Werkzeuge zur Rettung der Erde?

Hans Göpfert 15.12.2004 23:51 Themen: Ökologie
Statt Kinder durch UMWELTBILDUNG zu instrumentalisieren, müssen sich Erwachsene ihrer eigenen Verantwortung stellen
Eine Verkehrsflut bricht über uns herein. Was ist angesagt?
Verkehrserziehung!
Eine neue Medienwelt wird uns übergestülpt. Was ist die logische Folgerung?
Medienerziehung!
Kriege allenthalben! Was ist also nötig?
Friedenserziehung!
Menschen zerstören die Umwelt. Die logische Konsequenz?
Umwelterziehung!

Seit zwei Jahrzehnten und länger gibt es diese Erziehungssparten. Sie haben die Gesellschaft bzw. die Welt im behaupteten Sinn nicht wesentlich beeinflußt und werden dies wohl auch in Zukunft kaum tun. Sie haben auch eine andere Absicht:

Sie sehen junge Menschen als Objekt, den sie an die moderne Welt anpassen wollen. Sie geben für die Bildungsinstitutionen neue Legitimationsquellen ab.

Allerdings ist auch zu fragen, ob diese Erziehungssparten nicht gerade das Gegenteil von dem bewirken, was sie als Ziele vorgeben. Werden sie doch oft im Kontext von Zwangsmaßnahmen - dies gilt in erster Linie für die Schule - praktiziert.

Bildung statt Erziehung?

Vor allem wegen dieses Beigeschmacks von Zwang nennt man pädagogisch begründete Einwirkungen auf junge Menschen heute oft nicht mehr Erziehung, man spricht von Bildung. Dies hat auch andere "positive" Begleitwirkungen:

Während man Erziehung im allgemeinen auf Kinder und Jugendliche beschränken muß, hat der Bildungsbegriff Menschen aller Altersstufen anzugehen. "Lebenslang lernen" lautet das Motto. Man kann sozusagen die ganze Gesellschaft "einspannen". Während in Diktaturen die Schulung im Sinn der herrschenden Ideologie den Menschen vereinnahmen soll, tritt in der Demokratie an ihre Stelle "Bildung". Zumal der Bildungsbegriff wissenschaftlichen Charakter beanspruchen kann, ist er hier der Basisbegriff für Herrschaft. Anstatt sich mit dem Repressionscharakter von Erziehung ernsthaft auseinanderzusetzen, haben die Vertreter der Umweltbildung nur den Namen geändert; ja noch mehr: sie haben einen Begriff gewählt, dessen Repressionsmöglichkeiten weitreichender sind.

In Diktaturen kann Verweigerung lebensbedrohlich sein, in Demokratien zieht die Mißachtung von Bildung vergleichsweise harmlosere "Strafen" nach sich. Menschen steigen aus - aus Bildung wie Politik gleichermaßen - , um "Selbstverwirklichung" zu praktizieren. Muß man sie deshalb diskriminieren, oder handeln sie nicht sinnvoll, zumindest logisch im Rahmen des Bildungssystems und des politischen Systems?

Beim hohen Wert von Bildung in unserer Gesellschaft ist es verständlich, daß vor allem staatliche Stellen nicht geringe finanzielle Mittel dafür zur Verfügung stellen. Dies gilt auch für die Forschung. Sie wird allzu oft zur Beeinflussung bzw. Dienstbarmachung von Menschen betrieben, weniger unter dem Aspekt der Ermöglichung einer humanen und freiheitlichen Selbstbestimmung.

Erfolglose Umweltbildung

Ein Beispiel. Anfang der 80er Jahre wurde der erste Landschaftsplan für meine Heimatstadt Regensburg erstellt, 1983 wurde er einstimmig vom Stadtrat verabschiedet. Als Mitglied des Bund Naturschutz wirkte ich bei der Erstellung der Planes mit, seit seiner Verabschiedung versuche ich bei Stadträten und Mitgliedern der Verwaltung auf die Umsetzung der Beschlüsse hinzuwirken. Meine Bemühungen blieben erfolglos.

Als Schwerpunkt meines Engagements wählte ich die Renaturierung des Aubachs, eines stattlichen Bachsystems von etwa 25 km Länge. Gerade 500 m darf der Bach mäandrierend fließen. Seit Verabschiedung des Landschaftsplans gab die Stadt Hunderttausende DM für Renaturierungspläne aus, doch außer kosmetischen Verbesserungen geschah nichts. Vielmehr wird der Bach weiterhin verlegt, verrohrt, begradigt, kanalisiert, entwässert die Stadt seine Feuchtwiesen und überbaut sie.

