Aktionen gegen das Sachleistungsprinzip gehen weiter!

Freya Fluten 23.05.2003 21:35 Themen: Antirassismus
Vorläufiges Resümee der Initiative gegen das Chipkartensystem:
In den letzten fast zweieinhalb Jahren haben wir einige Infoveranstaltungen, Antirassistische Einkäufe (gekoppelt mit Protestkundgebungen) und mehrere andere Aktionen durchgeführt. Wir wurden von vielen Gruppen und Personen auf vielfältige Weise unterstützt.
Monatlich werden durch unsere Vermittlung mehrere tausend € Karten-Geld “versilbert”. Dazu kommen die Summen, die durch unabhängig laufende EinkaufspatInnenschaften oder bei den Einkaufsaktionen umgesetzt werden.
Der Berliner Senat hat den Vertrag mit der Firma Sodexho über das Chipkartensystem gekündigt. Ab 1. Juli 2003 werden die vom Senat verwalteten Flüchtlinge wieder Bargeld erhalten. Der Bezirk Mitte (inkl. Alt-Bezirke Tiergarten und Wedding) zieht die Chipkarten ein und zahlt Bargeld aus. Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg wird laut Sozialstadtrat Krömer (CDU) zum 01.09.03 ebenfalls das Chipkartensystem abgeschafft haben. Die Sozialstadträtin Bialkowski aus Spandau (SPD), konnte ihren Willen zur Abschaffung des Chipkartensystems wie schon im vergangenen Jahr auch in diesem Jahr nicht durchsetzen: Die Bezirksverordnetenversammlung hat den Antrag mit den Stimmen von CDU und FDP abgelehnt. Ein entsprechender Antrag in Reinickendorf wurde von den gleichen Parteien verhindert. Ende diesen Jahres werden also in Berlin noch ca. 640 Personen vom Chipkartensystem betroffen sein - Anfang 2003 waren es schätzungsweise 5.200 (1). Dies ist ein Erfolg, es fanden viele höchst verschiedene Aktionen statt, einige Gruppen haben dazu beigetragen, (z.T. auch vor unserer Existenz als “Initiative gegen das Chipkartensystem”). Bewegung zu diesem (eng begrenztem) Thema gibt es auch in Brandenburg. Der von Regine Hildebrand verfügte Runderlass zum zwingenden Entzug des Baren wurde aufgehoben, die Kommunen können jetzt selbständig(er) entscheiden (2). In Mecklenburg-Vorpommern wurden Bargeldleistungen von der Landesregierung angekündigt, Anzeichen einer Umsetzung sind aber noch nicht zu erkennen (3). In mehreren Städten existieren Umtauschinitiativen, z.T. seit über fünf Jahren - mit unterschiedlichem Erfolg (4).

Die Aussichten:
Eine Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen hat sich bisher nicht eingestellt. Eine Gesetzesinitiative zur Abschaffung des Asylbewerber”leistungs”gesetzes ist bisher leider nicht in Sicht. Doch eine verschärfte Variante des Zuwanderungsgesetzes, d.h. mit Zustimmung der CDU-Mehrheit im Bundesrat steht evtl. für dieses Jahr ins Haus, der Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat wird in Kürze hierzu Vorschläge unterbreiten Mit einer schlimmeren Version, als der von Schily & Co., ist zu rechnen (5).
Die Erfolge bzw. Misserfolge in Berlin lassen sich leider bisher an den jeweiligen Regierungsparteien im Senat und in den Bezirken ablesen: Grüne, PDS und SPD setzen sich mehr oder weniger latent für eine Wiederaufnahme der Bargeldzahlung ein, innerhalb der CDU ist die Stimmung klar gegen jede Aufhebung diskriminierender Verfahren. Innerhalb der Berliner FDP existieren verschiedene Meinungen: Die FDP im Abgeordnetenhaus hat sich unserer Minimalforderung angeschlossen, das Argument der Extra-Kosten spielte dabei eine Rolle.
Es ist fraglich, ob die Kündigung des Senates eine Wirkung auf die beiden verbleibenden Bezirke hat. Die Verträge sind unabhängig voneinander, die von den Bezirken zu zahlende prozentuale Provision erhöht sich aber.

