2600 Nazis marschierten durch Wunsiedel

Thommy 18.08.2003 21:59 Themen: Antifa
Im fränkischen Wunsiedel veranstalteten am vergangenen Samstag 2600 Nazis aus ganz Europa ihren alljährlichen Rudolf-Hess-Gedenkmarsch. Begleitet von Trauermusik marschierten die FaschistInnen über eine Stunde schweigend durch den Ort.
Soll der Widerstand gegen den Hess-Marsch bereits in den letzten Jahren sehr schwach gewesen sein, fand er dieses Jahr praktisch nicht statt. An einer bürgerlichen Gegenkundgebung nahmen etwa 500 Menschen teil. Der Wunsiedeler 1. Bürgermeister Karl-Willi Beck (CSU) war bei seiner Rede peinlich darum bemüht, das Image seiner Stadt zu schützen, indem er immer wieder betonte, dass Hess ja gar kein Wunsiedler gewesen sei, und immer wieder durchscheinen ließ, dass es ihm weniger um die Tatsache ging, dass 2600 Nazis einen Gedenkmarsch zu Ehren eines Kriegsverbrechers und Hitler-Stellvertreters veranstalteten, sondern darum, dass sie es in 'seiner' Stadt taten (ich bin sicher, wenn sie in einem Nachbarort marschiert wären, hätte es ihn kein Stück interessiert). Von vielen der anwesenden BürgerInnen erhielt er für seine Rede, in denen er 'rechten oder linken Aufmärschen in unserer Stadt' gleichermaßen eine Absage erteilte, Applaus.

Das schlimmste aber war die Normalität, mit der auch Nazis in Kleingruppen ständig über den Marktplatz, wo die Gegenveranstaltung stattfand, liefen, dort ein Eis in der Sonne genossen usw., ohne irgendwie beschimpft zu werden oder so. Das ganze wirkte wie ein nettes Stadtfest, wo Rechte, Linke, BürgerInnen und Bullen zusammenkamen, ohne dass irgendeine größere Spannung in der Luft zu liegen schien. Diese grotesk-friedliche Atmosphäre war irgendwie das Schlimmste an der ganzen Situation.

Als die Kundgebung zu Ende war, gingen die meisten Leute wieder nach Hause. Nur etwa 100 Menschen verblieben auf dem Marktplatz, an dem der Faschisten-Zug vorbeilaufen sollte.

Am Versammlungsort der Nazis fanden sich dagegen nur eine Handvoll BürgerInnen ein, die z. T. interessiert die Flugblätter der Nazis entgegennahmen. Leute, die dem Aufmarsch feindlich gegenüber zu stehen schienen, waren außer uns keine da, und auch wir brachten angesichts des Zahlenverhältnisses 5 gegen 2600 und der Ankündigung eines Polizisten, auch "verbale Konfrontationen" unterbinden zu wollen, leider nicht den Mut auf, das Maul aufzumachen.

So setzte sich der Schweigemarsch also in Bewegung. In klar getrennten und durch Fahnenträger gekennzeichneten Blöcken, wie sich das für einen echten Aufmarsch gehört, zogen die Faschisten los, begleitet von gespenstischer Trauermusik aus einem Lautsprecherwagen. Die Teilnehmerzahl überstieg nach Medienberichten die des letzten Jahres knapp. Nationalisten aus Deutschland, Österreich, Großbritannien, Skandinavien, Tschechien usw. hoben für Rudolf Hess, ihren 'Märtyrer für den Frieden' (!), stolz ihre Fahnen in den Wind. Wobei mir das verworrene Denkmuster eines tschechischen oder britischen Nationalisten nicht wirklich klar ist, wenn er für einen der ranghöchsten Nationalsozialisten auf die Straße geht.

Auf ihrem einstündigen Marsch durch Wunsiedel wurden die Nazis nur auf einer Strecke von 30 Metern gestört, als sie am Marktplatz vorbeikamen. Dort wurden sie von den 100 verbliebenen GegendemonstrantInnen, die durch eine Polizeiabsperrung 10 Meter auf Abstand zu den FaschistInnen gehalten wurden, beschimpft und mit Parolen bedacht. Ansonsten gab es keinerlei Störaktionen gegen den Hess-Marsch, bei dem übrigens 70 Nazis festgenommen wurden (wegen gefundener Waffen, Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Trunkenheit).