Tagelang verbrachte ich beim Studium von Dokumenten und Gutachten, bei der Vorbereitung von Vorträgen. Doch welchen Sinn hatten diese umweltbildnerischen Studien? Habe ich etwas falsch gemacht? Nicht einmal als Hofnarr wurde ich anerkannt, man ließ mich einfach ins Leere laufen. Umweltbildung als verlorenes Leben, durch Bildungsideologie motivierter Teil von Selbstzerstörung?

In Deutschland werden zur Zeit pro Tag 1,2 Quadratkilometer Naturfläche "verbraucht", versiegelt - eine erschreckende Bilanz. Die Folgen bekommen vor allem zukünftige Generationen, insbesondere Kinder zu spüren, die immer stärker aus Naturräumen ausgegrenzt werden.

Auch um Regensburg hat sich ein viele Quadratkilometer umfassender Halbring von Industrie- und Gewerbegebieten gelegt. Immer größere Ausmaße nehmen die ausgewiesenen Flächen an. Diesen Prozeß zu beeinflussen, ist völlig aussichtslos. Was helfen da Umwelt-Bildungs-Studien?

Geben wir "gebildeten Naturschützer" nicht oft nur "nützliche Idioten" für die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft ab, die an uns - gerade wegen unserer Machtlosigkeit - ihr Gewissen abgeben?

In den 80er Jahren wurde die Donau von Regensburg bis Vilshofen kanalisiert. Von den über 100 Altwässern wurden mehr als 90 zerstört, zwei als Naturschutzgebiete ausgewiesen. Wo vorher kein Naturschutzgebiet war, sind es jetzt zwei. Das Projekt: ein ungeheurer Verlust für die Natur und ein schöner Propaganda-Erfolg für die Politik!

Dabei hatten Naturschützer in qualifizierten Veröffentlichungen die einmalige Natur in diesem Gebiet bzw. das Ausmaß ihrer Zerstörung beschrieben und für den Erhalt dieser "Schätze" in der Öffentlichkeit eindringlich geworben. Ergebnislose Umweltbildung!

Da plädieren Politiker aller Richtungen einträchtig für Umweltbildung, anstatt, wie es bei einem demokratischen Diskurs üblich sein sollte, auch ihre Schwachstellen, ihre Verlogenheit, den Ideologiecharakter aufzudecken. Da plädieren Politiker für Umweltbildung, während man - will man Umwelt und Natur schützen - gegen sie tagein, tagaus ankämpfen muß.

Die negativen Beispiele und Überlegungen sollen selbstverständlich die positiven Möglichkeiten für Umweltbildung nicht übergehen. So machen etwa Einrichtungen der Erwachsenenbildung, Naturschutzverbände und andere Organisationen Angebote, die Interessenten Wissen im Umwelt- und Naturbereich vermitteln. Doch diese Möglichkeiten beziehen sich weniger auf den öffentlichen Bereich, sie dienen vielmehr eher der persönlichen Wissensbereicherung: Energiesparen, ökologischer Hausbau, Wissen über Naturbereiche usw.

Schule: Kein Ort für Naturerleben

Meine Frau ist Lehrerin an einer Regensburger Grundschule. Für Kinder - und mit ihnen - legten wir, auch mit anderen Erwachsenen, einen "Wildgarten" an. Die jungen Menschen liebten ihren "Dschungel", er war Ort der Entspannung, des Spiels, des Träumens, der künstlerischen Betätigung, des Erkundens, des Gesprächs. Sicher: Kinder lernten auch manches, doch wurde dies nie als Grundlage des offiziellen Lehrplans verwertet, sondern Leitmotiv war das Miteinander-Erleben der Natur.

Trotz vorsichtiger Werbung suchte von den anderen sieben Klassen nur eine einzige den Garten auf. Als nach zehn Jahren die Schule saniert wurde, machten Baumaschinen den Garten "platt". Keine Erinnerung wird an ihn verwendet.