Zu Sodexho-Pass:
Ob das Chipkartensystem in Berlin aus wirtschaftlichen Gründen zusammenbricht ist uns unklar. Zwar hat Sodexho-Pass in Berlin fast 90% der Gewinne aus dem Chipkartengeschäft verloren, aber das Verfahren ist erstmal etabliert. Auch in Brandenburg werden in mehreren Landkreisen Chipkarten ausgegeben. Vermutlich ist die Berliner Filiale von Sodexho-Pass (6) für dieses Geschäft zuständig. Einen beträchtlichen Teil ihres Geschäftes an Flüchtlingen verdienen sie zudem mit Gutscheinen: Im Land Brandenburg werden hauptsächlich Gutscheine von Sodexho angewendet.

Zu ACCOR:
Die Firma Accor, ebenfalls u.a. ein Hotelkonzern, bietet ebenfalls Chipkarten für Flüchtlinge an. In Stuttgart wurde das Pilotprojekt “Chipkarte für Asylbewerber” am 2. Januar 2003 gestartet. Die Chipkarten der Firma ACCOR sind (in Stuttgart) mit einem Foto der Betroffenen ausgestattet (7).
Der Konzern ist im Geschäft mit Flüchtlingen nicht unbekannt: 1999 gab es in Frankreich Protestaktionen der Sans Papiers (8) gegen die zu ACCOR gehörige Hotelkette IBIS, um gegen die Vermietung von Gebäuden an das Innenministerium als Wartezonen für Abschiebungen zu protestieren. Proteste gab es auch gegen das Reisebüro Wagon-Lits-Travel (ebenfalls Teil des ACCOR-Konzerns), das Plätze in Zügen und Flugzeugen für Abschiebungen reserviert.

Zu den Läden, die am Chipkartensystem verdienen:
Ca. 70 Geschäfte haben in Berlin Chipkarten-Verträge mit der Firma Sodexho-Pass. Ein Ladeterminal musste angeschafft werden, dazu kommen laufende Kosten für die benötigte ISDN-Standleitung, sowie eine prozentuale Abgabe. Für viele Geschäfte wird sich das jetzt nicht mehr lohnen. Jedoch ist unsicher, ob bei einer geringeren Ladendichte das System kollabiert.
Zwischen August 1997 und Oktober 1997 gab es in Berlin ganze zwei Geschäfte, in denen Flüchtlinge einkaufen konnten, eines in Kreuzberg und eines in Reinickendorf, betrieben von der Hotelkette SORAT, beliefert von der Kette SPAR. Es wurden eine Reihe von massiven Aktionen u.a. gegen Profiteure dieses Geschäftes durchgeführt. SPAR ist anschließend nie am Chipkartensystem beteiligt gewesen, SORAT betreibt keine Flüchtlingsheime mehr. Die Gewinne an Flüchtlingen haben aber vermutlich einen Beitrag zur Erstarkung der SORAT-Kette geliefert.
Im Oktober 1997 wurde schließlich in Berlin das Chipkartensystem eingeführt.

Was wir vorhaben – und wofür wir eure Unterstützung wollen:
Zunächst werden wir (mit eurer Unterstützung) allen vom Chipkartensystem in Reinickendorf betroffenen Flüchtlinge Einkaufs-Patenschaften vermitteln, bzw. ihre Chipkarten an euch weitergeben. Dem Bezirksamt Reinickendorf werden wir nicht verheimlichen, dass seine diskriminierende Praxis ins Leere geleitet wird.
Weiterhin haben wir das Ziel das Chipkartensystem in Spandau zu kippen, sowie die Ausgabe von Bargeld anstelle des Wertgutscheinsystems in Neukölln zu erwirken. Bitte unterstützt uns, indem ihr Einkaufspatenschaften übernehmt, eure evtl. bestehende Patenschaft erneuert oder einmalig auf Chipkarte oder Gutschein einkauft. Über von uns geplante Aktionen halten wir euch auf dem laufenden, z.B. indem ihr euch in unseren e-mail-Verteiler eintragt, im Internet oder indem ihr Infos persönlich erfragt (9).

Termine der Initiative gegen das Chipkartensystem
Sa. 07.06.2003 20:00 Uhr, Infoveranstaltung im Syndikat (Weisestr. 56, Berlin-Neukölln): “Profit an staatlichem Rassismus und Repression – Neukölln-special”. In Neukölln sitzen sowohl die Firma Sodexho-Pass (6) und an der gleichen Hausnummer die Knastfirma SODAB, die in diesem Jahr ihren ersten Auftrag für den (teil-)privatisierten Betrieb der JVA Hünfeld (Hessen) ausführt (10). Ebenfalls in Neukölln hat die Firma ACCOR-Services Ihren Berliner Sitz (7).
anschließend ab 22:00 Uhr, Solitresen zu unseren Gunsten, es gibt Cocktails

Fr. 13.06.03 16-18 Uhr: Antirassistisch Einkaufen, vor EDEKA, Frankfurter Allee 35-37 (vor der Rathauspassage), ein letztes mal mit/für die vom Senat betroffenen Flüchtlinge!


