Ageeb: Bericht vom 5. Prozesstag

Prozessbeobachtungsgruppe 19.02.2004 20:32 Themen: Repression
Der erste Zeuge am 5. Prozesstag ist Dr. Martin K. (leitender Polizeidirektor des BGS München), der den Einsatz nach der Zwischenlandung in München leitete. Danach wird Marion B., die geschiedene Frau Ageebs gehört. Der für Vormittag geladene BKA-Beamte H. blieb der Gerichtsverhandlung unentschuldigt fern, die ebenfalls für den Vormittag geladene Ärztin N. konnte aus familiären Gründen nicht anwesend sein.
Dr. Martin K., leitender Polizeidirektor des BGS München (52 Jahre):Dr. K. macht seine eingeschränkte Aussagegenehmigung gemäß §62, Abs.1 BBG geltend. Er dürfe über Praxis und Ausbildung in Sachen Rückführungen bis inkl. 28.5.1999 aussagen, ab da nicht mehr.Er sei am 28.5.1999 von der Einsatzzentrale über den Tod eines Deportees benachrichtigt worden. Er habe sich daraufhin zum Flughafen begeben, um den Einsatz zu leiten. Die drei Angeklagten habe er in der Polizeidirektion getroffen. Sie seien völlig aufgelöst, fix und fertig gewesen. Zu dem Zeitpunkt habe er noch nicht gewusst, was geschehen war. Bei einer informatorischen Befragung hätten die drei Beamten gesagt, dass Ageeb bei der Rückführung verstorben und dass er im Vorfeld schon renitent gewesen sei. Sie hätten einen Ruhigstellungsgriff angewandt. Dann hätten sie den Griff gelockert und da sei er tot gewesen.Dr. K. sei daraufhin ins Flugzeug gegangen, um herauszufinden, welche Passagiere den Vorfall mitbekommen hätten. Dann sei Frau Staatsanwältin Bruckmann gekommen.Auf Nachfrage des Richters, ob er den Sitz gesehen habe, sagt K. aus, dass die Leiche bereits ins gerichtsmedizinische Institut überführt worden war und die bayerische Landespolizei bereits da gewesen sei. Die Staatsanwältin habe mit den drei BGS-Beamten sprechen wollen, so seien sie gemeinsam zur Dienststelle gefahren. Die Staatsanwältin habe sich vorgestellt und gefragt, was passiert sei. Er habe die drei darauf hingewiesen, dass sie sich überlegen sollten, ob sie aussagen möchten. Die drei hätten daraufhin gesagt, dass sie sich in der Zwischenzeit beraten und beschlossen hätten, nicht auszusagen. Die Staatsanwältin habe das akzeptiert, habe die drei aber informell befragen wollen, um sich ein Bild von der Situation machen zu können. Daraufhin hätten die drei detailliert berichtet.Die Frage des Staatsanwalts, ob ihm in dieser Situation rechtliche Bedenken gekommen seien, bejahte der Zeuge, er sei jedoch davon ausgegangen, dass die drei Angeklagten davon ausgegangen seien, dass ihre Aussagen nicht verwendet werden würden. Auf die Frage des Richters, wie lange die Befragung gedauert habe, sagt der Zeuge, dass sie sicher eine halbe Stunde gedauert habe. Auf die Frage, wie denn der psychische Zustand der drei Beamten gewesen sei, sagt der Zeuge, dass sie emotional völlig aufgewühlt und ganz getroffen gewesen seien. Sie seien hilflos gewesen und hätten am Anfang bestimmt nicht gewusst, was auf sie zukommen würde. Es sei ihnen wohl klar gewesen, dass ein Strafverfahren auf sie zukommen würde und sie hätten bestimmt darüber nachgedacht, was das auch beruflich für sie heißen wird. Aber auch was es persönlich bedeute, dabei zu sein, wenn jemand stirbt. Während der Vernehmung sei die Situation dann zunehmend sachlicher geworden. Er sei bei der Vernehmung nur Zuhörer gewesen und nicht aktiv handelnd. Nach der Vernehmung seien die Beamten erschöpft gewesen, hätten aber auf Nachfrage nicht in München bleiben, sondern nach Hause fahren wollen.Auf die Frage des Staatsanwalt, ob der Dr. K. den Status der drei Beamten gemäß der Strafprozessordnung beurteilt hätte, äußert er, dass er sich darüber keine Gedanken gemacht habe, da ja die Staatsanwältin dabei gewesen sei. Das erste Mal sei es von ihm nur eine informelle Befragung gewesen und das zweite Mal sei er nur Zuhörer gewesen und habe keine rechtliche Bewertung vornehmen wollen. Aus Gründen der Fürsorgepflicht habe er ihnen geraten, keine Aussage zu machen. Der Staatsanwalt hält ihm vor, dass er aber doch eine rechtliche Bewertung vorgenommen habe, indem er ihnen geraten