"Wir sind keine Ware!"

passenger 24.10.2003 21:14 Themen: Soziale Kämpfe
Text eines Aktivisten der Bewegung der Precari (Arbeiter ohne gesicherte Arbeitsverhältnisse)
Bildlegende: Asbestarbeiter heute in Turin - Die Rentenreform will u.a- die Frührente für Arbeiter in gesundheitsschädigenden Berufen streichen.

Text des Plakats: Die Ungerchtigkeit ist die Priorität der Regierung.
Mit Krebs ist nicht zu spaßen.
Respektiert die Rechte und die Würde der Arbeiter, die Asbest ausgestzt sind. Kein Artikel 47!

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WIR SIND KEINE WARE!

Wir sind keine Ware!

Die Regierung, wie sie Renten und Löhne angreift, die Bildung, die Sozialsysteme und die öffentlichen Gesundheitssysteme. Um die Rechte der Arbeiter neu zu behaupten, muss man konsequent die prekären Arbeitsverhältnisse bekämpfen und den Kampf gegen die politischen Ansätze des Neoliberalismus und der konzertierten Absprachen weiterführen. Die Preise steigen, die Löhne und die Renten sinken, es scheint eine Banale Feststellung, aber es ist genau das, was seit Jahren geschieht. Die mit dem Pakt vom Juli 1993 festgelegte und von allen Verbänden abgesegnete Lohnpolitik ist die Hauptursache für diese Situation, die durch die Abwesenheit echter Mechanismen zum Schutz der Löhne und Renten vor der Inflation verschärft ist. Inzwischen sind selbst die Forschungs- und Umfrageinstitute, die auf Regierungskurs sind gezwungen zu bestätigen, dass die Kaufkraft der Löhne um 10 bis 13% Prozent gesunken ist und dass die Tarifrunden aufgrund der programmierten Inflation nicht im geringsten im Stande sind, den Arbeiterfamilien eine Kaufkraft zurückzugeben. Mit Sicherheit wurde die Situation durch die Einführung des Euro verschlechtert, aber sie hätte keinen solchen Einfluss auf die Löhne und die Renten gehabt, wenn sie nicht im Rahmen einer jahrzehntelangen Politik der Dämpfung der Löhne und Renten eingesetzt hätte. In den europäischen Ländern wo die Tarifrunden noch den Zweck haben, die Löhne zu sichern, haben der Anstieg der Lebenshaltungskosten und die Einführung des Euro nicht solche Katastrophen produziert wie bei uns. Währenddessen lassen die Privatisierungen (Strom, Gas, Wasser, Telefon), die weiterhin unermesslich wachsen, keinerlei Kontrolle durch Parlament und Regierung zu, ohne dass es eine Möglichkeit gäbe, sozial gerechte Bedingungen für Arbeiter und Rentner durchzusetzen. Die italienischen Arbeiter haben angeblich ein recht auf ?europäische Löhne?. Die Europäische Vereinigung hat zur Vereinigung von vielen Dingen geführt, aber nicht zur Vereinigung der Löhne. Zwischen einem deutschen und einem italienischen Metallarbeiter liegen etwa 1.000 Euro Lohnunterschied, gleiches gilt für die Angestellten im Öffentlichen Dienst. Es ist offensichtlich, dass innerhalb eines vereinheitlichten Marktes, innerhalb ein und derselben EU derart grobe Unterschiede nicht aufrecht erhalten werden können. Die Tarifverträge müssen wieder ihre Funktion der Übertragung der Wertschöpfung vom Profit zum Arbeiter erfüllen und nicht länger bloße notarielle Instrumente darstellen, mit denen die Löhne einer realitätsfremden Inflation angepasst werden, wie mit ihnen während der letzten Jahrzehnte in der Lohnpolitik geschehen ist. Es ist notwendig, Mechanismen der Anpassung der Löhne und der Renten an die Lebenshaltungskosten neu einzuführen, in dem ein neuer ?Warenkorb? an Gütern und Dienstleistungen definiert wird, der nach den Bedürfnissen der Arbeiterfamilien und der Renten ausgerichtet sei und diese automatisch gewährleiste. Die massive Einführung weiterer Formen der Prekarietät mithilfe des Gesetzes 30 von 2003 und der besonders im Süden inzwischen historisch hohen