"Carnival der Kulturen" in Berlin + Bielefeld

Niko Ewers 28.05.2004 15:09 Themen: Kultur
Am Pfingstsonntag startet in Berlin die große Straßenparade zum 9. Karneval der Kulturen. Einen Samstag später (5. Juni) folgt Bielefeld, die zweite Hochburg des so anderen, nämlich multi- und interkulturellen Carnivals in Deutschland.
Oft nur als Multikulti-Fest mit "farbenprächtigen Kostümen" und "karibischem Flair" etikettiert, steht der Carnival aber für mehr als dies. Er bietet Menschen jeden Alters und unterschiedlicher sozialer, geografischer und kultureller Herkunft eine Plattform kreativer Selbstbetätigung, gemeinsam ein Stück Utopie zu bewerkstelligen: Wir erobern die Straße, überwinden Barrieren in Kopf und Körper ebenso wie die Grenzen zwischen Klassen, Kultursparten und Kunstgattungen und vereinigen uns in der Vielfalt. Und dafür taugt eben jenes "Play Mas", ein an Masquerade angelehnter Begriff aus der karibischen Carnivaltradition.

Es will dies eine neuartige, soziale Kunstform sein, die das Zusammengehen von Laien und Künstlern, die Begegnung mit verschiedenen Kulturen und die Belebung des urbanen Raums vereinigt. "Nicht die Kunsttempel, nicht die bürokratischen Apparate der Kultur, sondern die Künstler und Macher sind von zentraler Bedeutung", heißt es im Programmheft des Bielefelder Carnival. Ein Stück "Demokratisierung der Kultur", sagen auch die Veranstalter des großen "Karneval der Kulturen" in Berlin. Da kommen Kostüm-, Tanz- oder Musikgruppen aus Schulen, Jugend- oder Kulturzentren, sozialen Einrichtungen und Vereinen ? die einen auf Stelzen, mit wehenden Fahnen oder in selber gestalteten Masken, andere mit Instrumenten, Trommeln oder phonstarken Sound Systems. Darunter auch Kinder, Behinderte und viele, die nicht von Haus aus sowieso kulturerfahren sind, die sich nicht trauen oder keine Chancen sehen, sich in ihrer Art äußern zu können.

Damit ist der Carnival ein Medium und eine Plattform interkultureller Praxis wie kein anderes. Und dies auch über den Carnival hinaus. So hatte Simon Rattle, Chefdirigent der weltbekannten Berliner Philharmoniker, die Bielefelder Shademakers für die Produktion einer Kinderoper engagiert: ?L? Enfant et les Sortilèges? von Maurice Ravel, die mit Elementen des Carnivals auf die Bühne gebracht werden sollte. Das meint eine besondere Art von Visualisierung mittels Masken und Kostümen, die Verbindung von Musik und Tanz und die Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen selbst. Eine ?kreative Entdeckungsfahrt?, auf die sich rund 120 Kinder von vier Berliner Schulen mit Feuer und Flamme stürzten. Sie machten das Ravel-Stück zu ihrem auch eigenen Stück und feierten dann den gelungenen Auftritt in der Philharmonie. Für die Kinder eine Horizonterweiterung ebenso wie für diese Bastion der Hochkultur.

Derlei Horizonterweiterung haben die Shademakers in ihren vielen Workshops immer wieder angestoßen. ?Die Maske zu verstehen, zu gestalten, zu bauen, zu tragen und zu verkörpern, entwickelt die Persönlichkeit des Trägers. Der Akteur lernt sich besser kennen, lernt innere Grenzen zu überwinden, wird Teil eines größeren Ganzen.? Ähnlich sieht es auch der aus westafrikanischen Benin stammende Tänzer Tchekpo Dan Agbetou, künstlerischer Leiter des Bielefelder Tanzsommers: ?Der Tanz dient in vielen Kulturen als wichtigstes Ausdruckmittel tiefer Gefühle?, heißt es in seinem Beitrag im Jahrbuch Kulturpolitik. Deshalb hat der Tanz für den Austausch der Kulturen einen so hohen Stellenwert. Das gilt vielfach auch für Musik. Und wenn alles drei zusammenkommt, ?Play Mas? mit Tanz und Musik ? dann kann der Carnival beginnen.

