Aktionen beim 6. antirassistischen Grenzcamp

tutu 15.08.2003 00:12 Themen: Antirassismus
Über die Diskussion über den massiven Bulleneinsatz beim 6. antirassistischen Grenzcamp geraten phantasievolle Aktionen aus dem Blickfeld. Das sollen sie nicht.
6. Antirassistisches Grenzcamp in Köln.
Kreative Aktionen zwischen "Friedenscampen" und "Steinewerfen"

Nach 10 Tagen Aktionen, Diskussionen, Demonstrationen und einfach nur Bekannte treffen und die Sonne genießen wieder zurück in Berlin. Das 6. Antirassistische Grenzcamp, ein Fixpunkt am kargen Himmel autonomer Politik. Hier treffen sich unter dem Banner "Antirassismus" keine "Friedenscamper", wie die Süddeutsche Zeitung am 11.8. schrieb, sondern ein bunter Haufen derjenigen, die mit kreativen Aktionen und begrenzter Provokation die Menschen auf bestimmte Dinge eher stoßen wollen, als den/die NormalbürgerIn an die Hand zu nehmen und dort abzuholen wo sie sich in ihrer durch Arbeitslosenzahlen, Sozialabbau und rassistischem Grundkonsens bestimmten nationalen Tristesse gerade mal befindet. Hier treffen sich keine Friedenshippies, die versuchen, ihre eigene heile Welt in einer Falschen aufzubauen, aber auch, zumindest primär, keine jugendlichen Heißsporne, die - schwarz vermummt - im Steinewerfen die einzige Form linksradikaler Politik sehen. Es ist Platz für Aktionen, die klandestin und mit kreativem Kopf, in Anlehnung an Stadt- und Kommunikationsguerilla, die herrschenden Verhältnisse - zumindest lokal - zum Tanzen bringen. Doch dies geht im öffentlichen Diskurs und im Abarbeiten an angeblichen "Steine- und Fäkalienwerfern" und der massiven Polizeibrutalität, die dieses Camp erfahren hat, unter. Was bleibt sind eben die "Friedenscamper" der Süddeutschen Zeitung und die "Steinewerfer" und "Straftäter" der Kölner Polizeiberichte. Aber auch im internen Diskurs, was um so trauriger ist, ist davon bisher auf Seiten wie Indymedia oder KanalB? wenig zu lesen und zu hören. Um praktische linke Politik mit Inhalt zu füllen, sollte aber über diese Art von Debatten hinaus eine Beschäftigung mit Inhalten und Aktionsformen stattfinden. So finde ich es viel weiterführend, sich mit den zahlreich stattgefundenen kleinen Aktionen während des Camps auseinander zusetzen oder zumindest, zu berichten, dass es sie auch gegeben hat. Und das abseits von linker Prollemik alla "Es gab da ne Aktion bei ..., Die Bullen haben ... Leute festgenommen, aber dann haben wir's denen auch gezeigt. Mollies und Steine. Für die Revolution!" Hört sich gut an, aber ist das wirklich alles?
Klar wir müssen uns auch in schwieriger Zeit gegenseitig Mut zusprechen, damit mensch den Traum einer möglichen Revolution nicht verliert, mensch kann sich auch beweihräuchern und auf die "Bullen" schimpfen, auch dass braucht gelegentlich die geschundene autonome Seele, aber wenn das alles ist, dann ist es mir nicht schade um diese Bewegung und vielen anderen wahrscheinlich auch nicht.

