es noch das Relikt der sprachlichen Regelungen: Um die Trennung von LehrerInnen und SchülerInnen zumindest zu verschleiern, duzen sich alle und sit stattdessen von "Lehrenden" und "Lernenden" die Rede. Die kolleginterne "Demokratie" ist etwas anders geregelt als an "normalen" Schulen, z.B. können Kollis teilweise selbst de Ferienzeiten festlegen, aber bei wichtigeren Entscheidungen sitzen auch hier die "Lehrenden" durch formale wie informale (größeres Wissen und Erfahrung) Vorteile am längeren Hebel.

FAZIT: Letztlich sind die Unterschiede zur Regelschule minimal und oberflächlich; die Idee, das Experiment auf ein ganzes neues Schulsystem zu übertragen, ist schon vor Jahren zu Grabe getragen worden, und mit einer neuen Prüfungsordnung, die dem OS von Staatsseite aufgezwungen werden soll, wird das OS wohl vollends zur Regelschule werden. Außerdem soll der Zeitraum von jetzt schon nur noch drei (früher vier) Jahren auf zwei Jahre verkürzt werden - das reicht dann andgültig nur noch für eine möglichst effiziente Abivorbereitung und verhindert auch sehr effektiv die Mitbestimmung der Kollis, die in so kurzer Zeit natürlich dem Wissens- und Erfahrungsvorsprung der "Lehrenden" erst recht nichts entgegensetzen können...
Ob es sich da überhaupt noch lohnt, für den Erhalt dieses Projektes zu kämpfen, erscheint mir eigentlich schon etwas fraglich. Vielleicht, wenn mensch es als Ausgangspunkt für weitere Veränderungen ansieht, aber ich bin da nicht sehr optimistisch...


KUNSTAKTIONEN VOR DER BESETZUNG

Eine Woche vor der Besetzung gab es zwei Kunstaktionen: Einmal wurden in der ganzen Schule schwarze (Grab-)Kreuze aufgehängt, mit Aufschriften wie "Neugier", "Kreativität", "Demokratie", aber auch "Idealismus", "Reformen" und "Reformpädagogik". (Ein paar Tage soäter wurden die Kreuze in einer Gegenaktion durch rote Herzen ersetzt, was auch immer das heißen mag...)
Außerdem wurden mit Schablonen in der ganzen Schule riesige Fragezeichen und Zitate von Aristoteles, Tucholsky u.a. gesprüht, z.B. "Ihr sollt denken lehren, nicht Gedachtes"...


VORBEREITUNG DER BESETZUNG

Die eigentliche Besetzung aber wurde geheim gehalten, erst in den letzten Tagen davor liefen Gerüchte und einige wurden wohl auch informiert, der "Kreis der Eingeweihten" beschränkte sich aber auf 20 bis 30 Leute.
Am Vorabend wurde der Kollegleiter informiert, der sagte auch moralische Unterstützung zu, weil auch er die neue staatlich verordnete Prüfungsordnung ablehnt.
Presse und andre Medien wurden nur sehr knapp informiert (am Vorabend), außer einem persönlich bekannten Reporter kam dann auch keineR.
Informiert wurden auch alle Schülivertretungen Bielefelds und die LandesschülerInnenvertretung, außerdem kamen mit den vielen externen Workshop-AnbieterInnen noch mehr Nicht-OSler dazu.


ZIELE

Die Ziele wurden meiner Meinung nach nicht ganz klar formuliert. Einerseits sollten die noch kommenden und schon gelaufenen Kürzungen und Einschränkungen öffentlich gemacht werden, durch Medien und die symbolische Wirkung der Besetzung. Andererseits sollte sie "nach innen" einen Freiraum schaffen, um sich andere Formen des Lernens und Austauschens überhaupt vorstellen zu können und die Kollis anzuregen, über Perspektiven nachzudenken und Veränderungen selbst in die Hand zu nehmen. (Zum Thema "Veränderungen am OS" war auch für den folgenden Tag eine Vollversammlung geplant.) Es wurde auch offen gelassen bzw. von der Stimmung abhängig gemacht, ob die Besetzung noch über Nacht weiter gehen sollte oder nicht, und wer statt Workshops Unterricht machen wollte, konnte auch das.
Es gab wohl auch unter den Organisierenden unterschiedliche Positionen, vom Protest gegen die weitergehenden Kürzungen und verschärften Prüfungen über ein Zurücksehnen nach dem "alten OS" bis hin zum grundlegenderen In-Frage-Stellen von Schulzwang und Bewertung. Interessant zwar, mit so unterschiedlichen Positionen umzugehen, aber teilwise kam es wohl etwas unklar rüber: "Was wollen die denn nun?"


