1-Euro-Jobs in Berlin

arbeitslose sozialschmarotzer 22.03.2005 21:22 Themen: Soziale Kämpfe
was die chefs über ihre 1€-Jobber und die 1€-Jobber über ihre chefs sagen...
wir waren wieder unterwegs in berlin und haben das gespräch mit 1€-jobbern gesucht und gefunden. wo werden sie eingesetzt, wie werden sie vermittelt, unter welchen arbeitsbedingungen und wieviel geld gibt es tatsächlich?? viele fragen mit vielen antworten.
Ein-Euro-Job-Spaziergang am 08.03.2005 in Berlin / Prenzlauer Berg

Zusammenfassung

TeilnehmerInnen: anfangs ca. 12, später ca. 8



1. Station: Jobcenter in der Straßburger Straße

Zur Einstimmung begab sich die Gruppe von Ein-Euro-Job-Betroffenen, ALG
2-EmpfängerInnen und sonstigen an dem Thema Interessierten um ca. 11:00
Uhr in das Jobcenter in der Straßburger Straße, das speziell
Jugendliche und junge Erwachsene bis 25 Jahre betreut. Dabei handelt es
sich um die Gruppe von ALG 2-EmpfängerInnen, die bevorzugt in MAE (=
Mehraufwandsentschädigungs-)-Maßnahmen (Ein-Euro-Jobs) vermittelt werden
sollen.

Leider haben wir keine Jugendlichen angetroffen, die derzeit entsprechende
Maßnahmen absolvieren. Die in den Warteräumen wegen Leistungsbezugs
wartenden Jugendlichen (in einem Raum etwa acht, in einem anderen etwa 15
Personen im Alter zwischen ca. 16 und ca. Anfang 20), die wir nach ihrer
Einschätzung bezüglich Ein-Euro-Jobs fragten, lehnten diese für sich
einhellig ab.

Die völlige Abwesenheit von Maßnahmenbetroffenen machte uns stutzig,
weshalb wir bei einer Mitarbeiterin des Jobcenters nachfragten. Sie
versicherte uns, dass dieses Jobcenter sehr wohl schon umfassend in
entsprechende Maßnahmen vermittelt und bat uns, für weitere Informationen
bei der Abteilungsleiterin vorzusprechen, die jedoch nicht
anwesend war.


2. Station: Verwaltung eines im soziokulturellen Bereich tätigen Trägers
in Prenzlauer Berg

Unangekündigt betraten wir das Büro des für "Beschäftigungsförderung"
zuständigen Mitarbeiters, Herr R., der die Ein-Euro-Stellen in seinem Haus
koordiniert. Nach anfänglichem Widerstreben zeigte sich Herr R. halbwegs
auskunftsbereit. Er weigerte sich allerdings im gesamten Gesprächsverlauf
beharrlich, die Zahl der von seinem Träger eingesetzten MAE-Beschäftigten
und ihre Einsatzbereiche zu nennen. Laut den Vorerkundungen der
Vorbereitungsgruppe beläuft sich ihre Zahl jedoch auf 80 Personen in zwei
Kontingenten (50 und 30 Personen), die schon seit dem letzten Jahr (2004)
beschäftigt werden und von denen einige auch externen, nicht zum Träger
gehörenden Einrichtungen (sog. Kooperationspartner) zur Verfügung gestellt
wurden. Auch wollte Herr R. uns verbieten, auf dem Gelände und in den
Einrichtungen des Trägers eigenmächtig nach Ein-Euro-Jobbern zu suchen.

Zum Aspekt des Zwangscharakters von MAE-Maßnahmen befragt erklärte er,
dass der Träger im Einzelgespräch strikt auf das Einverständnis der / des
Betroffenen zu der jeweiligen Maßnahme achte. Dies geschähe insbesondere
deshalb, weil die MAE-ler beim Träger vor allem im Bereich der Kinder- und
Jugendarbeit tätig sind, in dem unmotivierte MitarbeiterInnen nicht zu
verantworten wären. Herr R. stimmte jedoch unserer Einschätzung zu, dass
"freiwillig" vor dem Hintergrund des geringen ALG 2-Regelsatzes und der
Notwendigkeit für jeglichen - und sei er auch noch
so geringfügigen - Zuverdienst nicht wirklich zutreffend ist.