In diesem Sinne hat das ?Young International Performance Festival?, das unlängst in Hamburg stattfand, insbesondere Jugendliche vom Rand der Gesellschaft zu Workshops mit Künstlern eingeladen: ?Play Mas! Revoltiert gegen die Ordnung! Verlasst die Euch zugeschriebenen Rollen! Erobert die Räume der Herrschenden und definiert sie neu!? Das klingt zwar recht wortgewaltig, trifft aber ebenso den Kern wie ?Demokratisierung von Kultur?. Interkulturelle Praxis wie beim Carnival verlangt Gleichberechtigung und Chancengleichheit, verlangt eine Öffnung aller kulturellen Institutionen und ein eindeutiges ?Ja? auf die Frage, um der es bei einem Kongress über Interkultur(politik) im Juni 2003 ging: ?Brauchen wir nicht eher einen offenen, fließenden Kulturbegriff, der den vielfältigen Vernetzungen und seinen beständigen Veränderungen gerecht wird??

Informationen zum Programm: www.karneval-der-kulturen.de (Berlin), www.carnival-bielefeld.de und www.shademakers.de (Bielefeld).
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Ergänzungen

die hohe Kultur der Blues Brothers

Schwester 28.05.2004 - 22:47
Ich bin der erste Fan dieser Veranstaltung gewesen.
Auf dem ersten "Karneval der Kulturen" in Berlin, einer kleinen und tatsächlich vielfältigen Veranstaltung, lief ein wirklich gut inszenierter vierbeiniger Esel mit.
Von denen die damals ahnten was auf sie zukommen würde,
sind mittlerweile zu viele des Landes verwiesen worden.
Welche Hochkultur? Germanen? Ostgoten? Westgoten? Hunnen? Tartaren? Mayas? Inkas? Babylonier? High-Tech-Neandertaler?
Was beschwört ihr da eigentlich? Kraft durch technische Freude?
Auf internationalem high-Tech- Niveau? Mit Gesangseinlagen?
Und thermodynamischem Birkenstock?

Kritik sollte doch erlaut sein mods oder ?

egal 29.05.2004 - 01:22
Ein Beispiel für verklärten Multikulti Kitsch ist das Ausblenden der vielen irrationalistischen, häufig zutiefst reaktionären und indoktrinären Heilslehren, die wohl auch auf dem Karneval anwesend sind.

Wie offensiv sie presentiert werden ist mir nicht bekannt, da an Pfingsten immer viel los ist und Menschenmassen mich nicht unbedingt anziehen.
Jedoch die Beschäftigung Fotos des Karnevals und TV Beiträge, sowie die Werkstatt der Kuturen/Religionen weisen deutliche Hinweise auf.

Anhand der TeilnehmerInnen Liste in den vergangenen Jahren war wenigsten die reaktionär, christlich, freikirchlich, "charismatische" Südsterngemeinde "Christliches Zentrum" dabei.
Wer sich mal näher mit der "Werkstatt der Kulturen", dem Veranstalter des Karnevals beschäftigt, wird schnell eine Toleranz und Liberalität gegenüber den unzähligen, reaktionären,rassitischen Heilslehren warnehmen, die es so auf dem "Markt" des Irrationalismus gibt.
Siehe grundsätzlicher dazu den unteren Absatz.


die Kirche auf der Südstern Mittelinsel

War unter anderem Teilnehmerin des Karnevals der Kulturen

abgefahrene Gottesdienste wie im Film,
die Meisten total entrückt, in Extase
"Praise the lord, halleluja !!!"

 http://www.czbkirche.de/

 http://www.oerbb.de/ORBB-Home/Mitgliedskirchen/Christliches_Zentrum_Berlin/body_christliches_zentrum_berlin.html

 http://kirchen-ff.de/html/weg_s9.htm
 http://kirchen-ff.de/html/weg_s10.htm

Aus dem "Berliner Kirchenreport", 16.3.78
Ein "Christliches Zentrum" für Berlin?
Das "Jesus-Center" am Nollendorfplatz ist längst zu klein geworden
 http://www.geocities.com/bprice1949/kirchrept.html

Kirche am Südstern: Fetzige Songs und Spontaneität
An(ge)dacht - Von Claudia Becker
 http://morgenpost.berlin1.de/archiv2002/020727/tippstermine/story537880.html

Auch Teilnehmer am Karneval der Kulturen 2002 wie auch 2003
kein Wunder, liegt deren Kirche, doch mitten auf der Route
 http://www.karneval-berlin.de/02_umzug/umzug_02.html
 http://www.karneval-berlin.de/


Hier ein Artikel zum Gesamtkomplex Charismatiker
 http://www.de.indymedia.org/2003/06/53988.shtml