DIE BESETZUNG SELBST

Am 12.4. dann wurden die wie jeden Tag zur Schule gehenden Kollis dann anders als erwartet empfangen: mit Transparenten "OS besetzt" und "Das ist unser Haus", mit ohrenbetäubender Samba-Combo und Flugblättern, die die Besetzung erklärten. Die Stimmung schien mir größtenteils positiv zu sein, einige wenige ereiferten sich wohl nach dem Motto: "Ich hab doch heute Prüfungen, ihr macht doch alles kaputt, wann soll ich denn jetzt meine Prüfungen schreiben?"
In der Versammlung, die als erstes angesetzt war, waren dann leider nur etwa die Hälfte der Kollis, viele waren sohl gleich nach Hause gegangen.
Als intellektuelle Autorität und Beistand war Otto Herz geladen worden, ein alter Reformpädagoge und seinerzeit Assistent des Schulgründers Hartmut von Hentig. Der setzte sich dann auch ganz ordentlich in Szene ("Ich komme ja gerade aus Kalkutta" blabla) und machte Stimmung - nicht nur dass ständig geklatscht wurde, dann sagte gar jemand: "Es gibt nichts Schöneres, als Ihnen zuzuhören"... Reformpädagogik bedeute für ihn "Werde, wer du bist" und "Entfalte deine Einzigartigkeit", der Lernende solle im Vordergrund stehen und Subjekt werden. Das klang alles ganz gut, in seiner zweiten Schlussbemerkung (!) ruderte er dann aber wieder kräftig zurück: s gäbe ja allerdings auch Dinge, die müsse man einfach lernen; und mit Berufung auf Johannes Rau (!) sei das ideale Verhältnis von Pflicht- und selbständigem Lernen 60:40...
Dann wurde das vorbereitete Workshopprogramm vorgestellt und auch dazu eingeladen, selbst Workshops und Diskussionen anzuzetteln. Bevor es losging, gab es noch eine (wie ich fand) etwas lächerliche Abstimmung, bie der nach der frontalen Bearbeitung durch Otto Herz und andere die Mehrheit der Anwesenden für die Besetzung stimmte.

Bis Mittags gab es dann eine Vielzahl vielfältiger Workshops, von Aktzeichnen über Tierrechte bis hin zu OS-internen Problemen im Fachbereich Spanisch.
Das war eine schöne Atmosphäre, überall war was los und wurde voller Motivation diskutiert, getöpfert usw. Einige wenige Kleingruppen machten auch Unterricht, die Prüfungen wurden aber verschoben.
Zum Projekttag wurde die Besetzung in meinen Augen aber nicht so sehr durch die Workshops, denn die waren wirklich selbstorganisiert und einfach gut, nein, zum Projekttag degradiert wurde sie durch die (erfolgreichen) Integrationsversuche der Lehrer. Der Höhepunkt war die Podiumsdiskussion um eins, die durch massives Werben und den Ort -quasi die Aula des OS- von einem Workshop unter vielen zum Zentralereignis wurde. Vielleicht auch durch die auf dem Podium vertretenen Autoritäten: Reformpädagoge Otto Herz, Kollegleiter Hans Kröger, ein Kolli aus der SchülerInnenvertretung und noch eine Dame, deren Name und Funktion mir entgangen ist.
Wie Podiums"diskussionen" mit über hundert Zuschauenden es eben so an sich haben, war auch diese komplett frontal, eine Aneinanderreihung von Redebeiträgen in einer Form, die Austausch völlig unmöglich macht und allenfalls Nachfragen an die Wichtig-Menschen da vorne zulässt.
Der Kollegleiter und mehrere Lehrende unterstrichen dabei, wie sehr die gut vorbereitete Aktion ihnen zusagte und dass ja gerade die widerspenstigsten Kollis die interessantesten Menschen wären. Die Besetzenden merkten wahrscheinlich zunächst gar nicht, wie sehr ihr Protest dadurch integriert und einer möglichen Fortführung der Besetzung GEGEN die Kollegleitung damit das Wasser abgegraben wurde...
So richtig gegen die ganze Aktion waren dafür einige Kollis: "Ich bin hier, um mein Abi zu machen" war wohl der zentrale Satz (auch bei der Vollversammlung am nächsten Tag) - sie seien nicht hier, um "irgendwas" zulernen oder ihre Persönlichkeit zu entwickeln, sondrn um das Abi zu machen - aller Protest sei da nur hinderlich (so die wohl krasseste, aber nicht ganz seltene Position).
Nahc der Posiums"diskussion" waren die meisten weg, die OrganisiererInen total fertig, und eine mögliche Fortführung der Besetzung hatte sich somit von selbst erledigt... Um 17 Uhr gab es dann aber noch einen sehr motivierten Workshop zu demokratischen Alternativschulen und Lernkonzepten jenseits von Schule .