Befragt, ob die Beschäftigung von MAE-lern in seinem Hause reguläre
Beschäftigungsverhältnisse gefährde, vertrat Herr R. den Standpunkt, das
Gegenteil sei der Fall, und meinte damit nicht nur seinen eigenen Job. So
sei es für den Träger mit Ein-Euro-Jobs möglich, Leistungen anzubieten,
die ansonsten nicht finanzierbar seien, wodurch auch reguläre
Beschäftigungsverhältnisse geschaffen oder zumindest erhalten würden.

Besonderen Wert legt der Träger laut Herrn R. auf die Qualifizierung der
MAE-ler. Pro maximal 15 Beschäftigte gebe es einen Coach und darüber
hinaus aufgrund der interdisziplinären Struktur des Trägers umfassende
interne Qualifizierungsmöglichkeiten, die auch wahrgenommen würden. Nicht
ohne Stolz und Rührung berichtete er von erfolgreichen Beispielen in
seinem Haus.

Grundsätzlich habe es sich der Träger bei der Entscheidung über den
Einsatz von Ein-Euro-Jobbern nicht leicht gemacht und sich letztlich dafür
entschieden, weil die positiven Aspekte für die Betroffenen überwögen.
Insgesamt zeigte sich Herr R. mit unseren Argumenten gegen Ein-Euro-Jobs
vertraut und kannte auch einige Veröffentlichungen Hartz-kritischer
Gruppen, was sich wahrscheinlich aus dem alternativen Duktus des Trägers
erklärt.

Im weiteren Verlauf des Spaziergangs hatten wir dann die Möglichkeit, uns
auch mit den Positionen von bei diesem Träger beschäftigten
Ein-Euro-JobberInnen, sozusagen "der anderen Seite", vertraut zu machen.


3. Station: zwei im Bereich Kinder und Jugendliche tätige Einrichtungen
dieses Trägers

Die Leiterin der ersten der beiden von uns besuchten Einrichtungen
erklärte, dass sie aus grundsätzlichen Erwägungen den Einsatz von
Ein-Euro-JobberInnen in ihrer Einrichtung ablehne, was der Träger offenbar
akzeptiere.

In der zweiten Einrichtung trafen wir eine etwa 40jährige
Ein-Euro-Jobberin, die früher als Sekretärin tätig war und nun für den
Träger ebenfalls Sekretariatsarbeiten erledigt. Die ihr durch den Träger
angebotenen Qualifizierungsangebote betrachtet sie als für sich nicht
wirklich sinnvoll und versucht daher, sich unabhängig vom Träger selbst
weiterzubilden. Eine Rückkehr in den 1. Arbeitsmarkt erwartet sie nicht
mehr.



4. Station: eine im Bereich Kinder und Jugendliche tätige Einrichtung des
Trägers

In der Einrichtung trafen wir vier Ein-Euro-JobberInnen an. Leiterin war
eine Mitarbeiterin mit einem Halbjahresvertrag. Alle vier MAE-ler haben
ihre Tätigkeit noch in 2004 aufgenommen, arbeiten also "freiwillig", da im
letzten Jahr bei Ablehnung noch keine Kürzung der Bezüge erfolgte. Eine
der vier MAE-ler hat sich sogar gezielt um die Stelle beworben, um in
ihrem Berufsfeld tätig sein zu können.

Die Mehraufwandsentschädigung beträgt EUR 1,50 pro Stunde bei 30, häufig
auch mehr Wochenstunden. 10 Wochenstunden seien für Jobsuche vorgesehen,
wobei ein Nachweis der Suche nicht erforderlich sei. Tatsächlich hält die
Menge der Arbeitsstunden die Befragten nach eigener Aussage von der
Jobsuche ab.

Die Einrichtung verfügten in dieser Abteilung bis 2001/2002, als radikale
Kürzungen vorgenommen wurden, über mehrere feste Stellen. Nach deren
Wegfall wurden ABM- und
SAM-Kräfte eingesetzt, die wiederum Ende 2004 von den vier MAE-lern sowie
der Leiterin ersetzt wurden.

