Die kommen wieder - Berliner Montagsdemo

erik 16.08.2004 23:57 Themen: Soziale Kämpfe
Die erste Montagsdemo in Berlin ist vorüber. Trotz nicht unangebrachter Befürchtungen tobte kein völkischer Mob durch die Strassen, sondern hauptsächlich Menschen, auf die das Wort Kleinbürgertum zutreffen dürfte.
Vorurteilsbeladen, wie mensch als Wessi meist nun mal ist, denke ich so rein nach Haartracht, Kleidungs und Ausstrahlung beurteilend, waren die TeilnehmerInnen 80% Ossis. Darunter viele, die das Alter von 40 überschritten haben dürften.
Sicherlich waren einige Nazis und nationalgesinnten Idioten am Start, aber ich für meinen Teil habe keine Präsenz in Form von Tranpsis o.ä. wahrgenommen. Neben einer verwirrten Frau und einer Prügelei schien alles ganz glatt gelaufen zu sein.
Angeblich sollen es 30.000 Menschen gewesen sein, die vom Alexanderplatz über Kreuzberg zur SPD-Zentrale zogen – das meinten die Veranstalter. Die Bullen sprachen von 15.000 und haben damit wahrscheinlich recht; ich hätte die Zahl sogar auf weniger geschätzt.

Wie dem auch sei, der Großteil der Leute war unorganisiert, zumindest schleppten sie keine Fahnen und Schilder der diversen Organisationen mit sich, sondern eher selbst Gebasteltes. Die diversen Gruppen waren aber auch da: Ver.di, attac, SAV, Linksruck, FAU, Wahlalternative, PDS und ein paar Organisationen, von denen mensch sich immer wundert, dass es so etwas tatsächlich bzw. immer noch gibt.

Die Bullen waren zahlreich vertreten (400?) hielten sich im Hintergrund. Keine Kampfmonturen (außer später an der SPD-Zentrale), ein paar Anti-Konflikt-Schnauzbärte, ein paar Nervereien schwarzkapuzierten Jugendlichen gegenüber. Ein paar Dutzend Antifas schienen durch die Demo zu patrouillieren...

Es gab einen Lautsprecherwagen der Demoleitung auf dessen Pritsche sich eine Band, ein Einheizer (naja) und ein offenes Mikro im vorderen Drittel des Zuges bewegte (Die PDS Brandenburg hatte auch einen Wagen dabei, ich bekam aber nicht mit, ob darüber geredet wurde) Geschmacksache, was über den Lauti zu hören war, wie gesagt zum Teil Offenes Mic - aber kurz gesagt kam meiner Meinung nach mehr Stimmung rüber, sei es per Musik und Gesang oder den Redebeiträgen, als auf den meisten linksradikalen Latschdemos (a la Konservenmucke, Jingles und Redebeiträge vom Band). War es am Anfang eher noch etwas lahm, steigerte sich dann an der weiträumig abgesperrten SPD Parteizentrale die skandierten Rufe aus tausenden Kehlen doch zu beieindruckenden Schallwellen. Neben dem selbstironischen Ruf „Die Mauer muss Weg“, hiess es: „Wir wollen hier durch“ „Wir sind das Volk“ (Aua), „Hartz in die Elbe, Schröder in die selbe“. Zum Schluss erscholl noch drohend „Wir kommen wieder“.