habe, keine Aussagen zu machen. (Und zwar schon beim ersten informellen Gespräch). Ob es aus beamtenrechtlicher Sicht Gründe dafür gäbe, ihnen zur Aussageverweigerung zu raten? Der Zeuge betont, dass es sich für ihn aus der Situation erklärt habe, warum er den dreien zur Aussageverweigerung geraten habe.Auf die Frage des Staatsanwalts, wer ihm denn gesagt habe, dass er zum Flugzeug müsse, sagt der Zeuge aus, dass es für ihn in seiner Funktion völlig selbstverständlich sei, dass er sich kümmere, für einen geordneten Ablauf sorge und auch den Weiterflug der Maschine freigebe. Die Frage des Staatsanwalts, ob ihm der Ruhigstellungsgriff näher beschrieben worden sei, führt zu einem Einspruch des Verteidigers B., der betont, dass die Aussagen der drei Beamten informell gewesen seien. Es folgt ein Disput zwischen Richter, Verteidigung und Staatsanwalt, in dessen Folge der Staatsanwalt seine Frage zurückzieht.Der Anwalt der Nebenklage fragt nach der Zeit der Ankunft des Zeugen am Flugzeug. Der Zeuge kann sich nicht mehr gut erinnern, glaubt aber, dass es grob geschätzt 15 Minuten nach Landung gewesen sei. Da seien schon Beamte am Werk gewesen, die allerdings nicht sehr zielgerichtet gearbeitet hätten. Er habe dann Zug in die Sache gebracht. An herumliegende Dinge wie Plastikfesseln oder einen Notfallkoffer könne er sich nicht mehr erinnern.Die Verteidigung will wissen, ob die Staatsanwältin Aufzeichnungen gemacht habe, der Zeuge erklärt, er wisse nicht, ob sie während des Gesprächs mitgeschrieben habe. Von dem später von ihr geschriebenen Vermerk habe er erst in den letzten 14 Tagen erfahren. Das ganze Gespräch sei sehr locker vonstatten gegangen, da habe es keine Anschuldigungen oder Ähnliches gegeben.Die Staatsanwaltschaft will noch einmal die Motive des Zeugen für seine Fürsorge wissen. Darauf meint der Zeuge, dass er das Gefühl gehabt habe, dass wenn die Beamten einfach drauflosredeten...Der Staatsanwalt fragt weiter, ob er es richtig verstanden habe, dass die Beamten erst locker wurden, als klar war, dass sie nicht als Beschuldigte vernommen werden würden. Das bejaht der Zeuge und schildert noch einmal den Ablauf des Gesprächs.Marion B., ehemalige Ehefrau von Ageeb, Lehrerin (63 Jahre):Marion B. erscheint in Begleitung eines Zeugenbeistands vor Gericht.Marion B. war mit Ageeb verheiratet. Kennengelernt habe sie ihn 1995, im April 1996 haben sie dann geheiratet. Er zog in ihre Wohnung. Die Frage des Richters, ob es da Ungewöhnlichkeiten gegeben habe, verneint die Zeugin. Auf die Frage des Richters, wann es denn Ungewöhnlichkeiten gegeben habe, erzählt die Zeugin, dass es heftige Schwierigkeiten gegeben habe, als sie von 2 bis 3 anderen Ehefrauen erfahren habe. Das sei nach muslimischem Recht möglich. Noch mehr Schwierigkeiten habe es gegeben, als sie erfahren habe, dass er eine andere Frau heiraten wolle und sie als Vermieterin angegeben habe. Ob es zu körperlichen Unzuträglichkeiten gekommen sei? Ja, als sie beschlossen hatte, sich scheiden zu lassen. Sie zögert, den Begriff Vergewaltigung in der Ehe zu verwenden, tut es dann aber doch und erklärt, dass sie das auch zur Anzeige gebracht habe. Sie sei daraufhin bedroht worden und zog aus ihrer eigenen Wohnung aus. Es habe aber immer weitere Drohungen gegeben und er habe sie auch verfolgt. Sie habe dann die eheliche Wohnung per Gerichtsvollzieher räumen lassen. Die Scheidung habe sie im Juli 1997 eingereicht, vollzogen wurde die Scheidung dann im Dezember 1997. Was Ageeb sonst gemacht habe? Das wisse sie nicht. Es habe keine Papiere gegeben, er habe behauptet, dass er Jura studiert habe. Er habe Englisch gesprochen und habe leicht Deutsch gelernt. Er habe wechselnde Jobs gehabt und sei immer gesund gewesen.Ob er sich politisch betätigt habe? Er sei ein sehr praktizierender Moslem gewesen und habe seine Beziehungen zur Moschee gehabt. Das sei aber ihrer Meinung nach nicht unbedingt politisch. Sie denke eigentlich nicht, dass er politisch verfolgt wurde, denn er sei während ihrer Ehe in den Sudan gereist. Er habe dort eine Familie, Mutter und Geschwister, um die er sich sehr gesorgt