(1) Daten zu Berlin:
Zentrale Leistungsstelle des Landes: 2800 Personen (Berl.Z. März 2003)
Reinickendorf: 90 Chipkarten, 190 Personen (April 2003)
Spandau: 250 Karten, 450 Personen (Mai 2002)
Tempelhof-Schöneberg: 730 Personen (Dezember 2002)
Mitte: 850 Personen (allerdings Stand vom März 2001, es gab unterschiedliche Regelungen in den Alt-Bezirken Mitte, Tiergarten und Wedding)
(2) veraltete Infos und Kontakt zur Brandenburger Initiative unter  http://www.sachleistung.de
(3) Likedeeler S. 10, S. 24, Zeitstreitschrift aus Greifswald, Januar 2003
(4) Kontakt zu Umtauschgruppen unter:  http://members.partisan.net/chipkartenini/links.html
(5) Thesen zum Zuwanderungsgesetz vom Flüchtlingsrat Berlin:  http://www.dbein.bndlg.de/schily/docs/Classen_Thesen_ZuwGE_6.doc
Oder:  http://www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/gesetzgebung/Zuwanderung.pdf
Die Welt 10.5.2003:  http://www.welt.de/data/2003/05/10/90259.html
unser (Rede-)Beitrag (Okt. 2001):  http://members.partisan.net/agip/Texte/Staatlicher_Rassismus/gese1001.RTF
(6) Sodexho-Pass in Berlin:
Sodexho-Pass und
SODAB (private Knastbetrieb-Firma)
Mahlower Str. 24
12049 Berlin-Neukölln
andere Anschrift :
Sodexho-Pass GmbH
Alte Jakobstr. 83-84
10178 Berlin-Mitte
(7) 21. Stuttgarter Flüchtlingsbericht:  http://www.stuttgart.de/sde/global/images/sde_publikationen/amt50/fluechtlingsbericht21.pdf
hier noch etwas zu Gutscheinen von ACCOR:  http://www.nds-fluerat.org/presse/2001/gutsch1.htm
Die ACCOR-Gruppe (DATEN 2002):
ACCOR, in 140 Ländern mit 145.000 Mitarbeitern präsent, ist europäischer Marktführer und weltweit eines der führenden Unternehmen im Reise-, Tourismus- und Dienstleistungssektor. Zu den zwei internationalen Hauptgeschäftsfeldern der ACCOR Gruppe gehören zum einen der Bereich Hotellerie mit 3.700 Hotels (415.000 Zimmer) in 90 Ländern sowie Reisebüros, Restaurants und Kasinos. Das zweite Hauptgeschäftsfeld umfasst Dienstleistungen für Unternehmen und öffentliche Institutionen. Zwölf Millionen Menschen in 31 Ländern nutzen täglich ein breites Dienstleistungsangebot (Menü-Schecks, Betreuung und Vorsorge, Betriebskosten-Management, Sozialleistungen, Incentive/Events), Bekannte Hotelketten des Unternehmens sind Sofitel, Novotel, Mercure, Pannonia, Ibis, Etap, Formule 1, 30% der Dorint-Kette.
ACCOR Regionalbüro Berlin
Rollbergstrasse 72
12053 Berlin-Neukölln
(8) auf deutsch: ohne Papiere (= Selbstbezeichnung von MigrantInnen ohne gültigen Aufenthaltstitel)
(9) Infos und Termine für Berlin u.a. unter:  http://stressfaktor.squat.net/termine.php
Initiative gegen das Chipkartensystem
c/o Berliner Büro für gleiche Rechte
im Haus der Demokratie und Menschenrechte
Greifswalder Straße 4
10405 Berlin
 http://members.partisan.net/chipkartenini/
erreichbar unter:
 konsumfuerfreiesfluten@yahoo.com
Tel.(mobil): 0160-3410547
Tel.: 030 - 419 35 839
Fax.: 030 - 419 36 868
Bürozeiten: jeden Donnerstag, 16-18 Uhr, Vorderhaus, 1. Etage (bei HdD klingeln)
(10)  http://de.indymedia.org/2003/03/44619.shtml
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Ergänzungen