Hier noch ein aktueller verharmlosender Artikel
11.04.2004 Lobet den Lord!
Mein Tag für Wunder: ein Erweckungserlebnis in der Kirche am Südstern /
Von Maike Wetzel
 http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/11.04.2004/1045331.asp

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ARGUMENTE GEGEN IRRATIONALISMUS


Esoterik und die Linke
ak - analyse + kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 418 / 24.09.1998
  http://www.akweb.de/ak_s/ak418/07.htm
  http://www.schulheft.at/schulheft/103/esoterik.html
  http://coforum.de/index.php4?Esoterik%20und%20die%20Linke
  http://coforum.de/index.php4?action=edit&Esoterik%20und%20die%20Linke
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Esoterik
rationale Irrationalität
Esoterik - rationale Irrationalität als Folge der irrationalen Rationalität unserer Gesellschaft
  http://netzwerk-regenbogen.de/esowoelf021231.html
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Die ewige Wiederkehr des Religiösen
Kongress zur Untersuchung der Auswirkungen von Religion und Esoterik in Erziehung und Bildung vom 22. bis 25. Mai 2003 an der Universität Trier
  http://www.fda-kongress.de/
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Publikationen zu Sekten, Esoterik, Psychogruppen etc.
  http://www.awadalla.at/content/sekten-pubs.html
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iz3w Nr.266 Im Kreis der EinGeweihten Esoterik in der Kritik
  http://www.iz3w.org/iz3w/261-280/266/
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Ganzheitlich und ohne Sorgen in die Republik von morgen!
Kongress am 15./16. Juli 2000 in der Uni München
  http://www.stuve.uni-muenchen.de/kongress/irrat.htm
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Die MIZ ist seit über 30 Jahren das politische Magazin für Konfessionslose und AtheistInnen, FreidenkerInnen, HumanistInnen und SkeptikerInnen, Ungläubige aller Art.
  http://www.miz-online.de/
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Ein Auszug aus - kassiber 34 - Februar 98
Der Bremer Esoterik-Kongreß: weltoffen und visionär?
AntiVisionen und linke Perspektiven

KARNEVAL DER VÖLKISCHEN IN BERLIN

copiert von egal 31.05.2004 - 23:45
Kreuzberger Immigrantenstadl

Von Burkhard Schröder

Alle jubeln und sind unerbittlich fröhlich. Die Berliner feiern mit dem "Karneval der Kulturen" die angebliche "kulturelle Vielfalt" in der Hauptstadt. Die Sonne scheint, es kommen mehr Leute als früher, fast eine Million. In Wahrheit dokumentiert das Kreuzberger Ereignis ein Scheitern: Kultur wird zur Folklore umgemodelt, gut gemeintes Völkisches zu Kommerz, und die Deutschen verweisen die Einwanderer an den unpolitischen Katzentisch in der Gesellschaft.

Die gute Nachricht zuerst: Metin Kaplan, der "Kalif von Köln", marschierte nicht mit beim Berliner Immigrantenstadl. Auch eine talibanische Folkloregruppe war nicht zu sehen, obwohl unter den 180 Nationen, die in Berlin leben, zahlreiche Afghanen sind. Auch Saudi-Arabien scheint keine Kultur zu haben, die es wert wäre, karnevalistisch mitzumarschieren.

Wer tritt denn auf beim Maskenfest in Kreuzberg? Wer darf mitmachen - und wer muss leider draussenbleiben? "Fremde Kulturen" sind bei Deutschen nur dann beliebt, wenn sie die traditionellen Klischees aufwärmen: Asiaten sind für den Kampfsport zuständig, Latinos für Musik und Tanz und Schwarze für Trommeln. Und beim kurdischen Frauenverein marschieren die Männer selbstredend vorneweg, was beim gaffenden Publium Gelächter und einschlägige Kommentare hervorruft. Alles hat seine deutsche Ordnung: zeitnah zum "Karneval der Kulturen" forderte der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach Schutzhaft für unliebsame Ausländer. Die Botschaft der Deutschen an die "lieben ausländischen Mitbürger" ist eindeutig: Kultur, die die die Deutschen essen und hören können und deren textile Ikonografie hip ist, ist gut, Politik ist schlecht.

Die gute Nachricht: Kultur kann Mittel sein, um Teilhabe an der Macht zu fordern. Wer die Identifikation von Immigranten mit ihrer Herkunft auf Folklore reduziert, argumentiert jedoch völkisch: Ethnizität ist ein imaginärer Enfwurf und als Abstammungsgmeinschaft immer fragwürdig, weil sie eine Fiktion in einen naturhaften Zustand verwandelt. Einmal Türke, immer Türke, auch wenn der Türke einen deutschen Pass hat. "Kultur" gibt es nicht - nur als Forderung an sich selbst und in der der selbst gewählten Differenz als Anspruch an andere.