Der Garten war ein Kontrastprogramm im System "Schule". Schulische Umwelterziehung bzw. -bildung läuft in der Regel anders ab. Sie ist oft fremdbestimmt, zwanghaft verordnet, nimmt den jungen Menschen mit seinen Vorstellungen, Interessen, Wünschen, Ängsten als Gesprächspartner nicht genügend ernst. Sie hat Alibifunktion, zielt auf Periphäres bei der Lösung von Umweltproblemen, vermittelt das falsche Bewußtsein, so als ob mit ihr Entscheidendes im Sinne der Lösung von Umweltproblemen angestrebt und erreicht werden könnte. Schließlich dient Umweltbildung der Verdrängung im Bewußtsein von Erwachsenen, verwechselt den Adressaten, so als ob Kinder Umwelt und Natur zerstörten.

Bildung - Umweltbildung ist hierbei integrativer Bestandteil - bedeutet in unserer Gesellschaft vor allem berufliche Aufstiegschancen und soziales Prestige. Zur Konsequenz hat dies (schulische) Auslese. Damit "Auslese" auch jeden einzelnen erfaßt - sozusagen das demokratische Prinzip der Gleichheit verwirklicht wird - , wird sie, durch die Schule, zwangsweise betrieben. Das bedeutet:

Schulzwang: Jeder junge Mensch muß die Schule in der Regel mindestens neun Jahre besuchen. Er hat täglich die ganze Unterrichtszeit anwesend zu sein.

Zwangsbelehrung: Der Schüler kann sich der Belehrung durch den Lehrer nicht entziehen.

Zwangsindoktrination: Weitgehend sind die vorgegebenen Inhalte, weniger durch pädagogische, eher durch staatliche und Gruppeninteressen, vorbestimmt. Sie dienen der Anpassung an Systeme und die sie legitimierenden Ideologien. Umweltbildung spielt hierbei eine nicht unwichtige Rolle.

Lernzwang: Für den Schüler genügt es nicht, diese ideologisch bestimmten Konzepte einfach kennenzulernen. Er muß sie sich durch Lernen aneignen und so verinnerlichen. Selbstbestimmung beim Lernen ist in der Schule fast völlig ausgeschlossen.

Zwangsprüfung: Die Ergenisse der Bildung werden durch Prüfungen kontrolliert. Wenn jemand eine Prüfung verweigert, erhält er nicht - was bei einfacher Logik naheliegend wäre - keine Note, sondern vielmehr eine Bestrafung durch ein disqualifizierendes "ungenügend".

Zwangsruhigstellung: Die Ruhigstellung des Schülers ist Vorbedingung dafür, daß die genannten Zwangsmaßnahmen greifen und ihre Wirkung optimiert wird.

Eigentlich ist es überflüssig, darauf hinzuweisen, daß (schulische) Bildung grundlegende Menschenrechte verletzt.

Alternativen

Man kann Pädagogik von den Bedürfnissen der Gesellschaft und ihrer herrschenden Vertreter aus formulieren - eine Antipädagogik war die logische und notwendige Folgerung (die - auch wieder allzu verständlich - an den Universitäten nicht Fuß fassen konnte bzw. dort nur abqualifiziert wurde). Man kann die Mitmenschen als Objekte seiner (idealen, ideologischen) Wünsche und Begierden sehen, dann ist die Konsequenz "Umweltbildung".

Rainer Dollase schreibt in seinem Artikel "Abschied vom Egotrip": "Das Schul- und Bildungssystem geht mit dem Menschen radikaler um als wir mittlerweile mit Natur." Wenn man bedenkt, was "radikal" im Umgang mit Pflanzen und Tieren bedeutet, dann ist dies eine über alle Maßen erschreckende und doch gleichzeitig banale Feststellung in bezug auf junge Menschen.

Man kann Pädagogik aber auch als den Versuch sehen, von den Bedürfnissen und Interessen des jungen Menschen aus zu denken und zu handeln. Klar: "Die Pädagogik vom Kinde aus" blieb meist auf halbem Wege stehen, aber es gibt ja mittlerweile konsequentere Ansätze. Ich selbst habe viel von den Vertretern einer Nicht-Erziehungs-Bewegung gelernt, wie Hubertus von Schoenebeck oder Ekkehard von Braunmühl. Zwei Ansätze wären zu verwirklichen:

1. Kinderrechte und Umweltbildung

Kinder sind "rechtsunfähig". Gerade die Schwächsten in unserer Gesellschaft können nicht die Rechte unseres Grundgesetzes für sich einfordern. Statt "Zwangslernen" wäre das "Recht auf freie Bildung" zu verwirklichen. (Grundgesetz Artikel 12: [2] "Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden... [3] Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.")