Ich persönlich war sehr geschockt von dieser Übermacht von Nazis, vielmehr aber noch von dem praktisch nicht vorhandenen Widerstand. Die meisten Antifas scheinen der Meinung zu sein, dass sich Widerstand nur dann lohnt, wenn man drei mal so viele ist wie die Nazis. Und so kommt es dann, dass eine Kundgebung mit 500 genervten EinwohnerInnen, ein paar "Wunsiedel ist bunt, nicht braun"-Transparenten und nach WiderstandskämpferInnen umbenannte Straßenschilder alles an Protest ist, was dem größten alljährlichen Naziaufmarsch Europas an Gegenwind entgegenschlägt. Dazu kommt, dass gerade so ein gespenstischer Schweigemarsch zumindest akustisch leicht zu stören ist, wenn wenigstens ein paar mehr Leute den Weg hierher gefunden hätte. Dann wäre auch so eine unerträgliche Normalisierung dieser Zustände nicht möglich gewesen.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Phänomen Wunsiedel

xyz 19.08.2003 - 03:36
Viele AktivistInnen, die bewußt nicht nach Wunsiedel gefahren sind, begründen dies damit, dass die Nazis nicht in der Lage seien von solchen Großveranstaltungen für die eigene Propagandaarbeit vor Ort zu profitieren. Die wenigsten Leute können sich vorstellen, dass in einer westdeutschen Stadt eine so offene Sympathie für Nazis herrscht, was vielleicht auch daran liegt, dass die Glatzen an diesem Tag ausnahmsweise mal schweigen anstatt zu grölen. Es existiert wie beschrieben quasi kein Widerstand, viele Bürger schließen sich sogar dem Demozug an oder hören den Reden zu. Vielleicht ist es auch nur der Schock vom Wochenende, aber so ungefähr hab ich mir Nazi-Aufmärsche im 3. Reich vorgestellt. AntifaschistInnen, die sich lautstark zu Wort melden, werden von Bürgern und Polizei als störend empfunden, Nazis können sich absolut frei bewegen, Linke dagegen werden von der Polizei penibel durchsucht und an johlenden Nazis vorbei durch den selben Kontrollpunkt geschleust.

Ali hat recht

antiracist 19.08.2003 - 11:14
Der Text kommt mir auch fast wie ein Nazifake vor, wahrscheinlich enttäuscht, daß antifamäßig nix von ihrem großen Aufmarsch hier gepostet wurde und der somit auf indy bis jetzt nicht stattgefunden hat. Ok, is schon sehr verschwörungstheoretisch.

Die Bilder mit den Bildunterschriften sind aber trotzdem auf jeden Fall der absolute Faschoschrott. "Nationalisten aus ganz Europa nahmen teil" und "interessierte Bürger nahmen Progagandamaterial entgegen" hallo indymods, was soll das? ein einfacher Bericht, der das kurz und knapp berschreibt, hätt gereicht. so siehts eher nach teilweise nich mal versteckter Propaganda für den Aufmarsch aus. Schmeißt wenigstens die Fotos mit den Bildunterschriften raus. Wie Ali schon gesagt hat, entweder Bilder mit denen Antifas was anfangen können, ansonsten brauchen wir hier sowas nicht, das ist immer noch ein linkes Nachrichtenportal und kein Ort wo die Rechten sich abfeiern können. Hoff ich jedenfalls.

Dicker Mann

Hähnel 19.08.2003 - 12:24
Der dicke Mann mit dem Schnurrbart, der auf dem ersten Bild im Lauti-Wagen sitzt, war wie mir scheint auch beim NPD-Aufmarsch am 1. Mai 2003 in Berlin für die Technik zuständig.

Der Artikel beschreibt die Realität

mannheim-68erz 19.08.2003 - 13:24
Wunsiedel - das ist nunmal die einzige große Naziveranstaltung, die nicht von konsequenten Protesten und großer Mobilisierung begleitet wird. Deshalb ist es für Antifas immer wieder deprimierend, hinzufahren. Und deshalb fährt auch niemand hin. Zumal man auch Ewigkeiten braucht, um in dieses Scheisskaff zu kommen.
Das muss sich ändern! Wenn ENDLICH konsequent (mindestens) bundesweit und lange im Voraus mobilisiert wird, können wir es schaffen diesem Pack seine symbolträchtigste und erfolgreichste Veranstaltung kaputt zu machen.
Wunsiesel muss ein Event werden wie die Nato-"Sicherheitskonferenz" in München. Das wäre ein Erfolg für die antifaschistische Bewegung! (und die herbste Niederlage der Faschos seit langem)

UNGLAUBLICH!!!

aus mexico 19.08.2003 - 19:42
es ist menschen hier in mexico nur sehr schwer zu vermitteln, dass in deutschland solche nazi-aufmaersche stattfinden und es keinen widerstand gibt. ich denke nicht, dass dies ein problem der mangelnden mobilisierung ist, oder der faulheit, weil viele (berufs-)antifas nicht zu dem ort gefahren sind, vielmehr ist es ein zeichen, dass die bisherige strategie der antifas zu kurz greift. antifa heisst - meiner meinung nach - nicht den nazis hinterherzurennen und jeden aufmarsch zu stoeren. antifa bedeutet mehr. ich denke es geht darum, jederzeit, also jeden tag zu sensibilisieren. ich meine - waehre es ein erfolg gewesen, wenn 1000 autonome antifas diesen aufmarsch verhindert haetten, doch die bevoelkerung mitleid mit den nazis und einen hass auf "gewaltbereite chaoten" gehabt haette? solange die bevoelkerung nicht selbst gegen die nazis mobilisiert ist jeder nazi-aufmarsch eine "niederlage der antifaschistischen bewegung". soweit meine meinung und ich weiss, dass nun sehr viel kritik kommen wird, doch darum habe ich diesen kommentar geschrieben, ich denke eine auseinandersetzung ist von allerhoechster not!! nicht um sich fertigzumachen, sondern um neue strategien zu entwickeln... lieben gruss aus mexico!