Arbeitslosigkeitsquote zwingen die Einrichtung eines sozialen Einkommens für Arbeiter ohne Absicherung und Arbeitslose auf, der während der Phasen nicht abgesicherter Arbeit und in Phasen der Nichtarbeit allen Sicherheit zuteil kommen lässt. Diese Art der Unterstützung ist in allen Staaten Europas vorhanden, außer in Italien und in Griechenland. Die Lohnfrage ist nicht länger aufschiebbar und muss mit angemessenen Vorschlägen angegangen werden, die endlich eine gerechtere Verteilung der Einkommen in den Mittelpunkt stellen! Die Regierung hat uns im Fernsehen mitgeteilt, das Europa von uns bittet, 40 Jahre zu arbeiten, mit niedriger ausfallenden Renten zu leben, die Unternehmen mit dem Ausschluss neu eingestellter Arbeiter aus der Beitragszahlung der Arbeitgeber zu unterstützen, auf die bisherige Behandlung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Abfindungen, nach einer Anfang des 20.Jahrhunderts begonnenen Vorsorgepraxis, d.Ü.) zugunsten der Börse zu verzichten und sie hat uns gesagt, dass die Regierung das alles zu unserem Wohl tut, um uns eine strahlende Zukunft zu sichern. Die konföderierten Gewerkschaften haben keine andere Antwort auf Lager gehabt, als die Ankündigung von ?Halbstreiks?, zur Verteidigung der Rentenreform von `95, die von der vorausgegangenen Regierung verwirklicht wurde und die schlimmste Zerstörung des öffentlichen Versorgungssystems produziert hat, insbesondere durch die Fragmentierung der Einheit der Arbeiter, mit der Einführung der Beitragspflicht für die, die ´95 weniger als 18 Jahre Beiträge gezahlt hatten. Selbst nach Aussage der Gewerkschaftsexperten war ein drastisches Absinken der Renten das Ergebnis um über dreißig Prozent gegenüber dem letzten Lohn! Die jetzige Regierung übertrifft die vorherige und beschleunigt das Tempo des Abbau des öffentlichen Versorgungssystems, zum einzigen Zweck, integrative Pensionsfonds zu lancieren, die nach den Skandalen mit den US- und UK-Fonds, die Milliarden Dollar und Pfund der Vorsorgeersparnisse amerikanischer und britischer Arbeiter vernichtet haben, in einer Liquiditätskrise stecken und jetzt u.a. mit dem Geld Kasse machen wollen, das die italienischen Arbeiter für ihre Zukunft gespart haben. Es bringt nichts, das bestehende zu verteidigen! Um die Vorhaben der Regierung zu schlagen ist ein Neubehauptungsprojekt des öffentlichen Versorgungssystems nötig das unter anderem zum Ziel haben muss: die unverzügliche Anhebung der existierenden Renten, um allen das Recht eines würdigen Lebens zu ermöglichen, weil der Anstieg der Lebenshaltungskosten auch denen, die aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind wörtlich über dreißig Prozent des Werts der Renten weggefressen hat und die Einführung eines Mechanismus zur Anpassung an die tatsächlichen Preisentwicklungen und an die Dynamik der Löhne. Die Wiederherstellung der Lohnberechnung für alle, um eine Kontinuität der Behandlung bei der Berentung zu gewährleisten und der Solidarität zwischen den Generationen. Die Aufrechterhaltung der Altersrenten und die Verstärkung der Maßnahmen zur Unterstützung der Früharbeiter und derer, die ausmerzende Tätigkeiten verrichten. Die volle Verfügbarkeit für die Arbeiter von Renten und Abfindungen. Ein neues Modell der Finanzierungssysteme für das öffentliche Versorgungssystem, das nicht mehr einzig auf individuelle Beiträge beruhe und größere Beitragszahlungen von solchen Unternehmen erhebe, die durch technologische Innovation Tausende Arbeiter ausstoßen und damit die Einnahmen der Rentenanstalt reduzieren. Sicherung der Beitragsentrichtung für alle, auch während der Phasen nicht abgesicherter Arbeit. Das Recht auf eine würdevolle Rente, nach Jahren der Arbeit, kann nicht den