"Mehr Rechte für Tiere" lautet heute eine Forderung. Warum nicht damit beginnen, Selbstbestimmungsrechte für Kinder einzufordern und zu verwirklichen?

Man kann das (staatliche) Schulsystem nicht human verändern, das hat dieses Jahrhundert eindeutig gezeigt. Dem stehen massive und einflußreiche Interessen von Politikern und "Bildnern" eindeutig entgegen. Man kann aber dafür eintreten, daß junge Menschen als rechtsfähig anerkannt werden, um sie in die Lage zu versetzen, sich dem demütigenden, erniedrigenden und freiheitsberaubenden Schulsystem zu entziehen. Erst in einer Bildungsinstitution, die von rechtsfähigen Kindern und Jugendlichen besucht wird, d.h. in der das Recht auf freie Bildung gewährleistet ist, scheint mir freies, der Würde des Menschen angemessenes Lernen gewährleistet.

2. Naturbezogene Pädagogik

Naturbezogene Pädagogik steht unter dem Motto: Sinnvoll (naturbezogen) leben und andere - Erwachsene, Kinder und Jugendliche - an diesem Leben teilhaben lassen. Die Einladung zum Mit-Leben schließt Selbstbestimmung ein: mitmachen wollen bzw. ablehnen können. Dabei kann diese Einladung nicht nur von Erwachsenen ausgehen: Kinder fordern uns Erwachsene oft zum Mitmachen auf, und indem wir auf ihr Angebot eingehen, bereichern wir unser Leben und verändern es.

Zwei Begriffe spielen in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle: "Zeit" und "Erleben". Das Motto der Vertreter von Nicht-Erziehung "Zeit für Kinder" hat mir viel zu denken gegeben und mein Handeln verändert. Für den Natur-Erlebnisbegriff gibt es mittlerweile ausgezeichnete Literatur-Beispiele. Naturschutzverbände und andere Freizeitorganisationen bieten sich zudem als Vermittler von Naturerlebnissen an. Da sie sich jedoch mit ihren Aktivitäten oft an die Schule anlehnen, diese dabei in ihrem Zwangscharakter nicht in Frage stellen, leisten sie auch einen nicht unbedeutenden Beitrag zur Legitimierung von Zwangsbildung.

Eine freiheitlich orientierte Pädagogik zielt nicht darauf ab, durch junge Menschen die Gesellschaft verändern zu wollen. Menschen, die sich einer zweckfreien Pädagogik verpflichtet fühlen, möchten vielmehr Kinder und Jugendliche um ihrer selbst willen beachten - so schwierig das sein mag, vor allem aus erkenntnistheoretischen und praktischen Gründen.

Bitte alle aussteigen

Wenn Natur und Umwelt in immer größerem Umfang zerstört werden, so haben Erwachsene darauf zu reagieren. Ob man dazu "gebildet" sein muß, erscheint mir allerdings mehr als fraglich. Vielmehr hat der Bildungsbegriff vor allem andere Aufgaben: Er leistet gerade das Gegenteil dessen, was er vorgibt, indem er nämlich ein Mittel zur Verschleierung einer zerstörerischen Politik darstellt. In seiner elitären Bedeutung dient er der Stabilisierung von Herrschaft, wobei auch Zwangsmaßnahmen eingeschlossen sind; er fordert geradezu zum "Aussteigen" auf. Solange Bildung - und damit auch Umweltbildung - als staatstragende Ideologie verstanden wird, interpretiere ich mich eher als bildungsresistent. Das schließt nicht aus, daß ich weiterhin neugierig bin, meinen Verstand gebrauchen und mich auch einmischen werde.
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Ergänzungen

Erziehung - Rebellíon

Mmh... 12.04.2005 - 10:25
Da eine ERziehung zur Vernunft auch grundsätzlich Rebellion gegen ebendiese verursacht, ist diese Vorgehensweise denkbar fragwürdig. Verantwortungsbewustsein kann man vorleben, aber nicht anerziehen!

Richtige Intention also:
lasst uns der Jugend ein besseres Vorbild sein!

Nen kleinen Rechtlosen zu domestizieren is unwelttechnisch auch sehr wenig effektif.