DER NÄCHSTE TAG
In der Vollversammlung am nächsten Tag wurden viele der Konflikte noch einmal deutlich: Andertalb Stunden bekamen die Kollis von der Leitung dafür zugebilligt, über Probleme und Perspektiven des OS zu diskutieren. Schon dieser Rahmen machte Alternativen zum 200-Leute-Plenum-in-dem-immer-dieselben-reden fast unmöglich. Dennoch wurde ein Modell kleinerer Arbeitsgruppen vorgeschlagen, scheiterte aber an der Abstimmung - wie so oft blieben die meisten lieber still sitzen, als in Arbeitsgruppen zu gehen, in denen sie womöglich selber denken und reden müssten...
Die Diskussion polarisierte sich dann schnell entlang des Konflikts: "Ich will lernen, was mich interessiert" versus "Ich will hier nur mein Abi machen", die BesetzerInnen wurden des "diktatorischen Aufdrückens" ihrer Meinung bezichtigt, die anderen quasi als Faschisten bezeichnet...
Über Inhalte wurde letzten Endes kaum diskutiert, das wurde in die Kurse vertagt - Es lebe die Integration von Widerstand!

EinE Nicht-OSlerIn
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Ergänzungen

links

nochmal das Nicht-OSlerIn 21.04.2005 - 02:50

schulkritik und aktionsideen

derdiedasselbe 21.04.2005 - 03:12
Noch ein paar Links:
*Gute Hintergründe zu Kritik an Schule: www.kraetzae.de

*Aktionsideen gegen Schule und Erziehung: www.anarchopedia.org/index.php/projekte:schulaktionen

berichtigung link

nochmal 21.04.2005 - 13:32
der letzte link zu aktionsideen gegen schule und erziehung muss lauten:
 http://de.anarchopedia.org/index.php/Projekte:Schulaktionen

oberstufenkolleg-links

lang 21.04.2005 - 14:45
das oberstufenkolleg-wiki:  http://osk.c3bi.de/
das oberstufenkolleg-forum:  http://www.foren.de/system/user_lernender.html

Und am 30.4.05...

Franz Müntefering 21.04.2005 - 16:09
.......

