Berlin - Metropole oder kommunikative Provinz?

Andre M. 13.05.2004 23:34 Themen: Freiräume Kultur Medien
Unter diesem Titel fand heute in der Galerie der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin-Mitte eine Informationsveranstaltung mit anschließender Podiumsdiskussion statt.
Von Februar bis April sendete reboot.fm auf der öffentlichen Frequenz 104.1 in Berlin ein vielfältiges Programm aus Musik, Kultur und Politik. Da dieses Hörvergnügen nun vorerst im Äther vorbei ist (im Netz wird weiter gestreamt), stellt sich die Frage, wie geht es weiter mit den Bewegungen für ein Freies Radio in Berlin?
Vorerst mit einem PiratInnenRadio!
Am Anfang hielt Dr. Ulrich Wenzel, Sozialwissenschaftler an der Universität Erlangen, ein Einleitungsreferat mit dem Titel "Freier Gesellschaftsfunk: Geschichte, Bedeutung, Praxis". Er ging auf den scheinbaren Widerspruch der Wörter "Metropole" und "Provinz" im Titel ein und erörterte ziemlich wissenschaftlich, dass beide sich, gerade in Berlin, nicht ausschliessen. Ziemlich konservativ räumte er Massenmedien eine Existenzberechtigung ein, da das Privatleben von Stars und Sternchen seiner Auffassung nach "am Küchentisch diskutabel" ist, somit Personen gesellschaftlichen Anschluss finden lässt und dadurch "für das Funktionieren der Gesellschaft" wirkt. Dann überflog er kurz die Geschichte von "kritischen Medien", die sich meist durch Basisdemokratie, Unabhängigkeit und das Geringhalten oder Fehlen von Werbung auszeichnen. Er unterschied zwischen 3 Formen:
1. Geförderte Projekte: sind durch relative Abhängigkeit von Förderinstitutionen unter deren Aufsicht. Dadurch seien diese nur erfolgreich, wenn man relativ "journalistisch" arbeitet, z.B. durch fragen "Ist dieser Beitrag sendefähig?". Dadurch passen sie sich seiner Meinung nach an Massenmedien an, die man doch kritisiert.
2. Szeneprojekte: sind nicht kommunikativ für die Gesellschaft (siehe Diskutierbarkeit von z.B. Janet Jackson's Busen). Dadurch seien sie eher eine "erweiterte WG-Küche" für peer-groups.
3. Alternativen zur kritischen Gegenöffentlichkeit: Kommunikationsguerilla wie z.B. das Amsterdamer Radio Patapoe, bei denen man im Studio-Mikrophon nicht das imaginäre Publikum sieht.
Kurz erläuterte er noch den Unterschied zwischen einem OK (Offenen Kanal) und einem Freien Radio: Ein OK hat eine Heteronomie in zeitlicher Strukturierung, ist privat und ist im Kontext der OK-Sendestation eingebunden, was immer wieder zu Streitigkeiten z.B. über gespielte Musik führt.
Zum Schluss kam er nochmal zu den Wörtern "Metropole" und "Provinz". Ich möchte aber nicht zu sehr auf seine Rede eingehen, denn sie war zwar interessant, aber relativ irrelevant und meiner Meinung nach ziemlich subjektiv.

Es folgte eine Vorstellung einiger Radioinitiativen und -projekte, wie z.B. der Bundesverband Freier Radios, reboot.fm, radiokampagne.de, und der Offene Kanal Berlin.

Dann die Podiumsdiskussion: "Die Metropole - vielseitig oder provinziell?" und die Frage, wann und wie Berlin ein freies Radio erhält.
Prof. Dr. Ernst Benda (Vorsitzender des Medienrats Berlin-Brandenburg) wies auf die offene Frequenz 106.8 hin. Wie ein echter Politiker sprach er von der offiziellen Ausschreibung für diese Frequenz und 27-29 Bewerbern, unter die sich doch auch radiokampagne.de begeben soll. Nicht zum letzten Mal sprach er davon, dass im Medienstaatsvertrag keine Regelung über freie Radios steht. Ohne gesetzliche Änderung könne man keine Frequenz an ein solches vergeben. Er verwies auf den OKB (Offenen Kanal Berlin), von dem reboot.fm doch ein Zeitfenster erhalten könne. Nichtsdestotrotz sorgt sein Verein und der Gesetzgeber doch für eine Vielfalt in den Medien.
Michael Braun, (Medienpolitischer Sprecher) meinte am Anfang erstmal, dass seine CDU doch eine "weltoffene Partei" ist. "Ketzerisch" (in seinen eigenen Worten) fragte er dann, was man denn für ein Problem mit dem Offenen Kanal hat und wer Rundfunkgebühren für eine NKL (Nichtkommerzielle Lizenz) bezahlen solle. Ausserdem habe mensch schön seine Strukturen der vorgestellten Projekte und Initiativen erläutert, aber das Programm doch nicht.
Eine Macherin der Sendung rest.licht.verstärker erläuterte dann kurz die Kritik am üblichen Dudelfunk. Reboot.fm trifft ganz gut, was wir wollen: Einen Sender, der Formate erlaubt, die im heutigen Formatradio nicht vorkommen, dessen Nachrichtenprogramm sich nicht auf das Verlesen von Agenturmeldungen beschränkt, dessen Musikprogramm mehr bietet als bloss die größten Hits vergangener Dekaden, und dessen Vorstellung von Partizipation über die Veranstaltung von Gewinnspielen hinausgeht.
Nochmal fragte Braun, was denn der Inhalt eines Freien Radios sein soll. Freundlich wurde er auf das Archiv von reboot.fm verwiesen und gefragt, warum er es denn nie gehört hat. Daraufhin verabschiedete er sich eiligst eine halbe Stunde vor offiziellem Ende der Veranstaltung.
Erneut wurde der OK kritisiert für den Mangel an Gleichberechtigung (es gibt einen Direktor), im Gegensatz zur "Einheit" der Sendungen eines Freien Radios sind beim OK viele "Einzelkämpfer" und viele Leute vom OK sagen, ihr Vorbild sei ein neues Radio Energy. Es herrsche Willkür, Unberechenbarkeit und ein first-come-first-serve-, ein Schlangenprinzip für Sendungen.
Es folgte eine sehr kontroverse Debatte. Benda meinte der Gesetzgeber ist Schuld ("Gehen Sie zum Anwalt!"). Es wurde auf andere Bundesländer verwiesen, die längst freie Radios haben, und die selbsternannte "Medienhauptstadt Berlin" nicht. Politiker wie er und Braun müssten ihre Kommunikationsbarrieren abbauen und sollten Freie Radios auch mal hören.

