Tübinger Maisingen 2004: Jede/R kanns besser!

Fakultativ prügelnden Sängerschaft Karaokia 02.05.2004 13:30 Themen: Antifa Kultur
Das Maisingen reaktionärer Tübinger Burschenschaften und Verbindungen findet seit ca. 20 Jahren in der Nacht auf den ersten Mai statt. Hunderte Burschen torkeln als uniformierter Fackelzug vom Österberg auf den Holzmarkt ins Zentrum der Altstadt, um dort durch das Gröhlen dreier Liedchen den Mai zu begrüßen –zum Glück hat der sich noch nie davon abschrecken lassen und begann trotzdem immer pünktlich um Mitternacht.
Genauso regelmäßig waren in der Vergangenheit auch die Proteste gegen diese deutschtümmelnde Veranstaltung: hunderte Menschen begleiteten, bepfiffen und bewarfen in den vergangenen Jahren die Korporierten und sorgten dafür, dass diese Veranstaltung jedes Jahr auch den größten Polizeieinsatz Tübingens für sich beansprucht.
Das allmählich zum Ritual werdende Spektakel konnte im Jahr 2001 erstmals durch das frühzeitige Anmelden einer Gegenkundgebung auf dem Holzmarkt verhindert werden. Im Jahr darauf waren die Burschis ein bisschen schneller mit Anmelden – dafür wurden sie durch eine Blockade behindert und viel altes Gemüse wechselte die Seiten. Im letzten Jahr waren die Burschen-GegnerInnen wieder schneller und das Maisingen wurde deshalb vom Holzmarkt in die Doblerstrasse verlegt. Die Stadt zeigte sich damals gesprächsbereit und interessiert daran, das Maisingen mittelfristig loszuwerden, weshalb auf eine eigene Kundgebung auf dem Holzmarkt verzichtet wurde. Trotzdem demonstrierten spontan 400-600 Menschen gegen deutschtümmelnde Männerbünde.
Von solch einer Gesprächsbereitschaft war in diesem Jahr keine Rede mehr. Die im letzten Jahr von der Stadt zugesagten Bemühungen, auf eine Absage des Maisingens hinzuwirken, waren vergessen – stattdessen wurden vermummte Spezialeinheiten in die Stadt geholt die auch im angeblich so liberalen Tübingen auf Proteste nicht anders als mit Gewalt und Schikanen reagieren um das Maisingen von ca. 150 Korporierten in der Doblerstraße durchzusetzen.

Während sich die schlechte Kopie auf dem Österberg auf ihren Abgang vorbereitete, war das echte Maisingen der „Fakultativ prügelnden Sängerschaft Karaokia“auf dem Holzmarkt vor der Stiftskirche längst in vollem Gange. Aus zwei Lautsprechern schepperte seit ca. 23 Uhr die Alleinunterhalterkeybordversion von „Der Mai ist gekommen“ in Endlosschleife. Zwei „Füchse“ gingen mit gutem Beispiel voran und schafften kaum alle sechs Strophen bis sich die ersten aus dem Publikum ans Mikro trauten. Nachdem zweihundert Meter weiter die billige Kopie von Buhrufen übertönt worden war, steigerte sich die Sangeswut auf dem Holzmarkt noch, die kopierten Liedtexte fanden reißenden Absatz unter der mittlerweile ca. hundertköpfigen SängerInnenschaft und beflissen wurde nach der richtigen Textzeile gefragt. Über das Mikro beugten sich jetzt gleichzeitig bis zu sechs Köpfe. Selbst die Gebärdensprachenversion vom zur Abwechslung intonierten „Kleinen Matrosen“ wurde mit viel Inbrunst aufgeführt. So schallten fast zwei Stunden die verschiedensten Versionen des Liedes durch die Stadt.
Am Infostand wurden gleichzeitig Reader über das Verbindungswesen und Burschenschaften verteilt und bereitwillig den Ortsunkundigen der Weg zur Doblerstraße gewiesen (vorbei an der Gemüsekiste).
Gegen Ende gabs noch Feuerkunst und ein gesangliches „fade out“ des mittlerweile längst angekommenen Monat Mai.
Und da die Linken mal wieder pünktlich waren und die ersten beim Anmelden des Maisingens auf dem Holzmarkt, hieß es zum Schluss „bis zum nächsten Jahr“!

ERGÄNZUNG:

Sitzblockade auf dem Stufen zur Doblerstraße mit 9 Festnahmen:

Als die Burschenschaftler kurz vor 24 Uhr den Österberg heruntergekommen waren, und die Stufen zur Doblerstraße betraten, gelang es mindestens 9 Personen einer größeren Gruppe von GegendemonstratInnen, trotz Bewachung der Stufen durch die Polizei, eine Sitzblockade auf den Stufen durchzuführen. Es dauerte ca. 10 Minuten, bis die Sitzblockade geräumt war. Dabei wurden 9 Personen inhaftiert und mit auf das Tübinger Polizeipräsidium genommen. Dort wurden sie unter dem Vorwurf der Nötigung einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen. Erst gegen 5 Uhr morgens wurde die letzte Person wieder entlassen.


GegendemonstrantInnen unter den singenden Burschschaftlern:

Als die Burschen die Treppe bergabwärts zur Doblerstraße betraten, mischten sich ca. 15 GegendemonstrantInnen unter sie und liefen pfeifend und „1. Mai –Burschenfrei“ rufend mit die Stufen hinab. Auch während des Maisingens blieben sie pfeifend unter den singenden Burschen, und kamen anschließend mit ihnen wieder die Treppen nach oben gelaufen. Die Burschen trauten sich nicht, gegen die Störung vorzugehen, die Polizei war mit der Situation sichtlich überfordert.