Organisierung

Schwarze Feder 21.04.2005 - 16:29
ich habe zwar gerade keine zeit sowas zu organisieren, aber bei den ganzen radikalen wegkürzungen von den wenigen emanzipatorischen bildungseinrichtungen und den darauf spontan und sporadisch stattfindenden besetzungen (alleine an schulen: oldenburg, bremen, münchen, bielefeld ... dann noch die uni-besetzungen) müsste eigentlich mal eine möglichkeit zum persönlichen austausch geschaffen werden. schließlich wird das sogenannte "höhere bildungssystem" gerade massiv zubetoniert - die hälfte der bevölkerung wird bewusst ausgegrenzt. auch das neue ba/ma ist auf akademikerkinder zugeschnitten. während bislang noch behauptet wurde, das schmalspurstudium bachelor sei doch genau auf arbeiterkinder zugeschnitten, hat eine studie im auftrag des stifterverbandes der deutschen wissenschaft ergeben, dass der anteil der akademikerkinder unter den ba-absolventen 44% beträgt, der anteil der akademikerkinder unter den hochschulabsolventen aber "nur" 34%; oder umgekehrt ausgedrückt: während immerhin unter den hochschulabsolventen 66% studierende sind, die keine eltern mit hochschulabschluss haben, sind es beim bachelor-studium gerade nur noch etwas mehr als die hälfte, nämlich 56%. dies ergebnis ist absolut überraschend, weil bislang davon ausgegangen wurde, dass die soziale selektion erst beim übergang vom bachelor auf master stattfinden wird, dass quasi die arbeiterkinder ba studieren und akademikerkinder ma. tatsächlich ist es so, dass dreiviertel der ba-absolventen einen masterstudiengang anstreben. bildungsökonomisch gewünscht sind aber nur 25-50%, also die selektion wird hier tatsächlich noch mal stattfinden, aber sie finet eben auch schon beim ba statt.
okay, das ist uni, hier gehts um schule. am 30.04. findet an der uni duisburg-essen eine "großveranstaltung" des "aktionsbündis schule" statt. aktionsbündis schule ist ein zusammenschluss des philologenverbandes mit anderen konservativen bildungsverbänden wie z.B. dem "bund freiheit der wissenschaft" oder dem "deutschen hochschulverband". ziel dieses vereins ist die sicherung und verschärfung des selektiven schulsystems. also klassenkampf.
es gibt bislang keine strukuren, die hierauf reagieren. aber ich denke, sie sind nötig und möglich.

Wiki für das Oberstufenkolleg

natriumclorid 24.04.2005 - 21:39
Für das Oberstufenkolleg gibt es jetzt auch ein Wiki was uns die netzwerkstatt zu verfügung gestellt hat: www.osk.c3bi.de
Dort kann man unter anderem eine Dokumentation der bildungskritischen Aktionen am Oberstufenkolleg finden...

Rau's Herz

warauchdabei 26.04.2005 - 13:28
Hallo NichtOSler'in,

Dein Artikel ist sehr informativ für die, die nicht dabei waren.
Ich teile Deine Einschätzung hinsichtlich einer gewissen Vereinnahmung des Protestes durch die Kollegleitung. Das ging aber deshalb so leicht, weil es einen netten Projekttag gab, aber die dahinterstehenden Forderungen sehr allgemein gehalten, bzw. gar nicht explizit waren (Tenor: "mehr Reformpädagogik" - wer kann dazu schon nein sagen?). Wären die Forderungen hingegen konkreter gewesen, wäre die Solidarisierung seitens der Leitung nicht mehr so einfach gewesen.
Ich teile ebenso Deine Kritik, dass Sinn, Zweck und Adressat des Protestes nicht sehr klar waren. Mit den aktuellen Entwicklungen und Diskussionen am OS, wohin die Institution sich entwickeln soll, hatte der Protest jedenfalls nichts zu tun - so konkret wurde er gar nicht (Stichworte: was wird von einer CDU-Landesregierung wohl nach der Landtagswahl im Mai kommen oder das Thema Zentralabitur, das das Lernen in der Oberstufe in allen Schulen noch einmal richtig negativ verändern wird). Die angesprochene Umstrukturierung des alten OS liegt aber schon über 4 Jahre zurück - warum also gerade jetzt ein Protest, der sich gegen Entscheidungen richtet, die 2000 / 2001 getroffen wurden, der aber gleichzeitig nicht die aktuellen Fragen aufnimmt (ausser dem Thema Studiengebühren, das aber mit dem OS direkt eher wenig zu tun hat)?

