Geht es Gefangenen im Knast zu gut?

Thomas Meyer-Falk 23.06.2003 23:50
In der Boulevard-Presse wird immer mal wieder berichtet, den Gefangenen in deutschen Haftanstalten ginge es viel zu gut, sie lebten in einer Art Hotelvollzug. Und auch auf die Gefahr hin, missverstanden zu werden, so stelle ich als Gefangener der ich zur Zeit bin, fest: Ja, es geht den InsassInnen zu gut!
Ich möchte mich hier ausschließlich mit dem deutschen Strafvollzug, wie er heute vorzufinden ist, beschäftigen. Denn schon im innereuropäischen und erst recht im aussereuropäischen "Ausland" sind die Vollzugsbedingungen vielfach völlig anders.

Gerade die materielle Ausstattung ist im Gefängnis vielfach derart üppig, dass sie zur Vereinzelung und damit zur Entsolidarisierung führt. Was möchte ich damit sagen? Bis 1998 war nach der damaligen Gesetzeslage die Ausstattung der Zellen mit eigenen Fernsehgeräten eher die Ausnahme, denn die Regel. Mit der Änderung des § 69 Strafvollzugsgesetz haben nun - nahezu - alle Gefangenen Anspruch auf ein privates Fernsehgerät und eine Vielzahl von Vollzugsanstalten (sogar in Bayern) verlegte Kabelanschlüsse, so dass über 30 TV-Programme empfangbar sind. Die erste und unmittelbarste Folge war eine Reduzierung der TeilnehmerInnenzahlen am täglichen Spaziergang in den Gefängnishöfen und in den Freizeitgruppen (Sport-, Gespräch-, Spielgruppen). Das heißt, der Prozess der Vereinzelung, der auch in der "freien" Gesellschaft ausserhalb der Gefängnismauern zu beobachten ist, beschleunigte sich.

Als schliesslich Spielekonsolen (X-Box, Playstation I + II) genehmigt wurden und sich rasend schnell verbreiteten, forcierte dies die Entsolidarisierung. Für jene Damen und Herren der Haftanstalten, die sich um Sicherheit und Ordnung kümmern, brachte dies paradiesische Zustände mit sich, denn in ihren Zellen spielende oder fernsehende InsassInnen sind relativ leicht zu kontrollieren - und zu steuern. Es gab ernstliche Suiziddrohungen von Gefangenen, als ihnen die Wegnahme ihrer geliebten Spielzeuge angedroht wurde. Erwünschtes Verhalten kann so relativ einfach seitens der Justiz durchgesetzt werden.

Nun mag man der Meinung sein, dass dies doch ein Zeichen dafür sein, dass es den Gefangenen eher schlecht als gut ginge; jedoch ist dies die Folge der üppigen materiellen Ausstattung und Versorgung! Ein voller Magen und ein durch Spiele abgelenkter Geist revoltiert nicht gerne ("panem et circensis" lautete bei den alten Römern eine Maxime der Herrschenden. Man gebe dem Volk "Brot und Spiele" und schon ist es zufrieden).

Anstatt für eine Angleichung der Löhne für die Zwangsarbeit zu kämpfen (heute erhält ein arbeitender Insasse ca. 150 bis 200 Euro pro Monat "Verdienst"), oder für bessere und intensivere Besuchsbedingungen (laut Strafvollzugsgesetz beträgt das Minimum 1 Stunde pro Monat und in vielen Anstalten ist dies auch zugleich das Maximum), für eine Öffnung des Vollzuges nach aussen, oder vieles andere mehr, setzen sich die Gefangenen vor die Mattscheibe. Die Parallele zum Leben "draussen" ist unübersehbar: Trotz geradezu revisionistischer und menschenverachtender Kürzungspläne der deutschen Regierung im Sozialbereich, geplant und ausgeführt auf dem Rücken von Menschen, die schon heute an der Grenze der (relativen) Armut leben, ist der Protest eher schwach ausgeprägt.

Ich hoffe, deutlich gemacht zu haben, dass es nicht um einen "härteren" Strafvollzug um seiner selbstwillen geht, sondern darum, dass ein weniger an materiellen Gütern am Ende ein mehr an Selbstbestimmung und letztlich Freiheit bringen könnte.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA - Z. 3117, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal, Germany
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Ergänzungen