Warum wurde mein Erlebnis gelöscht?

Dimitri 19.08.2003 - 20:30
Hallo Mods, warum wurde mein Beitrag von meinem Erleben der Wunsiedel-Nasen-Demo gelöscht?

Hier versuch ich´s jetzt noch mal niederzuschreiben, um jeglicher unberechtigter Zensur vorzubeugen, werde ich mir meinen Beitrag auch speichern und ggf. wieder einbringen.

Also das allerschärfste, was die Nazis m. E. gemacht haben, ich war selbst betroffen, war, daß die vielerorts die symbolischen Straßenumbenennungen und Transparente (wo erreichbar) abrissen und mitnahmen oder vor Ort vernichteten, und dies lange, bevor der Nasen-Demozug losging. Ich befand mich zum Zeitpunkt des Aufmarsches eingekesselt am Marktplatz von Wunsiedel. Die Nazis haben doch tatsächlich ein Transparent, welches Wunsiedeler Kinder gemalt haben mitgeführt. Ursprünglich stand da wohl drauf: "Faschisten - herzlich UN-willkommen!" Die Nazis hatten das so gefaltet und getragen, daß das "UN" nicht mehr lesbar war und sie hatten die ganze Zeit dieses riesige Transpi mitgeführt. Offensichtlich sah die Polizei keinen Grund, einzuschreiten. Als sie bei uns am Markt vorbeikamen, fingen wir natürlich lautstark dagegen an zu protestieren. Neben mir stand eine Frau (Mitte 30), welche anfing zu weinen. Auf meine Frage, warum, sagte sie mir, daß ihre Tochter wohl an genau diesem Transparent mitgemalt hatte. Wir unterhielten uns länger. Heraus kam, daß die gesamte Klasse der Tochter unter Androhung von Sanktionen (Schlechter Noten usw.) durch den Direx und den Religionslehrer mehrere Tage ihrer Ferien (während andere Baden waren) in der Schule verbringen mußten und zig Transparente malen mußten. Oft kam die Tochter heulend nach Haus und die Mutti hat versucht sie zu überzeugen, daß es doch aber eine wichtige Arbeit sei. Und nun mußte sie als Mutter mit ansehen, wie die Nazis dieses Transparent mit sich führten. Weiterhin mußten die Schüler wohl vertretern gleich von Haustür zu Haustür gehen und versuchen durch Bitten und Betteln die Leute dafür zu begeistern, sich am Demo-Tag die Plakate in die Fenster zu hängen. Oft ernteten sie nur Spott und wüste Beschimpfungen. Am Ende hingen am 17. auch keine Plakate in Privatfenstern.

So sollte man die Kinder nicht versuchen zu erziehen. Wenn das wahr ist, was mir die seriös erscheinente Mutter erzählte, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn gerade diese Schulklasse das nächste Mal mit den Nazis marschieren wird. Hier sollte man pädagogisch sensibler vorgehen.

Schreibt hier vielleicht jemand aus Wunsiedel, der diese Art und Weise des organisierten Widerstandes bestätigen kann? Wäre für mich ein ziemlicher Skandal. Damit treibt man diese Menschen ja förmlich den Braunen Rattenfängern in die Netze.

Schämt euch, ihr Münchner!

X 20.08.2003 - 10:26
München ist die nächste Großstadt zu Wunsiedel, wenn also jedes Jahr tausende von Nazis ungestört durch Wunsiedel marschieren können ist das zuallererst auch ein Versagen der Münchner Antifagruppen, von denen meines Wissens keine irgendwie mobilisiert hat. Das muss sich nächstes Jahr ändern, und mit mir wird schon mal einer richtig losmobolisieren, denn das kann ja wohl echt nicht sein!!

Typ im Lauti

lotta 20.08.2003 - 14:43
Der fette, alte Neonazi im Lautsprecherwagen ist Jürgen Güntz aus Riesa. Er ist der Besitzer des NPD-Lautsprecherwagen, welcher für gewöhnlich auf dem Deutsche Stimme-Gelände in Riesa geparkt ist.
Güntz ist außerdem NPD-Stadtrat in Riesa.

Hintergründe&Weitergehendes

Ver-Linker 22.08.2003 - 16:48
Wunsiedel - Geschicht, Ursachen und Folgen:
 http://de.indymedia.org/2003/08/60105.shtml

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 7 Kommentare an

@sharp — Philipp

Was? Nazis? Wo denn? — so'n Typ

nazimüll — ali

mehr bilder — zecke

schau mal bei "oi-Krach" — vaddi+muddi

Antifa am Ende??? — Orbiter

unvorstellbar.... — ganzbaff