Das wird sogar stimmen. Die Demo war ein Erfolg, ohne große Mobilisierung kamen recht viele Leute zusammen. Die Berliner Presse half den Termin zu verbreiten. Viele der Menschen sind wahrscheinlich wirklich von Sorge getrieben und wie gesagt, es scheint nicht die völkische Motivation zu sein, die hier zusammenschweißt, auch wenn die Worte von „Wir sind das Volk“ in den Mund genommen werden. Es gab einige Redebeiträge und Aufforderung in Richtung „ausländische Mitbürger“ und auch die MigrantInnen wurden nicht vergessen. Die Rufe nach „Streik“ bekamen Szeneapplaus. Es bleibt abzuwarten, welche Dynamik das nimmt. Vielen könnte das heute Mut gemacht haben, auch durch die anderen Proteste im Osten. Angebracht wäre, dass sich die fortschrittliche und radikale Linke in diese Proteste mit ihren Ideen und Inhalten einbringt und nicht nur verächtlicht und borniert darauf schaut (und sich das Maul zerreißt, siehe "ergänze diesen artikel"). Die Leute, die da heute waren, für die meisten wird gelten: Die kommen wieder.
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Ergänzungen

Guter Bericht

The great GATSby 17.08.2004 - 00:33
Stimme im Großen und Ganzen zu. Ein Paar Bilder gibts hier:
 http://de.indymedia.org/2004/08/89403.shtml

Was in dem Artikel nicht steht: Auch "Alles für Alle" und "Gegen Hartz und Niedriglohn hilft Soziale Revolution" mischten sich unter die "Volk"-Floskeln der Organisatoren. Plus, die Medien waren massig da, ob da der CDU-Wahlkampf dahinter steht?

Zeit für Visionen

.. 17.08.2004 - 00:40
Das was "wir" *jetzt* leisten müssen ist es Visionen auf zu zeigen die realitisch sind, die wirkung Zeigen und eben nicht nur Schluss machen mit dem fehlerhaften System, sondern alternative und hoffnung schaffen.

Selbstorganisation ist sicherlich ein Stichwort was viele am ehesten Verstehen werden. Die übernahme von Berieben gleicht einem Streik und zeigt Wege auf die nichts mehr mit Ausbeutung zu tun haben.

Anarchie wird es nicht Morgen geben, und auch nicht nach der Revolution, aber jetzt ist ein guter Zeipunkt die ersten Schritte zu tun.

der veranstalter

name 17.08.2004 - 03:14
war echt super toll. Der Anmelder "Fred Schirrmacher" bediente sich der Polizei um eine Gruppe von linken, die mit einem Fronttranspi die Spitze der Demo, die nicht durch ein Transpi zu erkennen war entfernen zu lassen.
Wir haben die MLPD satt! Nächsten Montag: Treffen für einen linksradikalen Block 17:45 Uhr an der Weltzeituhr!

keine Veränderung ohne die Massen

Lexo Pity 17.08.2004 - 09:17
Stimme dem Verfasser zu. Es war das erste Mal, dass ich Handwerker im Blaumann frisch von der Arbeit auf 'ner Demo gesehen habe, und das machte gar keinen schlechten Eindruck. Viel echte Wut, der political correctnes-Faktor eher eingeschränkt, aber auch kein völkischer Mob (nur wenige Nazi-Hackfressen). Und nur ein Bratwurst-Stand (soweit ich weiß). Ich hatte sogar den Eindruck, dass die Leute relativ offen für (links-)radikalere Impulse waren. Handzettel gingen gerade an sog. Normalos sehr gut weg. Das Misstrauen vieler gegenüber "dem Volk" teile ich gemeinhin, aber die Demo gestern hat mich wirklich positiv überrascht. Da geht noch was...

Kleinbürgertum?

nunca mas 17.08.2004 - 14:34
Wieso sollte das Kleinbürgertum gegen die Agenda 2010 demonstrieren? Das Kleinbürgertum - der Mittelsand- ist doch der Profiteur der Gesetzesänderungen.

Vielleicht sollte mit Begriffen etwas sorgsamer umgegangen werden. Wenn jemand im Blaumann daherkommt, dann gehört er noch lange nicht zum Kleinbürgertum. Dieses umfaßt selbständige Handwerker, Händler, Freiberufler, höhere Angestellte und Beamte.

Für diese Leute werden die Steuern gesenkt, die Sozialversicherung von der Parität befreit und der Kündigungsschutz demontiert.