Hi Thomas

hansimglück 24.06.2003 - 00:34
Ich geh mal davon aus, dass du das irgendwie lesen kannst.
Du bist einer der wenigen übriggebliebenen kämpfenden Gefangenen. In diesem Kontext über so lange Zeit den Kampf aufrecht zu erhalten treibt mir Gänsehaut über den Rücken und nötigt mir meine ganze Bewunderung und Respekt ab. Dafür, dass Du Dich nicht brechen lässt, musst du haufenweise Schikanen ertragen und bist Projektionsfläche für schon häufig dokumentierte Sadismen von beamteten SchreibtischtäterInnen und Wachteln. Niemand würde es wundern oder könnte es wagen, daran Kritik zu üben, wenn Du Dich da drin irgendwie arrangieren würdest.
Von daher möchte ich Dir mal meine Solidarität ausdrücken. Ich hoffe, dass das Schicksal der Gefangenen eines Systems das wir alle zum Donnerdrummel jagen wollen, wieder etwas mehr Aufmerksamkeit erhält in der Linken. Der desolate Zustand der Linken lässt sich deutlich am Verhältnis zu den Gefangenen erkennen: gar keins. Das ist fatal, weil dadurch wird dem Staat zwar passiv, aber doch die Autorität zugestanden, Menschen einsperren zu dürfen, die nicht ins Verwertungsschema passen. Ausserdem lässt sich die Kraft erkennen, die uns zusammenhält: wer riskiert schon was, wenn er/sie im Knast nicht auf die Solidarität draussen zählen kann.
Die frustrierenden Phantomdiskussionen zwischen Antis und Antiantis auf Grundlagen von Distanzierungen und Denunziationen (spezifisch deutsche Spezialität) sind sowas von irrelevant für eine revolutionäre Entwicklung.
Wahrscheinlich soll damit sowieso nur die Rückkehr ins bürgerliche und das Einrichten in den bürgerlichen Privilegien hochtheoretisch gerechtfertigt werden, weil "die anderen sind ja alle so bäh"
Von daher wünsch ich mir viel mehr Thomasse und die Neuentwicklung und Diskussion um einen Solidaritätsbegriff. Dass jemand wie Du mit so einer Linken sich noch solidarisch verbunden fühlt, gibt Mut. Offensichtlich musst du nicht die ganze Zeit vor dem Spiegel stehen und dir bestätigen, wie toll du bist, weil du mit denen und jenen nichts zu tun hast und dich immer fleissig-streberisch distanziert hast.
Another world is possible
Freiheit für alle politischen Gefangenen
The only solution: revolution

schon ein mieses system

xyz 24.06.2003 - 09:50
dieser kleine zusammenfassende text ueber thomas ist mir bei einer google-suche in die finger gerutscht. was der text schuldig bleibt sind die beweggruende fuer den banküberfall für den thomas ins gefaengnis gesteckt wurde:

"Wege von außen"

Redskin, ABC und Direkte Aktion

Thomas Meyer- Falk ist ein Redskin, der Aufgrund eines Banküberfalls seit 1996 seine Haftstrafe absitzt. Diese ist mit "Zulage" auf das Ende des Jahres 2010 datiert. "Zulage" heißt in diesem Fall das Ende 2010 nicht unbedingt das Ende ist und das heißt wiederum, dass das Ende seiner Haftzeit eigendlich mit open end zu bezeichenen währe.

Warum werdet ihr euch fragen, warum diese "Zulage"? Thomas ist seinem Ideal immer treu geblieben und muß dieses mit etlichen Sondermaßnahmen "büßen". So durfte er an einem Fernstudium nicht teilnehmen, weil, so die Begründung er sein Wissen gegen den Staat einsetzten könnte. Aber das ist noch nicht alles: einmal die Woche muß er sich vor Beamten zur körperlichen Durchsuchung ausziehen, tägliche Zellenrazzien machen ihm das Leben zur Hölle. Er sitzt in ständiger Isolationshaft, seine aus- und eingehende Post wird ständig kontrolliert und zensiert, er darf keine Pakete empfangen, von Plakaten ganz zu schweigen. Bevor er die Zelle verläßt werden im Handfesseln angelegt und damit er niemanden als geisel nimmt hat er alleine Hofgang, ihm bleibt der Knastgottesdienst verwehrt. Er darf bestimmte GenossInnen nicht empfangen auch darf er seit neusten von gewissen GenossInnen keine Post mehr empfangen. Die gespräche mit seinem Anwalt finden nur hinter Panzerglas statt. Dies sind einige der Sondermaßnahmen, die Thomas das Leben schwer machen. Die Zelle, in der er sitzt gleicht eher einem Loch irgenwo in Nordsibiren. Für einen der chronische Bronchitis hat ist eine Sicherheitszelle mit Stahlbetonfußboden und morschen Fenstern, die dem Wind nicht trotzem, kein muß. Desweiteren wird die Zelle nur wenige Stunden am Tag beheizt, den Rest muß Thomas frieren. Auf ein Protestschreiben an das Parlament bekam er folgende Worte als Antwort: "Dem Petenten kann nur dringend empfohlen werden, seine Grundhaltung zur gesellschaftlichen Ordnung in wesentlichen Punkten zu überdenken." Was für ein Hohn!!!

Als Thomas einen Artikel für die DA 139 schrieb und um ein Probeexemplar bat, welches ihm die Dresdner FAU auch zusandte, wurde es ihm nicht ausgehändigt. Als Begründung gab der Anstaltsleiter der Justizvollzugsanstalt (JVA) Herr Ruder an, dass die DA kontakt zum Anarchist Black Cross (ABC) pflege, weil zufällig in dieser Ausgabe eine Kontaktanschrift des ABC stand und das ABC zu Straftaten aufrufe würde. Ein Schreiben unsererseits und die Bitte Thomas ein Abonnent zu gefähren wurde mit zu "großem Zensuraufwandt" abgelehnt. Eine Zeitung die jährlich mit ca. 96 Seiten rauskommt seit ein zu "großer Zensuraufwandt"? Oder viel Herrn Ruder nichts besseres ein um Thomas eine weitere Verbindung zur Außenwelt zuzulassen?

Rasmus, FAU Dresden


 http://gib.squat.net/abc/luxembourg/gefangene/thomas/MEYER_II.htm