Israelische Boykottdiskussion

Tom 04.07.2003 00:10
In der radikalen Linken Israels läuft seit einiger Zeit eine Debatte, ob man den Boykott gegen institutionelle Beziehungen mit israelischen akademischen Einrichtungen unterstützen soll, der besonders an französischen und amerikanischen Universitäten immer mehr Anhänger findet. Ich dokumentiere im folgenden die zwei Haltungen dazu, die sich auf der Hauptseite von Indy Israel befinden.
Die erste stammt von Politikproffessor Neve Gordon an der Ben-Grueion Universität.  http://www.indymedia.org.il/imc/webcast/display.php3?article_id=50440
Gordon ist wegen seiner Kritik an der Besatzungspolitik Israels heftigen Angriffen ausgesetzt. Man hat ihn ?Anwärter auf einen Posten beim Judenrat? und fanatischen Antisemiten genannt. Reiche Förderer aus dem Ausland haben gedroht, der Ben-Gurion Universität keine Stiftungsgelder mehr zukommen zulassen, so lange Gordon dort unterrichtet. Die Uni hat sich dem Druck nicht gebeugt. Das, so Gordon beweise, daß es in Israel noch immer akademische Freiheit gebe, die jedoch von Scharon und seiner Regierung unter Feuer sei. Ausländischer Boykott helfe indirekt Scharons Regierung sein Vorhaben durchzusetzen und die akademische Selbstverwaltung abzuschaffen und durch von der Regierung eingesetzte Räte zu ersetzen.
?Unabsichtlich helfen amerikanischen und europäische Unterstützer eines solchen Boykottes diesen Angriffen. Mit Sicherheit haben sie einige innerisraelische Gegebenheiten nicht in Betracht gezogen, besonders die Offensive gegen die Universitäten und die antiintellektuelle Atmosphäre, die sich in Israel ausgebreitet hat.?
Weiter meint Gordon, spräche gegen den Boykott, daß einige seiner Unterstützer aus Ländern kämen, wo es auch sehr viel Unterdrückung gäbe, aber vor allem zögen sie nicht in Betracht, daß es nicht die USA träfe, die gerade Scharon 12 Milliarden US Dollar versprochen habe i.e. ein Boykott also nichts nütze, sondern aus den obigen Gründen nur schade.

Weiter meint Gordon daß die israelischen Unis ?Inseln der Freiheit? seien in einer erstickenden und bedrohlichen Umgebung. ?In den letzten jahren haben die israelischen Medien, die früher für ihre kritische Haltung bekannt waren, immer mehr abweichende Meinungen unterdrückt bis hin zum Verbot vn Liveinterviews mit Palästinensern?


Die zweite stammt von der Linguistikprofessorin Tanya Reinhardt an der Uni Tel Aviv, die sich kategorisch dafür ausspricht, daß ausländische akademische Institutionen jeglichen offiziellen Kontakt mit wissenschaftlichen Instiutionen in Israel abbrechen.



Am 31. Januar verfaßte Tanya Reinhard ?Professor of linguistics at Tel Aviv University? folgende Erklärung zu dem akademischen Boykott israelischer Wissenschaftler, die von den Universitäten Paris VI, Grenoble und Montpellier gefaßt wurden. In der Begründung des Boykotts durch Paris VI heißt es unter anderem:

?Die israelische Besatzung macht es unseren palästnensischen Kollegen unmöglich zu unterrichten oder Forschung zu betreiben: Die Erneuerung des Assoziierungsabkommens, zwischen der EU und Israel, besonders betreffs Forschung ist eine Form der Unterstützung der gegenwärtigen israelischen Politik und verstößt somit gegen Artikel 2 des Abkommens (Einhaltung der Menschenrechte und demokratische Prinzipien)

Tanya Reinhardt schreibt:

?Es ist dieser Tage für eine israelische Akademikerin nicht leicht, Boykottaufrufe gegen israelische Forschungseinrichtungen zu unterstützen. Wie jeder andere Teil der israelischen Gesellschaft zahlen auch die Universitäten ihren Preis für Israels Krieg gegen die Palästinenser, mit schweren Budgetkürzungen und sich verschlechternden Forschungsbedingungen. Man kann daher verstehen, daß die isrelische akademische Welt alles mobiliserit, um Boykottversuche abzuwehren. Verständlich, aber nicht gerecht.

Wie auch ihre Kollegen in Frankreich so unterstützten die meisten israelischen Akadamiker den Boykott gegen Südafrika, der letztendllich zum Ende der Apartheid beitrug. Das bedeutet, daß sie Boykott als legitimes Mittel anerkennen, mit dem die internationale Gemeinschaft Veränderungen erzwingt, wenn es zu ernsten Verletzungen moralischer und ziviler Regeln kommt. Daher ist die Frage, ob Israel und Südafrikas Apartheid vergleichbar sind.

).Ich glaube, daß Israel dem südafrikanischen Apartheidmodell bereits vor den letzten Ereignissen gefolgt ist. Hinter der Fassade des Oslo ?Friedensprozesses?, hat Israel die Palästinenser in immer kleinere Enklaven gedrängt -eine direkte Kopie der Bantustans. Anders als Südafrika ist es Israel jedoch bis jetzt gelungen, seine Politik als großen Friedenskonpromiß zu verkaufen. Unterstützt von einer Battaillon von Intellektuellen aus dem sogenannten ?Friedenslager? ist es gelungen die Welt davon zu überzeugen, daß es möglich ist, einen palästnensischen Staat ohne Landreserven, ohne Wasser, ohne Aussicht auf ökonomische Selbstständigkeit in isolierten Ghettos zu erreichten, die von Zäunen, Siedlungen, Umgehungsstraßen und israelischen Armeeposten umringt sind. Ein virtueller Staat mit nur einem Zweck: Abtrennung (Apartheid)


Aber was Israel unternimmt übertrifft die Verbrechen des weißen Regimes in Südafrika bei weitem. Es hat die Form systematischer ethnischer Säubrung angenommen, die SA nie versucht hat. Seit April letzten Jahres (Jenin) erleben wir jeden Tag die Tötung von Kranken und Verwundeten, denen medizinische Hiilfe vorenthalten wird und der Schwachen, die unter den neuen Elendsbedingungen nicht überleben können (..)