Einige kleine Anmerkungen noch:
1. Otto Herz hat nicht gesagt, dass das ideale Verhältnis von Pflicht- und selbständigem Lernen 60:40 sei, sondern dass sich die Protestierenden in ihrer Argumentation, z.B. auch mit einer Landesregierung in Düsseldorf sogar auf Johannes Rau berufen könnten, der die Schrift "Schulen der Zukunft - Zukunft der Schule" in Auftrag gegeben hatte und in der dieses Verhältnis von immerhin 40% selbstgewähltem Anteil genannt werde (und die muss man in Regelschulen erstmal verwirklicht finden...).

2. Dein Fazit über das OS, die Unterschiede zur Regelschule seien minimal und oberflächlich, ist übertrieben. Zwar hat sich im Vergleich zum alten OS viel verändert, aber die Freiheit am OS (für alle Beteiligten) im Vergleich zur Regelschule ist noch immer sehr groß. Wo sonst kann ein ehemaliger Hauptschüler regulär das Abitur machen?

3. Der Zeitraum bis zum Abi soll nicht generell auf 2 Jahre verkürzt werden, aber es kann die Möglichkeit(!) geben, das Abi künftig in 2 Jahren zu machen (wer es denn selbst will und schafft).

4. "Um die Trennung von LehrerInnen und SchülerInnen zumindest zu verschleiern, duzen sich alle und sit stattdessen von "Lehrenden" und "Lernenden" die Rede." Diese Kausalität ist ja nun wirklich verschwörungstheoretischer Unsinn (und wenn sich alle siezen würden, hättest Du dann geschrieben, es würden Hierarchien offen zur Schau getragen und damit zementiert?) Dass es die Trennung gibt, ist keine Frage und da ist auch nichts Anrüchiges dabei. Die stellt übrigens auch keine Reformpädagogik in Frage. Dass die Einflussmöglichkeiten der Lernenden am OS auf den Unterricht und die Schule immens sind und dass diese nicht als demokratisches Feigenblatt behandelt werden, wird Dir wahrscheinlich jedeR am OS bestätigen. Aber das wird jetzt kleinkrämerisch - dem Grundtenor Deines Artikels stimme ich zu.

warauchdabei

Ein alter Hut

sabine 27.04.2005 - 22:24
Wo der „Standort“ trompetet, da geht die Freiheit flöten

Das obige Motto ist aus den Studentenprotesten vor kurzer Zeit entliehen und trifft scheinbar auch recht gut, woran die scheinbar revolutionärste Schulbesetzungen erkrankte oder gänzlich vereinahmt und beschwichtigt wurde: Nämlich an der ansteckenden Seuche namens Kapitalismus...

Die Einen glauben an den Wohlstand für alle durch ein gleichmäßiges Wirtschaftswachstum und möchten den scheinbar einfachsten Weg zum Glück über einen „ordentlichen Job“ gehen und erwarten als Hilfe für diese selbstlose Unterstützung möglichst wirtschaftsbedürfnisangepasste staatliche Bildungprogramme von der Regierung, die sie so schnell und schmerzlos wie möglich eingetrichtert bekommen wollen.
Damit das nicht ganz so einheitlich-öde verläuft und auch in irgendeiner Weise „schwächere“ Menschen irgendwie eingegliedert werden können (schließlich liegen die einem ja sonst auf der Tasche!) werden dann „Alternative“ und effizientere Lernprogramme entwickelt (aber misstrauisch kontrolliert! Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!). Und der Mensch gewohnheitsmäßig knallhart per Bewertungssystem in die Gesellschaftskategorien sortiert, die irgendein mehr oder weniger pflichtbewusstes Lehrerkollegium für passend empfindet.

Die Anderen glauben den Märchen vom „Wirtschaftswachstum heißt Wohlstand für Alle“ nicht mehr und legen mehr Wert auf eine möglichst von den Bedürfnissen der Wirtschaft unabhängigen Bildung für alle, gerade damit auch statt Reproduktion des Bekannten auch mal neue Ideen durch die jugendlichen Hirne wehen, dass statt Konkurrenz mehr gegenseitige Hilfe in freiwilligen und hierarchiearmen Vereinbarungen getroffen werden. Es gibt verschiedenste Ideen, wie ein freiheitliches Bildungssystem aussehen könnte (Frei von Profitmaximierungsbestrebungen einer verängstigt-machthungrigen Elite und anderen Geiern).
Es ist hier keine Zeit und kein Platz über die Zusammenhänge Wirtschaft-Bildung und das, was man tatsächlich ALTERNATIVE nennen könnte, zu berichten. Darüber haben sich schon andere vielseitig geäußert (Tipp:www.leben-ohne-schule.de; Autoren: Ulrich Klemm, Ivan Illich ).