Alles in allem eine ziemlich enttäuschende Veranstaltung. Der Spielball der Verantwortung wurde zwischen Politikern und der MABB, wie schon seit Ewigkeiten, hin und her geschoben. Keine beider Institutionen sieht sich in der Lage, einem Freien Radio eine feste Frequenz zu geben. Mensch solle doch mit dem OK zusammenarbeiten. Da meldete sich eine Veteranin, die sich seit 14 Jahren für ein Freies Radio in Berlin einsetzt. Vor 10 Jahren gab es die selbe Diskussion auch um eine ausgeschriebene Frequenz. Damals wurde ebenfalls die Kooperation mit dem OK gewünscht. So sendete sie Pi-Radio auf dem OK (nach einem "Radio Germania"), bis Pi-Radio raus flog.

Das einzig Erfreuliche war dann eine Pressemitteilung des PiratInnenRadios "funk-the-system." Sie erklärte, dass ab morgen, dem 14. Mai jeden Freitag ab 18 Uhr die Frequenz UKW 95.2 Mhz besetzt wird, um verschiedene im Internet verfügbare Radios in den Äther zu schicken. Die Erklärung lautet auszugsweise:
Das deutsche Telekommunikationsgesetz und die Medienbehörde sorgen dafür, dass Medien - wie auch alle anderen gesellschaftlichen Bereiche - nach ökonomischen Interessen organisiert sind. So muss man in Berlin mehrere tausend Euro an die Medienbehörde Berlin-Brandenburg, die GEMA und die Telekom für eine Frequenz bezahlen. Das ist ein Grund dafür, dass im Radio nur gesellschaftlich Priviligierte eine Stimme haben. ...
Wir wollen ein anderes Radio: Ein radikal geellschaftskritisches, ein parteiisches für marginalisierte Meinungen, Positionen und Gruppen. Eines, das sich selbst hinterfragen kann und etablierte, festgefahrene Settings in der Produktion medialer Wirklichkeit aufzubrechen versucht. Eines, das sich mit den Mythen von Objektivität, Wahrheit und mit Perfektionswahn auseinandersetzt, sowie seine Arbeitsweisen transparent macht. Und wir wollen endlich mal gute Musik im Radio hören. ...
Unsere Ansprüche würden wir gerne in einem Freien Radio verwirklichen, aber solange werden wir nicht warten. Wir werden uns den Raum nehmen, der uns zusteht.

Na, wenigstens ein Grund zum freuen!

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Ergänzungen

freie radios für alle!

island 14.05.2004 - 19:21
1. (fast) alle indyradio-sendungen von reboot.fm befinden sich hier zum downloaden und anhören:  http://de.indymedia.org/2004/03/75989.shtml

2. JETZT UKW 95.2 HÖREN!

zu Punkt 2 der ersten Ergänzung

icke 14.05.2004 - 19:34
Super Empfang übrigends zwischen 95,05 und 95,35 (jedenfalls in fhain) :-)

auch auf der Weißenseer Spitze zu hören

schon GEZahlt? ich glaube nicht 14.05.2004 - 21:21
auch an der Spitze / Weißensee/Prenzlauer Berg nähe Greifswalder Str. sehr gut zu hören, besser als Reboot.fm oder Radioriff oder der OKB-Mischfrequenz.... weiter so

 http://polyphon.so36.net

ist ein relevantes link heute...

War zu erwarten...

Crest 18.05.2004 - 02:30
Etwas anderes war von der Veranstaltung wohl nicht zu erwarten. Aber schön, das ich durch den Artikel auf die 95,2 aufmerksam gemacht wurde. Ich hoffe, das ich die zweite Sendung am kommenden Freitag auch hier in Wittenau noch reinbekomme. Und natürlich, das ihr nicht erwischt werdet ;-)

Empfang in Wittenau

Crest 22.05.2004 - 01:40
Habe heute die zweite Sendung vom Piratenradio gehört (inhaltlich übrigens sehr gut!). Der Empfang in Wittenau ist schon recht schwierig und das, obwohl ich hier im 13.Stock freie Sicht Richtung Osten und Süden habe. Da kommt die OKB-Frequenz zum Vergleich doch besser rein..

und welche, die selbst recherchieren

isländer 24.05.2004 - 03:35

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