und denen er auch Geld geschickt habe. Sie habe ihm Geldgeschenke gemacht, die er dann angeblich an seine Familie weiterschickte.Auf die erneute Frage nach seinem Gesundheitszustand meint die Zeugin, dass er gesagt habe, er stehe unter nervlichem Druck und litte an Kopfschmerzen. Sie sei dem aber nicht weiter nachgegangen.Auf die Frage nach seinem Temperament erklärt die Zeugin, dass zwei Kulturen aufeinander gestoßen seien. Er sei mit den westlichen Werten nicht klargekommen. Wann immer er sich im Recht gefühlt habe, sei er schnell jähzornig geworden. Er habe auch bisweilen zugepackt. Er habe z.B. die Tür eines Zimmers eingeschlagen, in das sie sich eingeschlossen hatte. Die Staatsanwaltschaft fragt nach den Gelegenheitsjobs. Die Zeugin erklärt, er habe über Zeitarbeitsfirmen Jobs bekommen, die aber nur jeweils einige Tage gedauert hätten. Dann habe er einen Job am Hamburger Flughafen bekommen, den er aber nach Streitigkeiten wieder verloren habe. Er habe von ihrem Geld gelebt und nicht zum gemeinsamen Unterhalt beigetragen. Die Staatsanwaltschaft fragt, ob sie glaube, dass er ein politischer Flüchtling gewesen sei. Sie antwortet, dass sie nicht davon ausgegangen sei, denn sein Asylantrag sei abgelehnt worden und er habe das "Regime im Sudan auch anerkannt". Auf die Frage nach seiner Familie sagt die Zeugin aus, dass sie diese nie kennengelernt habe.Auf die Frage des Nebenklagevertreters nach den Jobs antwortet die Zeugin, er habe bis zur Scheidung unregelmäßig Jobs gehabt, nach der Scheidung allerdings gar keine mehr. Sie habe erfahren, dass er einmal einen Kredit von 5000 DM aufgenommen habe. Wenn sie ihm Geld geschenkt habe, habe er gesagt, dass er das Geld postwendend an die Familie schicken würde. Auf die Frage, wie viel das gewesen sei, antwortet die Zeugin, das sei nicht so doll gewesen, alles in allem vielleicht 11000 DM.Die Gerichtsmedizin befragt die Zeugin nach den Kopfschmerzen, über die er geklagt habe. Daraufhin äußerte die Zeugin, sie erinnere sich, dass Ageeb vermutete, einen Tumor im Kopf zu haben und glaube, nicht alt zu werden. Zu welchen Gelegenheiten und warum, wisse sie nicht mehr. Sie habe ihm nicht geglaubt. Sonst sei er immer gesund gewesen. Auf die Frage der Gerichtsmedizin, ob er kräftig gewesen sei, meint die Zeugin, dass er sehr kräftig gewesen sei. Um eine Tür einzuschlagen und sie aus Schloss und Riegel zu sprengen, da gehöre schon Kraft dazu.Auf eine Frage des Gerichts, ob es auch zwischen ihrer Familie und ihm Schwierigkeiten gegeben habe, erzählt die Zeugin, dass er ihr einmal den Autoschlüssel entwendet habe und sie habe daraufhin Anzeige erstattet. Ihre Kinder hätten sie begleitet und zu Hause habe es dann eine schlimme Auseinandersetzung gegeben, bei der eines ihrer Kinder von ihm mit einem Messer die Straße hinunter verfolgt worden sei.Im Anschluss an die Zeugenvernehmung diskutiert das Gericht mit Staatsanwalt und Verteidigung über das weitere Vorgehen. Der Anwalt der Nebenklage will noch den bayerischen Polizisten B. befragen, der die Fesselungsgegenstände eingesammelt haben soll. Der Richter will sich nach dem Verbleib des nicht erschienen BKA-Mannes H. erkundigen, den er noch befragen will. Der Staatsanwalt möchte seine Landshuter Kollegin vorladen, worauf ein erneuter Disput zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft über den Charakter eines informellen Gesprächs entsteht. Die Verteidigung droht, §136 StPO ins Spiel zu bringen, sollte weiter versucht werden, den Inhalt der informellen Befragung verwerten zu wollen. Der Staatsanwalt fragt nach Einlassungen der drei Angeklagten, worauf ihn die Verteidigung darauf hinweist, dass kein vernünftiger Mandant in diesem Fall Aussagen machen würde, und mit einer Einlassung, auch einer zeitlich befristeten, nicht zu rechnen sei.Das Gericht erörtert darüber hinaus die Möglichkeit der Verlesung der Protokolle der Vernehmungen der Auslandszeugen. Die Verteidigung bringt Videovernehmung oder Vorortvernehmung (zumindest der reanimierenden Ärztin aus Ägypten) ins Spiel.
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Ergänzungen