Ich möchte ein paar Zitate aus einem Heftchen vom Syndikat Bildung Leipzig über die Studentenproteste in Leipzig vom April 2004 bringen, die ich auch für Bielefeld („ich war dabei!“*g*) zutreffend finde und einige Thesen noch genauer untersuchen möchte. Ich weiß, dass Zitate immer zensorisch aus dem Zusammenhang gerissen sind, aber ich habe versucht, sie so zu wählen, dass man als bildungspolitisch schon etwas bewanderterer Mensch hoffentlich nachvollziehen kann, worums geht und die „pure“ These einmal durch den Kopf gehen lassen kann...:

„In diesem Zusammenhang gab dann natürlich auch Divergenzen innerhalb der AGs zwischen AnhängerInnen grundsätzlicher Analyse und Kritik (die „Radikalen“, die „die einfachen Studierenden verschrecken“, d. h. denen kann das nicht zugemutet werden) und denen, die z.B. nur die Stellenkürzungen ablehnen wollten.“(S.8)

„Die „kreativen“ Aktionen verloren ihren emanzipatorischen Gehalt“ (S.9)

„Es drängt sich der Eindruck auf, daß radikale Töne nichts weiter als ein Teil der Corporate Identity sind, und zum Image studentischen Protestes dazugehören.
Es ist interessant, die Entwicklungen zu verfolgen, wie sich einerseits der Hochschulumbau, basierend auf der Standortlogik, schrittweise durchgesetzt und auf der anderen Seite die StellvertreterInnen radikale Kritik abdrängen und sich schließlich im gleichen ideologischen Becken wie die Umbauer befinden.“

„Inwieweit erkennen die Studierenden die Tragweite der derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklung, die zur Verschlechterung der Lebensbedingungen der Mehrheit der Bevölkerung führt? Inwieweit können sie sich von ihrem Vorlesungs- und Klausuralltag lösen? Sind sie überhaupt in der Lage zu kämpfen oder kapitulieren sie bereits, bevor sie angefangen haben? Wird der Streik wie so oft zum Knallfrosch, zwei Wochen aktiv zu sein und danach wieder in der Versenkung zu verschwinden oder Auftakt einer längerfristigen Organisierung?“(S.11)

„Ausdrücklich wurde darauf hingewiesen, dass es nicht zu einer Blockade prüfungsrelevanter Veranstaltungen kommen sollte.“(S.13)

„Ein „Streik“, auch ein „konstruktiver“, ist eine Zeit des Ausnahmezustands, eine Zeit vielschichtiger Aktivitäten, von vielfältigen Selbstorganisierungen und unzähligen Diskussionen. Ein zentraler und äußerst Bedeutender Punkt ist die stattfindende Aneignung universitären Raumes durch die Studierenden und damit die zumindest prinzipielle Öffnung anderen gesellschaftlichen Gruppen gegenüber.“(S.15)

„Jede Auflehnung und Infragestellung des bestehenden, die mit einer nichtvorschriftsmäßigen und spontan aufbauenden Aktivität einhergeht (der Streik steht schließlich nicht in der Studienordnung), birgt eine eigene soziale Dynamik in sich. Diese zeichnet sich durch Dezentralität und Unkontrollierbarkeit von Autoritäten und institutionalisierten Vertretern aus“(S.16)

„Wenn selbst das Streikkomitee partiell den Überblick verlor, so ist das kein Zeichen von Schwäche sondern von Stärke.“(S.16)

„Es [das Streikkomitee] sollte sich vorallem davor hüten, durch Kontrollverlustängste die Eigendynamik zu ersticken oder gar interne Hierarchien auszubilden. Wer alles steuern will, wird alles kaputt machen. Natürlich sollte es dabei nicht auf eigene Inhalte und Aktionen verzichten.“(S.16)