angeführten Bedürfnissen eines Europa des Marktes untergeordnet werden. Mit dem Gesetz 30 von 2003, auch Gesetz Biagi genannt, ist die Entstrukturierung der Arbeitsformen definitiv vollendet worden. Nach dem Gesetzespaket Treu, das der Einführung der Varianten der Prekarietät in der Arbeitswelt den Weg ebnete, hat dieses Gesetz ein wahres Geschenk für die Unternehmen verabschiedet, die von nun an unter den unterschiedlichsten Formen der Ausbeutung Einstellungen vornehmen können werden. Gesicherte und dauerhafte Arbeit existiert nicht mehr, für die Jugend wird eine Zukunft der Unsicherheit und Prekarietät vorausgesehen, die es unmöglich macht, was auch immer zu planen, von der Ehe zum Hauskauf. Aber es werden nicht nur die Jungen sein, die den Preis von diesem Gesetz zahlen werden. Sein Inkrafttreten wird den Unternehmen erlauben, auch die Arbeiter in gesicherten Verhältnissen zu erpressen. Es gibt keine Schutzbestimmungen mehr, aber den Prekären Arbeitern wird die Zahlung von Rentenbeiträgen aufgezwungen, von denen sie nie zehren können werden, wer wird es schaffen, 40 Jahre Beitragszahlungen zustande zu bringen, wenn er eine Woche pro Monat oder ein Jahr von dreien arbeiten können wird? Und selbst wenn er auf die Altersrente warten würde, welche Höhe wird eine Rente haben, die auf der Grundlage von derart episodenhaften Beiträgen berechnet werden wird? Eine grundlegende Richtungsänderung tut Not, dauerhafte und gesicherte Arbeit für alle, garantierte Soziale Einkommen für Prekäre und Arbeitslose, Investitionen im Bildungsbereich, Aufhebung der Einstellungsstopps und des turn over, Sozialtarife für Prekäre und Arbeitslose. Dass die Rechte der Arbeiter seit langem unter Angriff stehen, ist eine bekannte Sache. Von den Versuchen, den Artikel 18 (Kündigungsschutz, d. Ü.) bis hin zum fast vollständigen Fehlen von Demokratie an den Arbeitsstätten, die es den Gegnerseiten ermöglicht, die Gewerkschaften auszuwählen, mit denen sie verhandeln wollen. Dem kommt jetzt der brandneue Angriff gegen die Institution des Generalstreiks, der im August von der Gewährleistungskommission über das Streikrecht vorangetrieben wurde, der es faktisch unmöglich macht, diese historische Kampfform der Arbeiterbewegung zu nutzen, um sich den zerstörerischen Praktiken der Regierung und der Herrschaft. Es ist Zeit, mehr Demokratie einzufordern und diese an der Arbeitstätten wieder herzustellen durch die Forderung nach: Einführung eines Gesetzes über eine alle Arbeitsstätten betreffende gewerkschaftliche Repräsentanz und Repräsentativität, die es ermöglicht, konkret die Zustimmung für jede Organisation zu prüfen und die in der Lage ist, jede Vorzugsbehandlung zu eliminieren; die Absicherung für jeden Arbeiter, unabhängig von der Stärke der Firma für die er arbeitet, vor ungerechtfertigter Kündigung; Wiederherstellung eines Streikrechts, welches die Dienstleistungen gewährleistet, aber auch das Recht der Arbeiter zu kämpfen. Ein öffentliches Bildungssystem, ein öffentliches Gesundheitswesen, öffentliche Dienstleistungen, die heute einer regelrechten Demontage ausgesetzt sind, müssen verteidigt und neu aufgewertet werden. Nicht nur die Unannehmbarkeit der Finanzierungen Privater steht auf dem Spiel, sondern ein Zivilisationsmodell schlechthin. Das Recht auf Bildung und Gesundheit für alle Bürger unabhängig vom Einkommen sind historische Errungenschaften, die durch die gegenwärtige Anmaßung, sie in Waren umzuwandeln großer Gefahr ausgesetzt sind.

Der Sprecher der Prekären Arbeiter der 12 vibratianischen Gemeinden (Provinz Terni)
 settimioferranti@libero.it

Quelle: http/www.italy.indymedia.org/news/2003/10/408010.php
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