Blue/Silver - Block: Als Aktionsform, die sich durch mehrere Aktionen des Camps zog möchte ich als erstes die "Blue/Silver"-AktivistInnen erwähnen. In blaue Overalls und silberne Accessoires gekleidete AktivistInnen, sofort auffallend, aber sich den elektronischen Bullenaugen uniform und nicht direkt unterscheidbar darbietend rennen, springen, laufen trommelnd durch die Straßen Kölns. Sprechchöre werden gerufen und an spontan ausgewählten Stellen werden kleine Theaterszenen gespielt. Schön und gut, aber inwieweit ist das als politische Aktion zu verstehen? Entstanden ist die Aktionsform nach den Protesten 2001 gegen den IWF-Gipfel in Prag. In phantasievoller Pink und Silber Aufmachung marschierten AktivistInnen der "radical cheerleaders" an der Spitze eines Demonstrationszuges. Ziel war, durch die ungewöhnliche Aufmachung zu irritieren, die Pauschalisierung als "Schwarzer Block" zu durchbrechen und die Stimmung auf der Demonstration zu steigern. Doch es blieb nicht dabei: Wesentliches Element dieser Aktionsform war schon in Prag die durch die Irritation und harmloses Auftreten entstandenen Spielräume - beispielsweise in Bullenketten - konsequent zu nutzen, d.h. diese zu durchbrechen. Als "Pink and Silver" waren sie auch schon vor zwei Jahren auf dem Grenzcamp in Frankfurt am Main dabei. Zur Abwechslung waren sie auf dem Kölner Camp als "Blue and Silver" vertreten. Durch ein DeligiertInnen-System sind die TeilnehmerInnen untereinander vernetzt und an allen Entscheidungen beteiligt. Entscheidungen werden durch verschiedenen Handzeichen getroffen. "Blue (Pink) and Silver" vereinigt also mehreres: Aufhebung von Grenzen (z.B. beim Durchbrechen von Bullensperren), Steigerung der Stimmung auf der Demo, erschwerte Verfolgung durch die Büttel, kreative Entscheidungsfindung und positive Auswirkung auf PassantInnen. Das heisst nicht, dass es wieder nur um Bullen gehen soll, sondern um eine Art symbolischer Grenzüberschreitung.
Auf dem Camp war "Blue and Silver" am Donnerstag und am Freitag präsent. Am Donnerstag als Teil der Innenstadtaktionen im Kölner Hauptbahnhof, davor und in der ganzen Stadt und am Freitag auf der Demonstration gegen die IOM (International Organisation for Migration) in Bonn. Am Donnerstag konnte "Blue and Silver" durch eine kleine Zugfahrt in nahe Vororte von Köln für die Bullen unerwartet in Köln anreisen. Im Zug noch inkognito, füllte sich der Bahnsteig bald mit blau/silbernen AktivistInnen, welche laut trommelnd über die Rolltreppen in einen Seitengang des Bahnhofs gelangten. Ziel war aber die Haupthalle des Bahnhofs, die durch eine lose Bullenkette abgesperrt war. Kurzentschlossen wurden die verdutzten Beamten trommelnd und laut rufend überrannt, sodass eine halbstündige Kundgebung mit kurzen Theatereinlagen und dem Verteilen von Flugblättern im Bahnhof möglich wurde. Verteilt wurden auch Alternativausweise für alle Personen und alle Länder, welche mit Fragen wie "gewünschter Name" oder "gefühltes Alter" selbstausgefüllt werden konnten. Diese Ausweise, so die Aufschrift, ersetzten die herkömmlichen Ausweise, sind aber so universell, dass sie mitgenommen und auch zuhause gelassen werden können. Später gab es noch Aktionen und Redebeiträge von Erfahrungen von MigrantInnen und Flüchtlingen mit deutschem Rassismus auf der Domplatte. Leider hatte die Polizei den Bereich relativ weiträumig abgesperrt, sodass viele PassantInnen gar nichts hören und sehen konnten. Später ging es noch in einer Demo durch die Stadt.

Die IKEA-Aktion: In mehreren Kleingruppen versuchten AktivistInnen des Grenzcamps unbemerkt zu IKEA im Süden Kölns zu gelangen. IKEA lässt über ein Subunternehmen die Schrauben für die IKEA-Möbel im Abschiebeknast Büren zu miserablen Bedingungen verpacken. Die Abschiebehäftlinge bekommen 2-3 Euro die Stunde, wovon sie noch 3/7 zur Finanzierung der Abschiebehaft abgeben müssen. Leider fuhren die Straßenbahnen so selten, dass schließlich fast alle Kleingruppen in einer Bahn landeten. Dies bekamen dann auch die Bullen, wahrscheinlich über Spitzel, mit. Als die AktivistInnen bei IKEA ankamen, standen schon mehrere Wannen bereit. Wider Erwarten ließen sie uns aber ungehindert in das IKEA-Gebäude "einsickern". IKEA-MitarbeiterInnen standen irgendwie alarmiert bereit, griffen aber nicht ein. Im Gebäude wurden Flugblätter verteilt und KundInnen auf die durch IKEA unterstützte Ausbeutung hingewiesen. Andere AktivistInnen klebten im wie bei IKEA üblich öffentlich zugänglichen Lagerbereich, Aufkleber auf die Verpackungen von Billi bis Ivar, die auf eben diese Ausbeutung und Unterstützung rassistischer Ausgrenzung hinwiesen. Auf Pappkartons und Produktetiketten waren diese sicher schwer zu entfernen. Hinter den Kassen fang gleichzeitig eine Megafonkundgebung statt und es wurde mit KundInnen versucht zu diskutieren. Nach ca. 10 Minuten war die Kundgebung beendet. Viele, die später gekommen waren, bekamen leider nichts mehr von der Aktion mit. Die IKEA-MitarbeiterInnen waren bis zum Ende der Aktion extrem entspannt und ließen die AktivistInnen ihre Botschaft vermitteln. Teilweise fragten die MitarbeiterInnen auch ganz interessiert, worum es denn überhaupt ginge. Ein Mitarbeiter mit einem Polo-Shirt mit der Aufschrift "Einrichtung & Kommunikation" erklärte, dass IKEA den Vertrag mit dem Subunternehmen schon vor zwei Wochen gekündigt habe.
Alle AktivistInnen konnten schließlich von der Polizei ungehindert zurück zur Straßenbahn laufen. Ein Teil der AktivistInnen fuhr nach Köln, ein anderer nach Bonn.