„Während auf der einen Seite dem symbolischen Protest öffentlicher Raum gegeben wird, sollen ihm aber ganz klar Grenzen gesetzt werden.“(S.20)

„Einer sozialen Bewegung klare Grenzen zu setzten, ohne den Polizeistaat zu offensichtlich werden zu lassen, ist theoretisch nicht möglich, praktisch aber anscheinend schon. So „eskaliert“ nichts und alles bleibt „schön friedlich“. Natürlich nach der Definition der grundfriedlichen Polizei.“(S.20)
[Anm. des Schreiberlings: ...Totenruhe ... Grabesstille...]

„Als Kanzler, Prorektoren und StuRa-Sprecher eintrafen, zogen sie sofort das Geschehen an sich. Aus dem Plenum wurde eine Podiumsdiskussion, dessen Podium eben aus den Neuankömmlingen bestand [...]während alle anderen als Masse ihren schlauen Worten zu lauschen haben, als wäre das natürlich.“ (S.22)
[Anm.: diese Taktik ließen sich auch die SchulleiterInnen in Bielefeld nicht nehmen]

„Die Mündigkeit eines jeden Einzelnen steht dem Vertreterwesen entgegen.“(S.22)

„Die praktischen Schlussfolgerungen liegen auf der Hand. Schmeißt den Fernseher aus dem Fenster und macht euch selbst einen Kopf. Wenn die „Masse“ aufhören will, bloße [Verhandlungs]Masse zu sein, muss sie sich von den Lippen von Uni-/Bundeskanzler, StuRa-Sprechern, DGB-Vorsitzenden [Anm.:und anderen Geiern] abwenden. Wenn die eigenen Angelegenheiten von anderen geregelt werden, hält man irgendwann die Meinung anderer für die eigene.“(S.23)

„Wenn sich Vertreter auf ihre Kompetenz berufen, muss man hinzufügen, dass ihre Fähigkeiten eine Folge der Entmündigung der Leute ist, die sie vertreten.“(S.23)

„Während Behauptungen wie „Schwarze sind stark, aber dumm und daher für körperliche Arbeit geeignet“ oder „Frauen sind eher häuslich veranlagt und gehören daher an den Herd“ mittlerweile zum Glück meistens als reaktionärer Unsinn zurückgewiesen werden, wird der hinter Selektion im Bildungswesen steckende Biologismus der „Begabung“ so gut wie nie als solcher erkannt, geschweige dann kritisiert. Dabei sind sich die Argumentationsmuster durchaus sehr ähnlich: wer auf den unteren Stufen der Gesellschaft steht, unangenehmere Arbeiten verrichten muss etc., wird wohl von Natur aus dafür vorgesehen/ geschaffen sein. Gesellschaftliche Verhältnisse werden dabei als „natürlich“ begründet (oder zumindest hingenommen), obwohl sie doch von Menschen geschaffen und also auch von ihnen veränderbar sind.“(S.26)

„Besonders als Regierungshandeln steckt hinter solchen Positionen [Anm.: der reformpädagogischen Forderungen nach Chancengleichheit etc.] immer auch ein wohlverstandenes Staatsinteresse: wenn „wirklich Begabte“ in die Spitzenposition kommen, werden sie diese wohl besser ausfüllen können, als Leute, die v.a. wegen ihres familiären Hintergrundes in sie gekommen sind.“(S.27)

„Kritisch anzumerken ist m.E. außerdem, dass wenn in Eigeninitiative (!) eine (zumindest partielle) Übernahme von Aufgaben erfolgt, aus denen sich der Staat vermehrt zurückzieht, ohne grundlegend die Funktion dieser Aufgaben für den Kapitalismus zu hinterfragen, durchaus die Gefahr besteht, zur sogenannten „neoliberalen“ Modernisierung beizutragen.“(S.44)

Noch ein Bericht

... 28.04.2005 - 02:06
Ein weiterer Bericht über die Besetzung beim Webwecker Bielefeld

 http://www.webwecker-bielefeld.de/servlet/is/26000/?highlight=besetzung,light,

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