Davon zu unterscheiden ist das, was man kleinbürgerliche Werte und kleinbürgerliches Verhalten nennen könnte.

Es ist wohl davon auszugehen, daß am Montag die Proleten auf der Straße waren.

Nur sie können diese Ordnung zu Fall bringen.








@The great GATSby

mpld in die Spree 17.08.2004 - 16:18
Die "Alles für Alle" und "Gegen Hartz und Niedriglohn hilft Soziale Revolution" wurden von uns (ca 30 Leuten) unter die "Volk" Parolen gemischt wobei mensch dazu sagen mussen dass wir unsere Sprüche davorne fast allein skandierten währen sich den MLPD-lern ein paar "Normalos" anschlossen. (wir machen für niemand Wahlkampf "Martin Reh in die Spree)
Zu unseren bemühungen die Demospitze einzunehmen kam es nachdem wir (als wir in der nähe des Attac-Blocks mitte der Demo) hörten das die MLPD ihr Transpi vorne hat und dort nicht das Bündnistranspi ist.
Das diese sofort die Polizei einschalteten um uns wieder nach hinten zu schicken überrascht wohl nicht und wir (zu diesem zeitpunkt knapp zehn Leute da die anderen beiden Gruppen später nach vorn kamen) gingen dann als Kompromiss (den letzten Kilometer) vorne links aussen.
Bis auf "die Mauer muss weg" gab es am ende keine einheitlichen sologans und Antifa-Slogans (kurz von der FAU angebracht) wirkten irgentwie lächerlich (vorallem da einigen von uns sehr überracht waren das wir (ein paar sehr friedliche Leute) als "schwarzer Block" wahrgenommen wurde.
von den anderen linksradikalen haben wir nicht viel gesehen (übersehen? oder waren wir zuweit vorne) ausser das uns am Ende (Demospitze kam am Rand des Willi Brand Hauses an) jemand was von dem sich bildenden Block vor attac erzählte.
vieleicht sollte der vorschlag von Name mit 17:45 Weltzeituhr "Alles für alle"-Block (mit mindestens drei-stelliger Teilnhmerzahl) aufgegriffen werden oder vieleicht kann zumindest jemand den Leuten die sich dort mit rosa schwarzen und roten Fahnen sammeln sagen wo sich andere Blöcke treffen.
PS: der typ auf den auf der schwarzen Fahne die Torte zufliegt ist der Hamburger Bildungssenator Jörg Dräger

Die "radikale Linke" war nur Gast

Gizmotron 17.08.2004 - 18:11
Ich kann Eric nur zustimmen. Die "radikale Linke" sollte nicht so verächtlich auf "die Bürger" schauen,sonder sich kreativ einbringen.
Das war halt auch keine ANTIFA-Demo sondern "Bürgerprotest".
Und vieleicht sollte "die radikale Linke" auch etwas forsichtiger agitieren-sonst verschreckt man die Leute noch.
Wer sich von Sat1 und Pro7 unterhalten lässt und Sabine Christiansen als politisches Bildungsfernsehen betrachtet ,könnte verstört auf klare Worte aus dem kommunistischen Manifest reagieren.
Also seien wir kreativ, laut, lustig ( und verständlich für die Leute)!!!
Ich fand es auch erst befremdlich neben Ottonormalverbraucher zu laufen mit der Gewissheit, mit ihm auf der gleichen Demo zu sein und nicht jeder dort war mein Freund- Aber hier entsteht etwas, daß die "radikale Linke" in 50 Jahren nicht geschafft hat.
Die Mobilisierung der Massen : Oder wann hat sich linker Protest in 4 Wochen "ver200facht".Was für eine Dynamik!!
Mir hat es eigentlich Spaß gemacht-war mal was anderes.
Ich gehe auch nächste Woche wieder hin-sonst läuft man irgenwann hinterher!

Eine schöne Woche euch allen....

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