Weil die USA Israel unterstützt und die europäischen Regierungen schweigen, ist es das moralische Recht und die Pflicht der Menschen in aller Welt alles zu tun um Israel aufzuhalten und die Palästinenser zu retten. Tatsächlich gibt es bereits in US Unis einen wachsenden Israel Boykott. Wie im Fall Süd-Afrikas ist ein akademischer Boykott nur ein Teilaspekt und doch wird er am meisten angegriffen und es fragt sich, ob es irgendetwas im israelischen Unileben gibt, was es vom allgemeinen Boykott ausschließen sollte i.e. unterscheidet es sich stark vom akademischen Leben Südafrikas zur Zeit der Apartheid?

Traditionell sollte intellektuelle Verantwortung auch die Beachtung moralischer Prinzipien bedeuten. Aber derartiges zeichnet die israelischen Akademiker nicht aus. Niemals in der Geschichte hat der Senat irgendeiner israelischen Universität jemals gegen die Schließung einer palästinensischen Universität protestiert, oder auch nur gegen die Verwüstung die Stimme erhoben, die dort während des letzten Aufstands angerichtet wurde. Sogar die Schließung der Al Quds Uni in Jerusalem letzten Juli hat keinerlei Protest hervorgerufen. Wenn sich die akademische Welt in Zeiten, in denen die Menschenrechte und moralische Prinzipien verletzt werden, weigern zu kritisieren und Stellung zu beziehen, dann kooperiert sie mit dem Unterdrückungssystem.

Wie überall in der israelischen Gesellschaft gibt es auch in den Unis vereinzelten Widerstand und Opposition. Immerhin fast vierhundert (von zehntausenden israelischen Akademikern) haben einen Aufruf zur Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern unterzeichnet.
Im Ganzen unterscheidet sich die israelische akademische Welt nicht von der im weißen Südafrika. In beiden Fällen gibt es Dissidenten. Aber sie sind Dissenten eben weil sie von der Mehrheitsmeinung abweichen. Einige der echten israelischen Dissidenten werden beständig vor und hinter den Kulissen von den Unibehörden schikaniert.

Wenn man noch ein Zeichen dafür braucht, wie wenig die israelische akademische Welt die Apartheidwirklichkeit vor ihrer Haustür zur Kenntnis nimmt, braucht man nur die Argumente israelischer Gegner eines Boykotts lesen. So dringt der Jerusalemer Professor Idan Segev die Gegner der Besatzung doch dabei zu helfen ?einen offenen Dialog zwischen israelischen und palästinensischen Unis in Gang zu bringen?. Statt zu boykottieren solle die Eu helfen? einen internationalen Kongreß in einer der Unis in der Westbak zu organisieren? Obwohl der Campus von Jerusalem gerade einmal 15 Minuten mit dem Auto von den Gefängnissen (geimeint sind die abgeschnürten Städte und Gemeinden) der Westbank entfernt ist, scheint Prof Segev keine Ahnung zu haben, wie es dort ist. Er hat nie davon gehört, daß das palästeninseische akademische Leben zum Stillstand gekommen ist und daß dort meist Ausgangssperre herrscht.

Der erste Schritt zum Dialog wäre die Entfernung der Panzer von den Toren der palästinensischen Unis.
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Ergänzungen

Ergänzung

Tom 04.07.2003 - 13:16
SA ist natürlich Südafrika. Ich habe ja auch nicht die SA sondern nur SA geschrieben. Beide - Reinhardt und Gordon - stellen in ihren Schriften einen engen Zusammenhang zwischen Abschaffung sozialstaatlicher bzw. überkommener sozialistischer Strukturen, Neoliberalismus, wachsende Ungleichheit in Israel und der Unterdrückung der Palistenenser her. Das Schüren von Konflikten hat den Herrschenden schon immer vortrefflich zur Unterdrückung und Entrechung ihrer Untertanen gedient. Besonders Gordon hat das in einer Reihe von Publikationen sehr genau herausgearbeitet. Ich kann jedem nur empfehlen sich Indy ISrael einmal näher anzuschauen. Auch über deutsche Verhältnisse (mit ganz ähnlichen Mechanismen - siehe Steuerdiskussion - läßt sich da einiges lernen.

Unterschied zu Südafrika

Karl Licht 07.07.2003 - 12:54
Meines Wissens war in Südafrika eine Politik vorherrschend, die auf rassistischen Kriterien aufbaute. Es wurde also quasi eine "natürliche Ungleichheit" zwischen den Menschen mit verschiedenen Hautfarben propagiert. In diesem Fall hatte ich den Boykott auch befürwortet. Im Fall von Israel jedoch sehe ich keine rassistischen Ausgrenzungskategorien am Werk. Ich will die israelische Militärpolitik in den besetzten Gebieten keinesfalls beschönigen. Aber einen generellen Boykott gegen israelische Waren oder - wie in obigem Fall - die akademische Zusammenarbeit mit ausländischen Unis, halte ich für falsch und kontraproduktiv. Die rechtsradikalen Parteien in den jeweiligen Ländern (BRD, Frankreich, wo auch immer) würden sich über einen Boykott natürlich freuen:-(

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