Mehrere Hundert GegendemonstrantInnen und Schaulustige am Lustnauer Tor:

Wie schon im vergangenen Jahr waren am Lustnauer Tor wieder einige Hundert Menschen versammelt, die mit einem lauten Pfeifkonzert das Maisingen unhörbar machten. Dabei kam es auch immer wieder zu Eier- und Gemüsewürfen über die Polizeiabsperrungen hinweg. Insgesamt ist es mit diesen Aktionen ein weiteres Mal gelungen, das Maisingen aktiv zu stören und mit Nachdruck ein Ende dieses reaktionären Brauches zu fordern.Dass es dabei in diesem Jahr zum ersten Mal zu Verhaftungen kam, ist bedauerlich, wir halten die Maßnahmen der Polizei für übertrieben und erinnern an die Sitzblockade vor 2 Jahren, wo es ca. 50 Protestierenden gelang, am Lustnauer Tor den Burschen den Weg zu versperren, wobei die Polizei besonnen und deeskalierend reagierte, ohne Personen festzunehmen.
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Ergänzungen

Nächstes Jahr...

NoName 02.05.2004 - 14:25
...bitte mehr Infos im Vorfeld. War so um ca. 23h am Lustnauer Tor und es waren zwar ein paar Bullen zu sehen, aber sonst nichts! Bin dann doch lieber in den Mai rocken gegangen, weil ich gedacht hab, die machen ihr blödes Singen nicht mehr. Von Gegendemonstranten oder so war nämlich zu dem Zeitpunkt auch nichts zu sehen. Also wär schön, wenn nächstes Jahr genauere Infos per Web (Social Forum oder Indymedia) zugänglich wären.

Dass es Festnahmen gab, ist ja wohl unter aller Sau. Sowas in Tübingen! Die Bullen sollten wissen, dass wir auch anders können!

weitere Bilder gibt es

ergänzer 02.05.2004 - 20:35

weitere Artikel zum Tübinger Maisingen

burschi-hunter 03.05.2004 - 13:03
zum Tübinger Maisingen:

- Aktionen im Vorfeld:

 http://de.indymedia.org//2004/04/81590.shtml


- Maisingen vor 2 Jahren:

 http://de.indymedia.org//2002/05/21084.shtml


- Ein eher blöder Artikel aus Tagblatt-Online (besser ist die heutige Druckausgabe):

 http://www.tagblatt.de/index.php?nav1=das+magazin&artikel_id=480263

Artikel im Schwäbischen Tagblatt vom 3.5.04

no burschis 03.05.2004 - 17:40

Arbeit an der Tradition
Maisingen mit festnahmen und Karaoke

Tübingen (pme). Es gab neun Festnahmen. davon abgesehen war das diesjährige Maisingen eine friedliche Traditionsaufrechterhaltung auf Seiten der Verbindungen wie der demonstranten und Schaulustigen.

Hunderte von menschen waren am Fuß der Doblerstraße zusammengekommen, riefen "Kommt endlich runter" und "Burschis raus". Einer, der auf der falschen Veranstaltung war, rief sogar "Willkommen Estland!"
Kurz vor 24 Uhr wurde es doch etwas ruppig: Mehreren Demonstranten war es gelungen, trotz Bewachung der Polizei eine Sitzblockade auf den Stufen neben der Justizvollzugsanstalt einzurichten. Sie hielt zehn Minuten. Dann schritt die Polizei ein, räumte nicht gerade zimperlich und bracht neun Personen zur erkennungsdienstlichen Behandlung aufs Polizeipräsidium, wo ihnen ein Verfahren wegen Nötigung und Widerstand gegen die Vollstreckungsbeamten angekündigt wurde. Ein Zwischenfall, der dem Happening-Charakter der Veranstaltung aber nichts anhaben konnte. Die Demonstranten können ja auch recht zufrieden sein mit dem geschichtlichen werdegang des Maisingens: Einst fand es auf dem Marktplatz statt. dann wurde es auf den Holzmarkt verlegt. Weil die Gegendemo-Veranstalter mit der Anmeldung ihres Protests schneller waren (so stellen es vornehmlich die Demonstranten selbst dar) und weil die Sicherheit in der Doblerstraße auch besser und mit weniger Einsatzkräften gewährleistet werden konnte (so sieht es die Stadt), lief das Maisingen letztes Jahr und heuer eben dort ab.
Unbestreitbar wandert also das Maisingen allmählich in östlicher Richtung aus der Stadt an die Peripherie. UNd man versteht die jährlich gesungene Frage "Wer weiß, wo in der Ferne/ Mein Glück mir noch blüht;/ Es gibt so manche straße/ Da nimmer ich marschiert" (aus: "Der Mai ist gekommen"). Diese und andere Burschenschaftslieder waren auch auf dem Hozmarkt zu hören, wo eine gegenveranstaltung nach dem Doblerstraßenspuk einen Karaoke-Wettbewerb organisiert hatte.

Nachtrag

no pasarn 06.05.2004 - 04:26
Zu den Festnahmen :

die 9 Personen wurden von einem Sonderkommando sog.
Beweissicherungs-und Fahndungseinheit;zwischen 15 und
20 Vermummten zusätzlich sonstigen Riotcops ,z.T aus
Göppingen
brutal mit Schlagstöcken tracktiert
Finger wurden in die Augen gepresst

danach: Erkennungsdienst ( mit nach Narbensuchen )

und in Folge : Anklagen gegen alle 9 ( comp@s )wegen:

Nötigung und i Widerstand !


( Wenn sie Einen/ne von uns berühhren - berühren sie uns alle

i BASTA YA !

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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