Der Kreuzberger Karneval fußt letztlich auf dem gescheiterten Konzept des "Multikulti": die Nation der Deutschen definiert sich immer noch über eine fiktive Leitkultur, die andere "Kulturen" als fremd ansehen muss. Die Deutschen haben sich ihre politische Identität als Bürger nie erkämpft, sondern mussten sie in der regressiven Besinnung auf Phantasmagorien wie zuerst die Antike, dann die Germanen finden. Hierzulande gibt es keine selbstbewussten citoyen, sondern nur Spießbürger.

Die "turkish community" kann sich nur artikulieren, wenn sie die Differenz zu den Deutschen betont. Aber die Berliner Türken sind schon so weit assimiliert, dass sie keinen Karneval brauchen. Deswegen laufen sie beim Karneval auch nicht mit. Als was könnten sie sich maskieren? Als Armenier, Tscherkessen, Jezidi, Anhänger Kemal Atatürks? Das würden die Deutschen nicht verstehen, weil diese "Subkulturen" weder unter "Weltmusik" im Musikfachhandel zu finden noch als Fastfood-Version erhältlich ist.

Kulturelle Unterschiede sind immer willkürlich, somit frei wählbar. Der diskursive Mainstream in Deutschland über Einwanderung zwingt die Migranten zur Selbstethnisierung: wer nicht trommelt und weiße Mittelschichtsfrauen in Tanzkurse treiben kann, bleibt aussen vor. Thüringer Rostbratwurst ist Caipirinha jedoch ebenbürtig, weil mittlerweile bekannt. Eine Tendenz des Kreuzberger "Karnevals der Kulturen" ist klar erkennbar: immer mehr Deutsche mischen sich unter die, für die die Veranstaltung eigentlich gedacht ist. Einige der Tanz- und Trommelgruppen hatten zwar ihre "Quotenneger" dabei, die den Rhythmus vorgaben, bei dem der Deutsche mit muss, bestanden aber mehrheitlich aus Weißen, die sich irgendwie bunt angemalt hatten.

Der Karneval in Berlin ist das Gegenteil seines ursprünglichen Vorbilds, des Notting Hill Carnivals in London. Die afrokaribischen Einwanderer in England mussten sich ihr Recht, öffentlich aufzutreten und politische Forderungen zu stellen, erkämpfen - gegen die Welle rassistischer Übergriffe Ende der sechziger Jahre Es gab seit den ersten Versuchen, in den Immigranten-Ghettos von London eine Straßenparty zu organisieren, immer wieder Straßenschlachten und Krawalle. "It is the tale of how a marginalised community built, protected and promoted what is now the largest street party in western Europe, using the radical cultural politics of the Caribbean to confront Britain's racist political culture", schrieb der Guardian im August 2002. Linton Kwesi Johnson setzte mit seinem berühmten "Forces of Victry" dem Londoner Karneval ein musikalisches, aber politisches Denkmal.

Der Karneval in London war ein Event von Engländern karibischer Herkunft, nicht von "Ausländern", wie in Berlin. Die Organisationen konnten sich in England auf ihre Rechte als britische Staatbürger berufen und mussten diese nicht, wie die "ausländischen Mitbürger" in Deutschland, erst erstreiten. Insofern ist der Berliner Straßenumzug verlogen. Er suggeriert eine Integration, die gar nicht stattgefunden hat und auch unter dieses politischen Bedingungen gar nicht stattfinden kann.

Wer Teilhabe an der Macht und Integration mit Folklore und "Kultur" verwechselt, muss auch das Judentum auf orthodoxe Schläfenlocken und Klezmer reduzieren. Juden und Palästinenser stellten sich in Kreuzberg karnevalistisch nicht da. Die jeweilige politische Botschaft hätte vielleicht die Touristen verschreckt. Das will niemand. Es geht letztlich um Kommerz. Und darum, dass der Mainstream die Einwanderer funktionalisiert, nicht umgekehrt. Einwanderung ist nur dann gut, wenn sie dem Kapitalismus nützt, Immigranten und ihre "Kultur" nur dann, wenn sie verkauft werden kann. Was als Subkultur und völkische Folklore startet, endet fast immer im Mainstream. Konseqent wäre es, den "Karneval der Kulturen" in "Love Parade der Völker" umzubennen.


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