Einhellig betonen die MitarbeiterInnen die bezirksweite Bedeutung ihrer
Einrichtung, die Serviceleistungen für Schulen erbringt, die diese bislang
noch auf Eigeninitiative hin nutzen. In naher Zukunft wird den Schulen
jedoch voraussichtlich vorgeschrieben werden, derartige Serviceleistungen
anzubieten, wodurch der Stellenwert der von uns besuchten Einrichtung
deutlich steigen wird. In einem derartigen Fall ließe sich allerdings
nicht mehr von "Zusätzlichkeit" sprechen, was aber ein entscheidendes
Kriterium für Ein-Euro-Jobs darstellt.

Wie auch andere MAE-lern in vergleichbaren Situationen äußerten die
Befragten bezüglich ihrer Arbeit den Wunsch, "sich nötig zu machen". Mit
dem durch sie zu erbringenden Nachweis der "Unentbehrlichkeit" ihrer
Einrichtung verbinden sie die diffuse Hoffnung zu festen Stellen zu kommen
- wenn auch zugestanden wird, dass diese Aussicht de facto kaum besteht.
Lediglich einer der vier MAE-ler bewertet seine Situation auf dem
Arbeitsmarkt als positiver als vor der Maßnahme und rechnet sich Chancen
für eine reguläre Beschäftigung aus, während die übrigen sich keinerlei
Verbesserungen erwarten. Eine Frau sprach sogar von einem "Missbrauch von
Hoffnungen, Kompetenzen und Fähigkeiten".

Die Arbeit im Team empfinden alle als sehr positiv, leiden jedoch unter
der fehlenden Perspektive und dem bevorstehenden Auseinanderbrechen der
Gruppe. Alle möchten gute Arbeit leisten und würden diese gerne
weitermachen, dürfen aber nicht. Als besonders problematisch für die
Gruppenarbeit wird die hohe Fluktuation der Beschäftigten betrachtet.

Zum Thema Qualifizierung im Rahmen der Maßnahme äußerten sich die MAE-ler
skeptisch. Zwar gebe es Angebote durch den Träger, diese seien aber nicht
immer spezifisch für ihren Arbeitsbereich. Außerdem würden z.B. auch
allgemeine Teamsitzungen als Qualifizierung zählen, was man als Indiz für
die Entwertung des Anspruchs auf Qualifizierung betrachten kann. Im
Endeffekt fahren die MAE-ler daher die Strategie, sich die sie
interessierenden bzw. betreffenden Qualifizierungsmöglichkeiten selbst zu
suchen und vom Träger genehmigen zu lassen. Die trägerseits für
Qualifizierung und administrative Betreuung zur Verfügung stehenden ca.
EUR 300,00 pro Monat und MAE-ler würden für Qualifizierungszwecke jedoch
niemals ausgeschöpft.

Widersprochen wird der von Seiten von Trägern häufig vorgebrachten
Behauptung, Ein-Euro-JobberInnen machten für den Träger mehr Arbeit als
sie Nutzen brächten. Im Gegenteil vertraten unsere GesprächspartnerInnen
die Einschätzung, dass Ein-Euro-Stellen bei ihrem Träger geschaffen wurden
um Geld zu machen.

Allgemein waren die MAE-ler offenbar froh, mit Interessierten über ihre
Erfahrungen sprechen und sich austauschen zu können. Einer bedankte sich
gar "für den frischen Wind". Es wurde deutlich, dass von Seiten der
Betroffenen Bedarf an Gesprächen über diese Art von Arbeit und die ihr
zugrunde liegenden Mechanismen besteht.
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Ergänzungen

respekt

rumpel 23.03.2005 - 09:00
ahoi liebe sozialschmarotzer,
die idee sich mit den betroffenen vor ort auseinanderzusetzen ist wirklich groszartig. dafür erstmal 'n dickes bienchen ;)
die von euch zusammengetragenen infos über die beschäftigung von 1€sklaven könnt ihr übrigens auf labournet.de in einer bundesweiten liste "schwarzer schafe" öffentlich machen.
Link zur Liste:  http://www.labournet.de/agenturschluss/schwarzeschafe.php
solidarische grüsze!!