Zur Aussage von Ageebs Ex-Frau

Gotthilf Unsallen 20.02.2004 - 19:10
Es ist auch mir beim Posten nicht gerade leicht gefallen, die Zeugenaussage von Ageebs Ex-Frau unkommentiert stehen zu lassen. Aber die Prozessbeobachtung heißt in meinen Augen, ALLE Infos zu veröffentlichen.

Zwar kann man die Frage stellen, ob es überhaupt sinnvoll ist, eine Ex-Ehefrau, die bei der Abschiebung gar nicht zugegen war, aussagen zu lassen und was dies überhaupt bringen soll.

Meiner Meinung nach sollte man im Gegenzug die (Ex-)Ehefrauen oder (Ex-)Freundinnen der BGSler vorladen und sie über die Gewaltbereitschaft ihrer Männer und Freunde auszusagen.

So schwierig diese Situation auch ist, ich halte es dennoch für wichtig, auch die Aussage von Marion B. öffentlich zu machen, denn es ist schon gut, genau zu wissen, was sie gesagt hat, wenn mal wieder die diffusen Vorwürfe fallen, das Ageeb ein Straftäter und Gewaltverbrecher ist.

Außerdem ändert ihre Aussage nichts an der Tatsache, daß die BGSler ihn getötet haben. Auch wenn Ageeb wie viele Menschen neben seinen guten auch manch schlechte Seiten hatte, rechtfertigt das niemals die Tötungshandlung durch die deutsche Staatsgewalt.

Prozess gegen BGSler im "Fall Aamir Ageeb"

ein Überblick 20.02.2004 - 21:22
INDYMEDIA FEATURE ZUM
Prozess gegen BGS im Fall Ageeb
 http://germany.indymedia.org/2004/01/72570.shtml

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Pro Asyl: Keine exzessive Gewaltanwendung!
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Tod bei Abschiebung
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Ageeb: Prozeß gegen BGSler beginnt im Februar
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