Das Ibis-Hotel in Bonn: Die ibis-Hotels gehören zur ACCOR-Gruppe, welche am Gutschein bzw. Chipkartenystem profitieren und in Frankreich Räume als Zwischenunterbringung für Abschiebehäftlinge vermieten. Daher waren ibis-Hotels schon öfter Ziel von Aktionen geworden. Hier wurde folglich konfrontativer und ohne direkt vermittelnde Absicht vorgegangen: AktivistInnen versammelten sich neben dem Hotel. Aufgaben waren schon verteilt. Auf ein Zeichen hin gingen die AktivistInnen vor das Hotel, es wurden die Scheiben mit Plakaten beklebt und mit Graffiti besprüht. Zusätzlich wurde der auf dem Weg gesammelte Müll in die Lobby des Hotels geschüttet. Ein in der Nähe stehender "Grüner Punkt"-Container entging den Augen der AktivistInnen nicht und landete zielsicher im Eingang. Schon eine halbe Minute später war von den AktivistInnen nichts mehr zu sehen.

Geburtstagsgratulation für das Ausländerzentralregister: Mit Kuchen, Kerzen und Glückwünschen begrüßten AktivistInnen des Grenzcamps die Angestellten des AZR und "gratulierten" zum 50jährigen bestehen. Teilweise nahmen die Angestellten die Gratulation für bare Münze und bedankten sich artig. Scheinbar ist ihnen der Charakter ihres Tuns gar nicht bewusst. Da muss wohl die Ironie in der sonst gelungen Aktion deutlicher gemacht werden. (Leider war ich bei der Aktion nicht dabei, habe sie aber erwähnt, da ich sie sehr lustig fand)

Kundgebung vor dem IOM: Sehr gefallen hat mir auch die Kundgebung vor der "International Organisation for Migration" (IOM) in Bonn/Bad Godesberg. Leider war der Platz vor dem IOM-Gebäude abgesperrt. Das war aber gar nicht so schlimm, da die OrganisatorInnen sich viel Mühe gemacht haben und ein Telefongespräch mit einer Mitarbeiterin des IOM präsentieren konnten. Die AnruferInnen, die sich als "kein mensch ist illegal" vorstellten, teilten der Mitarbeiterin mit, dass das IOM den Hauptpreis einer Lotterie, eine Weltreise gewonnen habe. Da das Gespräch nicht real, sondern fiktiv vorproduziert war, legte die Mitarbeiterin nicht auf und die Anruferin konnte sämtliche Stationen der Reise aufzählen. Diese waren Länder in denen das IOM besonders aktiv ist. So könnten die IOM-MitarbeiterInnen im Kosovo abgeschobene Bürgerkriegsflüchtlinge in ihren miserablen Behausungen besuchen und in der Ukraine oder Afghanistan mit nicht anerkannten Asylbewerbern und Kriegsflüchtlingen sprechen, so diese überhaupt noch lebten. Ziel der Reise war Nauru, eine Insel im Pazifik, welche sich dem internationalen Flüchtlingsmanagement verschrieben hat. Insgesamt mal eine andere Art des normalen Redebeitrages mit dem Nebeneffekt, dass einige Infos besser im Gedächtnis blieben.
Nach Ende dieses fiktiven Telefonats wurde noch versucht, den Leiter des IOM in Bonn Herrn Hemingway direkt zu erreichen. Bei allen drei Versuchen, wurde der Hörer abgenommen und gleich wieder aufgelegt. In der Realität hielt Herr Hemingway wohl nicht so viel von dem errungenen Hauptgewinn.

Es gibt noch unzählige Sachen zu erwähnen. So tauchte ein Brief mit Briefkopf des Polizeipräsidiums in Köln in mehreren Kölner Briefkästen auf. In diesem Schreiben wurden die BürgerInnen dazu aufgefordert, ihre Reiseaktivitäten der letzten drei Jahre bekannt zu geben. Auch kursierte ein Brief mit Briefkopf der Stadt Köln. Es wurden kontrollfreie Zonen eingerichtet und gemeinsames "Freibaden" organisiert.

Die genannten Aktionen sind nur eine Auswahl. Ich war nicht bei allen Aktionen dabei und kann dazu also auch nichts schreiben. Dies mögen andere tun... . Alle sind aufgefordert, die genannten Aktionsformen aufzugreifen und weiter zu entwickeln.

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Ergänzungen